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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die ganze Wahrheit sagen

Dokumentation

 

In den August-»Mitteilungen« dokumentierten wir anlässlich des 30. Todestages der DDR-Schriftstellerin Hedda Zinner ihre Rede auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR 1987 und kündigten für den September eine Darstellung der Auseinandersetzungen um die Ver­filmung des von Hedda Zinner verfassten Schauspiels »Ravensbrücker Ballade« an. Diese Dokumentation ist Ausdruck der Widersprüchlichkeit der DDR-Kulturpolitik. Sie bezeugt aber auch, dass – im Gegensatz zur heutigen antikommunistischen Propaganda – es durchaus möglich war, deutlichen Widerspruch anzumelden. Der Film – so kulturpolitisch schlimm die beschriebenen Vorgänge waren – wäre wohl letztlich gedreht worden, hätte die DDR weiter existiert. In der größer gewordenen BRD gab es an einer Verfilmung des antifaschistischen Werks naturgemäß kein Interesse. (Red.)

 

Ellen Brombacher: Brief an Günter Schabowski

Ellen Brombacher war zu dieser Zeit Sekretärin für Kultur in der Bezirksleitung der SED Berlin; Günter Schabowski war 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Berlin.

Berlin, den 29. September 1987

Lieber Günter!

Von Hedda Zinner, die ich gestem im Krankenhaus besucht habe, soll ich Dich herzlich grüßen. Über Deinen Brief hat sie sich sehr gefreut. Wir hatten ein dreistündiges, vertrau­ensvolles Gespräch. Es muß wohl die tiefe Betroffenheit sein, die dazu führte, daß Hedda Zinner so vorbehaltlos offen redete, wenngleich es unsere erste Begegnung war. Mir fällt es außerordentlich schwer, in den nachfolgenden Zeilen sachlich zu bleiben, denn das, was ich gestem hörte, übersteigt bedeutend meine Phantasie darüber, was bei uns auch noch möglich ist.

In meiner Oberschulzeit sah das Klassenkollektiv, dem ich angehörte, die »Ravensbrücker Ballade«. Wir alle waren tief beeindruckt. Wenn ich heute sagen sollte, was uns damals bewegte und was auch bei mir haften geblieben ist, so war es letztlich der Sieg der menschlichen Würde über die bestialische Unmenschlichkeit. Heute noch erinnere ich mich der erschütternden Szene, wie ein weiblicher Häftling einer tief verzweifelten Mitge­fangenen, die von einer lesbischen Aufseherin mißbraucht wurde, sagt: »Die kann dich gar nicht entwürdigen!« Wir alle empfanden diesen Theaterabend an der Volksbühne mehr oder weniger gleich. Ich schreibe das auf, weil ich eine ganz persönliche Erinnerung an das Stück habe und weil diese Erinnerung meines Erachtens alle möglichen Theorien widerlegt, wie es auf junge Menschen wirken könne. Wir jedenfalls hatten damals den Sinn des Theatererlebnisses so erfaßt, wie es Hedda Zinner wollte, was ich seit gestern authentisch weiß.

Gestatte mir, bevor ich zum eigentlichen Sachverhalt komme, eine weitere sehr persönli­che Anmerkung. Nicht selten hat mein Vater in Gesprächen mit mir sein Unverständnis darüber geäußert, mit welcher Kleinlichkeit manche ehemaligen Widerstandskämpfer von sich überzeugt sind, nur ihre persönliche Erinnerung entspräche der Wahrheit. Ich berufe mich hier auf ihn, weil ihm das moralische Recht so etwas zu sagen durch sein Leben zusteht und weil ich diese von ihm kritisierte Art, an die Dinge heranzugehen, von ihm selbst nie erlebt habe. Außerdem hat er mir viel von Asozialen, Berufsverbrechern etc. im KZ erzählt, ja selbst von Kommunisten, die in der Entmenschlichung entmenschten, aufhörten, Kommunist zu sein, wie der Kampf der Partei gegen diese Dinge organisiert wurde, daß sich Menschlichkeit nicht »nur« gegen die SS durchzusetzen hatte.

