Die Opfer der Blutwoche – Kämpfer für Menschlichkeit und Frieden
Rosemarie Schuder, Berlin
Vortrag am 21. Juni 2015, 16 Uhr, in Berlin-Köpenick, Platz des 23. April [1]:
Zur Erinnerung: Anfang Juni 1950 begann am Berliner Landgericht der Prozess gegen die Verbrecher der Köpenicker Blutwoche. Als Gerichtsreporter war Rudolf Hirsch während der Gerichtsver¬handlungen bei den Zuhörern. Er schrieb siebzehn Berichte für die Tageszeitung »Tägliche Rundschau«. Als Sohn einer jüdischen Familie in Krefeld wurde er im Januar 1933 von den Nazis aus seiner Heimatstadt vertrieben. Das angesehene Schuhgeschäft, das er seit dem Tod seines Vaters 1926 geleitet hatte, erhielt ein Nazi. Seine Mutter wurde 1944 in Ausch¬witz ermordet. Auf seinen Fluchtwegen durch Europa kam Rudolf Hirsch bis nach Tel Aviv. Schließlich konnte er im Jahr 1949 mit Hilfe des Schriftstellers Arnold Zweig nach Berlin kommen. Bekannt wurde er später vor allem durch seine Gerichtsberichte »Als Zeuge in dieser Sache« in der »Wochenpost« und durch sein Buch »Der gelbe Fleck - Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte.«
Jetzt hören Sie die Worte von Rudolf Hirsch aus seinem Bericht vom 10. Juni 1950 mit der Überschrift: »Die Opfer der Blutwoche – Kämpfer für Menschlichkeit und Frieden.«
Sonnabend, 10. Juni 1950: »Ich höre den Menschen heute noch schreien.« Mit diesen Worten, 17 Jahre nach der Köpenicker Blutwoche, schildert ein Zeuge die barbarische Mißhandlung eines gefangenen Antifa¬schisten, der seine Religion angegeben hatte und deswegen gepeinigt wurde. Die Reihe der Zeugen, die in diesen ersten Tagen vom Sturm Plönzke mißhandelt wurden, reißt nicht ab.
Ein Mitglied der SPD hat für jedes Jahr seiner Parteizugehörigkeit einen Schlag auf den ent¬blößten Körper mit Stahlruten bekommen. Und weil er gemäß den Rassevorstellungen der Nazis mit einer »artfremden« Frau verheiratet war, weitere 30 Hiebe. Zum Schluß sollte er ein Protokoll unterschreiben, daß ihm nichts passiert sei. Das tat er, ließ aber einen Blut¬fleck »zur Bekräftigung« zurück. Daraufhin wurde er weiter verprügelt.
Ein jetzt 60jähriger berichtet, wie er unter Aufsicht von Plönzke blutiggeschlagen wurde. Da¬nach wurde ihm von einem SA-»Sanitäter« Teer auf die offenen Wunden geschmiert. Den Sa¬menhändler und Rassetheoretiker Skibba und den Steuerberater Haller konnte dieser Zeuge unter den anwesenden Angeklagten als seine Peiniger wiedererkennen.
Ferner trat eine Frau als Zeugin auf. – Lyddi Kilian. – Sie berichtete von dem schrecklichen Leiden, das sich ihr Mann durch die Schläge der SA zugezogen hatte. Dem Opfer wurden in der ersten Nacht der Blutwoche die Nierenzugänge zerschlagen. Nach langer, qualvoller Krankheit starb dieser Antifaschist an seinen Verletzungen. Auch wurde durch ihre Aussage bewiesen, daß der parteilose Dr. Eppenstein, er war jüdischer Herkunft, in der gleichen Nacht von dem Sturm Plönzke erschlagen wurde.
Aber es gibt auch andere Zeugen. Zum Beispiel die pflichteifrige Sekretärin Frau Hildegard Haberecht. Sie war damals von den Nazis als Protokollführerin im Lokal Seidler bestellt und schrieb stundenlang die sogenannten »Geständnisse« der Opfer. An diesem 10. Juni 1950 macht sie nur widerwillig ihre Aussagen. Ihre früheren Äußerungen ihrer Mutter gegenüber: »Ich habe Furchtbares erlebt, ich höre jede Nacht die armen Menschen schreien«, schränkt sie sehr ein. Sie trat nämlich kurz nach der Köpenicker Blutwoche im Juni 1933 in die NSD¬AP ein. Ob sie mit diesen unmenschlichen Methoden einverstanden oder eingeschüchtert war, Charakter hat sie nicht gezeigt.
Die Opfer aber sind standhaft geblieben. Ihr Körper war geschunden und gemartert. Sie je¬doch waren die Widerstandskämpfer der Nazizeit und sind heute Vorkämpfer für Demokratie und Menschlichkeit und Frieden.
Anmerkung
[1] Aus Anlass der ersten Feier zur Erinnerung an die Opfer der Köpenicker Blutwoche (vom 21. bis zum 26. Juni 1933) erhielt dieser Platz 1945 seinen heutigen Namen, der dem Einzug der ersten Gardepanzerarmee und der achten Gardearmee der sowjetischen Streitkräfte gewidmet ist. Das von Walter Sutkowski geschaffene Denkmal für die in Köpenick gequälten und ermordeten Antifaschisten wurde am 7. Oktober 1969 auf dem Platz des 23. April eingeweiht. – Red.