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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Ministerratsvorschlag zur Bildung einer Konföderation

Prof. Dr. Siegfried Prokop, Bernau

 

Das Jahr 1955 war in der Geschichte der beiden deutschen Staaten eine bedeutsame Zäsur. Die Bundesrepublik wurde Mitglied der NATO und die DDR Mitglied des von den europäischen sozialistischen Ländern gegründeten Warschauer Vertrags – als multilaterales Bündnis zur Koordinierung ihrer Militär- und Außenpolitik. Am 10. September schlossen DDR und UdSSR einen Staatsvertrag, in dessen Ergebnis das seit 1945 geltende Besatzungsrecht aufgehoben und die formal-staatliche Souveränität zuerkannt wurde. Die Regelung der Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR erfolgte am 12. Mai 1957.

Vorbereitende Überlegungen und Kontakte

Für die SED war klar, dass dieser Einschnitt Folgen für ihre Politik in der deutschen Frage haben musste. Jedoch bedurfte es einige Zeit, bevor ein schlüssiges Konzept gefunden wurde. Am 22. Oktober 1956 ergriff das Präsidium des Nationalrats der Nationalen Front die Initiative für einen »Appell zur nationalen Aussprache«. Der Appell ging davon aus, dass die Remilitarisierung der Bundesrepublik ein Hindernis auf dem friedlichen Wege zur Wiedervereinigung Deutschlands geworden war. Im Appell wurde die Bildung eines Deutschen Rates zur Vorbereitung der Wiedervereinigung aus namhaften Persönlichkeiten beider deutscher Staaten vorgeschlagen. Die 29. Tagung des ZK der SED ging auf das Projekt des Präsidiums des Nationalrats nicht ein, sondern beschloss eine entscheidende Wendung in der Arbeit mit Westdeutschen. Paul Verner legte am 18. Dezember 1956 dem Politbüro einen Bericht zur friedlichen und demokratischen Wiedervereinigung vor, der nicht bestätigt wurde. Auch der überarbeitete Bericht Verners wurde im Widerspruch zur Arbeitsplanung am 29. Dezember im Politbüro nicht behandelt. Das neue Wort, das Walter Ulbricht in die Debatte werfen sollte, hieß Konföderation. In einem Artikel im »Neuen Deutschland« vom 30. Dezember 1956 erklärte Ulbricht: »Nachdem in Deutschland zwei Staaten mit verschiedenen gesellschaftlichen Systemen bestehen, ist es notwendig, zunächst eine Annäherung der beiden deutschen Staaten herbeizuführen, später eine Zwischenlösung in Form der Konföderation oder Föderation zu finden, bis es möglich ist, die Wiedervereinigung und wirklich demokratische Wahlen zur Nationalversammlung zu erreichen.« Was zu diesem Wandel geführt hatte,  gibt den Historikern bis heute manches Rätsel auf. [1] 

Schon im Jahre 1955 hatte Vincenz Müller, Chef des Hauptstabes der NVA und stellvertretender Verteidigungsminister der DDR, Kontakt zu Fritz Schäffer, Vize-Kanzler und Bundesfinanzminister (CSU) gesucht, um mit ihm über die Lage in Deutschland zu sprechen. Die Familien Müller und Schäffer kannten sich aus der Vorkriegszeit in München. Schäffer hoffte auf ein Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter, wozu es jedoch bei dem ersten Treffen am 11. Juni 1955 nicht kam, weil dieser über den Gesprächswunsch nicht informiert worden war. Nach gründlicherer Vorbereitung kam es dann am 20. Oktober 1956 zu einem mehrstündigen Gespräch Schäffers mit Georgi M. Puschkin in Ostberlin. Am Beginn des Gesprächs war auch Müller anwesend. Schäffer vertrat bei diesem Gespräch die Ansicht, dass eine Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage einer Föderation erforderlich sei. Er befürwortete ein Deutschland, das keiner Gruppierung angehört. Müller erklärte, dass eine deutsch-deutsche Verständigung erforderlich sei, weil sich die Ostdeutschen zu Kriegsmaßnahmen gegen die Bundesrepublik nie hergeben würden. Puschkin soll sich auf das Zuhören beschränkt haben. Lediglich gegen Ende des Gesprächs soll Puschkin Schäffer auf die Notwendigkeit verwiesen haben, mit der DDR zu verhandeln. Was wir heute über die Gespräche Schäffers in der Hauptstadt der DDR wissen, stützt sich auf eine Niederschrift unbekannter Herkunft im Nachlass von Walter Ulbricht, die von einem Angehörigen der sowjetischen Botschaft stammen könnte. Peter-Joachim Lapp, Autor einer Biographie von Vincenz Müller, vermutet, dass die Gespräche auf einem Tonband mitgeschnitten wurden: »Irgendwann einmal werden diese Bänder auftauchen. Möglicherweise sind sie heute im Besitz eines westlichen Geheimdienstes, vielleicht existiert aber auch noch eine Kopie irgendwo in Moskau oder im Archiv der Bundesbeauftragten...« [2]

