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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»Der Feind steht rechts« – eines seiner Opfer: Walther Rathenau

Prof. Dr. Manfred Weißbecker, Jena

 

»Dem Rathenau, dem Walter
blüht auch kein hohes Alter.«

»Haut immer feste auf den Wirth!
Haut seinen Schädel, dass es klirrt!
Knallt ab den Walther Rathenau,
die gottverfluchte Judensau!«

Unzählige Sprüche solcher Art waberten in den frühen 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts durch Deutschland, ersonnen von strikten Gegnern der Revolution des Jahres 1918 und der Weimarer Republik, verbreitet von völkisch-antisemitischen Zeitungen, leichthin aufgegriffen an zahlreichen bierseligen Stammtischen (deren geistige Armseligkeit sich heute in den sogenannten sozialen Medien breit macht). Damals verwandelte sich solcher Ungeist in blutigen Ernst. Nationalistisch-rechtsextreme Organisationen hatten sich vorgenommen, mit allen Mitteln und koste es was es wolle, das junge und ihnen zutiefst verhasste, weil aus dem Novemberumsturz hervorgegangene parlamentarisch-demokratische System aus den Angeln zu heben. Ihren Zielen zuliebe setzten sie unentwegt den verlorenen Weltkrieg als Bürgerkrieg fort. Verbrechen zu begehen galt ihnen als sinnerfüllte Heldentat in den Auseinandersetzungen mit innenpolitischen Gegnern; sie wollten ein entschiedener Feind sowohl der beiden großen Arbeiterparteien und der Gewerkschaften als auch aller jener bürgerlichen Kräfte sein, die für eine demokratische Verfasstheit des Staates und für die Überwindung des Versailler Friedens durch Verhandlungen mit den Siegern eintraten.

Bluttaten gegen Führer der Arbeiterbewegung

Tausende Arbeiter, gleich ob sie für bessere Lebensbedingungen streikten oder für eine Sozialisierung der Schlüsselindustrien eintraten, gleich ob sie den Weimarer Staat verteidigten oder eine sozialistische Gesellschaft erkämpfen wollten, fielen diesem Terror der Rechten zum Opfer. Spektakuläre Bluttaten richteten sich gegen ihre Führer: Dies begann, als Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von einer barbarischen Soldateska am 15. Januar 1919 regelrecht hingerichtet worden waren, und setzte sich fort mit der Ermordung von Leo Jogiches, der nach dem Tode der beiden die Leitung der KPD übernommen hatte. Neben Eugen Leviné kamen Anfang Mai 1919 viele andere als Funktionäre und Anhänger der zeitweilig in München errichteten Räterepublik gewaltsam zu Tode. Im Frühjahr 1920 forderte die Niederschlagung der gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch gerichteten Aktionen ebenfalls zahlreiche Opfer.

Im Jahr darauf erhob sich erneut eine große Welle rechtsradikaler Terroraktionen. Sie traf Anfang Juni 1921 den bayerischen USPD-Führer Karl Gareis und am 26. August Matthias Erzberger, der bei einer Wanderung im Schwarzwald von zwei ehemaligen Offizieren erschossen wurde. Das Attentat galt weniger dem amtierenden Reichsfinanzminister, vielmehr dem Politiker aus der großbürgerlich-katholischen Zentrumspartei, der im November 1918 als Zivilist couragiert genug gewesen war, einen Waffenstillstand zu unterzeichnen, den die Oberste Heeresleitung zwar gefordert hatte, aber selbst zu unterschreiben geschickt vermieden hatte. Hugo Haase, der Vorsitzende der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei erlag im November 1921 einem Mordanschlag. Am 4. Juni 1922 wurde auf den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann ein Blausäure-Attentat verübt, das er nur dank glücklicher Umstände überlebte.

