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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der wahre Sohn Afrikas

Moritz Hieronymi, Brandenburg an der Havel

 

Friedenspolitische Reminiszenzen zum 60. Todestag von Patrice Émery Lumumba 

 

»Wer wird jemals vergessen, dass ein Schwarzer mit ›Du‹ angesprochen wurde, nicht weil er ein Freund war, sondern weil das höfliche ›Sie‹ dem weißen Mann vorbehalten ist?« [1] – Der gerade einmal 34-jährige Patrice Lumumba widerspricht vor der Weltöffentlichkeit den schönfärberischen Aussagen des belgischen Königs Baudouin. Dabei sollte dieser 30. Juni 1960 den früheren belgischen Kolonialherren die Chancen geben, gesichtswahrend und profitsichernd die einstige Privatdomaine von König Leopold II. in die Unabhängigkeit zu entlassen. Stattdessen der Skandal: ein schwarzer, ehemaliger Postbeamter klagt den belgischen König an.

Die Geschichte des Kongos im 19. und frühen 20. Jahrhundert war von einer brutalen Gewaltherrschaft durch die belgischen Könige geprägt. Der Begriff Kongo-Gräuel steht im Kontext dieser Zeitepoche. In seiner Erzählung Herz der Finsternis beschreibt der Schriftsteller Joseph Conrad das Bild einer zutiefst unmenschlichen Behandlung der Kongolesen durch die belgische Krone. Indem die Bevölkerung flächendeckend versklavt wurde, sollte eine der an Ressourcen reichsten Gegenden der Welt organisiert ausgebeutet werden. Diese schier unerträgliche Barbarbei veranlasste selbst die nicht minder schändlichen Kolonialherren aus Frankreich und Großbritannien, den Belgiern Grenzen zu setzen. Unter internationalem Druck übernahm im Jahr 1908 der belgische Staat die Hoheit über den Kongo und rief Belgisch-Kongo aus – ein Apartheidregime, welches nicht minder erbarmungslos gegen die Eingeborenen wütete.

Mit dem Ende des 2. Weltkrieges und dem schrittweisen Zerfall der britischen und französischen Kolonien entstand im Belgisch-Kongo die Mouvement national Congolais (MNC). Die Bewegung wurde am 5. Oktober 1958 von dem einflussreichen Redner aus Stanleyville, Patrice Lumumba, mitgegründet. Es handelte sich um eine Befreiungsbewegung, die radikal nationalistische Forderungen mit tribalistischer Sozialpolitik verknüpfte. Zur selben Zeit entwickelten sich im Kongo anhaltende Unruhen. Im Kontext der antikolonialen Bewegungen sah sich die belgische Regierung veranlasst, ihr afrikanisches Department freizugeben. Die ersten Wahlen wurden vom MNC gewonnen; Lumumba wurde Premierminister, Joseph Kasavubu der 1. Präsident der Republik Kongo. Die Regierung Lumumba wird die kürzeste in der Geschichte des jungen Staates sein. – Eine Regierung, die einem schäbigen Komplott von CIA, belgischem Geheimdienst und UNO zum Opfer fiel.

Die belgische Festung Katanga

Noch bevor Lumumba zum Premierminister gewählt war, wurde sein Sturz organisiert. Ausgangspunkt der Verschwörung war die kongolesische Provinz Katanga. Katanga ist ein Gebiet der Superlative: 90 Prozent der weltweiten Industriediamanten, 80 Prozent des weltweit exportierten Kobalts [2] sowie unermessliche Ressourcen an Kupfer, Zink, Uran und das für die Steuerung von Interkontinentalraketen so notwendige Coltan sind auf diesem Flecken Erde zu finden. Während der Kolonialzeit wurden die Ressourcen ausschließlich von dem Minenkonzern Union Minière du Haut-Katanga ausgebeutet. Dem Mutterkonzern sollen vor der Unabhängigkeit 70 Prozent aller kongolesischen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar gehört haben. [3] Mit dem Sieg von Patrice Lumumba entstand die Sorge, dass die Minenkonzerne verstaatlicht werden würden. Um dieser Politik Lumumbas entgegenzuwirken, protegierten der belgische Staat und der Minenkonzern den Unternehmer und Politiker Moïse Tschombé. [4]

