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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Befreiung des Konzentrationslagers Majdanek

Dr. phil. Wolfgang Biedermann, Berlin

 

Am 23. Juli jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Majdanek (auch KL Lublin) durch die Rote Armee zum 70. Male. Es war, wie alle errichteten Konzentrations- und Vernichtungslager auf polnischem Gebiet (siehe Abbildung), untrennbarer Bestandteil der faschistischen Kolonisations- und Germanisierungspolitik (»Neuer Ostraum«, »Generalplan Ost«). Hitler hatte in diesem Kontext frühzeitig seine außenpolitischen Absichten kundgetan: »… und weisen den Blick nach dem Land im Osten. […]. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken.« [1] Programmatisch fest verankert waren Sozialdarwinismus und die Fiktion von der Überlegenheit der »arischen Rasse« über andere »unwürdige« Völker, um Diktatur, Krieg und Völkermord zu legitimieren.

Der Zweite Weltkrieg war die Möglichkeit, die langjährige Einflüsterung der völligen Ausrottung des »ewig destruktiven jüdischen Rassekerns« sowie die Verringerung der »rassisch minderwertigen« Slawen und »Zigeuner« in die Tat umzusetzen.

Mit dem vertragsbrüchigen Überfall auf die UdSSR (Plan »Barbarossa«, 22. Juni 1941) und dem mörderischen Wüten der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei des SD (Sicherheitsdienst), aber auch von Wehrmachtseinheiten unmittelbar hinter der vorrückenden Front, nahm die »rücksichtslose Germanisierung« (Hitler) des europäischen Ostens Konturen an. Der Krieg im Osten erhielt eine neue Qualität: Er war nicht nur auf Annexion und Ausplünderung, sondern auch auf Vernichtung und Dezimierung »fremdrassiger« Völker ausgerichtet.

Bezeichnend war in diesem Kontext eine Besprechung zwischen den Nazigrößen Rosenberg, Göring, Keitel und Hitler: »... Wir werden also wieder betonen, daß wir gezwungen waren, ein Gebiet zu besetzen, zu ordnen und zu sichern; im Interesse der Landeseinwohner müßten wir für Ruhe, Ernährung, Verkehr usw. usw. sorgen; deshalb unsere Regelung. Es soll also nicht erkennbar sein, daß sich damit eine endgültige Regelung anbahnt! Alle notwendigen Maßnahmen - Erschießen, Aussiedeln etc. - tun wir trotzdem und können wir trotzdem tun.« [2]

Die SS-Führung initiierte im Spätherbst 1941 die Vernichtungslager, um den geistig vorweggenommenen Genozid an »rassisch Minderwertigen" im großen Stil zu betreiben.

Die Verwendung des Schädlingsbekämpfungsmittels Zyklon B oder von Kohlenmonoxid (CO) [3] zum geräuschlosen Töten erwiesen sich aus Sicht der Täter als effektiv.

Seit Oktober 1941 schufteten rund 2.500 sowjetische Kriegsgefangene in dem Lubliner Vorort Majdan Tatarski bei der Errichtung des »Kriegsgefangenenlager der Waffen-SS Lublin« (später »Konzentrationslager der Waffen SS Lublin«). Geplant war ursprünglich eine Kapazität von 150.000 Häftlingen und in dieser Dimension sollte es als das größte KZ gelten. Es fungierte überwiegend als Konzentrations- und Arbeitslager. Noch im Dezember gleichen Jahres wurden hier die ersten jüdischen Einwohner aus Lublin interniert. Die arbeitsfähigen Häftlinge dienten ebenso als Zwangsarbeiter für den Aufbau bzw. der Erweiterung des Lagers. Alsdann wurden sie in den »Deutschen Ausrüstungswerken« und anderen SS-Betrieben, die unter anderem das Hab und Gut ermordeter Juden zur Weiterverwendung aufbereiteten, ausgepowert. [4]

Die in den ersten zwei Kriegsjahren verübten Massenmorde, die eher noch willkürlichen und experimentellen Charakter hatten, waren Kontext der berüchtigten Wannseekonferenz (20. Januar 1942). Hier herrschte der uneingeschränkte Konsens zwischen SS-Führern und hochrangigen Vertretern der faschistischen Ministerialbürokratie, die »Endlösung der Judenfrage« in Europa organisatorisch zu forcieren. [5]

Das Vernichtungslager Majdanek

Aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, der Slowakei sowie dem Distrikt Lublin begann die Verschleppung der jüdischen Bevölkerung in das KZ Majdanek, das zugleich Durchgangsstation in eines der unweit existierenden Vernichtungslager war. [6]

