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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Bertolt Brecht und Jacob Walcher

Gina Pietsch, Berlin

 

Kleine Geschichte einer großen Freundschaft,

zu Brechts 125. Geburtstag erzählt von Gina Pietsch

 

Bertolt Brecht wäre am 10. Februar 125, Jacob Walcher am 7. Mai 136 Jahre alt geworden. Nicht weit voneinander entfernt liegen ihre Geburtsstätten, Augsburg und das oberschwä­bische Dorf Wain bei Biberach. In Verbindung mit Brecht kannte ich den Namen Jacob Walcher, in Brechts Arbeitsjournal kommt er vor, freundlich beschrieben. Mehr über ihn zu erfahren, ermöglichte mir nicht einmal mein biografisches Lexikon der deutschen Arbeiter­bewegung des Jahres 1970. Er wurde dort nicht geführt.

Sehr gerafft ist von Walcher zu sagen: Viele Persönlichkeiten der europäischen Arbeiterbe­wegung hatten mit ihm zu tun. Rosa Luxemburgs jüngster Schüler war er, hat mit Lieb­knecht im Spartakusbund Pläne für eine deutsche Revolution geschmiedet, mit Wilhelm Pieck zusammen den Gründungsparteitag der KPD geleitet. Er war Mitarbeiter von Lenin, Trotzki und Zetkin, so ergo Kritiker von Stalin und Thälmann. Nenne ich ihn noch Mentor des jungen Willy Brandt, der sich so äußert: Walcher war für mich einer der kernigsten Repräsentanten der alten deutschen Arbeiterbewegung: selbstsicher und kulturbewusst, kein blutleerer Intellektueller, sondern ein intelligenter und vitaler Facharbeiter. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, welche Bildung, auch klassischer Prägung, und welches Kunst­verständnis sich dieser Typus eines klassenbewussten Arbeiters angeeignet hatte.

Eine dritte Sache

Wie Brecht hält Walcher den Zweifel für eine Tugend des radikalen Sozialisten. Da jung gewohnt, sich nicht satt essen zu können, war er auf der Hut vor allem, ein freundlicher, schwäbischer Dickschädel, lebenslustig und gerne und laut singend, wie es von ihm erzählt wird aus der späten Zeit, den Fünfzigern, besonders in Buckow, mit seinem Freund Brecht zusammen.

Walchers Einfluss auf Brecht war viel größer als lange Zeit bekannt. Eigentlich hätte man die Einträge im Arbeitsjournal des Dichters nur richtig lesen müssen. Z. B. den am zweiten Tag nach Brechts Rückkehr aus dem Exil: nachmittags bei jakob walcher, der über die schwierige lage spricht, nüchtern und positiv wie gewöhnlich: Brecht bewundert, wie da einer über die Zeiten, trotz massiver Enttäuschungen, einer Sache treu bleibt, ohne Rene­gat zu werden oder kokett. Warum? Es gab so viele andere.

Die Frauen, mit denen Walcher verbunden ist, denken und handeln wie die Brechts im glei­chen Sinne. Die Rosa sowieso, die so auffiel, und die so klein war, dass man ihr auf dem Po­dium eine Kiste unterstellen musste, wie Walcher erzählt, und die Clara Zetkin, bei der er sich immer Rat holen kann, noch dazu, da sie so eine schöne Sekretärin hat, Hertha Gordon.

Hertha und Jacob, sind ein Liebespaar, werden ein Ehepaar, was zumindest in den Dreißi­gern mit Lebensgefahr für beide verbunden war. Hertha ist wie Brechts Frau, Helene Weigel, Jüdin. Als die berühmte Ballade von der »Judenhure Marie Sanders« entsteht, 1935, sind Hertha und Jacob, bereits zwei Jahre im Exil, meist auf unterschiedlichen Wegen. Das ist schmerzhaft, obwohl schon oft praktiziert. Immer wieder Trennung, das gehörte zum Alltag für solche wie die Walchers. Aber sie kommen immer wieder zusam­men, weil es da diese dritte Sache gab, von der Brecht spricht. Sie brauchen sich, Hertha, politisch hoch gebildet, nicht selten im Kurierdienst zwischen Zetkin und Lenin, wird seine Dolmetscherin, führt die Korrespondenz in all diesen Ländern, durch die sie müssen, Nor­wegen, Frankreich, die USA.

