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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Dreißig Jahre und weiter keine Gerechtigkeit?

Dr. Friedrich Wolff, Wandlitz-Stolzenhagen

 

Vor fast dreißig Jahren ging der Kalte Krieg zu Ende – sagte man – und die DDR ging unter. In den Medien, den tonangebenden, herrscht derzeit dennoch ein Ton wie in alten Zeiten, wie im Kalten Krieg. Die DDR wird beschimpft, als gäbe es sie noch, und Russland ist an allem Schuld, als wäre es die UdSSR. Die Sieger des Kalten Krieges sind nicht glücklich, die Wirtschaft schwächelt neuerdings, die EU ist uneins, Britannien scheidet aus, ein neues Wort beherrscht die Nachrichten: Brexit! Osteuropäische Länder schließen sich zusammen, machen eigene Politik und werden Visegradstaaten genannt. »Volksparteien« werden von rechten Parteien in ganz Europa bedrängt. Die USA gehen eigene Wege, Trump droht mit einem Weltwirtschaftskrieg. In Europa werden kommunistische Parteien bedeutungslos, in den USA und in England gewinnt der Sozialismus Anhänger. Eine neue Weltwirtschaftskrise droht. Schlimmer noch: Das Klima ändert sich, Tiere sterben aus, das menschliche Leben auf der Erde ist bedroht. Die Welt – so scheint es – gerät aus den Fugen. Der herrschende Neoliberalismus zeigt Verfallszeichen. Der Markt kann es nicht mehr richten. Was nun? Die Angst vor dem Sozialismus geht um. Sozialismus geht nicht, die DDR hat es gezeigt, heißt es.

Die Furcht vor dem Sozialismus bestimmt das Bild, das die Sieger des Kalten Krieges von der DDR verbreiten: Unrechtsstaat, Stasi, marode Wirtschaft. 

Wie sah die DDR wirklich aus?

Die DDR war, was heute weitgehend unberücksichtigt bleibt, ein Kind des Kalten Krieges. Die USA hatten 1947 das Kriegsziel verkündet, die sozialistischen Staaten aus den Gebieten, die die UdSSR im II. Weltkrieg erobert hatte, zurückzudrängen (roll back). Die DDR war ein solches Kriegsziel. Angreifer im Kalten Krieg waren die USA mit ihren Verbündeten, die DDR verteidigte sich, unterstützt von den anderen sozialistisch werdenden Staaten. Die Westmächte griffen auf allen Gebieten an: sie errichteten eine Blockade, sie gewannen viele Bürger mit Trugbildern vom Kapitalismus, eröffneten ein Wettrüsten. Das Ergebnis ist bekannt: die Staaten des Warschauer Paktes unterlagen und mit ihnen die DDR. 

Eine überragende Rolle im Kalten Krieg spielten die Medien. Schon im heißen Krieg hatte man von psychologischer Kriegführung gesprochen. Domenico Losurdo schrieb: »In unseren Tagen spielt innenpolitisch die monopolistische Kontrolle, die die Großfinanz auf die Produktionsmittel der Gedanken und vor allem der Emotionen ausübt, eine bei weitem wichtigere Rolle als zu Zeiten von Marx.« (Wenn die Linke fehlt, S. 97)  Ich glaube, die DDR (und die anderen sozialistischen Staaten) unterschätzten die Gefahr, die ihnen auf diesem Kampffeld drohte. Sie glaubten wohl, der Sozialismus sei unbesiegbar. »Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.«

Die kapitalistischen Mächte setzen fort, was sie 1947 begonnen hatten. Der Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus geht weiter. China konkurriert mit den USA, sozialistische Ideen gewinnen Anhänger selbst in England und den USA. Das Bild der DDR soll die Menschen vor dem Sozialismus warnen.

War die DDR zum Fürchten?

Das Schreckgespenst aktuellen DDR-Bild der Medien heißt »Stasi«. Dagegen hebt sich der Rechtsstaat dort vorteilhaft ab. in der DDR wurden Telefongespräche abgehört – nicht so in der BRD?Die Akten des Verfassungsschutzes bleiben verschlossen. Doch es gibt Lücken in der Geheimhaltung. Da schreibt z. B. Diether Posser (mehrfach Minister in NRW) in seinem Buch »Anwalt im Kalten Krieg« (München 1991, S. 362) über einen Besuch: »Angemeldet hatte ich meinen unerwarteten Besuch nicht, weil ich damit rechnete, dass mein Telefon abgehört würde.« – In der DDR starb auch kein Gefangener in Polizei- oder MfS-Haft eines unnatürlichen Todes wie mehrfach in der BRD.

War die DDR ein Unrechtsstaat?

Zunächst ist festzustellen, dass niemand weiß, was ein Unrechtsstaat ist. Der Begriff ist kein Rechts-, kein wissenschaftlicher Begriff, sondern schlicht ein Schimpfwort. Unrecht gab und gibt es in der BRD mehr als es das in der DDR gab. Die Kriminalität ist größer, jeder weiß es. Als der Anschluss erfolgte, machte ich wie viele Berliner die Wohnungstür »einbruchsicher«. Heute braucht fast jeder einen Rechtsanwalt.

