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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Wirklichkeit drängt zum Gedanken

Prof. Dr. Edeltraut Felfe, Greifswald

 

Nun wurde die Eigentumsfrage, »die Grundfrage unserer Bewegung« aus dem Kommunistischen Manifest, von unten aus der neoliberalen Versenkung geholt. In der Berliner Großdemonstration von 230 Initiativen und Organisationen im April des Jahres hieß es: »Mietenwahnsinn widersetzen« und »Deutsche Wohnen enteignen« und »Häuser denen, die drin wohnen«. Ein breites Bündnis arbeitet für ein Volksbegehren zur Enteignung großer börsennotierter Immobilienkonzerne. Und ein Berliner Landesparteitag sprach von Enteignungen, um Spekulationen mit Baugrund und Leerstand zu verhindern. Gefordert werden zudem Verkaufsvorbehalte des Abgeordnetenhauses bei Verkäufen öffentlichen Eigentums. In der Verfassung soll eine Privatisierungsbremse verankert werden. Bernd Riexinger forderte: »Immobilienkonzerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen und Co. müssen enteignet werden«. [1] In mehreren Städten wollen Initiativen massenhaft leerstehenden Wohnraum der Spekulation von Immobilienkonzernen entziehen. Sie besetzen ungenutzte Wohnungen und die Mieter wollen sie selbst verwalten. Einige Gewerkschafter stellen »die Eigentumsfrage« auch im Kampf gegen Gewinnspekulanten im Pflegedienst. Und wenn es wie bei Siemens, Opel oder der Leipziger Halberg um profitdiktierte Verkäufe oder massenhafte Streichung von Arbeitsplätzen geht, wird bei Streiks schon mal eine »Enteignung der Ausbeuter« gefordert. Der langgediente SPD-Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern nannte nun den jahrelangen Ausverkauf des Bodens an überregionale private Kapitalanleger »alarmierend« und wollte von CDU und Bauernverband gestoppt dagegen gesetzlich vorgehen. [2] Und auch dies: »Enteignet Springer Facebook!« ist eine hochmoderne Antwort auf die E-Frage. [3]

Die Linkspartei in Hessen geht in ihrem Landtagswahlprogramm für den Oktober komplex, vielschichtig und konkret mit der Grundfrage um bis hin zur Forderung, Groß-unternehmen in öffentliches Eigentum zu überführen. Dabei werden antikapitalistische Grundsätze der hessischen Verfassung von 1946, die soeben von Linken, SPD, Gewerkschaften und Sozialverbänden gegen die CDU und andere erfolgreich verteidigt wurden, genutzt. [4] Der Beschluss des Leipziger Parteitages vom Juni nimmt all dies auf: Für einen notwendigen »grundlegenden Richtungswechsel«, für einen neuen Weg müsse »die Eigentumsfrage in den Fokus gerückt werden«. [5] Damit wird eine Grundaussage des Parteiprogramms von 2011 bekräftigt: Es geht um öffentliches und demokratisch kontrolliertes Eigentum in der Daseinsvorsorge, in Infrastruktur, Energiewirtschaft und im Finanzsektor. »Wir wollen eine demokratische Vergesellschaftung weiterer strukturbestimmender Bereiche auf der Grundlage von staatlichem, kommunalem, genossenschaftlichem oder Belegschaftseigentum.« [6]

Und selbstverständlich taucht die Eigentumsfrage auch in ihrer internationalen Dimension wieder stärker auf. Auf dem Labourparteitag 2017 hieß es aus der Führung: Wir holen uns unsere Bahn, unsere Energie, unsere Post, unser Wasser zurück, keine Public-private-Partnership mehr. Von katalanischen Gewerkschaften wurde im Selbständigkeitsaufbruch eine öffentliche Bank unter Volkskontrolle gefordert. In der spanischen Linken geht es darum, die Daseinsvorsorge wieder in die öffentliche Hand zu nehmen und ökologische staatliche Unternehmen zu gründen. Linke in der Schweiz wollen private Unternehmen bzw. von Auslagerung oder Verkauf bedrohte Teile, durch ein öffentliches Vorkaufsrecht oder eines für die Belegschaften vergesellschaften.

