Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Dr. Sorge funkte aus Tokio

Dr. Hartmut König, Panketal

 

Vor achtzig Jahren wurde der Kommunist und Kundschafter der Roten Armee Richard Sorge ermordet

 

Am 7. November 1944 trat der deutsche Revolutionär und überaus erfolgreiche Kund­schafter der Roten Armee Dr. Richard Sorge in Tokio mit zum Rotfront-Gruß erhobener Faust vor seine faschistischen Henker. Weniger als ein Jahr bevor Hitler in dem von Rot­armisten umzingelten Rattenbunker sein Gift nahm und die kaiserlich-japanische Ach­senmacht kapitulierte, vollendete sich sein außergewöhnliches Leben. Der als 24-Jähri­ger in die KPD eingetretene Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer russischen Pro­letarierin hatte es mutig und bewusst in den Dienst des Kampfes gegen menschliche Ausbeutung und imperialistischen Krieg gestellt. Als Journalist und Wissenschaftler stets auch ein hellsichtiger Analyst seiner Zeit, hatte er die Gefahren des heraufziehen­den Faschismus für die Völker und insbesondere die Sowjetunion rechtzeitig erkannt und war bereit, der Roten Armee im Kampf gegen die Schlächter der Humanität als Kundschafter zur Verfügung zu stehen. Die von Richard Sorge nach Moskau gesandten Informationen waren von äußerster Relevanz. So konnte die Rote Armee auf Grund der im September 1941 abgesetzten Meldung, Japans strategische Angriffsziele seien jetzt nicht auf die fernöstlichen Gebiete der Sowjetunion, sondern auf die USA und die briti­schen Kolonien am Pazifik gerichtet, ihre Kräfte erfolgreich umgruppieren. Dadurch wurden zum Jahresende die Wehrmachtsverbände vor Moskau gestoppt und Hitlers Blitzkriegspläne durchkreuzt.

Proletarische Faust hinter bürgerlicher Weste

Richard Sorges Lebensweg hätte in den Schoß der Bourgeoisie führen können und fand doch schnell zur revolutionären Arbeiterbewegung. Als aber die Legende für seine Tätigkeit als Kundschafter greifen musste, gelang ihm mit intelligentem Rollenspiel eine prominente »Re«-Verankerung im bürgerlichen Nest. In dieser Tarnung bewegte sich Richard Sorge meisterhaft, die eklatanten Klüfte zwischen kommunistischer Gesinnung und reaktionärer Maskierung aushaltend.

Geboren wurde er am 4. Oktober 1895 in Baku, wo der Vater als Erdöltechnologe tätig war. Seine Mutter war die Russin Nina Semjonowa, Tochter eines Arbeiters. Bereits 1898 übersiedelte die Familie in den Berliner Vorort Lankwitz. Richard besuchte die Volks- und Oberschule, diente als Kriegsfreiwilliger in der kaiserlich-deutschen Armee und wurde mehrfach verwundet. Nach dem Not-Abitur hatte er das Studium der Philo­sophie und Nationalökonomie begonnen. 1917 trat er in die USPD ein und wandte sich leidenschaftlich gegen den imperialistischen Krieg. 1918 war er Mitglied des Kieler Arbeiter- und Matrosenrates. Im Folgejahr studierte er in Hamburg Rechts- und Staats­wissenschaften und promovierte mit »summa cum laude«. Er war Redakteur des USPD-Organs »Hamburger Volkszeitung« und wurde Mitglied der KPD. 1920 beteiligte er sich an der bewaffneten Abwehr des Kapp-Putsches. Von der TH Aachen wegen revolutionä­rer Umtriebe entlassen, wandte er sich verstärkt der journalistischen und propagandis­tischen Parteiarbeit zu. Auch erledigte er operative Aufgaben. Nach dem gescheiterten Hamburger Aufstand war er persönlicher Geheimkurier des in der Illegalität arbeitenden Ernst Thälmann zur KPD-Zentrale. Ende 1924 ging er mit dem Einverständnis seiner Partei nach Moskau und nahm eine Tätigkeit in der Komintern auf. 1925 wurde er sowjetischer Staatsbürger und Mitglied der KPdSU (B). Er arbeitete als Instrukteur des Skandinavischen Länderbüros der Komintern und studierte die immer brisanter werden­de politische, ökonomische und militärische Lage in den fernöstlichen Ländern. 1929 trat er als Kundschafter in die militärische Aufklärung der Roten Armee ein, die damals von General Jan K. Bersin geleitet wurde. Die Resultate dieser Entscheidung sollten eine geschichtliche Dimension erlangen.