Er hat mich gefragt, wenn er zu Soldaten, Schülern oder anderen jungen Menschen ging, ob er auch über diese Dinge reden sollte. Ich bat ihn immer, die ganze Wahrheit zu sagen.

Nun zu Hedda Zinner: Anläßlich des 40. Jahrestages der Befreiung von Ravensbrück und auch zu Ehren des 80. Geburtstages von H. Zinner sollte die »Ravensbrücker Ballade« für das Fernsehen gemacht werden, also im Jahre 1985. Alles war entschieden. Die Schau­spielerbesetzung war schon klar etc., da geschah folgendes (Ich versuche das so exakt wie möglich, aus dem Gedächtnis wiederzugeben): 1. Die Genossen Nehring und Gra­bowsky, die den Film machen wollten, waren in Ravensbrück. Sie trafen dort zufällig ehe­malige Häftlinge. Im Gespräch mit ihnen sagten die Genossen von Fernsehen, welchen Film sie drehen werden. Eine der ehemaligen Häftlinge, eine Engländerin, meinte, in dem Stück von Hedda Zinner kämen zu viele Asoziale vor. Ähnliche Diskussionen gab es von einigen ehemaligen Häftlingen auch, als das Theaterstück erfolgreich an mehreren Büh­nen der DDR lief. Zugleich zeigte mir Hedda Zinner Briefe von ehemaligen Gefangenen des KZ Ravensbrück, die sich bei ihr für die Wahrhaftigkeit des Stückes bedankten. Die Beraterin von Hedda Zinner, als sie das Stück schrieb, war Erika Buchmann, die zehn Jah­re in diesem KZ zugebracht hatte. Ich denke, diese Tatbestände belegen, daß es fast unmöglich ist, bei den eigentlich Betroffenen zu diesem Stück eine einheitliche Auffas­sung herzustellen.

2. Kurze Zeit nach diesen unter 1. benannten zufälligen Gesprächen erschienen die Genossen Nehring und Grabowsky bei Hedda Zinner und sagten, der Film würde nicht gemacht. Die Frauen, die sie in Ravensbrück getroffen hätten, hätten reagiert und Genosse Funke habe gegen das Zustandekommen des Films interveniert.

3. Hedda Zinner hat daraufhin im Februar 1985 einen Brief an J. Herrmann geschrieben. Er hat sie sofort angerufen und Prüfung zugesagt. Das Ergebnis dieser Prüfung findest Du in der Anlage. H. Zinner hatte noch vorgeschlagen, Vertreter des Schriftstellerverban­des zu einer Aussprache einzuladen. Das wurde nicht befürwortet mit der Begründung, die Schriftsteller gehörten in einen anderen Verantwortungsbereich.

4. Nachdem also (siehe Anlage) das Schicksal des Films mehr oder weniger besiegelt schien, bat H. Zinner den Parteisekretär der Berliner Organisation der Schriftsteller, Gen. Sepp Müller, in der Parteileitung einen Standpunkt zu der Situation zu erarbeiten ... Scha­de, daß sich H. Zinner nicht an den Generalsekretär unserer Partei gewandt hat; das Problem wäre lange aus der Welt. Nach einigen Monaten ließ sich Hedda Zinner ihre Unterlagen von Sepp Müller zurückgeben. Es war wohl nichts damit geschehen oder nichts bewirkt worden. H. Zinner fühlte sich von allen im Stich gelassen und sie fühlte (und fühlt!) doch wohl nicht an der Realität vorbei. Ich scheue mich zu wiederholen, wel­che Gedanken sie seinerzeit hatte. Gut, daß sie sie aus eigener Kraft, durch Arbeit, wie­der verdrängt hat. Hätte sie die Kraft nicht aufgebracht, wäre da jemand zur Rechen­schaft gezogen worden, für die Folgen des Umgangs mit einer achtzigjährigen gestande­nen Kommunistin und bekannten Künstlerin? H. Zinner sagte mir: »Nicht, daß das Stück nicht kam, war und ist mein Problem. Nein, daß so ein Vorgang möglich ist, das ist mir das Ungeheuerliche.« Ich darf hinzufügen: Mir ist das auch ungeheuerlich! Mit einer alten, verdienten Kommunistin so umzugehen, nur weil sie aus Treue zur Partei, aus außerordentlicher Disziplin nichts macht, das ist mir unfaßbar. Unfaßbar so viel Unge­rechtigkeit, nicht objektiv bedingt, sondern geboren aus elendiger Feigheit. Vor Funke hat man Angst, vor Hedda Zinner nicht. So einfach ist doch letztlich das Ganze. Es scheint die Frage gestattet: Was tut's, wenn ein Mensch daran fast zugrunde geht, nicht aus Eitelkeit, sondern weil ihm der scharfe Verstand gegeben« ist, all das zu durch­schauen; einschließlich des Zustandes der eigenen Wehrlosigkeit durch Fairneß, gegen wen eigentlich wehrlos? Gegen die eigenen Genossen! Soll H. Zinner eines Tages in die­ser Betroffenheit von uns gehen? Reicht es nicht, daß Hans Weber wegstarb, bevor sein Film »Einzug ins Paradies« gezeigt werden durfte, der Jahre im Fernsehen, im Keller gele­gen hat!? Warum, das weiß wohl einzig der liebe Gott. Man sollte die »Ravensbrücker Bal­lade« noch machen. Vielleicht kaufen wir dafür einen amerikanischen Film weniger, wenngleich das ja der Jugend (Anlage) nicht zu schaden scheint.

