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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Bilder sind unter uns

Horsta Krum, Berlin

 

"Das Geschäft mit der NS-Raubkunst", so heißt das Buch, das Stefan Koldehoff 2009 veröffentlichte. Neben vielem anderen Material zum Thema benutzte er auch das Buch von Hans Prolingheuer "Hitlers fromme Bilderstürmer - Kirche und Kunst unterm Hakenkreuz" von 2001 [1]. Wer diese beiden Bücher gelesen hat, wundert sich nicht über die vielen wertvollen Kunstwerke, die in einer Münchener Privatwohnung im Februar 2012 gefunden wurden und von denen die Öffentlichkeit Anfang November 2013 erfuhr.

Kaum an der Macht, raubten die Nazis Kunstwerke und Wertgegenstände aller Art, von wem auch immer und wo immer sie konnten. Bereits im Juli 1933 verabschiedeten sie das "Gesetz über den Einzug volks- und staatsfeindlichen Vermögens". Unerwünschte Deutsche wie Juden, Kommunisten, Freimaurer, verloren nach und nach ihren Besitz, ihre materielle Existenz und bald auch ihr Leben.

Helfer gab es viele

Der Kunstraub der Nazis hörte erst mit ihrer militärischen Niederlage auf. Kulturgüter und Wertgegenstände aller Art raubten sie auch in den besetzten Ländern. Wie konnte das geschehen? Und wer half dabei?

Helfer gab es viele. Da waren zunächst einmal die Untergebenen von Reichsmarschall Hermann Göring, von Propagandaminister Joseph Goebbels und von Alfred Rosenberg, der sich mit seinem Buch "Mythus des 20. Jahrhunderts" (1929) als Chefideologe des Faschismus betrachtete. Viele gab es, die ihnen zuarbeiteten: von der Reichskulturkammer bis zur Gestapo, von der Staatsanwaltschaft über die SS bis zur Wehrmacht. Auch sie wiederum hatten viele Helfer.

Helfer waren beispielsweise die "Gutachter", die es ab 1933 gab. Das konnten Museumsdirektoren sein, Kunsthändler oder Hochschulprofessoren. Sie hatten das Vertrauen der staatlichen Stellen und waren berufen, Wertgegenstände von Juden oder anderen "Volksfeinden" einzuschätzen. Ein solcher "Gutachter" war Ferdinand Stuttmann, seit 1938 Leiter des Kestner-Museums in Hannover. Nach dem Krieg wurde er Verantwortlicher der Gemäldegalerie des Niedersächsischen Landesmuseums, ließ alte Kontakte wieder aufleben, indem er mit dem Kunsthändler Conrad Doebbeke handelseinig wurde, wohl wissend, dass dessen Gemälde unrechtmäßig erworben waren. Hatte doch der Kunsthändler gebeten, seinen Namen nicht zu nennen und der Presse gegenüber keine Angaben über die Herkunft der Bilder zu machen. Die Stadt Hannover stimmte im Dezember 1949 zu und überschrieb ein Grundstück im Weserbergland auf den Sohn, und die Mutter erhielt die ansehnliche Summe von 164.000 Mark, so dass der Kunsthändler, unterstützt vom ehemaligen Gutachter, im Vertrag nicht auftauchte.

Helfer waren die "Kunstspione", die es bald nach 1933 gab. Das waren kunstbeflissene Deutsche, die im Ausland Museen und andere Kulturstätten besuchten und Listen anlegten. Als Deutschland dann ab September 1939 Krieg führte, konnten der "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg", die Leute von Göring und andere sofort die privaten und öffentlichen Kunstsammlungen plündern, wenn auch die öffentlichen Sammlungen der westlichen Länder einen gewissen Schutz genossen.

Helfer war auch der "evangelische Kunstdienst", der 1928 gegründet worden war mit dem Ziel, innerhalb der evangelischen Kirche mehr Verständnis für die bildenden Künste zu wecken und bei der künstlerischen Gestaltung kirchlicher Gebäude zu helfen. Er legte Wert auf eine gewisse Unabhängigkeit, verstand sich aber durchaus im Dienste der Kirche. Ab Frühjahr 1933 machte er sich dem neuen Staat nützlich: im Auftrag von Goebbels schuf er eine Ausstellung neuerer religiöser Kunst, die auf der Weltausstellung in Chicago gezeigt wurde und dem neuen Deutschen Reich viel Anerkennung einbrachte. Danach stellte Goebbels dem Kunstdienst das Barockschlösschen Berlin-Niederschönhausen zur Verfügung für Ausstellungen, Vorträge, Konzerte.