Terroristischer Ungeist

Unverblümt riefen im Frühjahr und im Sommer 1922 nationalistische Zeitungen zu weiteren Morden auf. In ihr Visier gerieten nun vor allem Walther Rathenau, der im Februar 1922 in das Amt des Außenministers eingeführt worden war, und Reichskanzler Joseph Wirth. Beide hatten maßgeblich den Vertrag von Rapallo vorbereitet und durchgesetzt, der im April mit Sowjetrussland geschlossen wurde und die internationale Isolierung beider Länder aufbrechen half, jedoch allen nationalistischen und antikommunistischen Kreisen ein Dorn im Auge war. Übrigens: Dies ist er auch heute noch, denn Rapallo – eigentlich ein Begriff, der generell für normale, friedliche und beiderseitigem Nutzen dienende Beziehungen zwischen Ost und West steht – wird gehasst von jenen NATO-Kräften, die Deutschland lediglich in das sogenannte Lager des Westen eingebunden sehen wollen, die eine russlandfeindliche Politik betreiben und sich dazu auch schlimmster Russland-Phobien bedienen. Leider ist gegenwärtig von einem vernünftigen Verhältnis zu Russland weit und breit wenig zu bemerken – eher Gegenteiliges, Hasserfülltes und Verdammendes, auf jeden Fall Einseitiges. Dem steht u.a. die klare Aussage des Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt entgegen, die er den regierenden Politikern gleichsam ins Stammbuch schrieb: »Russland ist der größte Partner und der mächtigste Nachbar in Europa. Ohne Russland kann es in Europa keinen Frieden geben.« [1]

Damals galt Rathenau der völkischen Rechten nicht allein als »Freund« der russischen Bolschewisten, mehr noch als Inkarnation der verhassten »Judenrepublik«. Deutschnationale Reichstagsabgeordnete scheuten nicht vor der Forderung zurück, die deutsche Regierung müsse vor dem Staatsgerichtshof angeklagt werden, weil sie eine zu nachgiebige und daher »verbrecherisch« zu nennende Politik gegenüber den Siegermächten des Krieges betreiben würde. Mit einem solchen Appell war der Bankier Karl Helfferich – während einiger Jahre vor dem Ende des Ersten Weltkrieges Vizekanzler und nun einer der führenden deutschnationalen Politiker – am 23. Juni 1922 im Reichstag aufgetreten. Am Morgen des nächsten Tages wurde Rathenau ermordet, als er im offenen Wagen durch Berlin-Grunewald fuhr, um ins Auswärtige Amt zu gelangen. Ein anderes Auto hatte ihn verfolgt und in dem Moment, da sich beide Wagen auf gleicher Höhe befanden, fielen fünf Schüsse, eine Handgranate explodierte.

Der Anschlag war von langer Hand vorbereitet worden. In welchen politischen Kreisen die Mörder zu suchen waren, konnte jeder wissen. Nach einer reichsweiten Fahndung stellte die Polizei schließlich am 17. Juli zwei der Täter: Erwin Kern und Hermann Fischer. Den einen trafen tödliche Schüsse der Verfolger, der andere nahm sich das Leben. Alle Spuren führten zur Organisation Consul (OC), die im Mai 1920 aus der am Kapp-Lüttwitz-Putsch aktiv beteiligten und danach verbotenen Marinebrigade des Kapitäns Hermann Ehrhardt hervorgegangen war. Diese geheime Terror- und Femeorganisation hatte sich die Sammlung von »entschlossenen nationalen Männern« zum Ziel gesetzt, bereit zu Mordtaten und putschistischen Aktionen. In ihren Satzungen umschrieb sie diese als unumgänglich für die »Einsetzung einer nationalen Regierung«, welche die »Wiederkehr der heutigen Verhältnisse unmöglich« mache. Auch die Mörder Rathenaus kamen aus der OC, aus einer von vielen völkisch-rassistischer Organisationen, die allesamt den Boden für die Ausbreitung der faschistischen Bewegung bereiten halfen.

