Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 80 Jahren
Ralph Dobrawa, Gotha
Die Nazis errichteten ab dem Frühjahr 1940 in der Nähe von Auschwitz ein Konzentrationslager, welches alsbald zum größten seiner Art ausgebaut werden sollte. Zu seinem ersten Kommandanten wurde Rudolf Höß ernannt. Der damals 40-Jährige erschien dem Reichsführer SS Heinrich Himmler als der geeignete Mann, der im Interesse der faschistischen Vernichtungspolitik vor Ort die damit verbundenen Untaten umsetzen konnte. Er blieb bis zum November 1943, übernahm dann eine andere Funktion und kehrte späterhin nochmals nach Auschwitz zurück. Die Aufnahmekapazität des Lagers, die ursprünglich etwa 10.000 Häftlinge umfasste, wurde bereits ein Jahr später deutlich erhöht. Das hing auch damit zusammen, dass die im nahegelegenen Monowitz ansässigen Buna-Werke Arbeitskräfte benötigten und hierfür die IG Farben Zwangsarbeiter durch die SS zur Verfügung gestellt erhielt. Auschwitz-Stammlager und Birkenau: Die hier befindlichen Häftlinge waren vorrangig zur Tötung bestimmt, während in Monowitz die dort eingesetzten Häftlinge erst noch ausgebeutet wurden, bevor sie körperlich zur Arbeitsverrichtung nicht mehr in der Lage waren und dann ebenfalls ermordet worden sind. Zunächst entstanden das Stammlager und Auschwitz-Birkenau. Zum Komplex des KZ Auschwitz gehörten weitere etwa 50 Außenlager. Während anfangs noch die Inhaftierten durch Erschießungen und Giftinjektionen getötet wurden, kam alsbald das Giftgas Zyklon B zum Einsatz. Häftlinge wurden unter dem Vorwand, es ginge zum Duschen, in eine Gaskammer gepfercht, in die dann das Gas eingebracht wurde. Nach etwa 15 Minuten eines furchtbaren Todeskampfes wurde die Kammer geöffnet und andere Häftlinge mussten die Getöteten ins Krematorium verbringen, wo die Leichen verbrannt wurden.
»Nichts gewusst«?
Überlebende Zeitzeugen haben später immer wieder beschrieben, welch süßlich-stechender Geruch durch den Verbrennungsvorgang ständig über das Lager hinwegzog. Das hat Angeklagte später nicht davon abgehalten, vor Gericht zu behaupten, sie hätten von alledem nichts gewusst. Besonders der Adjutant des Kommandanten, Robert Mulka, antwortete in dieser Weise dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in dem viele Jahre später gegen ihn und andere durchgeführten Prozess vor dem Landgericht in Frankfurt am Main. Als das Gericht jedoch einen Ortstermin in Auschwitz anberaumte, konnte festgestellt werden, dass allein aufgrund der räumlichen Nähe zum Krematorium seine Behauptung eine Lüge war. Der Name Auschwitz steht unauslöschlich für den fabrikmäßigen Massenmord an den europäischen Juden. Wie viele in den Jahren des Betriebs des Konzentrationslagers von 1940 bis Anfang 1945 dort grausam umgebracht wurden, kann nicht exakt festgestellt werden. Das hängt damit zusammen, dass viele der späteren Opfer nicht registriert wurden und dadurch die Anzahl nicht auf die registrierten Häftlinge beschränkt werden kann. Die Zahl der Ermordeten wird mit mindestens 1,1 bis 1,5 Millionen angegeben. Eine unvorstellbare Zahl, die vor allem dadurch zusätzlich erschreckt, weil unter den Opfern sehr viele Frauen und auch Kinder waren. Unschuldige Menschen, deren einziger Makel in den Augen der Faschisten war, dass sie jüdischer Abstammung gewesen sind. Der von den Nazis betriebene Massenmord wurde in Auschwitz ab März 1942 intensiviert. Große Transporte jüdischer Menschen trafen nunmehr, in Güterwaggons eingesperrt, an der sogenannten »Rampe« von Auschwitz ein. Mancher überlebte die Fahrt bereits nicht. Die anderen wurden vor Ort durch SS-Angehörige, darunter Ärzte (!), »in Augenschein« genommen und das entschied, ob sie noch einige Zeit für die IG Farben Zwangsarbeit leisten konnten oder sofort einen schweren Gastod sterben mussten. Die Nazis nannten das »Selektion«. Nach der Tötung der dazu bestimmten Häftlinge bemächtigten sich die Nazis ihrer Goldzähne, die herausgebrochen wurden, oder schnitten ihnen die Haare ab, die dann zu Filz verarbeitet werden sollten. Wer einmal die Gedenkstätte des früheren KZ besucht hat, wird den Haufen von Kinderschuhen nicht vergessen können, der noch heute an das grausame Schicksal dieser jüngsten Menschen erinnert. Die Reichsbank hat das geraubte Gold entgegengenommen und nicht danach gefragt, wo es herstammt.
