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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz für die Bundesrepublik 1948/49

Prof Dr. Siegfried Prokop, Bernau

 

Am 1. September 1948 fand im Museum Alexander Koenig in Bonn die Eröffnungsfeier des Parlamentarischen Rates statt. Die Festansprache hielt Karl Arnold (CDU), der gastge­bende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Ihm folgte die Rede von Ministerpräsi­dent Christian Stock (SPD), Vorsitzender der hessischen Ministerpräsidentenkonferenz.

Dass ein Parlamentarischer Rat eine Verfassung ausarbeiten sollte, hatten die elf west­deutschen Ministerpräsidenten bzw. Bürgermeister von Hamburg und Bremen am 13. August 1948 beschlossen. Die Entscheidung, dass Bonn der Standort – der »vorläufige Sitz der Bundesorgane« – sein soll, fiel am 11. Oktober 1948 auf einem vorbereitenden Verfassungskonvent in Düsseldorf der Innenminister bzw. der Innensenatoren. Vorar­beiten dafür, ein Grundgesetz als Verfassung auszuarbeiten, hatte vom 10. bis 23. August der Konvent von Herrenchiemsee im Auftrag der westlichen Alliierten geleistet.

Bonner Bundeshaus als Tagungsort

Die konstituierende Sitzung und alle weiteren Plenar- und Ausschusssitzungen fanden in der Pädagogischen Akademie, dem späteren Bundeshaus, statt. Konrad Adenauer (CDU) wurde zum Präsidenten und Adolf Schönfelder (SPD) sowie Hermann Schäfer (FDP) zu Vizepräsidenten gewählt. Die westlichen Besatzungsmächte unterhielten Ver­bindungsstäbe beim Parlamentarischen Rat.

Den 27 Sozialdemokraten standen 19 Vertreter der CDU und 8 CSU-Abgeordnete gegenüber. Beide Fraktionen der großen Parteien waren also gleich stark. Die Liberalen hatten fünf Mandate. Die Deutsche Partei, das Zentrum und die KPD verfügten über je zwei Sitze. Die CDU/CSU wählte gegen das Votum Konrad Adenauers für Adolf Süster­henn Anton Pfeiffer zum Vorsitzenden. Die Sozialdemokraten wählten Carlo Schmid zum Fraktionsvorsitzenden, der zur überragenden Figur im Parlamentarischen Rat auf­stieg. Die Liberalen wählten Theodor Heuss zum Fraktionsvorsitzenden, den späteren ersten Bundespräsidenten.

65 stimmberechtigte Abgeordnete der Westzonen, darunter nur vier Frauen und fünf nicht stimmberechtigte Abgeordnete aus West-Berlin gehörten dem Parlamentarischen Rat an. Er repräsentierte keineswegs »die Gesellschaft, für die er handelte.« [1] Das Durchschnittsalter der Abgeordneten war mit 56 Jahren hoch. Auch die Bildungs- und Berufsstruktur war außergewöhnlich: Zwei Drittel der Ratsmitglieder waren Landtagsab­geordnete, zwölf Minister oder Staatssekretäre. 61 Prozent der Abgeordneten gehörten dem öffentlichen Dienst an. Unter den Abgeordneten dominierten die Juristen, mehr als die Hälfte führten einen Doktortitel. Selbständige Berufe, Landwirte und Techniker waren schwach vertreten. [2] Dem Verfassungsparlament gehörte kein Arbeiter an.

Im Parlamentarischen Rat waren auch Abgeordnete vertreten, die in der Nazizeit unter Verfolgung, Berufsverboten und Inhaftierungen gelitten hatten. Fünf Abgeordnete waren in einem Konzentrationslager interniert. Einige Abgeordnete hatten ins Ausland fliehen müssen.