Hierzu veränderte das belgische Parlament noch vor der Unabhängigkeit die kongolesische Verfassung dahingehend, dass die Provinzparlamente nach dem Mehrheitswahlsystem zusammengesetzt wurden. [5] Die CONAKAT-Partei Tschombés hatte es nämlich im Vorfeld verpasst, geeignete Koalitionspartner für das Provinzparlament in Katanga zu finden. [6] Mit der Verfassungsänderung ist der Weg für eine Einheitsregierung geebnet. Der Kongo-Konflikt wäre ohne diesen vorgezogenen Staatsstreich anders verlaufen.

Ein Krieg bricht aus

Mit der Unabhängigkeit im Juni 1960 kam es zu Meutereien der kongolesischen Angehörigen der Force Publique gegen die ausschließlich belgischen Offiziere. Zeitgleich setzte Lumumba die »Afrikanisierung« des kongolesischen Militärs fort. [7] Die Situation spitzte sich derart zu, dass die belgische Regierung am 9. Juli eine militärische Intervention in Katanga beschloss, um der Soldatenrevolte ein Ende zu setzen. Hierbei erstreckten sich  die soldatischen Aufstände auf die Landesteile, in denen die Anhängerschaft Lumumbas am stärksten war, und nicht auf Katanga.

Zum Zeitpunkt der belgischen Intervention befanden sich noch 10.000 Angehörige der  regulären belgischen Streitkräfte auf Grundlage eines militärischen Beistandspaktes im Kongo. Diese hätten lediglich auf Einladung des Präsidenten und Premierministers des Kongos ihre Kasernen verlassen dürfen.

Nach kürzester Zeit brach im Kongo ein Krieg aus, der sowohl internationale als auch bürgerkriegsähnliche Ausmaße annahm. In dieser Situation sah sich Lumumba veranlasst, die UNO um militärische Hilfe zu bitten.

Die Vereinten Nationen im Kampf gegen die UN-Charta

Am 14. Juli beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nation eine UN-Blauhelmmission für den Kongo. Die Opération des Nations Unies au Congo (ONUC) hatte das Ziel, die politische Ordnung und staatliche Integrität des Kongos wiederherzustellen. [8]

Mit dem Einmarsch der ONUC-Truppen wurden wichtige Knotenpunkte des Landes besetzt. Insbesondere vitale Infrastrukturen wie Flughäfen, Bahnhöfe und Häfen unterstanden nun den Blauhelmen. [9] Die anfänglichen Bemühungen, belgische und katangische Soldaten aus dem Landesinneren zu verdrängen, wurden zunehmend gegen die legitime Regierung in Kinshasa gewendet. [10] Lumumbas Flugzeug wurde die Landung in Katanga durch UN-Truppen verwehrt. Seine Soldaten durften sich nicht mehr unbehelligt im eigenen Land bewegen. 

Als besonderer Scharfmacher in dieser Zeit erwies sich der schwedische UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld. Am 12. August, nicht einmal zwei Monate nach der Unabhängigkeit des Kongos, telegraphierte Hammarskjöld dem Separatistenführer Tschombé, dass er über die Formation von UN-Blauhelmtruppen in Katanga verhandeln wolle. [11] Ein diplomatischer Eklat! Der Kopf der Vereinten Nationen nimmt Verhandlungen mit einem nichtgefestigten defacto-Regime auf und wertet die belgische Marionettenprovinz zu einem im völkerrechtlichen Verkehr gleichwertigen Partner auf. Weder die USA noch die Belgier hätten diesen Schritt gewagt.    