Wenn Du gestattest, würde ich Gen. J. Herrmann schreiben. Du kannst auch diesen Brief so weiter geben, wie er ist. Ich stehe dazu. Daß so ein Schreiben keine Sympathie erzeu­gen wird, stört mich nicht. Ich empfinde auch keine Sympathie für die Vorgänge, – für den haarsträubenden Subjektivismus im Umgang mit parteilicher, guter Kunst, von denen ich gestern hörte. Meines Erachtens kann man die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Entschuldige die Heftigkeit des Schreibens.

Ellen Brombacher.

 

Ellen Brombacher: Brief an Otto Funke

23. Oktober 1987

Lieber Genosse Otto Funke!

Nach unserem Telefonat hatte ich mir an sich vorgenommen, Genossin Hedda Zinner über unser Gespräch zu informieren und dann weiter nichts mehr zu tun. Mit Genn. Zin­ner habe ich inzwischen gesprochen, und ich habe das Szenarium für den Film »Ravens­brücker Ballade« gelesen. Als ich mit dem Lesen fertig war, habe ich geweint vor Betrof­fenheit, und ich verhehle es nicht, auch aus dem Gefühl heraus, nichts ändern zu können an einem Tatbestand, den ich als zutiefst bedrückend empfinde. Ich wiederhole meine Position: Wie konnte man nur verhindern, daß ein solcher Film gedreht wird? Von klein auf habe ich im Haus meiner Eltern Erzählungen über die Zeit des antifaschistischen Widerstandskampfes gehört. Ich habe auch nicht selten erlebt, daß die Genossen gleiche Erlebnisse unterschiedlich in der Erinnerung hatten und unterschiedlich bewerteten. Das ist doch sicher – noch dazu nach so vielen Jahren – völlig normal. Was ich nicht verste­hen kann, ist, daß einseitig eine bestimmte Sicht weniger Genossen auf die Dinge zum Schicksal für einen Film wird, und das in dem Wissen, daß andere Genossinnen, die auch in Ravensbrück waren, – ich nenne hier noch einmal Erika Buchmann – sich voll mit die­sem Kunstwerk identifizierten. Ich weiß, Genosse Funke, Du hattest mir am Telefon ge­sagt, Du seiest nicht in Ravensbrück gewesen und damit meintest Du ja möglicherweise noch viel mehr; auch ich sei schließlich nicht in Ravensbrück gewesen. Ich bin erst 1947 geboren. Und es fällt mir außerordentlich schwer, so einen Brief ausgerechnet an einen Genossen zu schreiben, von dem ich weiß, daß er selbst durch die Hölle gegangen ist, der, wie alle diese Kämpfer, zu meinen Vorbildern zählt. Und dennoch: Hier geht es um eine Frage, wo ich diese Hemmungen überwinden wollte, um vor mir bestehen zu kön­nen, im Sinne jener Ideale, für die Ihr bereit wart, in den Tod zu gehen. Es ist meine un­veräußerliche Überzeugung: Hier wurde ein zutiefst parteiliches, ungewöhnliches Kunst­werk beschädigt. Und daß es gute, parteiliche Kunst ist, das vermag ich inzwischen zu beurteilen, noch dazu, wo ich in diesem Urteil absolut nicht allein dastehe. Ich habe den Dreißigjährigen Krieg nicht erlebt und kann dennoch beurteilen, daß der Simplizissimus gültige Kunst ist. Ich war nicht Teilnehmer des Großen Vaterländischen Krieges, aber ich zweifele nicht an der Wahrhaftigkeit der Werke von Simonow. Ich war mein Lebtag nie in Brasilien, aber ich bin überzeugt vom Wahrheitsgehalt der Bücher Amados. Und genauso hege ich keinen Zweifel, daß die »Ravensbrücker Ballade« von Hedda Zinner wahrhaftig ist.

