Ein Jubiläum? 75 Jahre Enzyklika »Divini redemptoris«
Dr. Wolf-Dieter Gudopp-von Behm, Frankfurt am Main
Über den gottlosen Kommunismus (Teil 1)
Im Jahr des Herrn 1937 brachte der Heilige Vater Pius XI. (1922 bis 1939) etwas zu Papier, was ihn schon lange umgetrieben hat: Ein Rundschreiben (Enzyklika) »an die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe und andern Oberhirten, die mit dem Apostolischen Stuhle in Frieden und Gemeinschaft leben«. Die Enzyklika - nach ihren lateinischen Anfangsworten »Divini redemptoris (Die Verheißung eines Erlösers)« benannt - ist allgemein bekannt unter ihrer Überschrift: »De communismo atheo (Über den gottlosen Kommunismus)«. Das war vor 75 Jahren. Ein Jubiläum? Zu jubilieren gibt es da nichts.
1937 - Faschismus in Europa
Italien, dessen Faschismus weit in die zwanziger Jahre zurückreicht, hatte 1929 mit den »Lateran-Verträgen« dafür gesorgt, dass der Heilige Stuhl und der italienische Staat ihren Frieden miteinander machten. Die Verträge sicherten dem Papst mit der Vatikanstadt ein souveränes Territorium und das Recht, international politisch zu agieren, sofern dies schlichtend und nicht streitend geschähe; zudem wurde der Katholizismus zur Staatsreligion Italiens erklärt, was er bis 1984 geblieben ist. Sowohl die Kirche als auch Mussolini konnten sich nach innen wie nach außen gestärkt präsentieren.
Als letzterer 1935 das christliche Kaiserreich Äthiopien überfiel, soll im Vatikan ein leises Grummeln vernommen worden sein; doch nach dem Sieg der Kolonialisten fand der Mailänder Erzbischof Schuster, von Pius 1929 in dieses Amt gesetzt und zum Kardinal ernannt, Mussolini-treu bis zum unseligen Ende und vom Polen-Papst 1996 selig gesprochen, die angemessenen Worte der Freude und der Bewunderung. Das Deutsche Reich befand sich im festen Griff des Hitler-Faschismus. In Österreich hielt seit 1934 eine Diktatur, die gleichermaßen Mussolinis Italien und dem Vatikan in privilegierten Partnerschaften verbunden war, Arbeiterbewegung und Demokratie nieder.
Seit 1936 verteidigte sich die spanische Republik gegen faschistische Putschisten, die militärisch-real von Berlin und Rom und »geistlich« vom Vatikan munitioniert wurden. Mit päpstlichem Einverständnis ermunterten spanische Bischöfe die Franco-Banditen zum »Kreuzzug für die Religion, die Heimat und die Zivilisation gegen den Kommunismus« (so der Bischof von Salamanca). Portugal im Westen war bereits mit dem Salazar-Faschismus gesegnet. Das Mosaik ließe sich bereichern.
In dieser Zeit der Raum-greifenden Barbarei und der Vorbereitung des großen Krieges hielt es Pius XI. für geboten, mit seiner Enzyklika vor der »ungeheuren Gefahr, die die Kommunisten darstellen« (»ingens communistarum periculum«) zu warnen und mit besonderer Betonung »Russland«, Spanien und Mexico ins Visier zu nehmen. (Mexico vertrat einen politischen Laizismus und zeigte Sympathie mit dem demokratischen Spanien.)
Dabei legte er Wert auf die Feststellung, dass das Oberste Priesteramt »häufiger und mit größerer Überzeugungskraft als irgendeine weltliche öffentliche Autorität (terrena publica auctoritas)« auf diese Bedrohung »mahnend hingewiesen« hat. Das mag für eine gewisse Überheblichkeit Seiner Heiligkeit sprechen - »irdische Autoritäten« oder Gremien anderer Religionen konnten‘s auch ganz gut -, aber wir wollen ihm in diesem Punkt nicht widersprechen.
Das »Reichskonkordat« von 1933
Halt, da hatte es noch etwas gegeben: die Unterzeichnung des im Prinzip noch heute gültigen »Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich« im Juli 1933. Reichskanzler war der Katholik Adolf Hitler, ungleich katholischer war der Vizekanzler Franz von Papen (Parole: »Tod dem Bolschewismus«), der Bevollmächtigte des Reichs bei den Verhandlungen. Der Papst seinerseits hatte den Kardinalstaatssekretär Pacelli bevollmächtigt, den früheren Nuntius in Deutschland und späteren Papst Pius XII. Dem Heiligen Stuhl sollte der Pakt mit dem Teufel die Bewegungsfreiheit der Kirche einschließlich solcher Herzenswünsche wie Religion als ordentliches Schulfach oder die Anerkennung katholischer Konfessionsschulen garantieren; zugleich brachte er über den obligatorischen Treue-Eid der Bischöfe, die »vaterländische« Komponente des Religionsunterrichts oder die Regeln der Militär-Seelsorge eine organische Einbettung in den faschistischen Staat. Die Fuldaer Bischofskonferenz hatte der neuen Obrigkeit schon im März 1933 ein aufrichtiges Treueversprechen abgegeben. Die Hitler-Regierung wurde im Ausland zuweilen misstrauisch beobachtet. Mit dem »Reichskonkordat« schloss sie ihren ersten internationalen Vertrag mit einem Partner, der vielerorts den Ruf moralischer Bonität genoss. Im Schein dieses Gütesiegels wuchs auch das Ansehen Berlins.
