Die Sechsmächtekonferenz 1948 in London
Prof. Dr. Siegfried Prokop, Bernau
Mit der Bildung der Bizone 1946 und der Einbeziehung der Westzonen in den Marshallplan 1947 hatten die Westmächte die Spaltung Deutschlands eingeleitet. Im Dezember 1947 sprengten sie die Londoner Tagung der Außenminister, die der Vorbereitung des Friedensvertrages mit Deutschland dienen sollte. Am 23. Februar 1948 trafen sich in London erneut Vertreter der USA, Großbritanniens und Frankreichs zu separaten »informellen Besprechungen über Deutschland«. Vom 26. Februar bis 6. März wurden in diese Verhandlungen Belgien, Luxemburg und die Niederlande einbezogen, weshalb von einer Sechsmächtekonferenz gesprochen wurde. Vom 20. April 1948 bis 2. Juni wurde die Sechsmächtekonferenz fortgesetzt. Die gemeinsamen Empfehlungen wurden den Regierungen vorgelegt und am 7. Juni in London, Paris und Washington in Form eines Berichts veröffentlicht.
Die Londoner Empfehlungen
Bestätigt wurde die Einbeziehung der Westzonen in den Marshallplan. Zugleich wurde die Absicht verkündet, eine Internationale Ruhrbehörde der sechs Mächte bei Nichteinbeziehung der Sowjetunion zu errichten. Ein Besatzungsstatut für die Westzonen wurde vorgesehen. Die Westmächte gedachten, die militärische Besetzung der Westzonen unbefristet fortzusetzen. Die Ministerpräsidenten der Westzonen wurden aufgefordert, einen unter Vorherrschaft der Westmächte stehenden Staat zu bilden. Festgelegt wurde: »Die Delegationen sind … übereingekommen, ihren Regierungen zu empfehlen, dass die Militärgouverneure mit den Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen in Deutschland eine gemeinsame Sitzung abhalten sollten. Auf dieser Sitzung werden die Ministerpräsidenten ermächtigt werden, »eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, um eine Verfassung auszuarbeiten, die von den teilnehmenden Staaten gebildet werden soll.« [1] Für den zu bildenden Staat wurde eine »föderalistische Regierung« vorgesehen. Die »Londoner Empfehlungen« zielten auf die endgültige Spaltung Deutschlands in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht.
Das Präsidium des Deutschen Volksrates in Berlin verurteilte am 7. Juni 1948 in einer Entschließung die »Londoner Empfehlungen« für die Bildung eines westdeutschen Separatstaates als groben Bruch internationaler Verträge und als gravierenden Schritt zur Zerreißung Deutschlands. Das deutsche Volk wurde vom Präsidium aufgerufen, einen entschlossenen Kampf für eine ungeteilte demokratische deutsche Republik zu führen.
Ende des Alliierten Kontrollrates
Am 20. März 1948 legte Marschall Wassili D. Sokolowski, Vorsitzender des Kontrollrates für Deutschland, ein Memorandum zur Londoner Sechsmächtekonferenz vor. Sokolowski erklärte, dass die in London behandelten Fragen in die Kompetenz des Kontrollrates als der obersten Gewalt in Deutschland fielen. Lucius Clay, Sir Brian H. Robertson und Pierre Koenig, die Vertreter der westalliierten Mächte, lehnten Erklärungen zu den Londoner Besprechungen mit dem Hinweis ab, dass in London lediglich Empfehlungen für die Regierungen der westdeutschen Zonen ausgearbeitet worden seien. Sokolowski antwortete, der Grund für die Weigerung der Westmächte, den Kontrollrat über die Londoner Empfehlungen zu unterrichten, sei darin zu suchen, dass die Besprechungen gegen das Potsdamer Abkommen und die anderen Viermächteabkommen gerichtet seien. Sokolowski erklärte im Anschluss daran die Sitzung für geschlossen, da die Fortsetzung der Beratungen zwecklos geworden sei. Er verließ mit seinen Mitarbeitern den Sitzungssaal. Die »Prawda« schrieb am 1. April 1948: »Der Kontrollrat in Berlin hat aufgehört als oberstes Organ der Viermächtebehörden zu existieren. Die Zerstückelung Deutschlands ist vollendete Tatsache geworden.«
Die Frankfurter Dokumente
Die Militärgouverneure der drei Westzonen überreichten am 1. Juli 1948 den Regierungschefs (neun Ministerpräsidenten und zwei Bürgermeistern) der elf westdeutschen Länder in Frankfurt/M. die auf den Londoner Empfehlungen basierenden Vorschläge zur Bildung einer westdeutschen Verfassungsgebenden Versammlung und Regierung. Ins Auge gefasst wurde eine eventuelle Revision der Grenzen der westdeutschen Länder untereinander und der Erlass eines Besatzungsstatuts. Die amtierende Oberbürgermeisterin von Westberlin wurde zugezogen.
Zur Beratung standen drei Dokumente:
Dokument I:
Die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung, die spätestens am 1. September 1948 zusammentreten sollte.
Dokument II:
Die Überprüfung der Ländergrenzen, um zu bestimmen, welche Änderungen sie etwa vorschlagen werden.
Dokument III:
Die Verabschiedung eines Besatzungsstatuts durch die westlichen Alliierten, das die Beziehungen der Westmächte zu einer künftigen deutschen Regierung regelt.