Was haben wir nicht teilweise verfilmt, gedruckt und auf die Bühnen gebracht? Hundert Dinge sind für mich streitbarer als ausgerechnet dieses Kunstwerk. Dieses Szenarium ist ein Hohelied auf die Kommunisten, auf die Solidarität, auf die Menschlichkeit; eine schreiende Anklage gegen Faschismus und Entmenschlichung. Alles, was in diesem Stück beschrieben ist, bezogen auf Kriminelle, Asoziale etc. findet sich in anderen Bü­chern und Filmen und fand sich übrigens auch in den Erzählungen vieler Genossen wie­der, die diese Dinge auch beurteilen können, nicht zuletzt in denen meines Vaters. Das mindert doch nicht den ewigen Ruhm derer, die diese Kämpfe auf Leben und Tod in tiefer Menschlichkeit durchlitten. Ich finde, es macht sie nur größer. Ich wiederhole noch ein­mal: Es ist für mich unfaßbar, daß dieser Film nicht gedreht wurde, nachdem das Thea­terstück in mehreren Theatem dieses Landes teilweise jahrelang erfolgreich aufgeführt wurde. Und nach wie vor bewegt mich die Frage, ob man die Genossinnen, die eine ande­re Position zu diesem Kunstwerk haben, nicht anregen kann, ihre Auffassung erneut zu überdenken. Ich flehe Dich an: Verhalte Dich nicht in gleicher Abweisung zu diesem Brief wie zu meiner telefonischen Bitte, miteinander zu reden. Hier geht es um eine kulturpoli­tische Frage von großer Bedeutung, die nur deshalb zu keinem Skandal wurde, weil Hed­da Zinner viel zu sehr Kommunistin ist, um uns mit diesem Vorgang in Verlegenheit zu bringen. Und ich weiß, was ich sage, wenn ich behaupte: Das hätte sie ohne weiteres gekonnt. Sie aber frißt es in sich hinein, bis heute, und vielleicht sollte es uns beide tief berühren, daß sie darunter zutiefst leidet.

Ellen Brombacher.

 

Otto Funke: Brief an Ellen Brombacher

10. November 1987

Liebe Genossin Brombacher,

entschuldige, daß ich auf Dein Schreiben vom 23. Oktober 1987 erst heute antworten kann, da ich einige Zeit nicht in Berlin war. Ich habe nicht die Absicht, mit Dir in diesem Brief zu polemisieren, sondern Dir noch einmal mitzuteilen, daß ich Deine Auffassungen nicht teilen kann und Du anderen zugestehen mußt, daß sie eine andere Meinung haben. Das betrifft im übrigen nicht nur mich, sondern – wie ich Dir schon sagte – betrifft das unsere Sekretäre und die Leitung der Lagerarbeitsgemeinschaft – alles in behandelter Sache erfahrene Genossen, deren Beurteilung nicht unmaßgeblich und uninteressant ist. Im übrigen möchte ich Dich darüber informieren – da Du das offensichtlich nicht weißt – daß im Februar 1985 eine Aussprache bei der Leitung des Fernsehens stattgefunden hat, an der die unmittelbar Beteiligten, also auch die Autorin, teilgenommen haben. Hier wurde nach längerer Erörterung übereinstimmend festgelegt (laut Niederschrift über die­se Beratung), daß das Drehbuch unter Berücksichtigung der begründeten Einwände über­arbeitet werden soll. Eine solche Überarbeitung ist nach meiner Kenntnis nicht erfolgt. Es gibt daher keinen Grund, unsere Meinung zu ändern.