Im Kern war man sich sowieso einig. Der Führer und Reichskanzler am 10. März 1933 in einem Aufruf an die NSDAP: »Im Übrigen lasst euch in keiner Sekunde von unserer Parole abbringen: Sie heißt: Vernichtung des Marxismus.« So ist‘s richtig. Am 24. März stimmten die Abgeordneten der katholischen Parteien »Zentrum« und »Bayerische Volkspartei« im Reichstag dem »Ermächtigungsgesetz« zu. Anfang Juli, kurz vor der Unterzeichnung des »Reichskonkordats«, lösten sie sich auf und stellten es ihren Mitgliedern frei, unter der Führung Adolf Hitlers am Aufbau des neuen Deutschlands mitzuarbeiten.
Krach unter Kollaborateuren
Wer sich mit Verbrechern einlässt, muss damit rechnen, übers Ohr gehauen zu werden. Die Kirche hatte bald Grund, sich vernehmlich zu beschweren. Das tat sie im März 1937, wenige Tage vor »Divini redemptoris«, in der Enzyklika »Mit brennender Sorge (Cura ardente)«. Zum einen ging es um Vertragsverletzungen, die das kirchliche Leben betrafen, zum andern aber auch um inhaltliche Streitpunkte. Pius griff die frühere Verurteilung der NS-Weltanschauung, die er in der Begeisterung des Jahres 1933 vergessen hatte, wieder auf: Die Enzyklika verurteilt die Vergötterung von Staat, Volk und Führer und den Rassismus: »So wie die Sonne über allem leuchtet, was Menschenantlitz trägt, kennt auch Sein [Gottes] Gesetz keine Vorrechte und Ausnahmen.«
Die Aussage verdient hohe Anerkennung. Tatsächlich ist der Austrofaschismus, der katholische Faschismus Österreichs, der bis zum »Anschluss« 1938 in einer erbitterten Auseinandersetzung mit der NSDAP stand, nicht rassistisch gewesen, anders als später der katholische Faschismus des kroatischen Staats, und auch der italienische Faschismus war es zunächst nicht. Verkürzt gesagt, forderte der Papst aus gegebenem Anlass: Mehr »Wien« in »Berlin«! Seine deutschen Bischöfe bewegten sich derweilen in einer Grauzone, mit der sie zuhause im Feld des dumpfen Blut-und-Boden-Gewabers und der terroristischen »Nürnberger Gesetze« (1935) nicht besonders auffielen. In ihren Richtlinien für den Religionsunterricht heißt es 1936: »Rasse, Boden, Blut und Volk sind kostbare natürliche Werte, die Gott der Herr geschaffen hat und deren Pflege er uns deutschen Menschen anvertraut hat.« Das »Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen«, das Freiburgs Erzbischof Gröber »mit Empfehlungen des deutschen Gesamtepiskopats« im gleichen Jahr herausgab, billigte jedem Volk das Recht zu, seinen Rassenstand ungestört zu bewahren. Nach bewährtem Rezept wurde Fremdgut, das man in Köpfen und im Brauchtum vorfand, getauft und - hier im Sinne einer Bewahrung der Schöpfung - in das kirchliche Volksgut aufgenommen.
Wie kommt der Papst zur anschließenden totalen Feindansage gegen den Kommunismus in »Divini redemptoris«? In »Cura ardente« wird der »Kampf gegen die Verneiner und Vernichter des christlichen Abendlands« auch gegen Nicht-Hinnehmbares der NS-Weltanschauung und kirchenfeindlicher NS-Praktiken geführt. Die händeringende Klage - Weshalb drangsaliert ihr uns? Verhält sich die Kirche nicht untadelig vaterländisch? - geht wie von selbst über in: Tun wir nicht alles, um den gemeinsamen Feind zu bekämpfen, und stehen wir nicht in Spanien an vorderster Front? »Divini redemptoris« demonstriert den Einsatzwillen der Kirche an der Hauptkampflinie und versucht dem Problem-Partner einzuhämmern: In deinem eigenen Interesse müsstest du mit uns pfleglich umgehen, wie es Kardinal Faulhaber, der spätere Ziehvater Joseph Ratzingers, schon 1936 gepredigt hatte: »Wird dem deutschen Volk die Aufgabe gestellt, in der Abwehr des Bolschewismus die Führung zu übernehmen, dann kann es und darf es nicht auf den stärksten Bundesgenossen in diesem Abwehrkampf, auf das Christentum, verzichten.« Die Versicherung in »Cura ardente«, der innigste Wunsch der Kirche sei »die Wiederherstellung eines wahren Friedens zwischen Kirche und Staat in Deutschland«, ist glaubhaft.