Die Erklärung vom Juli 1957                                                                                                                                

Der Ministerpräsident der DDR Otto Grotewohl übergab am 27. Juli 1957 in seinem Amtssitz den Chefs und Geschäftsträgern a.i. der bei der Regierung der DDR akkreditierten diplomatischen Missionen eine am 26. Juli vom Ministerrat beschlossene Erklärung über den Weg der deutschen Nation zur Sicherung des Friedens und der Wiedervereinigung Deutschlands. Darin wurde ein Abkommen zwischen den beiden deutschen Staaten vorgeschlagen, das die Lagerung und Herstellung von Atombomben verbietet. Das Abkommen sollte auch das Ausscheiden der beiden Staaten aus der NATO und dem Warschauer Vertrag beinhalten, ferner die Aufhebung der Wehrpflicht und ein Übereinkommen über die beiderseitige Truppenstärke sowie das gemeinsame oder einzelne Ersuchen an die vier Mächte auf baldige schrittweise Zurückziehung ihrer Truppen aus ganz Deutschland. Die DDR-Regierung schlug vor, auf der Basis eines völkerrechtlichen Vertrages einen Staatenbund in Form einer Konföderation zu bilden. Zur inhaltlichen Gestaltung der Konföderation wurde ausgeführt: »Die Konföderation braucht vorerst keine über den beiden Staaten stehende selbständige Staatsgewalt zu schaffen und würde jedes Herrschaftsverhältnis des einen über den anderen deutschen Staat ausschließen. Ein in beiden Teilen Deutschlands aus Vertretern der Parlamente geschaffener Gesamtdeutscher Rat, der beratenden Charakter hat, könnte solche Maßnahmen empfehlen und beschließen, die der schrittweisen Annäherung der beiden deutschen Staaten dienen. Der Anfang einer deutschen Konföderation wäre ein Abkommen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Deutschen Bundesrepublik über die Durchführung einer gemeinsamen Politik in bestimmten Fragen.« [3]

Bundeskanzler Adenauer wollte nicht als der Kanzler der Teilung Deutschlands in die Geschichte eingehen. Aus solchen Überlegungen erwuchs im März 1958 die Frage des Kanzlers an den sowjetischen Botschafter Andrei A. Smirnow, ob die UdSSR bereit wäre, »der Sowjetzone den Status Österreichs zu geben. Österreich hätte in einem Friedensvertrag bestimmte Verpflichtungen übernehmen müssen, dafür aber auch die Möglichkeit erhalten, seine Geschicke selbst zu gestalten.« [4] Adenauers Frage wertete der Bonner Historiker Hans-Peter Schwarz als Ausdruck einer »beträchtlichen Kompromissbereitschaft« [5]. Die sowjetische Seite hingegen hielt die Frage Adenauers für so unerheblich, dass sie darauf mit keinem Wort einging, obwohl Adenauer seine Frage bei seinem Treffen mit Anastas Mikojan wiederholte.  