Weltkunst unterm Stiefel

Ab 1937, also nach der Olympiade, richtete sich die Regierungspolitik gegen die damalige moderne Kunst, die sie "Verfallskunst" oder "entartete Kunst" nannte. Zunächst zeigte sie in München eine Ausstellung mit Bildern von Max Beckmann, Christian Rohlfs, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Dix, George Grosz, Wassily Kandinsky, Emil Nolde, um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen. Ernst Barlach war kaum vertreten, was sicherlich dem Einfluss seines Freundes Bernhard Böhmer zu verdanken war.

Hitler diffamierte diese Künstler als "Kunststotterer", warf ihnen "Kulturzersetzung" vor und kündigte "einen unerbittlichen Säuberungskrieg" gegen sie an. [2] Und der beginnt sofort: Systematisch werden im Sommer 1937 aus 101 deutschen Museen Kunstwerke abtransportiert, die unter das Verdikt "entartete Kunst" fallen. Über die von Hitler gezogene Grenze des Jahres 1910 setzen sich Kulturminister Bernhard Rust und seine Untergebenen oft hinweg, so dass auch Werke von Paul Cézanne, Vincent van Gogh usw. konfisziert werden. Das Folkwangmuseum Essen verliert die meisten Kunstwerke, nämlich 1273; die drei Hamburger Museen 1317, und die drei Berliner Museen insgesamt 1283.

Die Kunstwerke werden im Berliner städtischen Magazin in der Köpenicker Straße gelagert. Im Januar 1938 besuchen Hitler und Goebbels dieses Depot, und letzterer ist erschrocken, weil Hitler nichts, gar nichts gelten lässt.

Ansonsten sind sich Hitler, Goebbels und Göring noch nicht sicher über die Verwendung der über 16.800 Kunstwerke, bis Göring vorschlägt, eine Anzahl der konfiszierten Werke gegen Devisen im Ausland zu verkaufen. Etwa 780 Gemälde und Skulpturen und 3.500 graphische Werke werden zum Verkauf ausgesondert, den Goebbels in die Wege leiten soll.

Nach einem Ort und geeigneten Personen braucht er nicht lange zu suchen, denn es gibt ja den evangelischen Kunstdienst. So findet denn ab dem 1. September 1938 im Schloss Niederschönhausen die Verkaufsschau der sogenannten "entarteten Kunst" statt. Für die Präsentation, den Empfang der Besucher und erste Vorverhandlungen stellt der Leiter des Kunstdienstes die junge charmante Gertrud Werneburg ein. Den Interviews, die sie dann als Neunzigjährige dem Kirchenhistoriker Hans Prolingheuer gab, verdanken wir Einblicke in den Verkaufsalltag, zum Beispiel, wie sich manche Nazis Kunstwerke aussuchten und sie ohne Bezahlung einfach mitnahmen, etwa einer von Hitlers Ärzten, den Werneburg nicht kannte und über dessen Benehmen sie sich empörte. Irritiert war sie auch über dessen Vorliebe für Otto Dix.

Unverzichtbare Helfer im Kunstraub der Nazis waren die Kunsthändler, beispielsweise der Schweizer Theodor Fischer, der insgesamt 125 Gemälde und Skulpturen kaufte, u.a. das Selbstbildnis van Goghs und die "Zwei Harlekine" von Picasso, die er dann nach Belgien bzw. in die USA weiterverkaufte.

Gegen Dollars und Franken

Vier deutsche Kunsthändler, die in Schweizer Franken oder Dollars bezahlen konnten, waren ausgewählt: der Barlach-Freund Berhard Böhmer [3], Karl Buchholz, Ferdinand Möller und Hildebrand Gurlitt.

Diese vier hatten Zugang zum Schloss, suchten sich Kunstwerke aus, zahlten den von der staatlichen Kommission festgelegten Preis oder gaben als Gegenwert ein oder mehrere als "deutsch" etikettierte Kunstwerke. Diese verkauften sie im Ausland, gelegentlich auch in Deutschland, was verboten war. Manches lagerten sie bei sich oder auch bei Speditionen, die dann ihrerseits Gewinne machten, wenn die Lagerungsgebühr nicht pünktlich bezahlt war.

Neben den bereits erwähnten gab es noch andere privilegierte Kunsthändler, zum Beispiel solche, die im Ausland Kunstschätze einkauften, privat für Göring und andere, oder für das Museum, das Hitler in Linz errichten lassen wollte. Die wichtigsten Einkäufer waren Gurlitt und Karl Haberstock: sie erhielten Geld in der jeweiligen Landeswährung, Geld, das die deutsche Besatzung direkt geraubt oder nachgedruckt hatte. Gurlitt reiste mindestens zehnmal in offiziellem Auftrag nach Paris und nutzte nach 1945 diese Kontakte für seine privaten Geschäfte.