Rathenaus Tod rief Erschütterung und Empörung hervor. Als der Reichstag sich am 24. und 25. Juni versammelte, um über den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Republik zu debattieren, stieß die Nachricht von der neuerlichen Untat auf Entrüstung und Protest der parlamentarischen Mehrheit. Den deutschnationalen Karl Helfferich empfingen mehrere Abgeordnete mit dem Ruf »Mörder, Mörder, hinaus mit dem Mörder«, anderen Mitgliedern der rechten Parteien wurden sogar Schläge angedroht. In dieser gespannten Situation hielt Wirth eine leidenschaftliche, von tiefer Trauer erfüllte Rede, an deren Ende er – auf die rechte Seite des Plenums schauend – erklärte: »Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt: Da steht der Feind - und darüber ist kein Zweifel, dieser Feind steht rechts.« Rhetorisch brillant und von unerhörter Wirkung stellte sie zweifellos einen der Höhepunkte in der Geschichte deutscher Parlamente dar.

Der Feind steht rechts!

Zwar war nicht neu, was Wirth formuliert hatte, doch dass er es als bürgerlicher Politiker und als Reichskanzler aussprach, verlieh dem Wort bedeutungsvolles Gewicht. Der Feind steht rechts – Erkenntnis und Formulierung gehörten damals in den Reihen der proletarischen Bewegungen zu selbstverständlicher Gewissheit. Und Wirth stand auch im Lager republikanischer Demokraten nicht allein – das bewies u.a. Hugo Preuß, der 1918/19 großen Anteil an der Ausarbeitung der Weimarer Verfassung genommen hatte und 1924 als Erbübel, Schwäche und Kurzsichtigkeit des deutschen Bürgertums kritisierte, dass es leider dazu neige, »die Gefahren von links mit einem Vergrößerungsglas und aus Furcht vor diesen Gefahren die von rechts gar nicht zu sehen.« [2]

Unterschätzte Gefahren

Seither besagt eine der bittersten, leider oftmals unberücksichtigten Erfahrungen deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert: Wer damals, in jenen Jahren der Weimarer Republik, das Potential der Rechtesten unter den Rechten zu nutzen versucht hatte, half entscheidend es zu fördern. Insbesondere die Duldung und Unterstützung chauvinistischer und rassistischer Forderungen, der Versuch, sie zu legalisieren und – je nach Möglichkeit und Erfordernis – für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, erhoben den sich braun färbenden Rand der Gesellschaft in den Rang von Normalität. Tagespolitische Einträglichkeit wurde zum obersten politischen Prinzip erhoben und ließ schließlich die vielgerühmte »Mitte« der Gesellschaft zum opferwilligen Spielball selbstzerstörerischer Absagen an jegliche Form von Demokratie werden. Wer seine Gegner hauptsächlich unter den deutschen Linken, unter Antifaschisten aller Richtungen sah, stärkte den Rechten den Rücken, der erleichterte die schrittweise Hinwendung nach rechts und lieferte zugleich Munition für die zahllosen Argumente, mit denen Gefahren kleingeredet und unterschätzt wurden. Die Folgen sind bekannt ...

Prof. Dr. Weißbecker publizierte vor fünf Jahren in den »Mitteilungen«: »Walther Rathenau – Opfer deutscher Terroristen«, Juni 2012, S. 11-14.

 

Anmerkungen:

[1]  Helmut Schmidt: Er wagt die Wahrheit. In: Die Zeit, 1. April 2015, S. 45.
[2]  Hugo Preuß: Um die Reichsverfassung von Weimar, Berlin 1924, S. 72.

 

Mehr von Manfred Weißbecker in den »Mitteilungen«: 

2014-09: Die lange Vorkriegszeit

2012-06: Walther Rathenau - Opfer deutscher Terroristen

2010-06: Das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935 und seine lange Vorgeschichte