Strategisch bedeutsame Nachrichten der Gruppe »Ramsay«

Ende 1929 reiste Richard Sorge nach Schanghai. Als Korrespondent der »Deutschen Getreide-Zeitung« und Wissenschaftler der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft getarnt, baute er eine Kundschaftergruppe auf, die ihn bereits mit seinem später nach Tokio fol­genden Funker Max Christiansen-Clausen und dem japanischen Patrioten Dr. Ozaki zusammenführte. Ruth Werner berichtet in »Sonjas Rapport«, wie ihr Schanghaier Haus Richard Sorge und seiner Gruppe als Treffpunkt diente. Hier konnte sie eigene Informa­tionen über die Lage in China und die expansionistischen Attacken Nippons einbringen. Durch ihre Aufzeichnungen lässt sie uns an Erlebnissen teilhaben, die ihr lebenslang unvergesslich blieben. Genannt sei nur das Treffen, das Richard Sorge und sie 1932 mit dem deutschen Kommunisten Otto Braun hatten, der als militärpolitischer Berater der KP Chinas später am legendären Langen Marsch teilnahm. Anwesend war auch Manfred Stern, der bereits als junger Kommissar einer Partisaneneinheit gegen den konterrevolu­tionären General Koltschak gekämpft hatte, im Auftrag der Komintern die 1929 zeitweilig etablierte Sowjetrepublik China beriet und später als General Kléber im Spanischen Bür­gerkrieg mit der von ihm befehligten XII. Interbrigade das bedrohte Madrid vor dem Zugriff der Franco-Putschisten schützen sollte. Zu den wichtigsten Ermittlungen der Kundschaftergruppe um Richard Sorge gehörten die reaktionären Machenschaften Tschiang-Kai-scheks, der von hochrangigen Reichswehr-Offizieren beraten wurde.

Wieder getarnt als bürgerlicher Journalist, begann Dr. Sorge im September 1933 seine Geheimdiensttätigkeit in Japan, wo er zum Schein der Tokioter Ortsgruppe der NSDAP beitrat. Erfolgreich baute er einen engen Kontakt zu Diplomaten der Nazi-Botschaft und besonders zum Militärattaché Eugen Ott auf. Mit seiner Gruppe »Ramsay« gelang ihm die Enthüllung bedeutsamer kriegsstrategischer Planungen des Kaiserreichs und des verbündeten Deutschen Reiches. Im Herbst 1936 meldete er geheime Inhalte des »Anti­komintern-Paktes«, der zwischen Hitlerdeutschland und Japan geschlossen wurde, nach Moskau. 1939 informierte er über Einzelheiten der japanischen Vorbereitungen für den Überfall auf die Mongolei, dessen Stoßrichtung auf die Fernost-Gebiete der Sowjet­union zielte. Die japanischen Aggressoren wurden am Chalchin-Gol von mongolisch-sowjetischen Truppen vernichtend geschlagen. Schon ab März 1941 übermittelte Richard Sorges Gruppe Planungsdetails des bevorstehenden Angriffs Hitlerdeutsch­lands auf die Sowjetunion. Am 15. Juni lautete der Funkspruch präzise: »Der Krieg wird am 22. Juni beginnen.« Dass diese Information, die durch Meldungen der antifaschisti­schen Widerstandsgruppe Harnack-Schulze-Boysen sowie des zur Roten Armee überge­laufenen deutschen Schützen Rudolf Richter erhärtet wurde, von Stalin als zweifelhafte und irreführende Feindpropaganda abgetan wurde, war eine tragische, kräftezehrende Fehleinschätzung zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges. Aber nicht nur von sowjetischer, sondern auch von anglo-amerikanischer Seite wurden strategisch brisan­te Informationen der »Ramsay«-Gruppe nicht gebührend beachtet. Julius Mader, dessen sorgsam recherchiertem »Dr.-Sorge-Report« aus dem Jahre 1984 ich viele Informatio­nen für diesen Text entnahm, berichtet von vergeblichen Versuchen des Sorge-Mitarbei­ters Branko Vukelic, die amerikanische Agentur »United Press« ein halbes Jahr vor dem Überfall auf Pearl Harbor auf japanische Kriegsvorbereitungen gegen die USA und Großbritannien hinzuweisen. Die erwartete Weitermeldung an die Führungsstellen der USA und Großbritanniens unterblieb jedoch. Die anglo-amerikanischen Dienste schätz­ten die Lage offenbar falsch ein. In Pearl Harbor wurden große Teile der amerikanischen Pazifikflotte zerstört. Im Dezember 1941 landeten Japans Truppen auf den Philippinen und besetzten die britische Kronkolonie Hongkong. Vom Gebiet des heutigen Malaysias kommend, eroberten sie, wie vom Nazi-Botschafter in Tokio mehrfach gefordert, das strategisch bedeutsame Singapur. Später fielen sie über Burma, Niederländisch-Neu­guinea und eine Vielzahl pazifischer Inseln her. Der von der »Ramsay«-Gruppe vorausge­sagte japanische Truppenaufmarsch befand sich im Siegesrausch.

