Der Kampf Ernst Schnellers
Eberhard Butter, Berlin
Zu seiner Ermordung vor siebzig Jahren
»Wegen versuchter Meuterei und Aufwiegelung« sei er am 11. Oktober erschossen worden, so die Antwort der Lagerführung des KZ Sachsenhausen an Hilde Schneller, die sich im November 1944 dort nach dem Schicksal ihres Mannes erkundigte. Die Mörder wiesen auf die mögliche Beurkundung seines Todes im Standesamt Oranienburg gesondert hin.
Nach elf Jahren ununterbrochener Haft nacheinander im Untersuchungsgefängnis Moabit in Berlin, im KZ Sonnenburg, im Zuchthaus Waldheim und im KZ Sachsenhausen ermordeten die Faschisten einen der bedeutendsten Führer der KPD und der internationalen Arbeiterbewegung.
Mit ihm starben nach schrecklichen Misshandlungen 26 Mitgefangene aus dem sogenannten »Isolierblock 58« des KZ. Es waren 23 deutsche und 3 französische Kommunisten, unter ihnen Matthias Thesen, Gustl Sandtner, Rudolf Mokry, Heinz Bartsch, André Bergeron, Erich Boltze, Benoit Marceau, Roger Robiné, Hanns Rothbarth, Siegmund Sredzki, Ludger Zolikofer …
Faschistische Furcht und sächsische Reaktion
Diese Mordserien nach Listen und persönlichen Befehlen Hitlers, wie im Falle Ernst Thälmanns, waren auch Ausdruck eines letzten Kampfes der Faschisten gegen einen Gegner, der ihnen unter ungeheuren Opfern am konsequentesten widerstanden hatte - die KPD. Ihre führenden Funktionäre sollten an einer Nachkriegsordnung keinen Anteil mehr haben können. Die antifaschistischen programmatischen Vorstellungen der illegalen KPD dafür waren den Faschisten bekanntgeworden. [1]
Anlass dieser Morde im Herbst 1944 in Sachsenhausen war die Befürchtung von SS und Gestapo, dass von diesem Lager mit Zehntausenden Gefangenen, auch internationalen Militärangehörigen, darunter viele sowjetische, eine Gefahr für das nahegelegene faschistische Führungszentrum Berlin ausgehen könne. Auch war ihnen das Wirken internationaler Hilfsaktionen im Lager bekanntgeworden. Die eigentliche Widerstandsorganisation, zu deren Leitung Ernst Schneller und der gefangene sowjetische General Alexander Sotow gehörten, konnte aber, trotz eines von Himmler beauftragten Sonderkommandos, nicht zerschlagen werden. Ebenfalls blieb seine Mitgliedschaft in der illegalen Leitung der KPD im Lager den Faschisten verborgen.
Offensichtlich waren seine politische Biografie, Intellektualität und Popularität bei den Mitgefangenen ausreichend für die Furcht der Faschisten und seine Ermordung.
Ernst Schneller wurde am 8. November 1890 in Leipzig-Eutritzsch als sechstes Kind eines Eisenbahners, der 1895 tödlich verunglückte, geboren. In seinem 15. Lebensjahr beginnt er eine Ausbildung als Lehrer im Seminar zu Grimma und ist ab 1911 als Hilfslehrer in Kirchberg/Erzgebirge tätig, wo er im vertrauensvollen Kontakt mit Schülern und Eltern auch Einblick in die sozialen Milieus des kaiserlichen Deutschlands erhält. Nach kurzer Tätigkeit als Lehrer in Leipzig Anfang 1914 muss er am I. Weltkrieg teilnehmen, ab 1916 als Leutnant, und kommt 1917 an der Ostfront mit Bolschewiki in Berührung. Ihr politischer Kampfgeist prägt ihn nachhaltig.
