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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»Das Politbüro der DDR vor Gericht«

Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolff im Interview

 

Was machte der Rechtsstaat mit dem sogenannten Unrechtsstaat?

Frage: Das ist ein dickes Buch, kann es ein juristischer Laie überhaupt lesen und verstehen?

Antwort: Zum Teil nein, zum Teil ja. Die juristischen Texte wie Anklagen, Urteile und Beschlüsse werden für den Laien zu einem großen Teil unverständlich und wegen ihrer Länge auch ermüdend sein. Dies gilt besonders für Leser, die in der DDR gelebt haben. Dort waren die Juristen bemüht, sich allgemeinverständlich auszudrücken. Die Justiz wollte und sollte volksnah sein. Deswegen trugen Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte anfangs keine Roben. Wohl auch typisch, dass man das zuletzt wieder einführen wollte. Verständlich ist schließlich alles, was die Angeklagten sagten. Und das ist vielleicht für Geschichtsinteressierte von Bedeutung.

Frage: Das Buch ist sehr lang, könnte es nicht kürzer sein?

Das könnte es wohl, aber ich fürchtete, kritische Leser würden argwöhnen, dass ich parteiisch gekürzt hätte. Deswegen hätte es auch länger sein können, wenn ich z.B. alle Urteile ungekürzt wiedergegeben hätte. Als ich die Bundesjuristerei kennenlernte, war ich verwundert über die Länge der Verteidigerschriftsätze und die Länge von Anklagen und Urteilen. Früher, als ich noch studierte, das war in den Jahren 1946-1949, galten Kürze und Prägnanz als juristische Tugenden. Das ist vorbei, die Computer sind vielleicht daran mitschuldig.

Frage: Was haben die Politbüromitglieder verbrochen, was wurde ihnen vorgeworfen?

Das ist interessant. In der DDR ging es vor allem um Privilegien, um Amtsmissbrauch, was juristisch Vertrauensmissbrauch und Untreue genannt wird. Das waren z.B. Datschen, Jagdgebiete, Westwaren für Ostgeld. Ein Vorsitzender Richter am Berliner Landgericht hat über einen derartigen Vorwurf sogar einmal geurteilt, das sei nicht strafbar, das sei überall so, auch in der BRD. Die Toten an der Mauer wurden den Mitgliedern des Politbüros erst ab August 1990 vorgeworfen, also nachdem die DM in der DDR eingeführt worden war und die DDR damit ihre Souveränität verloren hatte. Jedenfalls spielten die sogenannten Privilegien in den Politbüroprozessen keine Rolle mehr. Den Vorwurf der Korruption gab es übrigens überhaupt nicht.

Frage: Wie kamst Du überhaupt auf den Gedanken, eine solche Dokumentation herauszugeben?

Der Gedanke kam mir erst sehr spät. Nachdem ich meine Anwaltstätigkeit beendet hatte, das war am 31. Dezember 2010, sah ich mich umgeben von großen Mengen alter Akten. Ich habe den Faible, Schriftliches von einiger Bedeutung aufzuheben, Briefe, Zeugnisse und eben auch Akten. Was sollte ich damit jetzt machen. Einfach in den Müll kippen erschien mir unangezeigt. Alles schreddern sehr mühselig oder kostspielig. Ich kam zu keinem Entschluss. Doch beim Betrachten der vielen Honecker-Akten kam mir der Geistesblitz, wer hat eigentlich einmal gezeigt, wie die Bundesrepublik mit denjenigen umging, die sie DDR-Machthaber nannten. Die einzelnen Urteile wurden zwar immer groß aufgemacht publiziert, doch das waren jedes Mal Einzelergebnisse. Was machte der Rechtsstaat mit dem Unrechtsstaat? Das erschien mir bedeutsam.

Frage: Wie erscheinen die Urteile in den Dokumenten? Rechtsstaatlich?

Das zu beurteilen überlasse ich dem Leser. Er kann die Urteilsbegründungen, die ungekürzt sind, studieren und er kann sehen, dass die einzelnen Gerichte das Verhalten aus unterschiedlichen Gründen für strafbar hielten. Das ging so durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der das ausdrücklich feststellte. Also die Gründe für die Verurteilungen waren verschieden, doch schuldig wurden die Angeklagten von jedem Gericht gesprochen, wenn man von der Ausnahme des Freispruchs im Verfahren gegen Häber, Böhme und Lorenz absieht. Doch der BGH hob den Freispruch auf. Der Leser erfährt also, dass die Mitglieder des Politbüros nach DDR-Recht Mörder, nach bundesdeutschem Recht Totschläger waren. Er erhält aber auch die Möglichkeit, die abweichenden Meinungen über die juristische Bewältigung der DDR-Vergangenheit von über 50 Rechtsprofessoren sowie anderer Persönlichkeiten kennenzulernen. Sie wurden nur in der juristischen Fachpresse veröffentlicht und werden den meisten Deutschen deswegen unbekannt geblieben sein.

Frage: Berichtet die Dokumentation nur von Strafverfahren?