Andere Abgeordnete blickten auf einflussreiche Karrieren in der NS-Zeit zurück. Dazu gehörten der CDU-Abgeordnete Hermann von Mangoldt (Professor für öffentliches Recht), der Abgeordnete Höpker-Aschoff (Chefjurist der Haupttreuhandstelle Ost), der DP-Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm (Mitbegründer der Egerländer Bergbau AG, die als »Auffanggesellschaft« zur Übernahme »arisierten« Eigentums gegründet wurde), der Arisierungsexperte der Dresdner Bank Paul Binder (CDU) und der frühere SA-Ober­truppführer Adolf Blomeyer (CDU). [3]


Fraktionen im Parlamentarischen Rat

(Zahl der Abgeordneten - Partei)

27 - CDU/CSU

27 (nach einem Austritt nur 26) - SPD

5 - FDP/LDP/DVP

2 - KPD

2 - Deutsche Partei

2 - Zentrum

5 - Nicht stimmberechtigte West-Berliner Abgeordnete (SPD 3, CDU 1, FDP 1)

 

Am 12. Mai 1949 bewilligten die drei Militärgouverneure das Grundgesetz. Am 8. Mai 1949 wurde es mit 53 Ja-Stimmen und 12 Nein-Stimmen im Parlamentarischen Rat beschlossen. Die Gegenstimmen stammten von der KPD und der CSU. Die Ratifizierung erfolgte am 18. und 21. Mai 1949 mit Zweidrittelmehrheit der Landtage. Der Bayrische Landtag stimmte mehrheitlich gegen das Grundgesetz, da es ihm zu wenig föderalis­tisch erschien. Dies erfolgte unter der Maßgabe, das Grundgesetz anzuerkennen, falls zwei Drittel der Bundesländer es ratifizieren würden, was auch geschah. Der Rechtsset­zungsprozess wurde am 23. Mai 1949 mit der Verkündung des Grundgesetzes beendet. Die vorgesehene Volksabstimmung fand nie statt. Die Abgeordneten der KPD stimmten gegen das Grundgesetz mit folgender Begründung: Das Grundgesetz sei die Spaltungs­urkunde Deutschlands. Es sei aus einem einseitigen und im Widerspruch zu den Pots­damer Verpflichtungen ergangenen Befehl der westlichen Besatzungsmächte hervorge­gangen. Die im Grundgesetz verkündeten Rechte gingen den Kommunisten nicht weit genug. Es fehlten die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte und ihre Einklagbarkeit. Max Reimann versagte die Unterschrift unter das Grundgesetz mit fol­genden Worten: »Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidi­gen werden, die es angenommen haben.« [4]

Für Akzeptanz und Stabilität wurde gesorgt

Mit dieser Positionierung blieben jedoch die Kommunisten in einer Minderheitenposition. Die Mehrheit der westzonalen Bevölkerung tolerierte und akzeptierte die restaurativen Grundzüge ihres Systems, weil neue Momente ins Spiel gebracht wurden. Es erfolgte die Abwendung vom »preußisch-deutschen Sonderweg«. Bedeutsam war die Hinwendung zu einer gesellschaftspolitischen »Westorientierung«, die Hoffnungen und Erwartungen neuer Art weckte. Der Kapitalismus präsentierte sich jetzt als »soziale Marktwirtschaft« mit dem Slogan Ludwig Erhards »Wohlstand für alle!« Mit Hilfe der westlichen Besat­zungsmächte war eine erneute Parteienzersplitterung verhindert worden. Es gab keine mit der Ablehnung der Weimarer Republik durch Adelskaste, führende Militärs, Justiz und breite Kreise des Bürgertums vergleichbare Ablehnung der Bundesrepublik.

Der Parlamentarische Rat vertrat in seiner Mehrheit entschieden das System einer repräsentativen Demokratie. Es wurde aber auch da für Sicherungen gesorgt, wo Miss­trauen gegenüber diesem System existierte. Die »klassischen« Grundrechte wurden mit einer besonderen Schutzmauer umgeben, damit sie nicht selbst bei einer Zweidrittel­mehrheit zur Disposition gestellt werden konnten. Artikel 19 bestimmte, dass in keinem Fall der Wesensgehalt der Grundrechte eingeschränkt werden darf, auch nicht durch eine verfassungsändernde Mehrheit, was die Weimarer Verfassung zuließ. Artikel 1 des GG bestimmte, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Nach Absatz III dieses Artikels binden die nachfolgenden Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Unantastbar sind auch die Grundsätze des Artikels 20: Gewaltentei­lung, demokratischer und sozialer Bundesstaat, Gliederung des Bundes in Länder und deren Mitwirkung an der Gesetzgebung. Artikel 79 III war eine »Ewigkeitsentscheidung« für das Provisorium. Nach Artikel 146 konnte nur eine Entscheidung einer gesamtdeut­schen Nationalversammlung daran etwas ändern. Die Regierung Kohl brach 1990 die­sen Grundsatz, um nach Artikel 23 den Anschluss der DDR bewerkstelligen zu können. Zahlreiche Änderungen machten das GG zu einem Flickenteppich. Sie sind kaum noch zu überblicken. [5]

