Attentat in der Wolfsschanze
Dr. Ronald Friedmann, Berlin
Vor 75 Jahren, am 20. Juli 1944, sollte die Tötung Hitlers einen politischen Umsturz in Deutschland einleiten
Der Tag begann früh für Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres. Bereits um 6.00 Uhr holte ihn ein Wagen von seiner Wohnung im Berliner Ortsteil Wannsee ab, um ihn nach Rangsdorf, südlich der Reichshauptstadt, zu bringen. Begleitet wurde er von seinem Adjutanten, Oberleutnant Werner von Haeften. Von Rangsdorf aus flogen die beiden Offiziere nach Rastenburg in Ostpreußen: Um 13.00 Uhr sollte Stauffenberg dem »Führer« in dessen Hauptquartier »Wolfsschanze« über die Aufstellung neuer Truppenteile berichten, die im Krieg gegen die Sowjetunion verzweifelt benötigt wurden. Doch in ihren Aktentaschen transportierten Stauffenberg und Haeften nicht nur die für den Vortrag erforderlichen Unterlagen, sondern auch zwei Sprengladungen, die mit lautlos arbeitenden chemischen Zündern versehen waren. Stauffenberg war entschlossen, an diesem 20. Juli 1944 unter allen Umständen Hitler zu töten und so das Signal für eine militärische Erhebung in Deutschland zu setzen.
Die Voraussetzungen allerdings waren ungünstig. Stauffenberg hatte infolge einer Kriegsverletzung nur noch den linken Arm, an der verbliebenen Hand hatte er nur noch drei Finger. Doch es gab keine Alternative – Stauffenberg war der einzige Angehörige der militärischen Verschwörung, dessen Dienststellung es erlaubte, in die Nähe Hitlers zu gelangen und dabei eine Bombe mit sich zu führen. Allerdings brauchte er die Hilfe seines Adjutanten, um diese Bombe scharf zu machen. Die beiden Offiziere hatten sich nach ihrer Ankunft im »Führerhauptquartier« in ein leerstehendes Zimmer zurückgezogen, um die beiden Sprengladungen zusammenzufügen und in der Aktentasche von Stauffenberg zu verstauen. Dabei wurden sie gestört, so dass Stauffenberg nur die Hälfte des vorgesehenen Sprengstoffs zu der Besprechung mit Hitler mitnehmen konnte. Und es gab weitere Probleme: Der Termin war kurzfristig um eine halbe Stunde vorverlegt worden, so dass Stauffenberg und Haeften kaum Zeit für ihre Vorbereitungen blieb, und auch der Ort der Besprechung war geändert worden: Statt in einem unterirdischen Bunker, wo die Bombe unbedingt tödlich gewesen wäre, fand die Zusammenkunft nun in einer Baracke statt, die so leicht gebaut war, dass sie der Druckwelle der Bombe keinerlei Widerstand entgegensetzte und damit deren Wirksamkeit extrem verringerte.
Gegen 12.30 Uhr betrat Stauffenberg den Besprechungsraum. Es gelang ihm, seine Aktentasche mit der Bombe und dem aktivierten Zünder in unmittelbarer Nähe Hitlers zu plazieren. Dann verließ er unter einem Vorwand den Raum und begab sich mit seinem Adjutanten sofort zum Flugplatz, um die Rückreise nach Berlin anzutreten und dort seinen Platz in der Führung der militärischen Erhebung einzunehmen.
Um 12.42 Uhr explodierte die Bombe. Wie durch ein Wunder blieb Hitler nahezu unverletzt. Doch Stauffenberg, der die Explosion gehört hatte, war überzeugt, dass das Attentat erfolgreich war. Hitler, so seine Überzeugung, war tot.