Was danach geschah, wird als Kongo-Wirren in die Annalen der afrikanischen Tragödie eingehen. Am 12. September wird Lumumba von seinem Rivalen, dem Präsidenten Kasavubu, gestürzt. In einer aufsehenerregenden Aktion versuchte Lumumba mit Hilfe einer Radiostation, eine Ansprache an das Volk zu richten. UN-Truppen hinderten ihn daran. Die Ereignisse überschlugen sich. Lumumba wurde unter Hausarrest gestellt. Zwei militärische Kokons wurden um seine Unterkunft errichtet und sollten ihn am Verlassen dieser hindern. Indem UN-Blauhelme den inneren Kokon stellten, beteiligte sich die UNO an der Kaltstellung Lumumbas. [12]

Da erschien ein neuer Akteur auf der Bildfläche: Joseph-Désiré Mobutu. Mobutu, ein glühender Anhänger Lumumbas, der bereits im Alter von 29 Jahren Generalstabschef der kongolesischen Armee war, würde eine Millionen US-Dollar erhalten, wenn er Lumumbas Truppen ruhig hielte. Das Geld stammte vom UN-Sonderbotschafter im Kongo, Andrew Cordier, und wurde in Kenntnis des UN-Generalsekretärs aus Quellen des CIA distribuiert. [13]

Ein Staatsstreich wie im Bilderbuch

Lawrence, genannt Larry, Delvin war kein Mann, der die Öffentlichkeit suchte. Dennoch im Jahr 2008, nur wenige Monate vor seinem absehbaren Tod, stellt er sich der Weltpresse. Als ehemaliger CIA-Offizier im Kongo wollte Delvin durch seine Memorien die eigne Lebensleistung ins rechte Licht rücken: Keineswegs sei es Absicht der USA gewesen, Lumumba zu töten. [14] Ganz im Gegenteil! Die Ermordung des afrikanischen »Fidel Castro« hätte weltweit desaströse Folgen für das Ansehen der USA gehabt. Dass es sich dabei um eine Lüge handelte, Delvin und sein Vorgesetzter, der CIA-Chef Allen Dulles, die »Beseitigung« Lumumbas als Toppriorität setzten, wurde erst durch Veröffentlichungen des US-Außenministeriums im Jahr 2014 bekannt. [15]

Die Aktivitäten des US-Nachrichtendienstes hatten einen horrenden Preis: So sollen sich die USA den Coup d‘État 90 bis 150 Millionen US-Dollar [16] kosten gelassen haben. Ihr Operationsfeld stützte sich dabei auf die Organisation von regierungskritischen Streiks, den Kauf zweier Senatoren, die ein Misstrauensvotum gegen Lumumba initiieren sollten, sowie die finanzielle, militärische und logistische Unterstützung des Generalstabschefs Mobutu. Hierzu schuf die CIA die Binza-Gruppe, welcher Mobutu und seine Getreuen sowie Angehörige des belgischen Geheimdienstes angehörten. Die Binza-Gruppe bildete ein imperium in imperio und übernahm mit dem Sturz Lumumbas faktisch die Amtsgeschäfte. Die Gruppe, welche die kongolesische Armee hinter sich versammelte, stand unter finanzieller Abhängigkeit der CIA und erwies sich dieser beim Sturz Lumumbas als äußerst gefügig. 

Das letzte Aufbäumen Lumumbas

Am 27. November entkam Lumumba, in einem Chevrolet versteckt, seinem Hausarrest. Es begann eine schicksalsvolle Odyssee. Von Kinshasa sollte es nach Kisangani gehen, wo die meisten Anhänger Lumumbas lebten. Kasavubu und Hammarskjöld wurden nervös. Der damalige US-Botschafter Timberlake wird später zugeben, dass die Situation hätte kippen können, wenn Lumumba Kisangani erreicht hätte. [17] Hammarskjöld plante bereits einen Schutzwall von UN-Blauhelmtruppen, um Lumumbas vermeintliche Gegenwehr aufzuhalten. [18]

Überall da, wo Lumumba pausierte, bildeten sich begeisterte Menschenmengen. Er erreichte noch die Massen; sprach ihnen Mut zu. Am 1. Dezember erreichte sein Konvoi mit zwei Ministern, seiner Ehefrau und seinem Sohn den Ort Lodi. Der Sankuru-Fluss musste nur noch überquert werden; dann befände sich Lumumba in Sicherheit. Eine alte Piroge, die nur drei Personen transportieren konnte, stand zur Verfügung. Als erstes überquerte Lumumba mit seinen Ministern den Fluss. Lumumba kehrte zurück, um seine Ehefrau und seinen Sohn zu holen. Es war zu spät! Während Lumumba zurückfuhr, sah er, wie die Soldaten Mobutus seine Familie bedrohten.