Hingerichtet am Jahrestag der Oktoberrevolution

Im Oktober 1941 wurden die Mitglieder der »Ramsay«-Gruppe trotz peinlicher Beach­tung konspirativer Regeln durch eine Verkettung unglücklicher Umstände festgenom­men. In angespannter Situation hatte die japanische Geheimpolizei die Observierung ihnen bekannt gewordener japanischer Exilkommunisten verstärkt, wobei eine Kontakt­person enttarnt wurde. In der Nacht vor seiner Verhaftung am 15. Oktober hatte Richard Sorge mit seinem Funker Max Christiansen-Clausen das letzte Mal zusammen­gesessen. Sie sprachen über die Lage in Deutschland und sorgten sich um ihre japani­schen Genossen Ozaki und Miyagi, von denen sie keine Lebenszeichen erhalten hatten. Der bereits inhaftierte Miyagi hatte versucht, sich durch einen Sprung aus dem Fenster das Leben zu nehmen. Ozaki war wenige Tage vor Sorge verhaftet worden. Er und Sorge erhielten am 29. September 1943 ihr Todesurteil. Am 7. November 1944, zynischer­weise am 27. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, wurden die bei­den Kampfgefährten im Tokioter Sugamo-Gefängnis gehängt. Zuvor hatte die Nazi-Bot­schaft einen Dolmetscher zu Richard Sorge in die Todeszelle geschickt. Der Botschafts­angestellte berichtete: »Er machte den Eindruck eines Mannes, der stolz ist, sein gro­ßes Werk getan zu haben, und der sich nun darauf vorbereitet, den Schauplatz seines Wirkens zu verlassen. … Er bekennt sich freimütig und nicht ohne Triumph zu seinen Taten.« Genauso war es. Schon während der Untersuchungen hatte Richard Sorge schriftlich festgehalten: »Heute, wo ich Zeuge des zweiten Weltkrieges geworden bin, … besonders aber des deutsch-sowjetischen Krieges, bin ich noch mehr davon überzeugt, dass die Wahl, die ich vor fünfundzwanzig Jahren getroffen habe, richtig war. Ich sage das angesichts all dessen, was mir in diesen fünfundzwanzig Jahren zugestoßen ist.« Möglicherweise schloss das Stalins eklatanten Fehler ein, den übermittelten Termin des hitlerdeutschen Überfalls auf die UdSSR zu ignorieren. Tokios Angebot, Richard Sorge gegen japanische Gefangene auszutauschen, wurde von Moskau mit dem Hinweis abgelehnt, der Betreffende sei kein sowjetischer Agent. 1964 wurde Richard Sorge vom Obersten Sowjet der UdSSR posthum als »Held der Sowjetunion« geehrt. Hochgeachtet in der DDR, galt er im westdeutschen Revanchistenlager als geheimdienstlich begabter roter Verräter. Heute, am 80. Jahrestag seiner Hinrichtung, wird Richard Sorges Name im herrschenden bundesdeutschen Politikbetrieb unerwähnt bleiben. Die Herabwürdigung der sowjetischen Befreiungstat schließt das Verschweigen ihrer Helden ein. Den verwei­gerten Lorbeer legen wir Richard Sorge und seinen Genossen dankbar aufs Grab. 

 

Mehr von Hartmut König in den »Mitteilungen«: 

2024-04: Das »Grandola«-Signal

2024-03: Der Schoß ist fruchtbar noch …

2023-06: Der Whistleblower und die Rache der Ertappten