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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das Ostfernsehen war besser als sein Ruf

Günter Herlt, Berlin

 

Vor 25 Jahren, am 31. Dezember 1991 um Mitternacht, war Sendeschluss beim DDR-Fernsehen in Berlin-Adlershof. Manche Zuschauer waren glücklich, andere empört, die meisten eher wehmütig oder gleichgültig. Die Ohren waren taub vom Absturz und Abriss so vieler Betriebe und Institutionen in Ostdeutschland. Da fielen die zwei Großbetriebe Rundfunk und Fernsehen mit ihren 14.000 Mitarbeiter-Innen nur deshalb auf, weil sie unter Millionen Dächern quasi zur Familie gehörten.

Zum Zeitpunkt der »Abwicklung« hatten diese Sender viele überlebte Prinzipien der früheren Informationspolitik abgelegt. Sie lieferten damals mit Einschaltquoten um 33 Prozent die meistbeachteten deutschsprachigen Programme. Und das, obwohl mehr Gerüchte als Nachrichten unterwegs waren, was dann Dementis verlangte.

Der radikale Umbruch aller Existenzbedingungen weckte einen unstillbaren Informationshunger. Die Ausschaltung der zentralen Sender beim Erfahrungsaustausch aller ostdeutschen Regionen war keine »Panne«, sondern Bonner Wille und Weisung im Einheitsvertrag unter Artikel 36. Es ging um den Machtwechsel. Der war durch die neugewählten Leiter der reformierten Anstalten keineswegs behindert. Aber die radikale »Säuberungswelle« wirkte dann wie eine »Narkose« bei der materiellen und geistigen Enteignung der zurückgeholten ostdeutschen Provinzen. Der NDR Hamburg griff sich die Funkhäuser Schwerin, Rostock und Neubrandenburg. Der Westberliner SFB hatte die Zentralen in Berlin und Potsdam als Beute. Der von Kanzler Kohl persönlich entsandte Bayerische Chefabwickler, Rudolf Mühlfenzl, nagelte die Senderkette in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit einem Dutzend Studios zum mdr unter Münchener Patronat zusammen.

Machtwechsel

Da alle Massenmedien dieser Welt Machtinstrumente der einflussreichsten politischen und ökonomischen Kräfte sind, verlangte die angestrebte Meinungsführerschaft der Bonner Eliten die Entmachtung aller früheren Wortführer im Osten. Mit der Zersplitterung und Privatisierung der Medien war die »Leichenfledderei« der Treuhand und vieler Glücksritter erleichtert. So wurden dann 12.354 Betriebe und Kombinate – vielfach für 1 D-Mark – verscherbelt. Drei Millionen Menschen wurden arbeitslos. Eine finanzielle Entschädigung der Bürger für das »entwendete« Volksvermögen blieb aus. So blieben auch nur 5 Prozent des Produktivvermögens der DDR in ostdeutschen Händen.

Schließlich ging es auch beim Ostfernsehen um einige Speckbrocken. Da gab es die 6 Millionen Gebührenzahler, die sofort das Doppelte zu zahlen hatten. Da waren kostbare Sendekanäle für künftige Werbeprogramme zu kapern, was in zwei Jahren 400 Mio. DM brachte. Da warteten hunderte Immobilien, zum Teil in lukrativer Lage. Das Land Berlin erbte 50 Grundstücke mit 231 Gebäuden. Da gab es gut ausgebildete Techniker, Kameraleute, Schauspieler, Redakteure und die Archive mit Senderechten und Lizenzen im Wert von einer Milliarde D-Mark.

Gewinn siegt über Protest

Der SPD-Vorstand beklagte die »CDU-Medienpolitik nach Gutsherrenart«. Beim mdr in Leipzig wurden fünf der sieben Chefposten mit westdeutschen Vertrauensleuten der CDU und CSU besetzt. Der neue stellvertretende Hörfunk-Intendant in Berlin, Jörg Hildebrand, ein Initiator der ostdeutschen Bürgerbewegung »Demokratie jetzt«, klagte, dass die neuen Amtsträger »in das Leben des gewandelten Funkhauses hineinstießen wie Stoßtrupps in feindliches Gelände«. Der Ex-Botschafter der BRD in der DDR, Günter Gaus, staunte: »dass unser System sich so entwickelt hat, dass Gesinnung ein Entlassungsgrund ist«.

Das alles klang, als hätte es die »Wende zu Demokratie und Freiheit« nie gegeben. Man hatte nur die Türschilder auf den Korridoren der Macht ausgetauscht, um andere Interessen zu bedienen. Das wird aber bei keiner Einheitsfeier mehr gesagt.