Als Besatzungsoffizier in der Ukraine wird er Zeuge der Ausplünderung des Landes und der Unterjochung seiner Bevölkerung durch die kaiserliche deutsche Armee. [2] Ende 1918 wählten ihn die Soldaten in den Soldatenrat seines Regimentes, das er dann auch nach Deutschland zurückführt.
Danach nimmt er seine Lehrertätigkeit in Schwarzenberg/Erzgebirge wieder auf und tritt 1919 der SPD bei. Im März 1920 hatte er zusammen mit Paul Günther von der KPD einen Aktionsausschuss gegen die Kapp-Putschisten gegründet. Diese Erfahrung führt zu seinem Eintritt in die KPD im selben Jahr, und er wird Mitglied ihrer Unterbezirksleitung Schwarzenberg-Lauter-Aue. Als Nachfolgekandidat tritt er im Frühjahr 1921 in die KPD-Fraktion des Sächsischen Landtages ein, wo seit 1920 die beiden Arbeiterparteien Stimmenmehrheit besaßen. Schnell wächst seine Popularität bei den Arbeitern und bei seinen Schülern und ihren Eltern.
Deshalb ist er bald den Angriffen reaktionärer bürgerlicher Kräfte und rechter Sozialdemokraten ausgesetzt. Aus einem Geheimbericht des Polizeipräsidiums Dresden ging hervor, dass er eine »ungeheure Gefahr ständiger Beunruhigung« bilde, »da ein großer Teil der Arbeiterschaft diesem fanatischen … Führer blindlings folgt.« [3] Auch Hetzplakate zu seiner persönlichen Diffamierung gehörten zum Arsenal der sächsischen Reaktion. Einen Höhepunkt erreichte die Hetze nach seiner Rede im Landtag zur Begründung des Antrages seiner Partei am 4. Oktober 1921, aus Staatsmitteln eine Spende von 250.000 Mark für die notleidenden Bürger Sowjetrusslands bereitzustellen. Eine langanhaltende Dürre 1921, der Krieg von 1914 bis 1917, der Bürgerkrieg und die Blockaden der westlichen imperialistischen Mächte hatten in weiten Teilen Sowjetrusslands und der Sowjetukraine zu einer Hungersnot geführt.
Gefürchtet sind auch seine Reden zu einer sozialistischen Kultur-und Schulpolitik, deren humanistischer Mission er aber im bürgerlichen Staat keinen Raum gibt. Er galt als führender Schulpolitiker der jungen KPD.
Für die Einheitsfront
Die Erfahrungen aus dem Kapp-Putsch, den Ruhrkämpfen 1920 und 1923, die wachsende faschistische Gefahr und die allgemeine politische und ökonomische Krisensituation waren wesentlich für die Bildung der »Proletarischen Hundertschaften«, vor allem in Sachsen und Thüringen. Die herrschende Klasse, die stets bewaffnet ist, müsse an der Ausübung physischer Gewalt gehindert werden, äußerte Ernst Schneller einmal sinngemäß. Die Mitglieder der Hundertschaften (auch als »Selbstschutzorganisation der Arbeiter« bezeichnet) waren Anhänger und Mitglieder von KPD, SPD und der »Freien Gewerkschaften«. Ihre Zahl wurde auf 50.000 bis 60.000 Mitglieder geschätzt. [4] An der militärischen Organisation, Ausbildung und politischen Erziehung der Hundertschaften hatte Ernst Schneller einen bedeutenden Anteil. Vorsitzender des Ständigen Militärischen Rates der KPD wird er 1923 und - nach Verbot der Hundertschaften und seiner vorübergehenden Verhaftung - erfolgt seine Berufung in die Bundesleitung des »Roten Frontkämpferbundes« (RFB). Ende 1924 verliert er sein Lehramt in Schwarzenberg durch Amtsenthebung. Die Familie übersiedelt 1925 nach Berlin, wo er 1925 und 1927 in das Zentralkomitee gewählt wird, und von 1924 bis 1928 war er Mitglied des Politbüros und Sekretär des Zentralkomitees an der Seite Ernst Thälmanns, Wilhelm Piecks und Walter Ulbrichts.
