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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»Barbarossa« oder der »totale Krieg«

Dr. Wolfgang Biedermann, Berlin

 

Auf dem Weg zur »Neuordnung« Europas unter deutscher Ägide galt die Sowjetunion als das eigentliche geopolitische Hindernis. Die Bemächtigung des »Ostraumes« war für den »Führer« und seine engsten Paladine die strikte Voraussetzung, um als globale Weltmacht zu agieren. [1] »Der Kampf um die Hegemonie in der Welt«, so Hitler, »wird für Europa durch den Besitz des russischen Raumes entschieden; er macht Europa zum blockadefestesten Ort der Welt.« Hierbei im Blick die unermesslichen Rohstoffressourcen.

Eine solche angestrebte Alleinstellung Deutschlands hatte eine Kriegsführung zur Konsequenz, die nicht nur die Zerstörung der feindlichen Armee implizierte, sondern auch die des jeweiligen Volkes selbst. »Barbarossa« bildete eine Zäsur, die das dortige Geschehen als »totalen Krieg« (Vernichtungskrieg) beschreiben wird – der Krieg in eine neue Qualität überging, die sich bereits in Polen angedeutet hatte.

Die umfassenden Vorbereitungen hierzu begannen bereits nach dem Reichstagsbrand. Über Nacht errichteten die Nazis ein brutales Terrorregime, das sich primär gegen alle politischen Gegner richtete: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Intellektuelle … Zugleich setzten Repressionen gegenüber den Juden ein, die an »allen Schuld« hatten. Komplementär, die gepflegte Herabsetzung der slawischen Völker hauptsächlich im östlichen Europa, die als »Untermenschen«, als »minderwertig« galten.

Seit Beginn der Operation »Barbarossa« wälzte sich das Aggressionsheer, scheinbar unaufhaltsam, alle Kräfte anspannend, nach Osten und auf Moskau zu. Am 2. Oktober startete die Heeresgruppe Mitte die Operation »Taifun«, die die längst erhoffte Besetzung der Hauptstadt erzwingen sollte. Es entbrannten in allen operativ wichtigen Richtungen vor Moskau erbitterte Kämpfe. Am 20. Oktober verhängte das Staatliche Verteidigungskomitee der UdSSR über Moskau und Umgebung den Belagerungszustand.

Hitler fabulierte derweil in der »Wolfsschanze«: »Sind wir die Herren in Europa, dann haben wir die dominierende Stellung in der Welt. 130 Millionen im Reich, 90 in der Ukraine[!], nehme ich die anderen Staaten des neuen Europa dazu, so kommen wir auf 400 Millionen, und damit nehmen wir es auf gegen die 130 Millionen Amerikaner.«

Der »Führer« formulierte sehr klar, was dort mit der Bevölkerung zu geschehen habe. »Auf die Frage, ob es genug sein werde, bis zum Ural als Grenze vorgedrungen zu sein: zunächst sei es genug, die Grenze bis dahin hinausgerückt zu haben; der Bolschewismus müsse ausgerottet werden […] Moskau als Sitz dieser Lehre werde vom Erdboden verschwinden, sobald die wertvollen Güter weggebracht sind; mit den Russen der dortigen Fabriken zu arbeiten sei uns nicht möglich.«

Gemäß der faschistischen »Bodenpolitik« [2] war der »Osten« oder der »Ostraum« bis zum Ural »nordisch-germanisch« zu besiedeln. Der in diesem Kontext gebräuchliche Euphemismus »Umsiedlung« bedeutete sowohl Vertreibung als auch Dezimierung (Genozid) der autochthonen Bevölkerung.

Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD

Kurz vor Beginn von »Barbarossa«, Ende Mai, formierte das RSHA vier mobile Einsatzgruppen [3], die unmittelbar hinter der vorrückenden Front zu agieren hatten. Mobil, weil sie der Heeresgruppe oder der Armee (Armeeoberkommando) unterstellt(!) waren und von dort ihre Anweisungen zum Marsch (Einrücken in die angewiesenen Gebiete) bekamen. Der Nord-Süd-Richtung des Frontverlaufes analog erhielten diese im Einzelnen die zusätzliche Bezeichnung A, B, C und D.

Unter der Codierung »Befriedung und Sicherung des russischen Raumes« erledigten jene die physische Vernichtung »unerwünschter Elemente, die sich aus Russen, Zigeunern, Juden und anderen zusammensetzten.«

Eine dieser berüchtigten Todesschwadronen, die Einsatzgruppe D, wurde an der Grenzpolizeischule in Düben/Mulde rekrutiert. Bereits hier erhielt das Führungspersonal die mündliche Order, Juden und Kommissare zu liquidieren. In diesem Kontext erteilte das OKW (Keitel) den sogenannte Kommissar-Befehl (6. Juni 1941): die Feststellung der Kommissare unter den sowjetischen Kriegsgefangenen.

Die Weisung zur Zusammenarbeit beruhte auf einem Abkommen zwischen dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW), dem Oberkommando des Heeres (OKH) und dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Die Kommissare betreffend, befahl das OKH im Spätsommer 1941 den Zugriff (»Aussonderung«) auf diese Kriegsgefangenen durch Einsatzgruppen zu erlauben. Alles in allem, eine Kollaboration, die sich »sehr eng, ja fast herzlich« gestaltete.