So setzen die Wirklichkeit und Betroffene selbst zunächst punktuell und zaghaft die Eigentumsfrage auf die Tagesordnung, nachdem der Neoliberalismus sie jahrzehntelang täglich in allen Lebensbereichen gegen die Erwerbsabhängigen entscheidet.

Wir erinnern uns: In den Jahren 2008 ff. wurde sie mit dem Schrecken der Bankenkrise aktualisiert, öffentlich thematisiert und politisiert. Eine Vergesellschaftung von Banken, zumindest Teilhabe an der Entscheidungsmacht, wenn sie mit Steuergeldern gerettet worden sind, wurde gefordert. Ebenso die Überführung der Stromleitungsnetze in öffentliches Eigentum. Oskar Lafontaine hat argumentiert, dass das Grundgesetz uns zu einer neuen Wirtschaftsordnung verpflichtet. [7] Und am 1. Mai 2015 rief er den Versammelten zu: Wer von Politik rede, aber von der Eigentumsfrage nicht, solle nach Hause gehen. 2009 erklärte der Chefökonom des DGB, dass in Zeiten der Krise die Eigentumsfrage nicht mehr tabu sein sollte. Gemahnt wurde, dass es steril sei, sie nur abstrakt zu propagieren. Eine sozialistische Organisation, die sie nicht zum Zentralpunkt mache, von dem aus alle anderen Themen beleuchtet werden, sei nicht mehr erkennbar. [8] Thomas Kuczynski wandte sich 2008 dagegen, die Wahrheit des Satzes, dass die Eigentumsfrage die »Grundfrage der Bewegung« ist, »seit Jahren in Abrede zu stellen« und zu meinen, es genüge, die »Verfügung« über das Eigentum »sozialen Kriterien« zu unterwerfen. [9] Damit wird verbreiteten Positionen in und um die Linkspartei zu Recht widersprochen.

Täglicher sozialer Abwehrkampf und Eigentumsfrage

Selbstverständlich geht es gegenwärtig nicht um eine generelle Vergesellschaftung machtgebenden Eigentums in Struktur und demokratischer Verfügung und damit um die Überwindung des Kapitalismus als Tagesaufgabe.

Und es geht auch nicht um einen Ersatz für die Bemühungen um Umverteilung von oben nach unten und für politische Regulierungen der Lebensverhältnisse im Interesse der Erwerbsabhängigen, sondern es geht um Vergemeinschaftungsstrategien als Teil dieser Kämpfe. Das heißt, wir müssen uns der Tatsache stellen, dass linke Forderungen zur Steuer-, Miet-, Gesundheits-, Lohn- und Wirtschaftspolitik, zum Kampf gegen Hartz VI und Armut oder zur Einschränkung von Rüstungsexporten, den neoliberalen und militaristischen Trend der Entwicklung nicht stoppen konnten und dass wesentliche Ursachen dafür in den Eigentumsverhältnissen liegen. Und dass wir folglich über die Notwendigkeit von Vergesellschaftungen nachdenken und aufklären müssen. Nicht als Allheilmittel aller Übel und Verbrechen des kapitalistischen Systems, aber als eine konsequente Fortsetzung von Widerspruch und Widerstand, wie zum Beispiel beim Kampf um bezahlbaren Wohnraum. Das ist so, weil der Einsatz gegen Neoliberalismus antikapitalistisch werden muss, um erfolgreicher zu sein. Und dafür gibt es ein verbindendes Interesse: Alle Bewegungen für menschenwürdiges Wohnen, für Pflege, Bildung, Umweltschutz und dafür, dass Werteschaffende über die Bedingungen und die Resultate ihrer Arbeit mitentscheiden können, sind objektiv gegen das kapitalistische Profitprinzip gerichtet. (Es wird von vielen als »Herrschaft des Geldes« empfunden.) Da sind gemeinsame Interessen bewusst zu machen, zusammenzuführen und so änderungsmächtig zu machen. In allen diesen Bewegungen heben sie »die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge als die Grundfrage der Bewegung hervor« [10], heißt es im Kommunistischen Manifest.

Warum es drängt?