Misstrauen gegenüber dem demokratischen System zeigte der Parlamentarische Rat auch durch die Einsetzung eines Bundesverfassungsgerichts zur Kontrolle von Regie­rung, Gesetzgebung und Rechtsprechung. Volksbegehren und Volksentscheide, wie sie in der Weimarer Republik praktiziert wurden, vermied der Parlamentarische Rat, indem er sich darauf berief, eine Radikalisierung vermeiden zu wollen. Am 8. Mai 1949 wurde auf Antrag der SPD mit 49:1 Stimmen der Antrag angenommen, Schwarz-Rot-Gold für die Gestaltung der Flagge zu nehmen. Eine Entscheidung zur Nationalhymne wurde im Grundgesetz nicht getroffen. Das Deutschlandlied durfte gemäß den Besatzungsvor­schriften nicht mehr intoniert werden. Als Parodie auf die fehlende Hymne wurde häu­fig der 1948 entstandene Karnevalsschlager »Wir sind die Eingeborenen von Trizone­sien« gesungen. 1952 entschied ein Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Konrad Ade­nauer und dem Bundespräsidenten Theodor Heuss über die Notlösung, dass die dritte Strophe des Deutschlandliedes die Nationalhymne der Bundesrepublik ist. Wie proble­matisch selbst die dritte Strophe ist, darauf wies Wolfgang Harich im Mai 1994 im Berli­ner Ensemble hin. Nachdem er zusammenfassend die erste und zweite Strophe eine »monströse Peinlichkeit« genannt hatte, führte er aus: »Die dritte allenfalls ist harmlo­ser, aber nur deswegen, weil sie, wie ich meine, aus abstrakten Phrasen besteht, und hat doch auch ihr Bedenkliches, denn es heißt eben nicht, Einigkeit und Recht und Frei­heit in dem deutschen Vaterland, sondern für das deutsche Vaterland – ein Unter­schied, der mich jedenfalls bedenklich stimmt.« [6] Die Chance, den großartigen Brecht­schen Text für die Nationalhymne zu nehmen, den der Dichter bescheiden als »Kinder­hymne« in seine Sammlung der Kinderlieder eingliederte, wurde von der konservativen Politik bisher verhindert. Auch der Verfassungsentwurf des Runden Tisches der DDR wurde bei der Herstellung der deutschen Einheit 1990 ignoriert.

Am 14. August 1949 fanden Wahlen zum Bundestag statt, in dem die CDU mit 139 Abge­ordneten, die SPD mit 131, die FDP mit 52, die Deutsche Partei und Bayernpartei mit je 17, die KPD mit 15 und das Zentrum mit 10 Abgeordneten vertreten waren. Konrad Ade­nauer, CDU, wurde mit einer Stimme Mehrheit, seiner eigenen, im September vom Bun­destag zum Bundeskanzler gewählt. Die Regierung der UdSSR protestierte in drei gleich­lautenden Noten an die Westmächte gegen die Bildung des Westzonenstaates und seiner Separatregierung. Damit sei in Deutschland eine neue Lage entstanden. 

 

Anmerkungen:

[1] Theodor Eschenburg: Jahre der Besatzung 1945-1949. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 1, Stuttgart/Wiesbaden 1983, S. 486.

[2] Vgl. Michael F. Feldkamp: Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, die Entstehung des Grundgesetzes. mit einem Geleitwort von Bundestagspräsident Norbert Lammert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-01366-3, S. 231 (überarbeitete Neuausgabe).

[3] Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Parlamentarischer_Rat.

[4] Max Reiman: Entscheidungen 1945-1956. Frankfurt a. M. 1973.

[5] Vgl. Wissenschaftliche Dienste. Änderungen des Grundgesetzes seit 1949. Steffi Menzenbach, Anja Netterscheidt, Maren Beckebanze, Lena Kuhn. 2009 Deutscher Bundestag. WD 3-380/09.

[6] Schlusswort Wolfgang Harich und Brecht-Ehrung, in: Duell im Dunkeln – Spionage und Gegenspionage im geteilten Deutschland. Veranstaltung der Alternativen Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte am 29. Mai 1994 im Berliner Ensemble. IK-KORR Spezial Nr. 3, Berlin 1994, S. 23.

 

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