Furchtbare Bedingungen
Die Intensivierung der Transporte nach Auschwitz ab dem Frühjahr 1942 hängt ganz maßgeblich auch mit den Festlegungen zusammen, die die Faschisten – allen voran Reinhard Heydrich – auf der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 beschlossen. Der als »Spediteur des Todes« in die Geschichte eingegangene Adolf Eichmann wurde wegen seiner maßgeblichen Beteiligung am Massenmord 1961 in Israel vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet. Heydrich ereilte dieses Schicksal bereits früher, als er infolge eines auf ihn verübten Attentats verstarb. Rudolf Höß verurteilte ein polnisches Tribunal am 2. April 1947 zum Tode. Seine Aussagen und Angaben haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass der Alltag in Auschwitz bekannt wurde. Darüber hinaus gab es einige geglückte Fluchtversuche aus Auschwitz während des Bestehens des Lagers. Der bekannteste ehemalige Häftling von diesen war Rudolf Vrba, der im April 1944 flüchten konnte. Sein Bericht wurde später Bestandteil der sogenannten Auschwitz-Protokolle. Er hat auch maßgeblich darauf hingewiesen, dass unabhängig davon, wie viele Juden in Auschwitz ermordet worden sind, kein einziger davon nicht durch die Nazis beraubt wurde. Bei vielen erfolgte dies schon im Vorfeld ihrer Deportation, indem ihnen Möbel, Kunstwerke oder Grundstücke genommen wurden, die dann nicht selten überzeugte Nazianhänger zu sehr günstigen Preisen erwerben konnten.
Die Lebensverhältnisse der Gefangenen, ihre sanitären und hygienischen Bedingungen waren furchtbar. Im Stammlager wurden die Steingebäude zur Unterbringung sehr schnell überbelegt. Oft war mehr als das Doppelte der berechneten Personen in den Unterkünften. Auch die Bettenanzahl reichte nicht aus. Mitunter mussten bis zu drei Häftlinge in einem Bett schlafen. In Birkenau waren die Bedingungen noch schlechter. Hier gab es nur Holzpritschen, mehrere Häftlinge mussten sich eine Decke teilen. In anderen Gebäuden regnete es herein, und die dünnen Mauern sorgten im Winter für eisige Kälte. Viele Gefangene litten an Durchfall. Trinkwasser stand in Birkenau nicht zur Verfügung, andere Wasserquellen waren mit Kolibazillen versetzt. Es gab kaum Waschräume und Toiletten. Es durfte nur Häftlingsbekleidung getragen werden, die aus gestreiftem dünnem Stoff, Unterwäsche, Mütze und Holzschuhen bestand. Auch die Ernährung war völlig unzureichend und in sehr schlechter Qualität. Hunger war so ein ständiger Begleiter, vor allem für die als Zwangsarbeiter eingesetzten Häftlinge. So konnten sich Seuchen entwickeln wie Typhus, Cholera und Ruhr. Unabhängig davon wurden die Häftlinge durch SS-Angehörige schikaniert und gequält. Die dazu geübte Praxis war sehr vielfältig, perfide und zeugte davon, welche unmenschlichen und perversen Fantasien die Peiniger entwickelten.
»Rädchen im Getriebe«?
Als sich ab Sommer 1944 abzeichnete, dass die Rote Armee auch Auschwitz erreichen wird, setzte die Evakuierung des Lagers ein, und die SS begann damit, die Spuren des Terrors zu beseitigen. Es wurden Gaskammern gesprengt und demontiert, Geheimakten vernichtet, Häftlinge auf andere Lager verteilt. Ab Mitte Januar 1945 schickten sie etwa 56.000 Häftlinge auf Todesmärsche. Als die Rote Armee am 27. Januar 1945 das Lager befreite, fanden sie nur noch etwa 7.000 bis 8.000 Häftlinge im Lager vor, die, ausgemergelt und vom Hungertod bedroht, nunmehr auch ärztliche Hilfe erhielten. Viele von ihnen starben in der nächsten Zeit trotzdem noch an den Folgen der grausamen Haftbedingungen. Noch einen Tag vor der Befreiung des Lagers hatten die Nazis ein letztes Krematorium gesprengt. Nach ihrem Willen sollte nichts bleiben, was an den millionenfachen Massenmord erinnerte.