Weil sich Reichtum aus kapitalistischer Ausbeutung und Spekulation immer schneller zu destruktiver Macht zusammenballt, »öffentliche Meinung« und Lebensweise beherrscht, Staatspolitik kauft und erpresst und die Existenz von Mensch und Natur bedroht. Wie sollen weitere Kriege verhindert werden, wenn das Rüstungskapital nicht an der Quelle seiner politischen Macht, dem Eigentum, eingetrocknet und Friedensproduktion entwickelt wird? Und wie Fluchtursachen bekämpfen, ohne die kapitalistische Ausbeutung von Mensch und Natur im Süden an der Wurzel zu packen? Und was rechtzeitig tun gegen rechtsextreme »Lösungen« gegenwärtiger Probleme und zu erwartender neuer Crashs und Gewaltantworten der Herrschenden?

Um diese Einsicht und um das Wie, ihr in der Praxis zu folgen, sollte es verstärkt in Diskussion, Forschung und politischer Arbeit gehen. Es genügt eben nicht, dass die Wirklichkeit zum Gedanken drängt, sondern der Gedanke drängt auch wieder zurück in die Wirklichkeit. [11] Dabei geht es um neue Bedingungen für das Wechselverhältnis von Ökonomie und Politik. Es geht um Konsequenzen aus neuen Dimensionen, Formen und Bereichen kapitalistischen machtgebenden Eigentums. Ebenso um neue Widersprüche zwischen Kapitalfraktionen. Ändert die Digitalisierung der Arbeitswelt und des Alltags etwas an der »Grundfrage unserer Bewegung«? Oder die Internationalisierung von Kapital und herrschender Politik? Sind alle Bestrebungen, an die Wurzel zu gehen, angesichts des Klassenkräfteverhältnisses illusionär, gar kontraproduktiv, oder braucht es Mut? Schon beim angestrebten Volksentscheid gegen die Mietspekulanten geht’s um die Frage der Entschädigungshöhe für die Konzerne als vermeintlich unüberwindbare Barriere. Aber es gäbe eben auch hier kämpferische Strategien. Zu bedenken auch: Realsozialistisches Volkseigentum hat doch keine generelle Untauglichkeit von gemeinschaftlichem Eigentum bewiesen. Im Gegenteil, es war notwendig für historischen Fortschritt, wenn auch nicht hinreichend.

Kein Problem ist wegzuwischen oder kleinzureden und vieles kann erst im politischen Einsatz erkannt und getan werden. Die Verantwortung jedoch, bewiesene marxistische Erkenntnisse zur gesellschaftlichen Rolle kapitalistischen Großeigentums in Gegenmacht-Strategien einzubringen, nimmt Sozialisten und Kommunisten niemand ab. Nach 2008 und nun wieder blitzt das auf.

 

Anmerkungen:

[1] Interview in junge Welt vom 14./15. April 2018, Berichte ebenda und neues deutschland, auch vom 13. April 2018.

[2] Vgl. Ostseezeitung vom 22. März und 6. April 2018.

[3] Vgl. T. Wagner, in: neues deutschland vom 14./15. April 2018.

[4] Vgl. die-linke-hessen.de/site/images/medien/2018/Download/vertreter-innenversammlung/Landtagswahlprogramm2018_final.pdf.

[5] www.die-linke.de/start/news-default-detailseite///die-linke-partei-in-bewegung-1.

[6] www.die-linke.de/partei/grundsatzdokumente/programm, PDF-Download, S. 5/6.

[7] Rede vor dem Bundestag, dokumentiert in: junge Welt, 16./17. Mai 2009.

[8] Vgl. G. Fülberth, in: junge Welt, 11. Januar 2012.

[9] Grundfrage der Bewegung ungelöst, in: junge Welt, 22. August 2008.

[10] MEW, Bd. 4, S. 493.

[11] Vgl. K. Marx, MEW, Bd. 1, S. 386.

 

Mehr von Edeltraut Felfe in den »Mitteilungen«: 

2017-11: Rechtspopulismus und Neofaschisten – Warum auch in Skandinavien?

2012-09: Kommunistische Parteien in Skandinavien

2011-11: Rechtsextremismus in Skandinavien