Beratungen im Koblenzer Hotel Rittersturz
Vom 8. bis 10. Juli 1948 berieten die Ministerpräsidenten im Beisein der amtierenden Berliner Oberbürgermeisterin Luise Schröder die Frankfurter Dokumente. Die Ministerpräsidenten weigerten sich zunächst, den Forderungen der Alliierten zu entsprechen. Sie befürchteten, dass die Errichtung eines westdeutschen Staates die Teilung vertiefen werde und lehnten vor allem das Besatzungsstatut ab. Sie lenkten aber ein. Wenn es überhaupt einen solchen Staat geben müsse, dann dürfe dieser nur ein »Provisorium« sein. Der Hamburger Bürgermeister Max Brauer schlug in diesem Zusammenhang vor, die Verfassung »Grundgesetz« zu nennen, weshalb die Versammlung nicht »Nationalversammlung«, sondern »Parlamentarischer Rat« heißen sollte. Carlo Schmid, stellvertretender Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern, ging gar so weit, von einem »Organisationsstatut für ein die drei Zonen umfassendes Verwaltungsgebiet« zu sprechen. Dies stieß auf den entschiedenen Widerspruch der Westmächte. Bei der folgenden Beratung im Jagdschloss Niederwald am 21./22. Juli 1948 wurde die Grundforderung der Westalliierten, dass das neue Gebilde ein »Staat« und nicht nur ein »Verwaltungsgebiet« sein müsse, akzeptiert. Die Ministerpräsidenten beharrten aber darauf, dass der provisorische Charakter des neuen Staates durch eine entsprechende Namengebung zum Ausdruck kommt. [2]
Ausbruch des Kalten Krieges
Die Durchführung einer separaten Währungsreform in den Westzonen am 4. Juni 1948 und etwas später in den Westsektoren von Berlin beantwortete die SMAD mit einer Währungsreform in der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin in der Zeit vom 24. bis 28. Juni 1948. Zum Schutz des Geldes wurden die Reichsmark-Bestände in der sowjetischen Zone mit einem Aufkleber versehen (Kupon-Mark). Die sowjetische Militärverwaltung wies in der Nacht vom 23. zum 24. Juni 1948 an, den gesamten Personen- und Güterverkehr auf der Bahnstrecke Berlin-Helmstedt wegen technischer Störungen zu unterbrechen. Die im Demokratischen Sektor vom Berlin befindliche Zentralstation der Berliner Elektrizitätswerke wurde angewiesen, alle Stromlieferungen aus der SBZ und Ostberlin nach den Westsektoren wegen Kohlemangels einzustellen. Die sowjetische Militärverwaltung untersagte am 24. Juni 1948 ferner die Belieferung der Westsektoren mit Lebensmitteln aus der sowjetischen Zone. [3] (Berliner Blockade vom 24. Juni bis 12. Mai 1949) Am 25. Juni gab die amerikanische Militärregierung bekannt, dass lebenswichtige Güter zwischen Berlin und den Westzonen nunmehr auf dem Luftwege befördert werden. Am 26. Juni begannen amerikanisch-britische Lufttransporte für die Versorgung der West-Berliner (Luftbrücke).
Der sowjetische Versuch, mit Hilfe einer Abriegelung Westberlins, der Blockade, die Berlin-Frage in ihrem Sinne zu lösen, misslang. Die Vorbereitungen für die separate Gründung eines deutschen Weststaates waren nicht mehr zu stoppen.
Am 1. September 1948 trat im Lichthof des Museums Koenig in Bonn erstmals der Parlamentarische Rat, ein Gremium von 65 Abgeordneten aus den Landtagen der Westzonen, zusammen. Die Eröffnungssitzung fand anschließend in der Pädagogischen Akademie statt. CDU/CSU und SPD stellten je 27 Abgeordnete, die FDP fünf, DP, KPD und Zentrum je zwei Delegierte. Konrad Adenauer (CDU) wurde zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählt. Carlo Schmid (SPD) wurde Vorsitzender des Hauptausschusses. Max Reimann (KPD) stellte auf der 1. Sitzung den Antrag, die Beratungen einzustellen und den Siegermächten gemeinsam mit dem Deutschen Volksrat die Bildung einer Deutschen Demokratischen Republik vorzuschlagen. Er wurde nur von den KPD-Abgeordneten unterstützt.
Die Gründung der beiden deutschen Staaten
Die Sowjetunion zog notgedrungen in der Ausgestaltung des Ostblocks ohne große Zeitverluste nach. Sie erlaubte dem auf dem 3. Deutschen Volkskongress geschaffenen Deutschen Volksrat, eine ostdeutsche Staatsgründung vorzubereiten. Im Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft gesetzt und im September Konrad Adenauer mit einer Stimme Mehrheit, seiner eigenen, zum Bundeskanzler gewählt. Im Oktober 1949 entstand die Deutsche Demokratische Republik.
Anmerkungen:
[1] Archiv der Gegenwart. Sankt Augustin 2000, Bd.1, S. 8.
[2] Vgl. Reiner Zilkenat: Londoner Empfehlungen, in Unsere Zeit, 18. Mai 2018.
[3] Vgl. AdG, a.a.O., S. 12 f.
Mehr von Siegfried Prokop in den »Mitteilungen«:
2018-06: Das Ende der »Zigarettenwährung«
2017-07: Ministerratsvorschlag zur Bildung einer Konföderation