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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Eine Aufarbeitung der Aufarbeitung

Dr. Friedrich Wolff, Wandlitz-Stolzenhagen

 

»Der Schnee von gestern ist die Sintflut von morgen« hat Daniela Dahn ihr neuestes Werk über den Anschluss der DDR an die BRD genannt. Untertitel »Die Einheit – Eine Abrechnung«. Auf 281 Seiten setzt die Bürgerrechtlerin der DDR und ehemalige Mitbegründerin der Oppositionsgruppe Demokratischer Aufbruch ihr außergewöhnliches Werk fort. Wer wieder einmal DDR-Schmäh erwartet hat, wird enttäuscht werden – oder erfreut sein. Schon auf Seite 13 kommt die Autorin zu Sache »Die Einheit war eine feindliche Übernahme auf Wunsch der Übernommenen. Für die Sieger war das schönste an der friedlichen Revolution, dass sie nichts revolutionierte.« Und auf Seite 15 erfährt der Leser: »Die Bevölkerungszahl in Ostdeutschland entspricht heute der von 1905. Vorindustriell. Das ist ein Menetekel.« Schließlich bekennt die Autorin auf Seite 26: »Ich halte Sozialismus für eine der schönsten Visionen des menschlichen Denkens.« Sieben Seiten später folgt die Feststellung: »Die Leute glaubten das Kapital zu wählen und wählten die Kapitulation.«

Es gäbe noch viele Zitate aus dem ersten Teil auszuwählen, aber das einige mag genügen, um zu zeigen, dass der Leser von dem Rest anderes zu erwarten hat, als er erwartete.

Im zweiten Teil wird die »Aufarbeitung« der DDR-Geschichte durch die BRD weiter kritisch beleuchtet. Dabei wird auch Kritik an der »Aufarbeitung« der Geschichte der UdSSR geübt. So zum Thema »Speziallager«. Auf Seite 102 heißt es: Die Amerikaner füllten damit (mit schwer belasteten Nazis, der Verf.) 15 einstige KZs, die Briten, Franzosen und Sowjets je 10. Historiker schätzen, dass mit Hilfe der Geheimdienste der Westalliierten 250.000 Nazis arrestiert wurden, der NKWD hatte eine genauere Buchführung, da waren es 92.178.« Auf derselben Seite wird betont: »Westdeutschland ist der einzige Staat, der das Völkerstrafrecht gegen den Nazismus nie anerkannt hat.«

Im dritten und letzten Teil werden internationale Probleme erörtert, die mit dem Untergang der DDR in Zusammenhang stehen. So heißt es auf Seite 191, dass »die vom Mainstream als Hort von Demokratie und Menschenrechten, als Anführer der westlichen Wertegemeinschaft gepriesene USA-Führung, mit oder ohne Nato-Verbündete seit Jahrzehnten die UN-Charta missachtet und ungestraft Kriegsverbrechen begangen haben. Ein Krieg ohne UN-Mandat ist ein Aggressionskrieg, das schlimmste Verbrechen, welches das Völkerrecht kennt.«

Dahns Werk klingt mit der Frage auf S. 280 aus: »Ob Sozialismus je so leistungsfähig sein könnte wie der Mensch und Natur burnoutende Kapitalismus, ist fraglich. Ob Produktivität aber der erstrebenswerteste Gesichtspunkt bleibt, scheint ebenso fraglich.« 

Wenn Sie mich fragen, das Buch sollte man unbedingt lesen. Eine Frage hätte ich allerdings noch gern beantwortet: Meinen die Bürgerrechtler immer noch, sie hatten Recht, als sie halfen, die DDR zu beerdigen? Auch andere Bürgerrechtler scheinen nachdenklich geworden zu sein. Ich denke an Günter de Bruyn, Der neunzigste Geburtstag, an Christoph Hein, Gegen Lauschangriff, und an Stefan Heym, Filz. Ich glaube, uns fehlt eine Geschichte der DDR-Opposition.

Bestellservice, auf Wunsch mit Versand, für jedes lieferbare Buch: 

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