Die "Sandinistische Erneuerung" und ihre Freunde
Wolfgang Herrmann, Grünow
In den vergangene Wochen sorgten sich "Freunde" Nicaraguas in den bundesdeutschen Medien um die Entwicklung des von 16 Jahren neoliberale Regierungen gebeutelten mittelamerikanischen Landes. Titel wie "Der Präsident ist müde" (ND) und "Gottvertrauen statt Revolution" (MOZ) zierten die Zeitungen. Auffällig ist, daß sich in der Bundesrepublik Rechte wie Linke in den Angriffen auf Daniel Ortega einig sind. Und noch auffälliger ist, daß sich beide Lager der Argumente der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS) bedienen, die mittlerweile im neoliberalen Lager angekommen ist. Darüber täuscht auch nicht die Anwesenheit ehemaliger Mitglieder der Nationalleitung der FSLN und der Sandinistischen Regierung der 1980er Jahre bei den "Erneuerern" hinweg.
Die "Kämpfer gegen Hunger und für Demokratie" kritisieren unter anderem die wirtschaftliche Situation des Landes und die Räte der Bürgermacht als Anzeichen einer Diktatur. Und der Pakt Alemán-Ortega darf natürlich auch nicht fehlen. Im Juni organisierte die MRS Demonstrationen, an denen einige Hundert Leute teilnahmen. Zur gleichen Zeit zelebrierte die FSLN ihren historischen Rückzug Managua-Masaya von 1979. Zehntausende waren gekommen.
Dora Maria Tellez, Comandante Dos der Westfront der FSLN "Rigoberto López Pérez" der 1970er Jahre, Gesundheitsministerin in der Sandinistischen Regierung der 1980er Jahre und heute führendes Mitglied der MRS, war im Juni für 13 Tage in den Hungerstreik gegangen. Sie wollte die Regierung zu einem nationalen Dialog über die "Wirtschaftskrise" und die "Gefahr für die Demokratie" zwingen. Die Regierung lud nicht ein, Dora Maria beendete den Hungerstreik vorzeitig.
Henry Ruiz, Victor Tirado und Luis Carrion, Mitglieder der historischen Nationalleitung der FSLN, kritisierten die Versuche des Obersten Wahlrates Nicaraguas, vier politischen Parteien die rechtliche Anerkennung abzuerkennen. Sie reichten Klage bei der von den USA finanzierten Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission in Washington ein. Inzwischen prüfte und bestätigte eine Delegation der Kommission der Wahlexperten Lateinamerikas, die deswegen in Nicaragua weilte, das Urteil des Wahlrates.
Das Urteil hat überhaupt nichts mit der FSLN und deren Bündnispartnern zu tun. MRS und Konservative hatten trotz mehrfacher Aufforderung ihre Wahlteilnahme und ihre Kandidatenlisten nicht eingereicht. Auch in den Musterländern der Demokratie ist es Brauch, daß die Parteien ihre Wahlteilnahme beantragen und ihre Listen einreichen.
Die MRS will einen nationalen Dialog, um nationale Richtlinien gegen Hunger und Arbeitslosigkeit und für eine Stärkung der Demokratie zu vereinbaren. Diese Richtlinien gibt es bereits. Den Dialog dazu hatte die neue Regierung im Frühjahr 2007 angeboten. Statt ihn anzunehmen, verbündete sich die MRS mit der liberal-konservativen Opposition und betrieb gemeinsam mit dieser die Blockade aller von der Regierung vorbereiteten Gesetze im Kampf gegen den Hunger und die Arbeitslosigkeit, für die Alphabetisierung und Gesundheitsreform sowie die Bildung der Räte der Bürgermacht. Der Oppositionsblock legte die Nationalversammlung lahm und machte die Wiederbelebung von der Annahme eines Amnestiegesetzes zum Vorteil wegen Korruption Bestrafter, unter ihnen der liberale Chef Alemán, abhängig.
Der nicaraguanische Außenminister der 1980er Jahre, Pater Miguel D’Escoto, wurde zum Vorsitzenden der UNO-Vollversammlung gewählt. Darüber freuten sich die Vertreter Lateinamerikas und der Karibik. Nicht so die MRS. Victor Hugo Tinoco, früher Stellvertreter D’Escotos und heute Abgeordneter der MRS in der Nationalversammlung, bezeichnete dessen Wahl als "irrelevant": "... Durch die Wahl D’Escotos wird nicht ein Sack Mais mehr noch ein Sack Mais weniger nach Nicaragua kommen ..."