Ende 1924 wählt man ihn in den Reichstag, dem er bis März 1933 angehört, wo er u.a. 1925 den Antrag seiner Partei zur Enteignung der Fürsten begründet und die Geheimrüstungen der deutschen Wirtschaft entlarvt. Auf dem VI. Weltkongress der Komintern 1928 wird er in dessen Sekretariat gewählt. Die politische Leitung der Reichsparteischule »Rosa Luxemburg« bei Berlin übt er von 1929 bis 1932 aus.
In seinen Funktionen als Militärpolitiker der Partei wendet er sich auch an Angehörige der Reichswehr und Polizei, um sie für den Kampf gegen die Reaktion und den Faschismus zu gewinnen. Nach dem Überfall von Abgeordneten der NSDAP auf Abgeordnete der KPD im Reichstag im Mai 1932 wird Ernst Schneller mit dem Aufbau der »Antifaschistischen Aktion« beauftragt, die als Einheitsfront aus Arbeitern, Arbeitslosen, Beamten, Bauern und Intellektuellen den Terror der Faschisten zurückdrängen und ein gemeinsames Vorgehen beider Arbeiterparteien zur Grundlage haben sollte. Sie trug auch dazu bei, dass die Nazis bei der Reichstagswahl im November 1932 zwei Millionen Wählerstimmen verloren und die profaschistische Papenregierung stürzte. [5]
Ernst Schneller sieht seinen Vorsitzenden Ernst Thälmann am 7. Februar 1933 ein letztes Mal in Ziegenhals. Zusammen u.a. mit Walter Stoecker, Ernst Grube, Egon Erwin Kisch, Erich Mühsam, Ludwig Renn und Carl von Ossietzky [6] wird er am 28. Februar 1933 verhaftet, am Himmel noch der Rauch aus der Ruine des Reichstages.
In einer Vielzahl von Städten der DDR wurden Schulen und Straßen nach ihm benannt, ein Kinderheim in Eilenburg und in Zwickau die Pädagogische Hochschule. Es gab einen Seekreuzer der Gesellschaft für Sport und Technik und eine von ihr verliehene Medaille mit seinem Namen. Das Fernsehen der DDR drehte einen Film über seine Biografie.
Vor dem Reichstag in Berlin wird er auf einer der 96 Gedenktafeln für die von den Faschisten ermordeten Reichstagsabgeordneten geehrt.
Anmerkungen:
[1] Dazu gehört u.a.: Das Dokument der operativen Leitung der KPD »Wir Kommunisten und das Nationalkomitee ›Freies Deutschland‹«. Es wurde von Franz Jacob und Anton Saefkow erarbeitet und auf geheimem Weg Ernst Schneller und seinen Genossen in Sachsenhausen zur Beratung und Ergänzung zugeleitet.
[2] Als eine Folge des Friedensvertrages von Brest-Litowsk besetzten die deutschen Truppen auch die Ukraine.
[3] Wolfgang Kießling: Ernst Schneller Eine Biographie S. 50, Verlag Zeit im Bild Dresden 1977.
[4] Ronald Friedmann: Der »Deutsche Oktober«, Disput, Oktober 2013.
[5] Siehe auch Heinz Karl in Mitteilungen 5 und 12/2012.
[6] Ermordet oder an Haftfolgen verstorben am: Walter Stoecker 10. März 1939; Ernst Grube 17. April 1945; Erich Mühsam 10. Juli 1934; Carl v. Ossietzky 4. Mai 1938.
Mehr von Eberhard Butter in den »Mitteilungen«:
2014-03: Paul Eisenschneider und seine Tochter Elvira wurden vor 70 Jahren ermordet
2013-12: Vor 70 Jahren wurden Charlotte und Erich Garske ermordet