Ausgeschlossen – nicht ausgetreten
Egon Krenz, Dierhagen
Ob ich wohl auch ausgetreten sei aus der Partei DIE LINKE, wollte dieser Tage eine große deutsche Tageszeitung von mir wissen. Die Journalistin, die mich anrief, war überrascht, als ich sagte, vor dieser Entscheidung hätte ich nie gestanden, weil mich die Vorgängerpartei PDS schon 1990 aus der SED ausgeschlossen hatte. Nun bohrte sie weiter, was ich denn heute tun würde, wenn man mich nicht ausgeschlossen hätte. Da ich kein Freund des Gesellschaftsspiels bin »Was wäre, wenn?«, beendete ich das Gespräch mit dem Hinweis, dass ich ungern Fragen im Konjunktiv beantwortete.
Ich gebe zu, beschäftigt hat mich diese Frage dennoch. Ich war mit innerer Überzeugung mit 16 Jahren Kandidat der SED geworden, weil ich mitarbeiten wollte an einer Gesellschaft, in der die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen für immer beseitigt ist. Der Ausschluss nach 35-jähriger Parteimitgliedschaft hat mich zutiefst verletzt, mehr als das Urteil eines bundesdeutschen Gerichts, mich für 6 1/2 Jahre ins Gefängnis zu schicken.
Ich tröstete mich mit einem Gedanken von Clara Zetkin, auch ohne Parteibuch könne man Kommunist sein.
Für die Partei DIE LINKE bzw. ihre Vorgängerin blieb ich seit 1990 mehr als nur ein Sympathisant oder einer ihrer Wähler. Wo immer ich auftrat, verteidigte ich sie, weil ich überzeugt bin, dass in dieser bundesdeutschen Gesellschaft, die tief gespalten ist an den Besitz- und Verfügungsgrenzen von Geld und Macht und einen Großteil an Zusammenhalt und Gemeinsinn verloren hat, es eine Partei mit parlamentarischem Einfluss links von der SPD geben muss, die die Interessen der Benachteiligten vertritt und so auch die Systemfrage stellt.
Gründe, mich von dieser Partei abzuwenden, weil sie ihren selbstgestellten Auftrag nicht erfüllt, hatte ich wahrlich genug. Manchmal war ich nicht nur enttäuscht über unnötige Streitereien in den Führungsgremien, sondern auch fassungslos, wie Grundsätze des Parteiprogramms zugunsten einer möglichen Regierungsbeteiligung aufgegeben wurden. Als jemand, der die DDR nicht nur von ihrem Ende kennt, sondern ihr Werden und Wachsen von Anfang an miterlebt und mitgestaltet hat, bin ich erschrocken über das Zerrbild von der DDR, das führende Leute der Linkspartei vertreten. Politische Welten klaffen zwischen dem Bekenntnis des Sonderparteitages von 1989 »die Bürger unseres Landes und die Mitglieder unserer Partei, die sich allzeit guten Glaubens mit Herz und Hand für den Sozialismus auf deutschen Boden eingesetzt haben, brauchen die Gewissheit, dass sie eine gute Spur in der Geschichte gezogen haben« [1] und der Definition durch die aktuelle Parteiführung, für die DDR-Geschichte eine »aus links begründeter Unfreiheit, staatlicher Willkür und autoritärem Obrigkeitsdenken« ist. Längst gibt es Persönlichkeiten außerhalb der Linken wie beispielsweise Rechtsanwalt Diestel, der der Verunglimpfung von DDR-Biografien überzeugender entgegentritt als die Führung der LINKEN. Oder der einstige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck, der trotz der in der deutschen Politik vorherrschenden Russophobie geschichtliche Wahrheiten über Russland vertritt, die so leider von führenden Linkspolitikern nicht zu hören sind.
Und dennoch: Wäre ich heute noch Mitglied der Partei DIE LINKE, ich würde nicht austreten. Das hängt sicher mit meinem Parteienverständnis zusammen, dass man Veränderungen wirklich nur innerhalb der Partei und nicht als Außenstehender erreichen kann. Was bliebe denn von der Partei übrig, wenn all jene sie verlassen, die das Parteiprogramm einhalten? Dann würde sie überflüssig werden. Und das darf nicht geschehen. Vorausgesetzt, ich wäre noch Parteimitglied, ich würde mich in einer Struktur der Partei engagieren, die um die Einhaltung des Parteiprogramms und des Parteistatuts ringt. Das ist für mich die Kommunistische Plattform. Um noch einmal auf Clara Zetkin zu kommen: Ich rede von der Plattform nicht ihres Namens wegen. Ich kenne ihre Aktivitäten. Ich lese regelmäßig die monatlichen Mitteilungen der KPF und habe gelegentlich an ihren Kongressen teilgenommen. Ich kann aus eigenem Wissen jenen, die sich mit dem Gedanken tragen, die Partei zu verlassen, nur raten: Gebt nicht auf, niemals! Bleibt und kämpft in der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE für das Parteiprogramm.
20. Februar 2022
Anmerkung:
[1] Referat Michael Schumann, Materialien Außerordentlicher Parteitag der SED-PDS, Berlin, Dezember 1989, Seite 45.
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