Durch die Angriffe der MRS kommt natürlich auch kein Sack Mais mehr oder weniger nach Nicaragua. Die neue Regierung will den Mais auch nicht in Säcken aus dem Ausland holen. Sie stimuliert die kleinen und mittleren Produzenten, damit sie Mais, Reis, Sorgo (auch: Sorghum, eine Hirseart – Red.) und Bohnen für den eigenen Bedarf, für den Binnenhandel sowie für den lateinamerikanischen und karibischen Markt anbauen können. Warum unterstützt die MRS nicht dieses Programm?
Die Regierung hatte in den vergangenen anderthalb Jahren Titel an Landlose vergeben. Diese Tatsache nutzt der Oberste Rat der Privatunternehmer (COSEP), um zu behaupten, die Regierung würde Landbesetzungen gutheißen und die Enteignung vorantreiben. COSEP ist Nutznießer des Beitritts Nicaraguas zur Regierungszeit der Liberal-Konservativen zum US-amerikanischen Freihandelsvertrag (CAFTA). Unter der neuen Regierung ist Nicaragua der Bolivarianischen Alternative (ALBA) beigetreten. Davon profitieren die kleinen und mittleren Produzenten, die bei CAFTA keine Chance hatten. Sie sind zu den Stützen der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung des Landes geworden. Das stört COSEP.
Nun ist COSEP ein "glaubwürdiger Zeuge", wenn es um den Kampf gegen Hunger und Armut, für Demokratie und Mitbestimmung geht. In der Beratung mit Daniel Ortega im Juni vergangenen Jahres erläuterte COSEP seine Philosophie: "Indem wir Reichtum schaffen, reduzieren wir die Armut".
Juan Carlos Ortega Murillo, der Sohn Daniel Ortegas, wandte sich in einer Rede an die Jugend des Landes und rief sie auf, Rebell zu sein. Er erinnerte daran, daß nach der Wahlniederlage der FSLN im Jahre 1990, die inneren und äußeren rechten Kräfte danach strebten, alle Spuren der Revolution zu löschen. Einige Revolutionäre übten Verrat. Aber die FSLN verteidigte 16 Jahre lang in der Opposition die Errungenschaften des Volkes, ohne ihren Charakter als revolutionäre und antiimperialistische Bewegung aufzugeben.
Er sagte weiter, daß die Frente die Revolution in Nicaragua wiederbelebte. Das kostenlose Gesundheitswesen und die kostenlose Bildung wurden zurückgeholt. In Stadt und Land begann die Alphabetisierung. Der Staat erreichte einen größeren Einfluß auf den privaten Energiesektor. Er finanzierte die Produktionssektoren (des Volkes) und beschloß die Programme "Null Hunger" und "Null Wucher". Die Sozialversicherung wurde wieder eingeführt. Man baute Wohnungen, Straßen und Wege.
"Zum ersten Mal in unserer Geschichte entwarf und betreibt eine Regierung ein demokratisches System, das es ermöglicht, die Macht im Land dem Volk zu übertragen", betonte der Redner. Mit den Räten der Bürgermacht begann sich das demokratische System zu Gunsten der Mehrheit zu verändern. Für die rechten Kräfte ist es unzulässig, daß das Volk die Macht hat. Und die MRS macht mit.
Ortega jun. erklärte, daß der Pakt mit Alemán zu seiner Zeit die Antwort der FSLN war, um als Oppositionskraft die Agrarreform und die Präsenz der FSLN in den Institutionen zu retten. Die Spielregeln des bürgerlichen Parlamentarismus ließen keine andere Möglichkeit zu. Heute sei der Vertrag überlebt. Er passe nicht zur Bürgermacht und müsse ad acta gelegt werden.
Wolfgang Hermann ist Vorsitzender des Nueva Nicaragua e.V., www.nuevanicaragua.de
Mit demselben Thema befaßt sich Günter Pohl in "unsere zeit - Zeitung der DKP" vom 4. Juli 2008: Kampagne gegen die sandinistische Regierung - Die "Sandinismuserneuerer" bereiten den Sturz der FSLN vor - mit Geld der Bush-Regierung.
Mehr von Wolfgang Herrmann in den »Mitteilungen«:
2007-12: Roter Oktober in der UNO
2007-06: Der Anfang ist gemacht