Inzwischen wurden viele Bücher über die »Wende-Medien« geschrieben. Die meisten stammen von westdeutschen Autoren. Sie schildern die Gängelung der ostdeutschen Medien, aber es wimmelt von Vorurteilen, Halbwahrheiten und einäugigen Betrachtungen. Stets fehlen objektive Vergleiche mit den eigenen Arbeitsbedingungen. Und gänzlich unterbleibt die Aufdeckung der Ziele, Methoden und Hintermänner jener massiven Kampagnen, mit denen die Destabilisierung der DDR über die offene Grenze im Äther betrieben wurde.

Umfassende Information mit Lücken

Nach den UNESCO-Maßstäben gehörten die DDR-Bürger zu den gut informierten Menschen dieser Welt. Hier gab es 39 Tageszeitungen in 8,9 Mio. Exemplaren; 32 Wochenzeitungen und Illustrierte mit 9,3 Mio. Stück Auflage; 523 Fachblätter für alle Sachgebiete; 32 theologische Periodika zum Kirchenleben mit 12,5 Mio. Exemplaren und 653 Betriebszeitungen in den Großbetrieben mit 2 Mio. Gesamtauflage. Hinzu kamen zwei Fernseh- und vier Radioprogramme. Außerdem lagen 80 Prozent des DDR-Gebietes im Einflussbereich der elektronischen Medien der BRD und Westberlins. Da wurde alles gesagt und gezeigt, was die DDR-Medien »übersehen« hatten.

In der Ostpresse war wenig Platz für Fürstenhochzeiten, Wunderheiler, Klatsch und Tratsch oder politische Spekulationen. Da warteten die Bewährungen nicht im Dschungelcamp, sondern auf den Großbaustellen. Aber die Sender wurden publizistisch immer mehr zu Megaphonen von oben nach unten, ohne kritische Rückkoppelung. Damit wirkten sie in den 80er Jahren mehr als Sprengsatz denn als Bindeglied zwischen Volk und Führung. Es entsprach der sozialistischen Tradition, dass die Medien als Agitator, Propagandist und Organisator beim Aufbau der neuen Gesellschaft helfen sollten. Da zählte nicht nur, was die Leute wissen wollten, sondern ebenso, was sie wissen sollten als Mitbesitzer der Betriebe und Mitregierende im Staat. Das machte die Berichte der Plankommission genauso wichtig wie heute die täglichen Börsenkurse. Doch viele Artikel und Sendungen waren langatmig, gestelzt und schöngefärbt. Es wuchsen die Defizite bei der Erstinformation, beim Realismus und damit bei der Vertrauenswürdigkeit.

Dennoch hatte das DDR-Fernsehen damals, als es nur zwei bis fünf Programme in Konkurrenz gab, große Erfolge. Der »Polizeiruf 110« schaffte oft zwischen 45 und 50 Prozent Sehbeteiligung. Und er wird heute noch wiederholt. Das Kinderprogramm war vorbildlich und half dem Sandmann zu überleben. Die Ratgeber, ob Anwalt oder Gartenfee, hatten Millionen Zuschauer. Das Fernsehballett holte Preise auf allen Kontinenten. Der »Kessel Buntes« brachte alle Weltstars ins Haus. Die Sportberichte waren Programm-Höhepunkte. Die Literatur-Verfilmungen kosteten Millionen, aber fesselten auch mehr Leute als in alle Theater der Republik passten.

Das Adlershofer Hauptprogramm band um 20 Uhr im Jahresdurchschnitt 1987 über 36 Prozent Zuschauer. Kein Sender der Welt schafft 100 Prozent. Heute gelten 20 bis 30 Prozent als Traumquoten, denn es gibt über hundert Fernsehkanäle. Aber die Leute hatten nie so wenig Einblick und Durchblick wie jetzt. Die Wichtigkeiten ersaufen in den Nichtigkeiten. Wer die Wahrheit sucht, muss lange wach bleiben. An den meisten Abenden weiß man wirklich nicht, ob und wo das Einschalten noch lohnt. Sie kochen alle nur mit dem im Geist der Oberschicht gefilterten Wasser. Da war das Mineralwasser aus Adlershof doch oftmals gesünder, zumindest für die Erbauer einer besseren Welt.

 

Günter Herlt, geboren 1933, Volksschule, Zimmermann, ABF-Studium, ab 1954 Radioreporter, später Direktor am Sender Schwerin, Leiter des Nachwuchsinstitutes für Rundfunk und Fernsehen, danach Autor und stellvertretender Leiter im Bereich dramatische Fernsehkunst in Berlin-Adlershof, anschließend Bereichsleiter für Unterhaltung, ab 1968 als Kommentator und Korrespondent bei der Aktuellen Kamera, für drei Jahre auch im Bonner Büro des DDR-Fernsehens, war zuletzt Chefredakteur für Auslandsreportagen. 1991 ging er in den Vorruhestand. Er schrieb Hörspiele, Fernsehfilme, Kabarettszenen, auch etliche heiter-ironische und polemische Bücher beim Eulenspiegel-Verlag und der edition ost.

 

 

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