Die etwa 500 Mann starke Einsatzgruppe D verrichtete ihr Vernichtungswerk im Bereich der XI. Armee, die im Südosten der UdSSR (Czernowitz, Simferopol, Nikolajew, Ananjew, Rostow am Don, Krim …) operierte. Laut Aussagen des damaligen Chefs jener Einheit, Standartenführer Ohlendorf, wurden unter seinem Befehl (Juli 1941 – Juni 1942) rund 90.000 Menschen einer »Sonderbehandlung« unterzogen und dann in entlegenen Panzergräben oder tiefen Gruben, den bevorzugten Hinrichtungsstätten, verscharrt.

Mütter mit ihren Kindern waren auf Anweisung Himmlers jedoch in den sogenannten S-Wagen durch das im Motorenabgas enthaltene Kohlenstoffmonoxid (CO) geräuscharm und unblutig zu vergiften. [4] Über einen Schlauch vom Auspuff gelangte es in das Innere des luftdichten Aufbaus. Obwohl in oben genannter Einsatzgruppe als »Wohnwagen« drapiert, indem die auf dem Lande üblichen Fensterläden angebracht worden waren, erhielten diese LKW von Außenstehenden die Bezeichnung »Todeswagen«.

Ein SS-Untersturmführer Becker (RSHA, Amt II) garantierte den mobilen Einsatz der »S-Wagen« und schulte die Kraftfahrer in puncto »sauberes« Morden. »Die Vergasung wird durchweg nicht richtig vorgenommen. Um die Aktion möglichst schnell zu beenden, geben die Fahrer durchweg Vollgas. Durch diese Massnahme erleiden die zu Exekutierenden den Erstickungstod und nicht wie vorgesehen, den Einschläferungstod. Meine Anleitungen haben nun ergeben, dass bei richtiger Einstellung der Hebel der Tod schneller eintritt […] Verzerrte Gesichter und Ausscheidungen wie sie seither gesehen wurden, konnten nicht mehr bemerkt werden.« [5]

Jene 3- bis 5-Tonner, als Möbeltransporter konzipiert, erfuhren im RSHA (Amt II) den entsprechenden Umbau und standen allen vier Einsatzgruppen (1942) in einer Stückzahl von 3–4 zur Verfügung.

Um der Juden habhaft zu werden, mussten sie sich unter dem Vorwand der »Umsiedlung« oder der »Arbeitsaufnahme« registrieren lassen. Waren die unmittelbaren Vorbereitungen zur Exekution abgeschlossen (Ort, Zusammenstellung des Sonderkommandos), hatten sie sich einzufinden [6] ... Die beschlagnahmten Wertsachen der Opfer übernahm die Reichsbank, die Oberbekleidung fand über die NSV (National-Sozialistische Volkswohlfahrt) neue Träger. Damit noch nicht genug. Einzelne angeforderte Gegenstände wie Armbanduhren gingen an die XI. Armee.

Rund 2 Millionen Juden wurden auf dem Gebiet der UdSSR erschossen, erschlagen …  [7] Der Furor richtete sich zugleich gegen Parteimitglieder, gegen Angestellte öffentlicher Körperschaften, gegen Partisanen … Viele Städte und Gemeinden verwandelten sich im deutschen Herrschaftsbereich in Todeszonen. Anzuhängen bleibt, dass am Morden und Brandschatzen einheimische Kollaborateure (Brüder im Geiste) wie ukrainische Nationalisten, organisiert in Polizeibataillonen oder freigelassene Kriminelle wie in Litauen eifrig beteiligt waren.

Vernichtung und Vertreibung der Bevölkerung in den eroberten Gebieten der Sowjetunion bildeten den Auftakt zur »Germanisierung«, wie im »Generalplan Ost« vom Juni 1942 festgehalten. Als Goebbels, nach der Niederlage von Stalingrad, einer fanatisierten Menge im Sportpalast (18. Februar 1943) zurief »Wollt ihr den totalen Krieg?«, lief dieser schon längst auf Hochtouren.

 

Anmerkungen:

[1]  Hitler-Deutschland knüpfte dort an, wo das Wilhelminische Kaiserreich gescheitert war.

[2]  Bereits in Hitlers »Mein Kampf« (1925) strategisch fixiert.

[3]  Einsatzgruppen der Polizei oder des SD (Sicherheitsdienst der SS) spielten bereits in Polen bei der Vernichtung der Juden eine Rolle, handelten jedoch unabhängig von der Wehrmacht.

[4]  Tötungswagen waren bereits 1939/40 in Polen und während der »Aktion T4« (Euthanasie) unter Verwendung von CO aus Gasflaschen im Einsatz.

[5]  Ein hoher Anteil an CO entsteht beim Anlassen des Motors oder im Leerlauf.

[6]  Wehrmachtsangehörige durchstöberten dann die verlassenen Wohnungen nach Versteckten.

[7]  Die UdSSR hatte durch »Barbarossa« 21 Millionen Opfer zu beklagen. Hiervon 13,6 Millionen Zivilpersonen.

 

Mehr von Wolfgang Biedermann in den »Mitteilungen«: 

2020-07: Die Operation »Seelöwe« im Kontext von »Barbarossa«

2020-01: Das Ende der Ardennenschlacht im Kontext der sowjetischen Winteroffensive (am 12. Januar 1945 eingeleitet)

2019-09: Der Fall »Weiß«