Aus dem nahegelegenen Ghetto Majdan Tatarski wurden 2.000 bis 2.500 Juden eingeliefert und hiervon 120 bis 200 junge Männer zur Zwangsarbeit bestimmt. Alle anderen, Frauen, Kinder und Alte wurden in dem nahegelegenen Krępiecki Wald, der anfänglich als Mordstätte diente, erschossen. [7]

Die systematische Tötung aller Juden, gettoisiert in den fünf Bezirken des »Generalgouvernements«, verbarg sich hinter der »Aktion Reinhard« (Juli 1942 - November 1943). Den Mordbrennern fielen mindestens 1,7 Millionen Juden zum Opfer. Deren Vermögen (Wertgegenstände wie Schmuck, Gold, Devisen) in Höhe von 178.745.960 RM wurde geraubt, [8] um die Schatullen des Staates und der SS zu füllen.

In Majdanek wurden bis zum Herbst 1942 drei Gaskammern installiert, in denen die Ermordung der deportierten Juden durch Zyklon B oder Kohlenmonoxid (CO) erfolgte. Das »Erntefest«, so die Codierung seitens der SS, am 3./4. November 1943 bedeutet das Ende der »Aktion Reinhard«. An diesem Tag erschossen die Kommandos der SS und der Polizei in einer Personalstärke von 2.000 bis 3.000 Mann alle jüdischen Arbeitskräfte im Lubliner Distrikt (16.000 bis 18.400 Menschen).

Im Vernichtungslager Majdanek wurden an diesem Tag 8.000 Häftlinge ermordet. Sie mussten einige Tage zuvor tiefe Gräben ausheben, in denen sie dann erschossen wurden. Musik aus Lautsprechern, montiert auf LKW, sollten die Salven und das Schreien der Todgeweihten kaschieren. Die Schreckensbilanz für dieses Lager beläuft sich auf ungefähr 78. 000 ausgelöschter Menschenleben, wovon 59.000 jüdischen Glaubens waren. [9]

Mit dem Heranrücken der Front begann im Frühjahr 1944 die Evakuierung des Lagers. Im Verlaufe der mächtigen Offensive (»Bagration«, 22. Juni 1944) gegen die Heeresgruppe Mitte befreite die Rote Armee Majdanek. Das Martyrium hatten nur rund 500 Häftlinge, wovon die überwiegende Mehrheit sowjetische Kriegsgefangene waren, überlebt.

Für die zögerliche Strafverfolgung von Nazi-Tätern in der damaligen BRD war der Majdanek-Prozess (1975-1981) bezeichnend. Nach über 30 Jahren (!) hatten sich 17 Personen vor dem Düsseldorfer Landgericht wegen begangener Gewaltverbrechen im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek zu verantworten.

 

Anmerkungen:

[1] Hitler, A., Mein Kampf, München: Verlag Franz Eher Nachfolger GmbH 1936, S. 742. Zitat aus: Zentner C., Mein Kampf. Eine kommentierte Auswahl, München: Paul List Verlag 1991, S. 131 f.

[2] Nr. 235 Niederschrift über die Besprechung zwischen Hitler, Rosenberg, Lammers, Keitel und Göring am 16. Juli 1941 (Auszüge), in: Kühnl, R., Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln: PapyRossa Verlag 200, S. 313.

[3] Tötungen durch Kohlenmonoxid (Aktion T4, »Euthanasie«) wurden auf polnischen Boden bereits Ende 1939 begangen. Von der »Euthanasie« mündete der Weg direkt in den Holocaust.

[4] Siehe www.its-arolsen.org/de/forschung-und-bildung/historischer-hintergrund/jahrestage/index.html.

[5] Das Protokoll der Wannseekonferenz vermerkte: »Inzwischen hat der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Hinblick auf die Gefahren einer Auswanderung im Kriege und im Hinblick auf die Möglichkeiten des Ostens die Auswanderung von Juden verboten.«

[6] www.its-arolsen.org/de/forschung-und-bildung/historischer-hintergrund/jahrestage/index.html.

[7] www.deathcamps.org/lublin/majdanek_d.html.

[8] 1 RM hatte im Jahr 1944 das Äquivalent von 3,30 €.

[9] Siehe ausführlich: http://www.holocaustresearchproject.org/othercamps/majdanek.html.

 

Mehr von Wolfgang Biedermann in den »Mitteilungen«: 

2014-01: »Die Waffen nieder«

2013-08: Die Schlacht am Kursker Bogen  (5. bis 16. Juli 1943)

2012-06: Die Vernichtung von Lidice