Sich einmischen als Lebenshaltung

In Amerika, beobachtet Walcher etwas, was ihn entsetzt – viele seiner Landsleute denken gar nicht mehr daran, nach Deutschland zurückzukehren. Sie beide warten begierig auf jede Information über zu Hause. Und so wird ihnen ein kleiner Kasten ähnlich wichtig, wie er es Brecht und Eisler war, das Radio, so wichtig, dass er von ihnen einen Song erhält: »An den kleinen Radioapparat«. Dieses wunderschöne Lied gehört zur Sammlung »Svendborger Gedichte«, die Brecht Walcher im Mai 44 in Amerika schenkt. Sie sind hier wieder zusam­mengetroffen, und nun beginnt die eigentliche Freundschaft, die meist Arbeit bedeutet. Brecht liebt Berater, und wer könnte ihn besser als Walcher beraten beim Gebrauch des Kommunistischen Manifests, das er in Hexameter setzen will. Und da ist die Arbeit im Council for a democratic Germany, wo sie sich gemeinsam auf die Zeit nach dem Exil vor­bereiten. Der Theologe und Mitgründer dieses Council, Paul Tillich, so: Wir haben zweiein­halb kommunistische Repräsentanten im Council. Der halbe ist Brecht. Einer der zwei müss­te Walcher gewesen sein, meine Annahme. Denn dann zu Hause ist es Walcher, der für Brecht die Verbindung zu Gewerkschaftern herstellt und ihm die Vor-Premiere der »Mutter Courage« vor Hennigsdorfer Stahlwerkern ermöglicht. Die saßen dann, wie Brecht erzählt, … freilich lange wie zaungäste ... aber nach der szene mit dem lied von der kapitulation klatschten sie und reagieren genauso, wie von Brecht erhofft, also, die Courage kritisie­rend dafür, dass sie, trotz der Tötung ihrer drei Kinder sich wieder einlässt auf die Geschäf­te mit dem Krieg. Das war 1949.

Nun aber ist die Rede vom 17. Juni 1953, einem Tag, an dem sie beide, der parteilose Brecht und der zum dritten Mal als »Verräter« aus der Partei ausgeschlossene und von sei­ner Arbeit als Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung »Tribüne« entbundene Walcher, in besonderer Weise zusammen gingen. Oft missverstanden als Ergebenheitserklärung, war ihr Angebot, sich der bestreikten Regierung zur Verfügung zu stellen, von beiden gedacht als Angebot zur kritischen Mitarbeit an diesem Experiment Sozialismus, die Brecht im auf den Tag geschriebenen »Gegenlied zu ›Von der Freundlichkeit der Welt‹« beschreibt als die Welt sich häuslich einzurichten. Sich da einzumischen, das ist für Walcher trotz beinahe täglicher Drangsalierung durch Stalinismus Lebenshaltung. Wenn er seine Ideen in Partei- oder Gewerkschaftszentralen nicht mehr unterbringen kann, weil man ihn von dort ent­fernt hat, wiederholte Male in den verschiedenen Zeiten, dann eben im Kleingärtner-Ver­band, wo er Kirschen anbaut und die Freunde damit versorgt, oder er rennt zu Verkehrs­betrieben, verlangt mehr Haltestellen. Und nun nicht mehr an feste Arbeitsverpflichtungen gebunden, schlägt Brecht ihm vor, sich mit Hertha für länger in Buckow einzuquartieren. Es ist schön in Buckow.