Genützt hat ihnen das alles letztlich nichts. Auch wenn es nach der Zerschlagung des Hitler-Faschismus noch fast 20 Jahre dauerte, bis sich 22 ehemalige SS-Angehörige vor dem Landgericht Frankfurt am Main wegen ihrer Untaten im KZ Auschwitz verantworten mussten, wurden die meisten von ihnen verurteilt. Einige erhielten lebenslanges Zuchthaus, andere Freiheitsstrafen zwischen etwas mehr als drei und 14 Jahren. Nicht immer waren diese Strafen angemessen und leider auch oft zu gering in Bezug auf die festgestellten Tötungsdelikte. Konsequent wäre allerdings gewesen, auf die Untaten der Angeklagten Völkerrecht anzuwenden, insbesondere das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden sind dort klar definiert. Es war keine konventionelle Kriminalität, die die Täter hier umsetzten, es waren staatlich gewollte, geduldete und angeordnete Verbrechen, die sich gegen das menschliche Leben richteten. Einer der Nebenklagevertreter im Auschwitz-Prozess, Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul, beschrieb das Verfahren in seinem Schlussvortrag vom 21. Mai 1965 wie folgt: »Die Außergewöhnlichkeit – ja Einmaligkeit! – dieses Verfahrens wird vielmehr – bereits äußerlich – dadurch sichtbar, dass es für die Wahrheitsfindung dringend erforderlich war, Zeugen zu hören, die schlechthin fast aus allen europäischen Ländern stammten und aus allen Teilen der Welt an den Gerichtsort kamen, um ihrer Bekundungspflicht zu genügen. Sie kamen aus Polen und der ČSSR, aus der UdSSR, England, Frankreich, Belgien und den Niederlanden, aus Ungarn, Österreich, Griechenland und Rumänien, aus den USA, Mexiko, der Schweiz, Israel, Australien und Kanada. Diese Tatsache machte es erdrückend offenkundig, dass fast die ganze Welt der Vernichtungsmaschinerie des Nazi-Systems ihren Blutzoll zu entrichten hatte, und zeigt den gedanklich kaum fassbaren Umfang der von diesem System betriebenen Lebensvernichtung. Insoweit steht für alle Zeiten der Name ›Auschwitz‹ als Inbegriff der Massenmordmaschinerie schlechthin, die sich der Nationalsozialismus nach der zeitweisen Überwältigung des größten Teils von Europa geschaffen hatte, um durch Vernichtung von Teilen der Menschheit, deren Leben und Sein kurzerhand als ›unwertig‹ bezeichnet wurde, die Herrschaft des Hakenkreuzes über die Welt für die ›Ewigkeit‹, eben für die berüchtigten tausend Jahre, zu errichten und zu sichern. Demgegenüber ist der Name ›Auschwitz‹ auch zum Symbol des Leidens geworden, dessen Gemeinschaftlichkeit die Opfer des Menschheitshasses des Nazismus miteinander verband ...«
Die Rechtsauffassung, wonach jeder, der in einem Konzentrationslager »Dienst« tat, nur »Rädchen im Getriebe« der Mordmaschinerie war, änderte sich erst viele Jahrzehnte später, zu spät! Erst 2011 im Prozess gegen John Demjanjuk positionierte sich das Landgericht München II in dieser Weise. Da Demjanjuk während des laufenden Revisionsverfahrens verstarb, erhielt diese Rechtsauffassung erst im Revisionsverfahren gegen den sogenannten »Buchhalter von Auschwitz«, Oskar Gröning, eine Bestätigung durch den Bundesgerichtshof. Die seither wenigen angeklagten Nazigewalttäter sind deshalb oft weit über 90 Jahre alt. Die große Säumnis der bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden bei der Verfolgung nazistischer Gewaltverbrechen, die über Jahrzehnte betrieben wurde, lässt sich auf diese Weise nicht mehr beseitigen, und ihre Folgen werden immer ein erheblicher Makel der BRD-Justiz bleiben.
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