Mit sozialistischem Gruß

Otto Funke.

 

Ellen Brombacher: Brief an Otto Funke

17. November 1987

Lieber Genosse Otto Funke!

Herzlichen Dank für deinen Brief, den ich gestern Abend fand und für den ich trotz der weiter bestehenden Meinungsunterschiede dankbar bin. Auch ich möchte nicht weiter schriftlich polemisieren. Von der Beratung im Februar 1985 habe ich gewußt. Ich befinde mich im Besitz eines der wörtlichen Protokolle. Nur sah ich keinen Sinn darin, mit diesen Interna zu arbeiten. Mir ging und geht es um die politische Seite der Angelegenheit. Ich habe Genossin Hedda Zinner heute darüber informiert, daß Du mir geschrieben hast und ihr den letzten Absatz Deines Schreibens wörtlich zur Kenntnis gegeben. Genossin Zinner sagte mir, damals sei besprochen worden, daß das Gespräch weiter geführt werden sol­le. Dies geschah bis heute nicht. Vielleicht ist es aber dazu auch jetzt noch nicht zu spät.

Herzliche Grüße

Ellen Brombacher.

 

Ellen Brombacher: Brief an Kurt Hager

Kurt Hager war zu dieser Zeit Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED.

26. November 1987

Lieber Genosse Prof. Kurt Hager!

Ich möchte Dich von einem bedrückenden Vorgang in Kenntnis setzen. Vielleicht kannst Du helfen. Genossin Hedda Zinner schrieb das Theaterstück »Ravensbrücker Ballade«. Ihre Konsultantin bei dieser schriftstellerischen Arbeit war die Genossin Erika Buchmann, die selbst zehn Jahre Häftling in Ravensbrück gewesen war. Das Theaterstück lief erfolg­reich an mehreren Bühnen unserer Republik, so auch fünf Jahre an der Berliner Volksbüh­ne. Anläßlich des 40. Jahrestages der Befreiung des KZ Ravensbrück und auch zu Ehren der Autorin, die ja 1985 ihren 80. Geburtstag hatte, sollte das Stück verfilmt werden. Alles war soweit klar, vom Drehbuch über die Einordnung als Fernsehfilmprojekt bis zur Schauspielerbesetzung, als plötzlich durch ein Veto von Genossen des Komitees der Anti­faschistischen Widerstandskämpfer das Projekt gestoppt wurde. Es kam zu einer Aus­sprache mit Hedda Zinner, in deren Ergebnis dann der Film endgültig nicht gedreht wurde.

An der damaligen Aussprache am 21. Februar 1985 im Fernsehfunk in Berlin-Adlershof nahmen meines Wissens teil: (folgt die bekannte Liste der Teilnehmer). Ich lernte Hedda Zinner im September dieses Jahres persönlich kennen, erfuhr durch sie von diesem Vor­gang und erlebte, wie sehr sie die Sache bis heute bewegt und verletzt. Ich erinnerte mich, wie mich Anfang der sechziger Jahre das Theaterstück beeindruckt hatte und be­schloß, Genossen Funke anzurufen, weil ich das Bedürfnis hatte, über all das mit ihm zu reden. Zu einem solchen Gespräch war Genosse Funke nicht bereit. Unser Kontakt redu­zierte sich auf dieses Telefonat, in dessen Verlauf ich natürlich sagte, daß mir dieser Vor­gang – die Verfilmung der »Ravensbrücker Ballade« betreffend – bedrückend ist und daß ich ihn für einen politischen Fehler halte. Abschließend teilte ich Genossen Funke mit, daß ich das Gespräch mit Genossin Zinner mit mir als eine mündliche Eingabe betrachte und daher natürlich Genossin Zinner über den Inhalt des Telefonats mit Genossen Funke informieren werde. Das habe ich getan.