Karl Haberstock war Mitglied der staatlichen Kommission, die die Preise für die sogenannte "entartete Kunst" festlegte; keine wichtige Entscheidung wurde ohne ihn gefällt. Beide, Haberstock und Gurlitt hatten in Paris Kontakt zu Freiherr von Pölnitz, der als Offizier der Luftwaffe zur deutschen Besatzung gehörte und Kunstliebhaber war. In seinem Schloss bei Bamberg treffen sich dann gegen Kriegsende alle drei wieder mit ihren Familien.

Die Amerikaner entdecken im Schloss eine unerhört große Anzahl von Kunstschätzen, die sie konfiszieren; langwierige Verhöre folgen. Der Spiegel veröffentlichte am 23. Dezember 2013 ein Foto, das Haberstock mit dem vernehmenden Offizier und der Sekretärin beim Verhör zeigt: alle drei in entspannter und freundlicher Atmosphäre, im Garten, mit Getränk, Haberstock in weißem Hemd und Schlips. Für Haberstock und Gurlitt ist das Resultat recht günstig: sie bekommen beide ihren Besitz zurück und können schon 1947 bzw. 1948 ihren Kunsthandel fortsetzen, aufbauend auf den alten Verbindungen.

Für Gurlitt sprach, dass er nach den Nürnberger Rassegesetzen als "Vierteljude" galt, deshalb seine Ämter verloren und sich, um zu überleben, nur widerwillig als freier Kunsthändler niedergelassen hatte. [4] Freigesprochen von den Amerikanern und vom Bamberger Landgericht, konnte er dann unbemerkt auch den Teil seines Besitzes hervorholen, den er in den dicken Mauern einer alten Mühle versteckt hatte. Als Leiter des "Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen" in Düsseldorf war er weit über regionale Grenzen hinaus bekannt und geachtet.

Sein Sohn Cornelius Gurlitt, der das alles bewusst miterlebt hat, versteht nicht, warum die Bilder, die er als Erbschaft von seinem Vater bekam, nun so viel öffentliches Aufsehen erregen.

Diese wenigen Beispiele sind nur ein ganz kleiner Teil dessen, was an Kunst und anderen Kulturgütern, wertvollen Möbeln, Schmuck und Gold aus privatem und öffentlichem Besitz geraubt wurde. Die im Ausland geraubten Kunstgegenstände gehen in die Millionen, vielleicht drei bis fünf Millionen. Die Zahl der Bücher, darunter Bibliotheken von unschätzbarem Wert, dürfte zehn bis fünfzehn Millionen betragen. Genauere Zahlen gibt es nicht, zumal die Deutschen ganze Bibliotheken in den östlichen Ländern in Brand setzten. 1945 fand man in Deutschland und Österreich mehr als 1.800 Depots, in denen ausländisches und deutsches Kulturgut lagerte, außerdem etwa hundert Tonnen Gold, zwei Millionen Dollar, hundert Millionen französische Francs, 110.000 englische Pfund, vier Millionen norwegische Kronen … [5]

Dass es noch schlimmere Verbrechen der Nazibarbarei gab, besonders an Menschen, die deportiert und getötet wurden, mindert nicht das Entsetzen über den Kunstraub, von dem der Fall Gurlitt nur einen ganz, ganz kleinen Aspekt darstellt.

P.S.: Die letzte Meldung des Jahres 2013 zu diesem Thema: Laut dpa vom 30. Dezember schmückt geraubte Kunst auch den Bundestag. Also: "Die Bilder sind unter uns", nicht nur in Privatwohnungen, sondern im höchsten offiziellen Gebäude, das "dem Deutschen Volke" gehört.

 

Anmerkungen:

[1] Horsta Krum veröffentlichte in den "Mitteilungen", Heft 10/2008, S. 20-25, den Beitrag "Hitlers fromme Bilderstürmer, Kirche und Kunst unterm Hakenkreuz - Eine Studie von Hans Prolingheuer über den Evangelischen Kunstdienst". - neues deutschland führte mit ihr ein Interview zum Thema (Ausgabe vom 8. November 2013, S. 15). Und in junge Welt vom 24. und 27. Dezember 2013 analysiert sie das Schicksal der "entarteten Kunst" auf den beiden Thema-Seiten, S. 10/11. - Red.

[2] Prolingheuer, S. 91.

[3] Böhmer verdient, unter den vier Kunsthändlern besonders betrachtet zu werden; sein wichtigstes Ziel war der Schutz von Barlach.

[4] "very much against my poorly scientific intentions" heißt es im Protokoll der Amerikaner, nachzulesen unter www.lootedart.com.

[5] aufgelistet bei Günter Wermusch, Tatumstände (un)bekannt (1991), S. 83.

 

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