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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Ein Jubiläum? 75 Jahre Enzyklika "Divini redemptoris"

Dr. Wolf-Dieter Gudopp-von Behm, Frankfurt am Main

 

Über den gottlosen Kommunismus (Teil 2)

 

Im Jahr des Herrn 1937 brachte der Heilige Vater Pius XI. (1922 bis 1939) etwas zu Papier, was ihn schon lange umgetrieben hat: Ein Rundschreiben (Enzyklika) "an die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe und andern Oberhirten, die mit dem Apostolischen Stuhle in Frieden und Gemeinschaft leben". Die Enzyklika - nach ihren lateinischen Anfangsworten "Divini redemptoris (Die Verheißung eines Erlösers)" benannt - ist allgemein bekannt unter ihrer Überschrift: "De communismo atheo (Über den gottlosen Kommunismus)". Das war vor 75 Jahren. Ein Jubiläum? Zu jubilieren gibt es da nichts.

Natürliches und Widernatürliches

Da die wenigsten Leser […] "Divini redemptoris" gerade zur Hand haben werden, hier einige weitere Einblicke. Auf dem Tisch liegt, wie es nachdrücklich heißt, ein "Dokument von erhöhtem Gewicht, wie es sich immer geziemt für den Apostolischen Stuhl, den Lehrer der Wahrheit". Er, der Verkündiger, werde den Kommunismus und vor allem den Bolschewismus in Theorie und Praxis vorstellen und ihm dann die kirchliche Lehre entgegensetzen; anschließend werde er nahelegen, wie "die christliche Kultur, in der die wahrhaft menschliche politische Gemeinschaft (Civitas) einzig Bestand haben kann, von dieser überaus abscheulichen Geißel frei zu halten und zu retten ist". An anderer Stelle spricht die Enzyklika von "der Pest und der Geißel des Kommunismus".

Was über den Kommunismus berichtet wird, unterscheidet sich nicht wesentlich von den gespenstischen Bildern, die Marx und Engels in ihrem "Manifest" satirisch präsentiert haben, und es wäre recht lustig, wenn es nicht bitter ernst wäre: Da der Kommunismus "alle heiligen Verpflichtungen des menschlichen Lebens abweist", zerstört er die familiären Bindungen, ja, "nach Auffassung der Kommunisten ist die Frau mit Familie und Haus durch keine Fessel verbunden" und, "frei von dem Schutz und der Fürsorge des Mannes", begibt sie sich ins "öffentliche Leben und in die gemeine Arbeit wie ein Mann" und überlässt Haus und Kind der gesellschaftlichen Obhut - entmenschlichte Verhältnisse unter der Knute des "Kollektivs" und dem "Zweck der Produktion".

Soweit, so schlimm. Was soll dabei herauskommen? Vielleicht ein Leben, in dem gilt: "Ein jeder arbeitet nach seinen Kräften, jeder empfängt, was er nötig hat?" (Die bekannte Formel "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" wird umständlich ins Lateinische übersetzt und mit Anführungszeichen versehen.) "Kurz: Man unterfängt sich, eine revolutionäre Ordnung und eine bessere Epoche herbeizuführen." Den Heiligen Vater schaudert’s. Auf einer Gesellschaft ohne göttlichen Grund ruht kein Segen. Wer versucht, die Bewegung der Welt und der menschlichen Gesellschaft aus deren eigenen Voraussetzungen, Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten zu erklären, wird scheitern. Indem "die bolschewistischen und gottlosen Kommunisten ihre Lehre dem menschlichen Geschlecht [...] quasi als eine Heilsbotschaft der Erlösung preisen", "voller Irrtümer und Blendwerke", zerstören sie die Fundamente der bürgerlichen Gemeinschaft. Weil ihre Doktrin "den wahren Ursprung, die wahre Natur und den wahren Zweck des Staates nicht erkennt", schmälert sie "die Rechte der menschlichen Person, ihre Würde und ihre Freiheit und leugnet sie".