Nach dem Telefonat habe ich mir das Drehbuch besorgt unter dem Eindruck des Gelese­nen Genossen Funke noch einmal einen Brief geschrieben. Auf dies Schreiben gab es nicht die geringste Reaktion. Zum Empfang in der sowjetischen Botschaft am 8. Novem­ber sprach mich überraschend Genosse Reuter an und fragte, ob die Angelegenheit mit Genossin Zinner geklärt sei. Ich sagte ihm, da könne nichts geklärt sein, da es keine Reaktion auf meinen Brief gäbe, und es sei auch nichts anderes mit Genossin Zinner zu klären, als die Korrektur der damaligen Entscheidung und die könne ich nicht vorneh­men. Genosse Reuter wollte sich kümmern. Seitdem habe ich nichts mehr gehört.

Es ist meine feste Überzeugung: So kann man mit Kunst nicht umgehen und mit antifa­schistischer Kunst schon gar nicht, und so kann man auch mit einer Kommunistin und Künstlerin wie Hedda Zinner nicht verfahren. Es wäre schön, Du könntest helfen. Meine Möglichkeiten sind erschöpft.

Mit sozialistischem Gruß

Ellen Brombacher.

 

Ellen Brombacher: Brief an Kurt Hager

Berlin, 9. September 1988

Lieber Genosse Hager!

Im August besuchte ich Genossin Hedda Zinner. Seit ihrer Rede auf dem Schriftsteller­kongreß der DDR im November 1987 hat sich in ihrer Angelegenheit – also das Film­projekt »Ravensbrücker Ballade« betreffend – nichts getan; es wurde nicht einmal mit ihr gesprochen.

Ich weiß definitiv, daß Genossin Zinner jedes Wort in ihrem Diskussionsbeitrag abgewo­gen hat unter dem Aspekt, dem Gegner nicht zu nutzen. Andere nehmen solche Rück­sichten nicht.

Können wir den Schluß zulassen, daß man seine Interessen dann am ehesten durchsetzt, wenn man am brutalsten vorgeht?

Hedda Zinner ist verbittert, was diese konkrete Angelegenheit anbetrifft, und ich bin sprachlos.

Vielleicht erinnerst Du Dich, daß ich im Januar dieses Jahres das Problem in der Beratung der Bezirkssekretäre aufgeworfen hatte.

Ich möchte Dich noch einmal sehr, sehr herzlich um Deine Unterstützung bitten.

Mit sozialistischem Gruß

Ellen Brombacher

Sekretär.

 

Ellen Brombacher: Brief an Kurt Hager

Berlin, den 19. Oktober 1988

Lieber Genosse Kurt Hager!

In der Anlage übermittle ich Dir eine Information über ein Gespräch zwischen Genossen Otto Funke und mir, das am 12. Oktober 1988 stattgefunden hat.

Ich würde Dich sehr herzlich darum bitten, meine Entscheidungsvorschläge zu prüfen und wäre Dir außerordentlich dankbar, wenn über diesen Weg der Genossin Hedda Zin­ner doch noch Gerechtigkeit widerfahren würde. Ich hatte den Eindruck, daß es Genosse Funke sehr, sehr ernst mit der Bemerkung meint, daß das Antifa-Komitee zwar eine sehr kritische Meinung zu dem Stückprojekt »Ravensbrücker Ballade« hat, aber weder Zensor sei noch zuständig für die Entscheidung, die das Fernsehen treffen müsse.

Ich habe aus diesem Grund auch dem Mitglied des Politbüro und Sekretär des ZK Genos­sen Joachim Herrmann die gleichlautende Information geschickt und um Unterstützung gebeten.

Mit sozialistischem Gruß

Ellen Brombacher.

 

Ellen Brombacher: Brief an Joachim Herrmann

Berlin, den 19. Oktober 1988

Lieber Genosse Joachim Herrmann!

Nach unserem kurzem Gespräch am 7. Oktober habe ich sofort Genossen Otto Funke erneut um ein Gespräch gebeten, und er hat mir sehr schnell einen Termin gewährt.

Die Information über das Gespräch befindet sich in der Anlage.

Ich habe dort auch noch einmal meine Position zum Vorgang deutlich gemacht und sie mit Entscheidungsvorschlägen verbunden. Genossen Kurt Hager habe ich ebenfalls infor­miert.