Nein, den Politbüromitgliedern wurden, soweit sie ihre Ersparnisse bei der Sparkasse im Gebäude des ZK eingezahlt hatten, diese Gelder entzogen. Der Leser erfährt auch, wieviel Ersparnisse es waren und er kann Vergleiche ziehen. Er erfährt nicht, wie ihre Renten gekürzt wurden, aber das weiß er. Nur vom Entzug der Entschädigungsrente für Gefängnis- und KZ-Aufenthalte wird er unterrichtet.

Frage: Die Einstellung des Verfahrens gegen Erich Honecker wegen seines Krebsleidens war doch human?

Ja, das war human. Der Leser erfährt jedoch die Vorgänge davor und danach, wie in Russland der Krebs erst richtig festgestellt und dann unrichtig negiert wurde. Wie in dem Krankenhaus der Vollzugsanstalten in Berlin-Moabit sofort wieder der Leberkrebs diagnostiziert wurde, wie dennoch die Verhandlung mit dem Schwerkranken weitergeführt wurde bis der Berliner Verfassungsgerichtshof dem Prozess wegen Verletzung der Menschenwürde ein Ende bereitete und weiter, wie danach von Staatsanwälten versucht wurde, die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu umgehen, das, so scheint mir, ist eine Veröffentlichung wert. Die Dokumente geben aus meiner Sicht der Rechtswissenschaft ein ehrenvolles Gedenken wie auch einigen Richterpersönlichkeiten, und sie zeigen DDR-Genossen, die in der Niederlage ihre Gesinnung nicht verrieten, wie auch andere.

 

Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis

(die Seiten 127-207 von 1116 Seiten betreffend): Abschnitt II: Die rechtliche Verfolgung von Politbüromitgliedern in der BRD; Kapitel 5: Die strafrechtliche Verfolgung von Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph, Heinz Keßler, Fritz Streletz, Hans Albrecht:

  1. 14.12.1990 Beschluss des Landgerichts (LG) Berlin zur Fortdauer der U-Haft Honeckers 127
  2. 06.03.1991 Kammergericht verwirft Honeckers Haftbeschwerde 135
  3. 21.10.1991 Presseerklärung Erich Honeckers (unveröffentlicht) 153
  4. 12.02.1992 Auszug aus Honeckers Krankengeschichte (Spezialpoliklinik Moskau) 157
  5. 03.03.1992 Untersuchungsergebnisse der Spezialpoliklinik Moskau (russisches Original) 159
  6. 03.03.1992 Untersuchungsergebnisse der Spezialpoliklinik Moskau (dt. Übersetzung) 163
  7. 10.03.1992 Erklärung des chilenischen Außenministeriums (mit Anm. von Margot Honecker) 167
  8. 30.03.1992 Präsidialbeschluss des LG Berlin: Zuständigkeit der 27. Kammer 172
  9. 12.05.1992 Anklageschrift der Staatsanwaltschaft beim Kammergericht (Auszug) 173
  10. 29.05.1992 Präsidialbeschluss des LG Berlin aus Anlass der Überlastung der 27. Kammer 206
  11. 01.06.1992 Erklärung der Verteidiger Erich Honeckers nach Zulassung der Anklage 07

 

Verlagsinformation

»Friedrich Wolff ist der wissenschaftliche Notar eines deutschen Ordnungsdramas, in dem er zugleich aktiver Dramaturg war. Als Strafverteidiger und Rechtsanwalt mehrerer Mitglieder des SED-Politbüros saß er während deren 15-jähriger Strafverfolgung stets in der ersten Reihe. In der Rolle eines teilnehmenden Beobachters hat er die Geschehnisse genau verfolgt und nun mit diesem Werk das juristische Drama für die Nachwelt festgehalten.

Die Dokumentensammlung gewährt Einblicke in die Gerichtsverfahren, in denen Spitzenfunktionäre der DDR für ihre Politik verantwortlich gemacht wurden. Im ersten Abschnitt wird die rechtliche Verfolgung der Politbüromitglieder Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph, Hermann Axen und Werner Krolikowski in der DDR aufgerollt. Der zweite Abschnitt versammelt Dokumente aus den Gerichtsverfahren in der Bundesrepublik: Neben zahlreichen Unterlagen aus den Prozessen gegen Honecker, Krolikowski und Axen enthält er auch Dokumente aus Verfahren gegen u. a. Heinz Keßler, Fritz Streletz, Harry Tisch, Günter Schabowski, Egon Krenz und Hans Albrecht.

Die sogenannten Politbüro-Prozesse waren ein spezifisch deutscher Weg der Vergangenheitsbewältigung, die mittels des Zugriffs nationalen Strafrechts erfolgen sollte. Ob dieses Unterfangen gelungen ist, darüber gibt die Lektüre dieser Dokumentensammlung Aufschluss.«

(siehe bwv.verlag-online.eu)

Friedrich Wolff (Hrsg.): Das Politbüro der DDR vor Gericht, Januar 2016, BWV – Berliner Wissenschafts-Verlag GmbH, 1116 Seiten, 104 Abb., 149,- Euro, ISBN 978-3-8305-3570-6.

 

Mehr von Friedrich Wolff in den »Mitteilungen«: 

2012-04: Vor 19 Jahren: Die letzten Aufzeichnungen Erich Honeckers

2012-02: Fehler, die keine waren

2011-07: Entschieden gegen Antisemitismus – aber nicht so!