Während sich Stauffenberg auf dem Rückflug befand und in dieser Zeit keinerlei Einfluss auf den Fortgang der Ereignisse nehmen konnte, zeigten sich seine Mitverschwörer in Berlin merkwürdig unentschlossen, die gemeinsam geplanten nächsten Schritte zu unternehmen. Zwar war gegen 13.30 Uhr endlich die Meldung von dem Attentat auf Hitler in Berlin eingetroffen. Doch General Friedrich Olbricht, dessen Aufgabe es nun gewesen wäre, umgehend den Plan »Walküre« [1] zur Mobilisierung des Ersatzheeres auszulösen, um die politischen und militärischen Schlüsselpositionen in Deutschland und den besetzten Gebieten unter die Kontrolle der Verschwörer zu bekommen, wollte zunächst eine Bestätigung abwarten, dass Hitler tatsächlich tot sei. Deshalb unterließ er auch den Befehl, umgehend alle Nachrichtenverbindungen zum »Führerhauptquartier« zu unterbrechen. Schließlich ergriff sein Stabschef, Oberst Mertz von Quirnheim, die Initiative und setzte ohne Wissen und Zustimmung seines Vorgesetzten »Walküre« doch noch in Gang. Allerdings kam dieser Entschluss viel zu spät.
Die hitlertreuen Kräfte hatten inzwischen genügend Zeit gehabt, um die Niederschlagung der militärischen Erhebung zu organisieren. Gegen 23.00 Uhr hatten sie die Lage nicht nur in Berlin, sondern im gesamten deutschen Machtbereich wieder vollständig unter Kontrolle. Der Aufstand gegen Hitler war zusammengebrochen, bevor er tatsächlich begonnen hatte.
Claus Graf von Stauffenberg, Werner von Haeften, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht wurden noch in der Nacht zum 21. Juli 1944 standrechtlich erschossen. In den folgenden Tagen und Wochen wurden hunderte Mitverschwörer, aber auch Hitler-Gegner, die mit dem Attentat nichts zu tun hatten, verhaftet, gefoltert und getötet. Zu den Opfern des Rachefeldzugs der deutschen Faschisten gehörte auch Ernst Thälmann, der Vorsitzende der KPD, der nach elfjähriger Haft am 18. August 1944 im KZ Buchenwald ermordet wurde.
Noch am Abend des 20. Juli 1944 wandte sich Hitler mit einer reichsweit im Rundfunk übertragenen Rede an die Öffentlichkeit und räumte damit auch die letzten Zweifel aus, dass er das Attentat tatsächlich überlebt hatte. Es sei, so Hitler, lediglich eine »kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser … Offiziere« gewesen, die hinter dem Attentat gestanden hätte.
Verbündete
Doch zum Entsetzen der Naziführung zeigten die nachfolgenden Ermittlungen der Gestapo, dass der Kreis der Verschwörer deutlich größer gewesen war und dass zu ihm Vertreter faktisch aller Teile der Bevölkerung gehörten. So hatte es nicht nur enge Kontakte zum bürgerlich-konservativen »Kreisauer Kreis« um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg gegeben, dem sich auch Julius Leber, Adolf Reichwein und andere Sozialdemokraten angeschlossen hatten. Es bestanden auch – erste – Kontakte zum kommunistischen Widerstand. Etwa vier Wochen vor dem Attentat auf Hitler, am 22. Juni 1944, hatten sich Leber und Reichwein erstmals mit den Kommunisten Anton Saefkow, Franz Jacob und Ferdinand Thomas getroffen, um Möglichkeiten des gemeinsamen Kampfes aller Hitlergegner zu diskutieren. Ein für den 4. Juli 1944 geplantes zweites Treffen kam allerdings nicht mehr zustande, ein Verräter hatte die Teilnehmer der Zusammenkunft an die Gestapo ausgeliefert. [2]
Auch in anderen Richtungen suchten die Verschwörer des 20. Juli 1944 nach Verbündeten. So wurde im Zuge von Ermittlungen des US-amerikanischen Office of Strategic Studies über geheimdienstliche Operationen der Sowjetunion in der Zeit des Zweiten Weltkriegs bekannt, dass es seitens der Verschwörer auch ernsthafte Versuche gegeben hatte, über die sowjetische Botschaft in Stockholm Verbindungen zum Nationalkomitee Freies Deutschland und dem Bund Deutscher Offiziere herzustellen, die im Sommer 1943 in der Sowjetunion gegründet worden waren. [3]
Wege zum Kampf
Weder Stauffenberg noch seine Mitverschwörer waren von Anfang an Gegner des Hitlerregimes gewesen, im Gegenteil. Viele Aspekte der Ideologie und der Politik des deutschen Faschismus kamen ihren ursprünglichen Vorstellungen von einer – auch gewaltsamen – Neuordnung der Welt durchaus entgegen. Erst der Massenmord an den europäischen Juden und die Art und Weise der Kriegführung gegen die Sowjetunion ließ die späteren Verschwörer, angesichts ihrer Herkunft und ihres Eides auf den »Führer« erst nach langen inneren Kämpfen und unter großem Zögern, den Weg zum Kampf gegen Hitler finden. Im Falle von Stauffenberg zum Beispiel lassen sich Kontakte zum militärischen Widerstand erst in der Zeit ab Herbst1943 nachweisen, wobei er in der Folge sehr schnell eine führende Rolle übernahm.
Und auch das gehört zur geschichtlichen Wahrheit: Es gab unter den Verschwörern des 20. Juli 1944 kein tragfähiges gemeinsames Konzept für die Zeit nach Hitler. Stauffenberg und die Offiziere an seiner Seite hatten sich bei ihren Planungen vor allem auf die militärischen Aspekte der Erhebung konzentriert, den politischen Fragen aber nicht die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet. Zwar fand sich in den Dokumenten, die sie hinterließen, auch der Entwurf einer programmatischen Rede, die das neue deutsche Staatsoberhaupt nach dem Erfolg der militärischen Erhebung halten sollte, doch hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit heftige Auseinandersetzungen um die Wege zu diesem durchaus hehren Ziel gegeben: »Unser Ziel ist die wahre, auf Achtung, Hilfsbereitschaft und soziale Gerechtigkeit gegründete Gemeinschaft des Volkes. Wir wollen Gottesfurcht anstelle von Selbstvergottung, Recht und Freiheit anstelle von Gewalt und Terror, Wahrheit und Sauberkeit anstelle von Lüge und Eigennutz. … Wir werden in harter Arbeit ringen müssen, um langsam wieder vorwärts und aufwärts zu kommen!« [4]
Am 20. Juli 1945, dem ersten Jahrestag des Attentats auf Hitler, würdigte Anton Ackermann, ein führender Funktionär der KPD, die Verschwörer um Stauffenberg und kam dabei zu dem bis heute gültigen Schluss: »Eine konsequentere Politik der antifaschistischen Einheit, basierend vor allem auf der Aktivität der gesunden Kräfte des schaffenden Volkes, hätte andere, erfolgversprechende Perspektiven des Kampfes gegen Hitler, für Frieden und Freiheit eröffnen können. Möge diese Hauptlehre des 20. Juli 1944 heute von allen erkannt und von niemandem im antifaschistisch-demokratischen Lager vergessen werden.« [5]
Anmerkungen:
[1] Der Plan »Walküre« war von der Wehrmacht entwickelt worden, um einen eventuellen Aufstand ausländischer Zwangsarbeiter niederwerfen zu können. Für die militärische Erhebung gegen Hitler war er von den Verschwörern angepasst und umfunktioniert worden.
[2] Leber, Reichwein, Saefkow, Jacob und Thomas wurden verhaftet, vom »Volksgerichtshof« zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee bzw. Brandenburg-Görden ermordet. Der Verräter wurde im November 1945 von einem sowjetischen Militärgericht verurteilt und hingerichtet.
[3] Vgl. dazu u.a.: Eva C. Schweitzer, Europa im Visier der USA, Das Ende der transatlantischen Freundschaft? Berlin 2017 (eBook).
[4] So zitiert in: Kurt Finker, Der 20. Juli 1944. Militärputsch oder Revolution? Berlin 1994, S. 248.
[5] Deutsche Volkszeitung, Berlin, 20. Juli 1945.
Mehr von Ronald Friedmann in den »Mitteilungen«:
2019-07: Majdanek
2019-02: Weder Recht noch Rache
2018-10: Der südafrikanische Weg