Ich wäre Dir außerordentlich dankbar, wenn die Dinge erneut geprüft würden und nach Möglichkeit im Interesse der Genossin Hedda Zinner und der antifaschistischen Kunst entschieden werden könnten.

Mit sozialistischem Gruß

Ellen Brombacher.

Anlage: Information über ein Gespräch zwischen Genossen Otto Funke und Genossin Ellen Brombacher am 12. Oktober 1988

Am 12. Oktober 1988 fand ein persönliches Gespräch mit Genossen Otto Funke, Vorsit­zender der Zentralleitung der Antifaschistischen Widerstandskämpfer statt. Ich hatte ihn darum am 7. Oktober 1988 gebeten, nachdem die seit einem Jahr laufenden Bemühun­gen, doch noch die Verfilmung der »Ravensbrücker Ballade« zu ermöglichen, immer wie­der gescheitert waren. Die entsprechenden Vorgänge sind bekannt, besonders die Rede der Genossin Hedda Zinner auf dem Schriftstellerkongreß der DDR im November 1987. Ich bat Genossen Funke eingangs, noch einmal meine Position darlegen zu können.

Bekanntermaßen gab es zu dem Stück von Hedda Zinner unterschiedliche Bewertungen durch ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Ravensbrück. Die einen, zum Bei­spiel Erika Buchmann, hielten es für wahrhaftig, andere, so zum Beispiel Genossin Anni Sindermann aus dem Ravensbrück-Komitee, empfanden die Wirklichkeit als nicht stim­mig dargestellt. Ich könne natürlich kein Urteil fällen, da ich das Glück habe, diese Zeit nicht erleben zu müssen, sei aber der Auffassung, daß es sich um ein wichtiges, wahrhaf­tiges Kunstwerk handeln würde, welches wir gerade für die antifaschistische Erziehung der Jugend brauchten.

Der Vorgang habe für mich ein tiefes menschliches Problem. Genossin Hedda Zinner würde in Anbetracht dessen, daß sie einem faktischen Verbot ihres Films machtlos gegenüberstehe, außerordentlich tief getroffen sein. Ich hielte es auch für menschlich wichtig, sich daher noch einmal zu beraten, wie weiter verfahren werden solle.

Ich wolle noch eine politisch prägnante Komponente hinzufügen, die für mich zwar nicht entscheidend, aber auch nicht unwesentlich sei. Der Sohn von Hedda Zinner ist Genosse Prof. J. Erpenbeck, Schriftsteller und Physiker, außerordentlich anerkannt an der Akade­mie der Wissenschaften, im Schriftstellerverband und als Mitglied des Präsidiums des Verbandes. Sein Einfluß ist von nicht geringem Gewicht, und natürlich ist er von den Vor­gängen, die seine Mutter betreffen, nicht unberührt und unbeeinflußt.

Aus diesen Gründen habe ich mich in dieser Frage so engagiert, niemand habe mir den Auftrag dazu erteilt, und es gäbe diesbezüglich nichts, was in meinem persönlichen Inter­esse läge.

Genosse Funke erwiderte – und ich möchte an dieser Stelle hervorheben, daß er das Gespräch mit mir in kameradschaftlicher Weise geführt hat – sinngemäß folgendes:

Die oben genannten Genossen und auch er hätten ihre Meinung zum Stück nicht geän­dert. Sie hätten vor drei Jahren diese Auffassung bereits geäußert, und es wäre abge­sprochen gewesen, daß eventuelle Veränderungen in dieser oder jener Frage erfolgen sollten. Was Genosse Funke offensichtlich nicht weiß, ist, daß damals abrupt alle Arbei­ten am Film abgebrochen wurden (damit tritt meines Erachtens eine andere Geschäfts­lage ein).

Welche Einwände führte Genosse Funke an? Zum Beispiel:

- In dem Stück dominierten kriminelle Häftlinge (man kann das Drehbuch lesen und sich selbst ein Urteil darüber erlauben, ob diese Einschätzung stimmt).