Kann diese "wahre Natur" etwas anderes sein als die natürliche Seite des Übernatürlichen der Schöpfung?, fragt man sich, wenn man sich in die Denkweise einliest. Was ist aber mit denen, die sich der frommen Normierung der Freiheit nicht freiwillig fügen? Ratzinger hat in Südamerika verkündet, dass seinerzeit die Indianer Christen werden wollten. Mag sein, nur wussten sie nichts von ihrem natürlichen Wunsch, und sehr vielen von ihnen ist das schlecht bekommen. Was wäre eigentlich, Herr Papst, wenn zur "Bewahrung der Schöpfung" sich die sozialistische Gesellschaftsordnung als eine unabdingbare "Natur"-Notwendigkeit herausstellte?

Ob die Presse schuld ist?

Wenn sich der widernatürliche "Trug des Kommunismus" trotzdem über die ganze Welt verbreite, dann liege das nicht zuletzt an einem "verruchten Propaganda-Eifer", der kein Kommunikationsmedium (einschließlich Flugblätter, volitantes paginae), kein Forum und keine Bildungseinrichtung auslasse, und daran, dass viele Menschen "den Virus, der beklagenswerterweise Geist und Seele infiziert", gar nicht bemerkten. Hinzu komme, dass ein großer Teil der nicht-katholischen Weltpresse über die Verbrechen des Kommunismus schweige, was unter anderem darauf schließen lasse, dass "manche dunklen Kräfte, die schon lange versuchen, die christliche Sozialordnung zu Grunde zu richten, dies empfehlen und begünstigen".

Folgerichtig wird die katholische Presse dazu aufgerufen, nicht allein die wahre Soziallehre darzustellen, sondern auch über die Machenschaften des Gegners zu informieren und Ratschläge zu erteilen, wie man "die Tücken und Schliche (machinationes atque fallaciae) der Kommunisten vereiteln kann, mit denen sie nicht wenige gutgläubige Menschen geködert haben".

Der Heilige Vater macht den Anfang und führt seinen gläubigen Kindern die unglaublichen Gräuel einer Christenverfolgung im republikanischen Spanien vor Augen, und es dient ebenso der psychologischen Kriegsführung beziehungsweise Kriegsvorbereitung, wenn er die unterdrückten Völker der Sowjetunion seiner "väterlichen Liebe" versichert ... Über die Methode mit den Gräueln hat übrigens Hitler 1938 offen gesprochen: Es sei nicht einfach gewesen, "das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klarzumachen, dass es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, dass im Gehirn der breiten Masse des Volkes ganz automatisch allmählich die Überzeugung ausgelöst wurde: wenn man das eben nicht im Guten abstellen kann, dann muss es mit Gewalt abgestellt werden; so kann es aber auf keinen Fall weitergehen." Unsere Gegenwart bietet mehrfache Gelegenheit, das Muster wiederzuerkennen.

Die Sozial- und Extremismuslehre

Die ersten beiden Hauptkapitel der Enzyklika haben uns darüber belehrt, wo die großen Übel ihre Wurzel haben: Sie sind die unvermeidliche Frucht einer Lehre und einer Praxis, die das von Gott "den Sterblichen eingeprägte" Naturgesetz nicht achtet und "keinerlei Zügel" kennt. Am übelsten treibt’s der Kommunismus, der, wie man im Vatikan herausgefunden hat, seinem Wesen nach Gegner der Religion ist. Wo aber bleibt das Positive?

Dem Irrtum und dem Trug wird "der wahre Begriff der menschlichen Gesellschaft" gegenübergestellt, wie es "die Vernunft und die göttliche Offenbarung durch die Kirche, die Lehrerin der Völker, uns mitteilen". Durch den allmächtigen Gott "werden die unverschämten und lügnerischen Nichtigkeiten (vanitates) der Kommunisten zurückgeschleudert". Ja doch, wir haben’s kapiert. Das letzte Ziel des mit einer unsterblichen spirituellen Seele begabten Menschen ist Gott, woraus sich die Rechte des Menschen ebenso ableiten wie die Bande der Ehe und der Familie. Geschenkt. Die in die Kommunismus-Bewertung eingeschobene "Soziallehre" ist in ihren wesentlichen Zügen vom kirchlichen Lehramt schon früher entfaltet worden, zuletzt, die Verurteilung des Sozialismus inclusive, in Pius’ XI. Enzyklika "Quadragesima anno" 1931. Was ist die Essenz?

Die katholische Kirche propagiert einen "dritten Weg" zwischen einem liberalen Kapitalismus und Individualismus einerseits und jeglicher Art Sozialismus/Kommunismus samt dessen unterstelltem Kollektivismus andererseits. (Die heute geläufige Sprachregelung einer Kritik des "Neoliberalismus" hat hier eine ihrer Quellen.)

Die Topographie des "Wir in der Mitte zwischen den Extremen Liberalismus und Sozialismus" stellt politisch folgerichtig sowohl die bürgerliche als auch die sozialistische Demokratie infrage; sie wurde zur allgemeinen "Extremismus-Theorie" des Faschismus. In Deutschland war eine Parallelform als reaktionäres Stereotyp schon lange bekannt: Wir Deutsche in der Mitte "zwischen Ost und West"; die feindselige Kritik des "Westens", des "Erbfeinds" zumal, erhielt da eine spezifische Akzentuierung. Im Jahr der Katastrophe 1933 durfte sich der Vizekanzler von Papen darüber freuen, dass nun auch der Liberalismus überwunden werde und eine "christliche Gegenbewegung zu 1789" erstehe. Das genannte "Handbuch" des Erzbischofs Gröber applaudierte 1936 der segensreichen Rückwendung zu "Gemeinschaft, Tradition, Brauchtum, Symbolismus und Mystik", einer Wende, mit der Aufklärung und Liberalismus/Individualismus verabschiedet würden.

Und noch Anfang 1945 rief Erzbischof Jäger die Katholiken zum Kampf gegen die Feinde Deutschlands auf, als da seien der "Liberalismus und Individualismus auf der einen, der Kollektivismus auf der anderen Seite". Die Bestimmung der "Mitte" und der "Extreme" ist durchaus Kriegsziel-relevant.

Gemäß dem Sinn der gottgefälligen Mitte sollen Kapital und Arbeit in einer organischen Gemeinschaft solidarischer Hilfe versöhnt werden - "im Geiste der sozialen Gerechtigkeit und der christlichen Liebe". Gleiches gilt für die helfende Harmonie von Untertan und Obrigkeit. Begrüßt werden eine solchermaßen liebende "christliche Arbeiterbewegung" und eine breite, das gesellschaftliche Leben begleitende katholische Laienbewegung ("katholische Aktion"). Das Ziel: keine gemeine "Volksgemeinschaft", sondern eine christliche "Volksgemeinschaft". Der Kampf der gesellschaftlichen Klassen wird als ein Ausdruck der Gottlosigkeit identifiziert.

Warnung vor Unterwanderstiefeln

Am Schluss dreht der Rundbrief noch einmal voll auf: Nachdem sich der Kommunismus anfangs in seiner Schurkerei voll gezeigt habe, sei er zu einer raffinierteren Taktik der Tarnung übergegangen: Kommunisten tun so, als würden sie sich für den Weltfrieden einsetzen, und sie greifen zu Mitteln der Unterwanderung. Der Gipfel: "in perfider Weise gehen sie darauf aus, sich in katholische und religiöse Vereinigungen einzuschleichen", ja, sie erdreisten sich, mit Katholiken in humanitären und karitativen Angelegenheiten zusammenarbeiten zu wollen. Angesichts dieser drohenden Katastrophe wird den Bischöfen die Aufgabe zugewiesen, dafür zu sorgen, dass sich "die Gläubigen vor solcher Heimtücke in Acht nehmen". Wer die christliche Kultur retten möchte, darf sich in keiner Sache mit dem Kommunismus einlassen; denn der ist "in seinem Kern unrecht und verworfen (intrinsecus pravus)".

