Auf Eichmanns Spuren
Ralph Dobrawa, Gotha
Im April dieses Jahres wurde vielfach an den Beginn des Prozesses gegen den »Spediteur des Todes« Adolf Eichmann vor 60 Jahren in Jerusalem erinnert. Meist ist das auch damit verbunden, dass dessen spektakuläre Entführung aus Argentinien, wo er unter dem Namen Ricardo Klement untergetaucht war, im Mai 1960 durch den israelischen Geheimdienst Mossad geschildert wird. Oft wird dabei unterschlagen, dass der ausschlaggebende Hinweis für den Geheimdienst von dem damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer kam, der seinerseits Tipps zum Aufenthalt von Eichmann erhalten hatte. Bauer war klar, dass in der damaligen Atmosphäre der Bundesrepublik – sowohl im gesellschaftlichen wie auch im justitiellen Bereich – nahezu kein Interesse an der Strafverfolgung von Eichmann bestand. Es war nicht ernsthaft zu erwarten gewesen, dass dessen Auslieferung beantragt werden würde, eher musste man befürchten, dass er in Argentinien gewarnt wird und untertaucht. Für Fritz Bauer war es aber wichtig, dass wesentliche Verantwortliche für die Ermordung und Deportation vor allem jüdischer Menschen, aber auch andere Handlanger des Naziregimes, vor Gericht gestellt werden, ihre Untaten untersucht werden und ihre Schuld festgestellt wird. Besondere Verdienste hat er sich dabei erworben, dass es ihm zu verdanken ist, dass der Auschwitz-Prozess vor dem Landgericht Frankfurt am Main, der von 1963-1965 dauerte, stattfinden konnte und überwiegend mit solchen Schuldfeststellungen und Strafaussprüchen endete.
Der 1906 geborene Eichmann wurde noch vor dem Machtantritt der Nazis Mitglied der NSDAP und der SS, später auch der Gestapo. Auf diese Weise avancierte er schnell zum SS-Obersturmbannführer und er wurde Leiter der »Reichszentrale für jüdische Auswanderung« und Referatsleiter für Judenangelegenheiten im Reichssicherheitshauptamt. In dieser Eigenschaft organisierte er die Deportation von Millionen jüdischer Mitmenschen aus ganz Europa und deren Verbringung in Vernichtungslager wie Auschwitz, Sobibor, Majdanek oder Treblinka. Dort starben die meisten von ihnen einen schweren Tod durch das Giftgas Zyklon B. In geradezu bürokratischer Weise organisierte Eichmann den industriemäßig betriebenen Massenmord. Später wird er sagen, er habe nur Befehle empfangen und ausgeführt, und jedes Unrechtsbewusstsein vermissen lassen. Selbst in dem gegen ihn geführten Prozess in Israel, dessen Bilder uns vor einigen Wochen nochmals nachhaltig vor Augen geführt wurden, wirkte er wie ein steifer Bürokrat ohne jegliche Menschlichkeit. Dabei war er selbst nachgewiesenermaßen während der Nazizeit vor Ort im KZ Auschwitz gewesen, hat die Gaskammern besichtigt und konnte sehen, was sich hinter dem Begriff »Endlösung der Judenfrage« letztlich verbarg und wie viele Menschen einen qualvollen Tod fanden. Der Prozess gegen ihn dauerte von April bis Dezember 1961 und endete mit der Urteilsverkündung am 15. Dezember.
Ein anderer akkurater Bürokrat
Zur gleichen Zeit, als man über Eichmann zu Gericht saß, war der Kommentator der Nürnberger Rassegesetze Hans-Maria Globke Staatssekretär im Bonner Bundeskanzleramt unter Adenauer. Adenauer hatte sich bewusst für ihn entschieden, weil auch Globke ein akkurater Bürokrat war, ein Verwaltungsfachmann, dem Gefühle für die Opfer faschistischer Rassengesetzgebung völlig fremd waren.
Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul aus der DDR hatte sich bemüht, dass einige Hinterbliebene von Ermordeten dem Verfahren in Jerusalem als Nebenkläger beitreten können. Dazu führte er Gespräche mit dem damaligen israelischen Justizminister Rosen und dem Generalstaatsanwalt Hausner. Letzteren fragte er am 21. Februar 1961: »Glauben Sie, dass Eichmann auch nur einem jüdischen Menschen ein Haar hätte krümmen können, wenn andere nicht die Voraussetzungen hierfür geschaffen hätten?« Dieser antwortete ihm, dass man in dem Prozess auch über Hitler, Himmler, Kaltenbrunner und Heydrich zu sprechen haben werde. Kaul entgegnete ihm: »Sie nennen nur die Namen von Toten! Warum nennen Sie nicht auch die Namen derer, die heute noch leben und in Westdeutschland bereits wieder in Amt und Würden sind?« Diese Anspielung auf Globke verstand man auch in Israel. Dort bestand allerdings kein Interesse daran, die gerade erst ein Jahr zuvor durch Gespräche zwischen Ben Gurion und Adenauer in Gang gekommenen und verbesserten diplomatischen Beziehungen zu gefährden. Das hing natürlich auch mit wirtschaftlichen Interessen und der Hoffnung auf finanzielle Entschädigungen zusammen. Da man sich sicher sein konnte, dass Kaul in dem Prozess geradezu zwangsläufig die Sprache auf Globke bringen würde, schaffte man kurzerhand durch eine Gesetzesänderung die Nebenklage in Israel ab. Dadurch war zumindest gebannt, dass Kaul unmittelbar als Verfahrensbeteiligter auf den Prozess Einfluss nehmen konnte. Trotzdem reizte ihn das Verfahren und sein Hauptakteur. So nahm er als Beobachter für die DDR an dem Prozess teil und schilderte seine Eindrücke in dem später erschienenen Buch »Der Fall Eichmann«, welches in 3 Auflagen in der DDR erschien. Als ihn Reporter vor Ort beim Verlassen des Gerichtssaales umringten, fragte einer von ihnen: »Ist da drin der Name Globke gefallen?« Kaul erkundigte sich, für welche Nachrichtenagentur der Fragesteller da sei. Dieser antwortete: DPA. Daraufhin rief Kaul lautstark zu den umstehenden Reportern: »Haben Sie es gehört, es war der Nachrichten-Vertreter der Bundesrepublik, der als erster den Namen Globke in den Mund genommen hat!«
Während seines Aufenthalts in Israel kam es im Übrigen auch dazu, dass in sein Hotelzimmer eingebrochen wurde und Dokumente entwendet worden sind. Das geschah zumindest mit Billigung des Bundesnachrichtendienstes, der bis heute den vollständigen Zugang zu den damaligen Akten verweigert und diese noch für mindestens weitere 20 Jahre unter Verschluss halten möchte. Die Journalistin Gaby Weber hat mit großem Engagement sich bereits vor vielen Jahren der Aufdeckung dieser Hintergründe angenommen. Diese waren selbst Gegenstand einer kleinen Anfrage von Abgeordneten der Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag im Jahr 2013. Man wollte wissen, welche Rolle der BND im Zusammenhang mit Eichmann damals spielte. Inzwischen ist bekannt, wer die Einbrecher waren: ein Vertrauter von Adenauer und ein »Bild«-Reporter, ein Schwager des Pressemoguls Axel Cäsar Springer.
Der Prozess gegen Eichmann endete mit der Verkündung des Urteils »Tod durch den Strang«. Eine hiergegen gerichtete Revision seiner Verteidigung wurde am 9. Februar 1962 abgelehnt, und für Eichmann eingereichte Gnadengesuche gleichermaßen. So wurde das Urteil am 1. Juni 1962 vollstreckt.
Ergänzend sei noch angemerkt, dass in der DDR gegen Globke in Abwesenheit des Angeklagten 1963 ein Prozess vor dem Obersten Gericht stattfand. Ihm wurde vorgeworfen, »in Berlin und an anderen Orten von November 1932 bis zur Zerschlagung der faschistischen Gewaltherrschaft im Jahre 1945 gemeinschaftlich handelnd Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen zu haben«. Im Mittelpunkt stand dabei seine Beteiligung an der Ausarbeitung der Nürnberger Rassegesetze und anderer Gesetze mit rassistischem Inhalt. Vor allem die Kommentierungen zu diesen gesetzlichen Bestimmungen stammten von ihm und fanden Eingang in ein juristisches Standardwerk.
Globke war zunächst Referent im Preußischen Innenministerium bis 1938 und anschließend im Reichsministerium des Innern tätig und damit, wie Eichmann, ein sogenannter »Schreibtischtäter«, der selbst nicht Hand an seine Opfer legte, wohl aber wesentliche Voraussetzungen für deren Verfolgung, Deportation und Ermordung schuf. Das Oberste Gericht der DDR verurteilte ihn zu lebenslangem Zuchthaus und stellte in einer dezidierten Urteilsbegründung seine Verantwortlichkeit im Einzelnen fest. Auch wenn Globke die Strafe nie antreten musste, sorgte der Prozess doch dafür, dass weiterhin das Interesse der internationalen Öffentlichkeit auf den Skandal gelenkt wurde, dass er jahrelang als Staatssekretär Adenauers und sogenannte »graue Eminenz« wesentlich die Geschicke der jungen Bundesrepublik mitbestimmte.
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