Das Zusammenspiel beider Enzykliken vom März 1937 wurde umgehend aus berufener Feder erläutert. Im April sandte Kardinalstaatssekretär Pacelli eine Note an Hitlers Botschafter beim Vatikan: Der Heilige Vater sei es seinem Amt schuldig, »über der Verurteilung des bolschewistischen Wahn- und Umsturzsystems das Auge nicht zu verschließen vor solchen Irrtümern, die sich in anderen politischen und weltanschaulichen Richtungen einzunisten und nach der Herrschaft zu drängen anheben. Die Tatsache, dass solche Irrtümer sich auch innerhalb politischer Abwehrfronten finden, die eine antibolschewistische Gesamtrichtung aufweisen, kann kein Freibrief sein für ihre Duldung oder Ignorierung seitens des obersten kirchlichen Lehramts. […] Für den inneren und äußeren Zusammenhalt […] einer Abwehrfront gegen die Weltgefahr des atheistischen Kommunismus wäre nichts verhängnisvoller als der Irrglaube, diese Abwehr lediglich auf äußere Macht zu stellen und in ihr den geistigen Mächten den Platz vorenthalten zu können, der ihnen zukommt.« Ohne uns, die Kirche, wird das nichts. Auf geht's!
Der Kreuzzug und andere Kriege
Die Kommunismus-Enzyklika kündigt einleitend an, sie handle »vom bolschewikischen und gottlosen Kommunismus, der die Welt furchtbar bedroht und darauf ausgeht, die soziale Ordnung umzustürzen und die Fundamente der christlichen Kultur (urbanitas) zu untergraben«. Es war nicht die erste kirchliche Hetzschrift gegen den Sozialismus/Kommunismus und, weiß Gott, auch nicht die letzte. Im Europa des Jahres 1937 aber mobilisierte sie für jeden erkennbar zu einer kollaborierenden Parteinahme für den Faschismus, und in der militanten Abwehr der kommunistischen Bedrohung schlummerte schon der Ausblick auf Künftiges. Wie werden sich die Katholiken in kommenden Kriegen positionieren?
Im Juni 1941 griff die deutsche Wehrmacht für die Interessen des Kapitals (nicht allein des deutschen) den gottlosen Bolschewismus an. Noch im gleichen Monat rief die Fuldaer Bischofskonferenz gemäß »dem heiligen Willen Gottes« zum Dienst am Vaterland, ein Wille, der naturgemäß dem katholischen Militärbischof besonders heilig war: Deutschland sei der »Retter und Vorkämpfer Europas« und dieser Krieg »ein europäischer Kreuzzug«. Solange der Krieg dauerte, wurde er von passenden Worten begleitet wie 1942 dem Gebet des Erzbistums Breslau um den Beistand Gottes: »Lass ihre Waffen siegreich sein im Kampf gegen den gottlosen Bolschewismus«, oder der kriegstauglichen Angst des Paderborner Erzbischofs Jäger, wonach die Russen durch ihre Gottfeindlichkeit »fast zu Tieren entartet sind«.
Das Deutsche Reich führte seinen Krieg zur Befreiung der Völker nicht nur gegen die sozialistische SU. Nach dem Auftakt in Spanien hat Deutschland seit 1938/1939 zahlreiche Staaten angegriffen und/oder besetzt. 1939, beim Krieg gegen das katholische Polen, forderte der Hirtenbrief der deutschen Bischöfe von den katholischen Soldaten, »in Gehorsam gegen den Führer opferwillig […] ihre Pflicht zu tun«; nach der Eroberung des zuvor von Görings Fliegern in Trümmer gelegten Warschau läuteten in Deutschland zum Dank für den Sieg die Kirchenglocken. In Frankreich wurden die Franzosen von ihrer Revolution und Aufklärung befreit, und gegen England war‘s eine fliegende Liberalismus-Kritik.
Ab und zu von Bischöfen vorgetragene mutige Worte betrafen Kollateralschäden, nicht das Verbrechen selbst. Einzig der Berliner Bischof Preysing hat sich an der Kriegspropaganda nicht beteiligt.
Quelle: Freidenker 2-2012. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
Teil 1: Mitteilungen Heft 10/2012, Teil 2: Mitteilungen Heft 11/2012
Mehr von Wolf-Dieter Gudopp-von Behm in den »Mitteilungen«:
2008-09: Über den Frieden von Tilsit, den Roten Oktober und die Tendenz der Geschichte