Dem ungläubigen Leser […] zur Erinnerung: Wir befinden uns im Jahre 1937. Man kann es drehen und wenden wie man will, die Enzyklika organisiert das gläubige Volk zum Kreuzzug gegen das Reich des Bösen und für einen Faschismus in den Farben der Kirche; den Mächtigen bietet sie sich als williges Instrument ihrer Herrschaft an. Gebotene, mögliche und von zahlreichen Katholiken gewünschte (und hinter dem Rücken des Heiligen Vaters hier und da wirklich gelungene) Verständigungen in der Abwehr von Faschismus und Krieg sind verboten.

Es mag überraschen, aber in manchen katholischen Grundsätzen können sich bemerkenswerte Auffassungen verbergen, über die man gerne vernünftig reden würde. Irgendwie schade, dass der Irrationalismus des gemeingefährlich wahnhaften, aber todernst gemeinten und tatsächlich tödlichen, Tod-bringenden Antikommunismus den Text im Ganzen überlagert, durchdringt und regiert. Katholische Theologen trösten uns: Das sei doch kalter Kaffee, vieles habe sich seither geändert, und das letzte Konzil habe mit der "Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute" menschenfreundlichere Töne angeschlagen. Das ist richtig und überaus erfreulich. Aber eine päpstliche Enzyklika ist nun einmal kein Positionsreferat einer Diskussionsrunde. Was das "kirchliche Lehramt" sagt, erhebt den Anspruch auf Wahrheit und hat Bestand. Die Enzykliken "sind Äußerungen des ordentlichen Lehramtes, auch von ihnen gilt [das Wort Christi]: ‚Wer euch hört, der hört mich.‘". So steht es schwarz und weiß in der Enzyklika "Humani generis" des Papstes Pius XII. von 1950. Müssen wir nicht, wenn wir kritisch auf die katholische Kirche blicken, ihre verbindlichen Verlautbarungen ernst und beim Wort nehmen - nicht nur, aber auch? Und was zeigt ihre Praxis? Hat sie sich in unserer Zeit nicht ihres Beitrags gerühmt, den sie zur Niederringung dessen, was sie für den Hauptfeind Gottes, der Kirche und der Welt hält, geleistet habe? Das unsäglich dumme triumphalistische "Marx ist tot, Jesus lebt" aus dem Mund eines deutschen Kreuzritters ist nicht vergessen.

Ökumenischer Gleichklang

Im Sinne einer ausgewogenen Gerechtigkeit muss gesagt werden, dass auch evangelische Kirchen im Kreuzzug unserer Epoche nicht unerfahren sind. Es gibt allerdings erhebliche Unterschiede. Unterschiede der Theologie, des Kirchenverständnisses und der Organisation. Aber sonnen sich nicht auch evangelische Kirchenleute im Ruhm ihres Anteils am erbeteten Sieg über die "Unfreiheit"? Oder haben seinerzeit nicht die Landeskirchen der alten Bundesrepublik einen Bischof Otto Dibelius zu ihrem Ratspräsidenten gewählt, der 1936 (in seinem Buch "Von der Kraft der Deutschen, in Gegensätzen zu leben") geschrieben hatte: "Ein Reich, ein Volk, ein Führer! Nirgends findet dieser Wille zur Einheit ein stärkeres Echo als da, wo in deutschen Häusern Christen wohnen", und der in seinen späteren Jahren verkündete, dass man in der "Zone" nicht einmal Verkehrsregeln anerkennen müsse? Heute ist ein evangelischer Prediger, dessen Bekenntnis sich im Hass gegen das alte "Gespenst" aufbläht, Bundespräsident. Im Vatikan möchte man neidisch werden.

Quelle: Freidenker 2-2012. Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Teil 1: Mitteilungen, Heft 10/2012, Seiten 28-31.

 

Mehr von Wolf-Dieter Gudopp-von Behm in den »Mitteilungen«: 

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2008-09: Über den Frieden von Tilsit, den Roten Oktober und die Tendenz der Geschichte