Mit Lumumbas Haft begann ein unerträgliches Martyrium von Qualen und Gewalt. Vor den Augen von Soldaten der UN-Blauhelmtruppen wurde Lumumba mit Gewehrkolben misshandelt. [19] Es folgte eine Haft unter Folter und grausamsten Bedingungen. Nachdem es am 13. Januar 1961 zu Meutereien von Soldaten gekommen war, sollte Lumumba verlegt werden. Auf Anordnung des letzten belgischen Kolonialministers d’Aspremont Lynden wurde er nach Katanga gebracht. Am 17. Januar zwischen 21:40 Uhr und 21:43 Uhr erfolgte die Exekution von Patrice Lumumba durch belgische Offiziere einer Sondereinheit. [20]

Was bleibt?

Im Jahr 1961 wird der CIA-Direktor Dulles zugeben, dass die USA die Gefahr durch Lumumba überschätzt hätten. [21] Selbstgefällige Worte – in Anbetracht eines Gewinnes von 24 Trillionen US-Dollar (dem geschätzten Wert der kongolesischen Ressourcen). Der Kongo wird nach Lumumbas Tod zwischen den stärksten multinationalen Konzernen aufgeteilt.

Lumumbas Erbe mahnt uns. Die Forderung einiger Progressiver, man könne völkerrechtsmaskierten Militäreinsätzen im Namen der UNO zustimmen, erscheint im Spiegel des Gewesenen provinziell und ignorant. Drum lasst uns nie vergessen: Vor 60 Jahren starb ein Held!

 

Anmerkungen:

[1]  Lumumba, SPEECH AT THE CEREMONY OF THE PROCLAMATION OF THE CONGO'S INDEPENDENCE, in: The Truth about a Monstrous Crime of the Colonialists, 1961, S. 44-47, S. 45.

[2]  Redaktion, Goldene Eier, DER SPIEGEL, Nr. 4/1967, S. 72.

[3]  Williams, Spies in the Congo, Public Affairs, 2016, S. 76–77, S. 289.

[4]  de Witte, Regierungsauftrag Mord, Leipzig 2001, S. 37.

[5]  Ibidem.

[6]  Ibidem.

[7]  Göbel/Schneider, Das Erbe der Kolonialgeschichte, DLF Kultur, 5.8.2020, abrufbar unter: www.deutschlandfunkkultur.de/belgien-und-kongo-das-erbe-der-kolonialgeschichte.979.de.html [20.12.2020].

[8]  UN, UN Operation in Congo, United Nations Archive, 2.6.2007, abrufbar unter: web.archive.org/web/20070702212648/http://www.un.org/Depts/dpko/dpko/timeline/pages/onuc.html [20.12.2020].

[9]  Vgl. de Witte 2001, S. 46-47.

[10]  Ibidem. 

[11]  Engler, How the UN and Canada colluded to Kill Lumumba, Pambazuka News, 14.7.2016, abrufbar unter: www.pambazuka.org/pan-africanism/how-un-and-canada-colluded-kill-lumumba [19.12.2020].

[12]  Ibidem.

[13]  de Witte/Legum, The Tragedy of Lumumba: An Exchange, The New York Review, 20.12.2001, abrufbar unter: www.nybooks.com/articles/2001/12/20/the-tragedy-of-lumumba-an-exchange/ [19.12.2020].

[14]  Shame, Memories of a C.I.A. Officer Resonate in a New Era, The New York Times, 24.2.2008, abrufbar unter: www.nytimes.com/2008/02/24/world/africa/24congo.html [18.12.2020].

[15]  Weissman, What Really Happened in Congo, Foreign Affairs, Vol. 93 (4), 7-8/2014, S. 14 -24, S. 16.

[16]  Ibidem, 15.

[17]  de Witte 2001, a.a.O., S. 97.

[18]  Ibidem.

[19]  de Witte 2001, a.a.O., S. 100.

[20]  de Witte 2001, a.a.O., S. 180-184.

[21]  Weissman 2014, a.a.O., S. 23.

 

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2020-11: Auch UN-Blauhelmmissionen sind keine Lösung

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