Wie stand es mit der Demokratie?

Sicher, da hatten wir Defizite. Der Kalte Krieg war nicht demokratiefreundlich. Und wie ist es jetzt? Da ist ab und an zu lesen, was nicht in das offizielle Bild passt:

ND (dpa) 30. August 2002über die Vorstellung des Datenreport 2002 durch die Bundeszentrale für politische Bildung: »Mit dem Funktionieren der Demokratie sind 60 Prozent der West-Bürger zufrieden. Im Osten sind es lediglich 32 Prozent. 76 Prozent der Ostdeutschen halten den Sozialismus für eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde. Im Westen ist jeder zweite dieser Meinung.«

Wolfgang Ullmann/Reinhard Schult: »Wir haben es satt ... Aus einer Erklärung ehemaliger DDR-Bürgerrechtler«, Fraktions-Blätter – ND-Beilage – 12. Mai 2002: »Die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft ist offensichtlich gestört« »Das war 1989 so und das gilt heute wieder.« »So können wir uns zwar alle vier Jahre bei den Wahlen für eine von vielen Parteien entscheiden. Wir stellen jedoch fest, dass die Programme dieser Parteien mit der Politik, die sie dann tatsächlich machen, kaum etwas zu tun haben.«

Hans Vorländer, Spiel ohne Bürger, FAZ 12. Juli 2011: »Die Euphorie des Jahrhundertbeginns ist verflogen. Mehr noch: An ihre Stelle ist Skepsis, Kritik und auch eine gewisse Ratlosigkeit getreten. Vor allem die innere Entwicklung der etablierten Demokratien, von denen man früher als denen ‚westlichen Typs’ gesprochen hat, gibt Anlass, von einer grundlegenden Krise der Demokratie zu sprechen.« »Die Krisenphänomene und Strukturprobleme der zeitgenössischen Demokratie sind leichter zu identifizieren, als Heilmittel anzugeben, mittels derer die Gefahren zu beheben sind.« Hans Herbert von Arnim: Wer kümmert sich um das Gemeinwohl, Zeitschrift für Rechtspolitik 2002, S. 223 ff.: »Das Fazit ist ziemlich niederschmetternd: Die Demokratie ist in Deutschland kaum mehr als ein schöner Schein.«

Einzelmeinungen?

Was kennzeichnet die DDR wirklich?

Es gab keine Obdachlosen, niemand erfror auf einer Parkbank. Jeder hatte ein verfassungsmäßiges Recht auf Wohnung. Im Grundgesetz Art. 1 heißt es: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Obdachlosigkeit tastet anscheinend die Würde des Menschen nicht an. Den in Verteidigung der Existenz der DDR erschossenen Mauertoten steht die Zahl der Opfer des Kapitalismus, die geschätzten 800.000 Obdachlosen und die unbekannte Zahl der Erfrorenen gegenüber. Die einen werden jährlich gefeiert, die anderen bleiben anonym. Keine Obdachlosigkeit, das ist es, was die DDR u.a. charakterisiert, so wie Obdachlosigkeit den Kapitalismus charakterisiert.

Anderes kommt hinzu

Da gab es z.B. in der DDR ein unentgeltliches Gesundheitswesen. Niemand wurde operiert, nur weil es dem Arzt oder der Klinik nutzte. Alle Medikamente gab es unentgeltlich, sogar die Pille. Der Impfschutz war vollständiger, Tabletten fehlten nicht, weil der Markt sie nicht hergab.

Mehr noch: unentgeltliche Bildung für alle. Wer die Fähigkeit besaß, konnte studieren, gebührenfrei und mit Stipendium, das er im Gegensatz zum Bafög nicht zurückzuzahlen brauchte. Für Angehörige aus – wie man heute sagt – bildungsfernen Schichten gab es die Arbeiter- und Bauernfakultäten. Das bedeutete einen Gewinn für die gesamte Gesellschaft, wichtige menschliche Begabungen blieben nicht ungenutzt. Lehrer fehlten nicht, weil die Planung funktionierte. Studenten und Lehrlinge fanden Unterkunft in bezahlbaren Wohnheimen.

Der Flugplatz Berlin-Schönefeld entstand ohne Aufhebens, die Straßenbahnen, Omnibusse, U- und S-Bahn fuhren regelmäßiger, hatten genug Züge und Personal gab es – trotz Republikflucht – nicht so wenige wie im Zeichen der schwarzen Null. Bei Bauten fielen nicht die Eisenträger vom Dach. Von der DDR hieß es nach 1990, alles sei marode, nun ist alles in der BRD marode. Der Kapitalismus zeigt Verfallserscheinungen. Der Sozialismus ist nicht tot. 

 

Mehr von Friedrich Wolff in den »Mitteilungen«: 

2019-06: Es war doch nicht alles schlecht …

2019-02: Zeitenwende und Klassenkampf

2018-06: Die Rechtsanwaltschaft der DDR in den Augen der Stasi-Unterlagen-Behörde