- In dem Stück würde eine Kommunistin zur Verräterin, während eine Asoziale sich hel­denhaft verhielte (formal stimmt das, aber das Typische des Stückes besteht in der füh­renden Rolle der Kommunistinnen bei der Hilfe für sowjetische Gefangene, an der sich auch eine Prostituierte beteiligt, berührt durch die menschliche Würde der Genossinnen).

- Das Stück stelle eine bestialische SS-Aufseherin dar, und es würde erklärt, daß ihre Entwicklung durch fürchterliche Zustände im Elternhaus mit dazu führten, daß sie zur Verbrecherin wurde (ich sehe darin überhaupt kein Problem).

- In dem Stück käme ein von der Front versetzter SS-Offizier vor, der sich gegen die Expe­rimente an Menschen wende (sicher absolut nicht typisch, aber die Kunst hat das Recht, auch Einzelfälle zu benennen).

Nachdem Genosse Funke also diese als Beispiel dienenden Einwände gegen das Filmpro­jekt genannt hatte (die in Klammern stehenden Bemerkungen sind meine Auffassung), sagte er mir, daß er die Genossin Zinner sehr schätze und daß es eben nur Meinungsver­schiedenheiten zu diesem Stück seien. Das sei genauso sein Recht, wie es das Recht der Genossin Zinner sei, ihre Auffassung zu haben, die sicherlich sehr durch Genossin Buch­mann beeinflußt sei (Genossin Buchmann war zehn Jahre Häftling in Ravensbrück und auch Blockälteste im Strafblock), genauso wie es mein Recht sei, anderer Auffassung zu sein als er.

Ich erwiderte, daß es ja nicht um Meinungsunterschiede ginge, sondem daß ihre Mei­nung dazu geführt habe, daß das Fernsehen einen Film nicht gedreht habe.

Des weiteren wiederholte ich noch einmal meine Position, daß das Stück von Hedda Zin­ner ein Kunstwerk sei und die Kunst auf spezifische Weise mit der Wahrheit umgehe, die Wahrheit allerdings müsse es bleiben und das sei wohl doch bei dem Film der Fall.

Genosse Funke erwiderte, er bliebe bei seiner Position, auch die ihm bekannten Genos­sinnen, die in Ravensbrück waren, fühlten sich herabgesetzt durch die Überbetonung kri­mineller Häftlinge, durch die faktische Entschuldigung der Bestialitäten der SS-Aufsehe­rin usw. Ansonsten seien das Antifa-Komitee und er selber kein Zensor, auch wenn ande­res behauptet würde, das Komitee kann eine Meinung zum Drehbuch haben, aber ob ein Film gedreht wird oder nicht, darüber würde allein das Fernsehen der DDR entscheiden.

Ich fügte ein, ob er einverstanden sei, wenn ich mit Genossen Adameck über diese Position sprechen würde. Er bat mich darum, mit Genossen Hager zu reden, da Genosse Hager ihn ohnehin während der Kampfgruppenparade auch in dieser Angelegenheit angesprochen hätte.

Soweit zum Inhalt des Gesprächs, verknüpft mit meinem unveränderten Standpunkt.

Ich bitte daher von ganzem Herzen,

1. daß sich Genosse Hager eventuell mit Genossen Herrmann abstimmt und Genossen Adameck den Auftrag erteilt, unter der oben genannten Prämisse erneut zu prüfen, ob der Film »Ravensbrücker Ballade« gedreht wird.

2. daß ich Genossin Hedda Zinner über die wesentlichsten Fragen des Gespräches mit Genossen Funke in Kenntnis setzen und ihr vorschlagen kann, in dem Vorspann des Films einen Text aufzunehmen, daß dieses Stück unter maßgeblicher Beratung mit Erika Buchmann zustandegekommen sei und ihm auch besonders deren persönliche Erfahrungen und Erlebnisse mit zugrundeliegen.

Ellen Brombacher.

 

Quelle: Ravensburger Ballade oder Faschismusbewältigung in der DDR, Mit einem Essay von Hedda Zinner, Herausgegeben von Klaus Jarmatz, AtV Texte zur Zeit, 1. Auflage 1992, Aufbau Taschenbuch Verlag Berlin, S. 92-101 und 106-111.

Link zu einer kurzen Leseprobe des Theaterstücks: https://henschel-schauspiel.de/serve_leseprobe/1494.

 

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