Kern der Deutschlandpolitik der DDR bis Mitte der 60er

Verärgert darüber, dass die Bundesregierung die Konföderationsangebote der DDR-Regierung strikt ablehnte, gab Walter Ulbricht im November 1958 bekannt, dass die Konföderationsidee aus der »Bonner Küche« stammt. Die Bundesregierung sah sich gezwungen, Schäffers Kontakte zu Botschafter Puschkin in Ostberlin zuzugeben. Vincenz Müller, der bereits in den Ruhestand versetzt worden war, äußerte sich am 19. November 1958 zu seinen Kontakten mit Schäffer in der »Berliner Zeitung« und im Fernsehen: »Herr Dr. Schäffer ist in das demokratische Berlin gekommen, um mit mir als Vertreter der DDR zu verhandeln. Er wusste, dass ich Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung der DDR war. Außerdem habe ich ihm gegenüber gar kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich selbstverständlich mit der zuständigen Stelle unserer Republik vor seinem Eintreffen gesprochen habe und dass ich dieser Stelle selbstverständlich über das Ergebnis berichten werde. Herr Dr. Schäffer hat dies selbstverständlich hingenommen. Nach etwa dreieinhalb Stunden ... waren unsere Verhandlungen beendet. Um seine Anwesenheit im demokratischen Berlin auszunutzen, wurde Herrn Dr. Schäffer im Anschluss an unsere Verhandlungen ein Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter, Herrn Puschkin, in der Botschaft Unter den Linden ermöglicht. Das ist der wirkliche Sachverhalt.« [6]

Nun blieb dem Vizekanzler Schäffer nichts anderes übrig, als seine Kontakte zu »Pankow« einzugestehen und mitzuteilen, dass die Angelegenheit mit dem Kanzler abgestimmt war. Konrad Adenauer kam innenpolitisch in Bedrängnis. Ernst Lemmer, CDU-Minister für gesamtdeutsche Fragen, lehnte die Konföderationsidee nicht von vornherein ab. Auch der SPD-Politiker Herbert Wehner reagierte positiv auf die Konföderationsvorschläge der DDR. Hans-Peter Schwarz stellte dazu fest: »Er war sorgsam bemüht, jene Elemente herauszufiltern, die sich mit den Disengagement-Ideen der SPD verbinden ließen. Dabei kam es ihm nicht auf die Einzelelemente an, vielmehr darauf, den vielleicht gesprächsbereiten Politikern in der DDR zu signalisieren, dass auch die SPD bereit sein würde, über vieles mit sich reden zu lassen.« [7]

Das Konföderations-Projekt bildete, ab 1961 geringfügig modifiziert, bis Mitte der 60er Jahre den Kern der Deutschlandpolitik der DDR. Mit der Bildung der Großen Koalition im Jahre 1966 änderte sich dies. Auf der 14. Tagung des ZK der SED vom 15. bis 17. Dezember 1966 bewertete Walter Ulbricht die von CDU/CSU und SPD gebildete Große Koalition mit dem Ex-Nazi Kurt-Georg Kiesinger an der Spitze äußerst kritisch. Es wurde offensichtlich, dass es für lang gehegte Hoffnungen auf grundlegende gesellschaftliche Wandlungen in der Bundesrepublik keinen Raum mehr gab. Geblieben sei, erklärte Walter Ulbricht, die reale Existenz zweier deutscher Staaten. Nunmehr ging es um ein geregeltes und friedliches Nebeneinander der beiden Länder.

 

Anmerkungen:

[1]  Vgl. Kurt Gossweiler: Geheimmission des BRD-Vizekanzlers beim DDR-Vize-Verteidigungsminister 1955 und 1956, in: Offensiv. Zeitschrift für Sozialismus und Frieden. 1/2004, S. 22-34.

[2]  Peter-Joachim Lapp: General bei Hitler und Ulbricht. Vincenz Müller – Eine deutsche Karriere. Berlin 2003, S. 219.

[3]  Programmatische Erklärung der Regierung der DDR, in: Dokumentation der Zeit, Berlin 1957, 149/4. 

[4]  Konrad Adenauer: Erinnerungen bis zur Bundespräsidentenwahl 1959. Augsburg 1996, S. 111.

[5]  Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer 1957-1963. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bd. 3, Stuttgart 1983, S. 67.

[6]  Wir sprechen über Konföderation. Vincenz Müller über Einzelheiten seiner Unterredung mit Bundesminister Dr. Schäffer, in: Es ging um Deutschland. Vorschläge der DDR zur Konföderation zwischen beiden deutschen Staaten 1956-1967. Berlin 1990, S. 83.

[7]  Hans-Peter Schwarz: Die Ära Adenauer 1957-1963. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 3, Stuttgart 1983, S. 65.

 

Mehr von Siegfried Prokop in den »Mitteilungen«: 

2017-01: Die Bizone (1946-1949). Keimzelle des »Weststaats«

2013-06: Der 17. Juni 1953. Internationale Aspekte und Fragen der historischen Wertung

2012-03: Zur Gründung des Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands