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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Aggressiv und kostenaufwendig

Ellen Brombacher, Berlin

 

Das VG Berlin hat am 7. September 2011 entschieden, daß die NPD Plakate, mit denen sie für sich zur Berliner Abgeordnetenhauswahl am 18. September 2011 wirbt, nicht entfernen muß. In juris Das Rechtsportal ist hierzu nachzulesen:

Im Berliner Wahlkampf wirbt die Partei gegenwärtig u.a. mit zwei Plakaten: Eines zeigt unter der Überschrift "Guten Heimflug" drei gezeichnete Personen auf einem fliegenden Teppich sitzend (eine dunkelhäutige Person, eine Frau mit muslimischem Kopftuch und ein Mann mit turbanähnlicher Kopfbedeckung und Schnurrbart). Das andere Plakat zeigt den NPD-Bundesvorsitzenden auf einem Motorrad und enthält in größerer Schrift den Zusatz "GAS geben!" Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ordnete die Beseitigung der Plakate an, da diese Straftatbestände erfüllten.

Das VG Berlin teilte diese Bewertung nicht und hat den Eilantrag auf Entfernung der Plakate abgelehnt.

Beide Plakate erfüllen nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes in objektiver Hinsicht weder den Tatbestand der Volksverhetzung (§130 StGB) noch den Tatbestand des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§86 Abs. 1 StGB). Das Plakat mit der Überschrift "Guten Heimflug" sei noch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Auch scharfe und übersteigert formulierte Aussagen seien dem Schutzbereich dieses Grundrechts nicht entzogen. Zwar sei nicht von der Hand zu weisen, daß die Antragstellerin mit der Plakataufschrift "GAS geben!" durchaus bezweckt haben könnte, Assoziationen zu nationalsozialistischen Greueltaten zu wecken. Es sei aber nicht auszuschließen, daß sie damit nur auf eine eher volkstümliche Formulierung von politischen Entscheidungsprozessen habe hinweisen wollen. Bei einer Mehrdeutigkeit dürften Gerichte nicht von der eine Strafbarkeit begründeten Deutung ausgehen, ohne andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen zu haben. Für den Straftatbestand des §86 Abs. 1 StGB fehle es bereits an einer verfassungswidrigen Organisation, weil die NPD bislang nicht verboten sei.

Gegen die Entscheidung ist Beschwerde zum OVG Berlin-Brandenburg zulässig.

Wie wohl würde ein deutsches Verwaltungsgericht urteilen, gäbe es ein Plakat mit dem total zerstörten Dresden unter strahlender Sonne und der Aufschrift "Bombenwetter". Wie wohl über ein Plakat mit einem im Frühjahr 1945 aus Polen kommenden Flüchtlingstreck mit der Aufschrift "Osterspaziergang". Wie wohl über ein Plakat mit in sowjetische Kriegsgefangenschaft gehenden deutschen Soldaten mit der Aufschrift "Ist der Deutsche kriminell, geht's nach Hause nicht so schnell." Doch darüber muß sich ein deutsches Verwaltungsgericht keine Sorgen machen. Die humanistische Grundeinstellung von Linken, ich denke da nicht an die sogenannten Antideutschen, verbietet einen solchen Zynismus. Den Nazis wird dieser Zynismus zugebilligt. Denn eines kann man ihnen nicht unterstellen, daß sie nämlich – selbst wenn sie nicht primär Assoziationen zum Holocaust wecken wollten – nicht genau gewußt hätten, welche Assoziationen dieses "GAS geben" hervorruft. Ich jedenfalls habe nicht einen Menschen gesprochen, dem bei diesem Hetzplakat nicht der millionenfache Mord an Jüdinnen und Juden in den Sinn gekommen wäre. Doch das reicht in Deutschland offensichtlich nicht aus, um einen Straftatbestand zu erfüllen. Man darf Judenhaß assoziieren, Haß auf Muslime und dunkelhäutige Personen ohnehin. Es ist keine Volksverhetzung, zu plakatieren "Ist der Ali kriminell, in die Heimat aber schnell." "Deutsche Kinder braucht das Land, sonst bleibt es nicht in unserer Hand" ist allemal erlaubt. "Kinder statt Inder" hat ein Protagonist der CDU schon vor Jahren erfunden. "Soziale Sicherheit statt Multikulti" ist selbstverständlich auch keine Volksverhetzung. Natürlich: Assoziationen, die Ausländer seien schuld an unserem Unglück, könnten da schon geweckt und somit irgendwie noch ganz andere Bezüge hergestellt werden, zumal die Treitschke-Straße bis heute noch nicht umbenannt ist – aber "andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen können ebenfalls nicht ausgeschlossen werden". Regina Girod hat in der antifa vom September-Oktober 2011 unter der Überschrift "Woher diese Verrohung?" überzeugend analysiert, daß das Agieren der heutigen Nazis nicht von der offiziellen Politik, "speziell des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft" getrennt werden kann. Diesbezüglich soll hier nichts wiederholt werden. Ergänzt sei nur: Es ist erschreckend, daß Tausende Naziplakate das Bild des Berliner Wahlkampfes erheblich mit prägten: Aggressiv, voller Menschenverachtung – und kostenaufwendig. Geheuchelter "Antikapitalismus" ist – wie einstmals bei den deutschen Faschisten – die demagogische Grundlage für völkisch verbrämten Rassenhaß. Wo so etwas enden kann, wissen wir inzwischen. Aber die damaligen Anfänge sind vielleicht auch bei vielen Linken ungenügend im Bewußtsein. Vor dem eigentlichen Massenmorden lag die verbale Massenverhetzung. Wie Massenverhetzung heute angedacht ist, bezeugen die Naziplakate von 2011. Wir müssen die Methoden der Faschos heute genau kennen und dokumentieren deshalb die Texte ihrer Wahlplakate:

Texte auf Wahlplakaten der NPD: "Unsere Arbeit – unser Geld. Raus aus dem Euro", "Jetzt hilft nur NPD", "Deutsche Kinder braucht das Land …", "Soziale Sicherheit statt Multikulti", "Heimat, Familie, Arbeit", "Ohrfeige für Politbonzen", "Wehrt Euch gegen Arbeitsplatzabbau und Sozialabbau", "Bildung wie in Finnland. Pisa Platz 1. Ausländeranteil 2%", "Warum nicht NPD? Fritz Liebenow – das ist gut so.", "Guten Heimflug" (auf fliegendem Teppich arabischer Mann, arabische Frau mit Kopftuch und Afrikaner), "Ist der Ali kriminell in die Heimat, aber schnell", "Lohndrücker stoppen. Arbeit statt Armut", "Sicherheit durch Recht und Ordnung", "GAS geben" (Voigt mit schwarzer Lederjacke auf Motorrad), "Fluglärm stoppen", "Zukunft statt Schulschließung", "Volksgesundheit statt Ärztemangel".

Texte auf Wahlplakaten von Pro Deutschland: "Wählen gehen für zensierte Thesen" (durchgestrichene Moschee), "Unsere Frauen bleiben frei" (Frau mit Burka, Gitter vor Augenschlitz), "Hauptstadt der Angst? Nicht mit uns!" (Maskierter).

 

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