Meine Beziehungen zu Brecht, die im Jahre 1931 begannen, basierten ausschließlich auf politischen Grundlagen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich Brecht als einen sehr fleißigen Menschen kennenlernte, der auch in politischen Fragen überraschend urteilsfähig und eigentlich der geborene Dialektiker war. Ich habe Brecht außerdem als überaus besorgt und hilfsbereit in Bezug auf seine Freunde kennengelernt. Natürlich erwähnt Walcher hier nicht, dass diese Hilfsbereitschaft auf Gegenseitigkeit beruhte. Walcher hatte z.B. keine Scheu, seine »Beziehungen« zu den Gaswerken auszunutzen, schafft damit für die Brechts Heiz­material heran. Oder er besorgt auch Kleiderstoffe, mit denen Helene Weigel 43 Kindern hingerichteter und verstorbener Antifaschisten, 1949 eine anonyme Weihnachtsfreude bereitet. Von Brechts Hilfe ist bei Walcher hingegen dauernd die Rede, sei es in finanzieller oder moralischer Hinsicht.

Gemeinsame Arbeit und Hilfsbereitschaft – im Osten

Walchers erster Beruf war Dreher, in Stuttgart bei Bosch, der eigentlich arbeiterfreundlich war, freilich nicht so sehr, dass er Walchers Aufmüpfigkeit so einfach hinnehmen konnte. 1910 fliegt er raus. Dabei kennt doch jeder den Spruch, Hättsch dei Gosch g’halta, hätt die d’r Bosch b’halta. Brecht hätte, den Spruch kennend, ihn sicher gern in sein »Speichel­lecker«-Lied aufgenommen. Walchers Erfahrungen mit Speichelleckern sind jedoch weitaus gefährlicher als hier bei Brecht komisch beschrieben. Die unglaublichen Sätze der Spei­chellecker Stalins hießen u.a.: Die Überprüfung hat ergeben, dass Walcher seit Jahrzehnten zu den ärgsten Feinden der revolutionären Arbeiterklasse und ihrer Partei gehörte. Seine Verteidigung reicht natürlich nicht aus: Ich gehöre nicht zur Kategorie der Doppelzüngler. Ich habe leider häufiger das Herz auf der Zunge gehabt als es für einen Politiker gut ist ...

Bevor Walcher in Amerika das Schiff nach Deutschland besteigt, kriegt er von Brecht 500 Dollar und dazu den Rat, sich erst mal umzusehen und nicht sofort zu binden. Aber Walcher entscheidet schnell und landet dort, wo Brecht dann auch landet, im Osten. Die gemeinsame Arbeit geht weiter, wenn auch nicht immer nach Plan. Es sollte ein Rosa-Luxemburg-Stück geben. Walcher kommt mit seiner Frau Hertha, die einst Sekretärin von Clara Zetkin war und Kurierin zwischen Zetkin und Lenin, nach Buckow. Aber das Stück über Rosa und die Revolution wird nicht geschrieben, begründet vom parteilosen Brecht, der in Bezug auf die Fähigkeit der SED und ihrer Führung ähnlich skeptisch war, wie Walcher, damit, dass er mit diesem Stück … in bestimmter Weise gegen die Partei hätte argumentieren müssen. Aber ich werde doch den Fuß nicht abhacken, nur um zu beweisen, dass ich ein guter Hacker bin. Aus ihren Gesprächen wurde dann aber doch noch ein Stück, »Die Tage der Commune«.

An Walchers 65., für den er sich so sehr und doch vergeblich gewünscht hat, sein Partei­buch zurückzubekommen, ist Brecht einer von nur drei Gästen. Jetzt, zum 125. von Brecht könnte man sich mehr Gäste vorstellen. Jedenfalls, wenn es beide hören könnten, sollte man noch einmal die Einladung von Helene Weigel, an Walcher wiederholen: Lieber Jakob. Wie wär’s, kannst Du Dich entschließen, bei unserem Betriebsfest mitzumachen? Wenn es Dich interessiert, lass es uns wissen, dann holen wir Dich ab zum Schwofen ...

Ja, und 1952, als in der DDR viel von Wiedervereinigung die Rede war, soll Brecht Walcher mal gefragt haben: Und wo gehen wir dann hin? Dann, wenn es die DDR nicht mehr gibt?

 

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