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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

"... achte ich besonders auf demokratisches Verhalten"

Klaus Höpcke, Berlin

 

Ruth Werner – im ersten Jahrzehnt seit ihrem Tod

 

Unsere Genossin Ursula Beurton/Ruth Werner, die am 7. Juli 2000 im Alter von 93 Jahren gestorben war, haben wir am 17. Juli auf dem Friedhof Berlin-Baumschulenweg zu Grabe getragen. Über 300 Angehörige und Gäste erwiesen ihr in der Trauerfeier die Ehre gedenkender Erinnerung.

Blicken wir auf das erste Jahrzehnt seit ihrem Tod zurück, gerät uns Ermutigendes vors Auge, das Genugtuung hervorruft. Es gab aber auch Beschämendes.

Zum Ermutigenden gehörte die Initiative, aus Anlaß von Ruth Werners 100. Geburtstag am 15. Mai 2007 einen Uferweg an der Spree "Ruth-Werner-Promenade" zu nennen. Dafür sprachen sich ein Bürgerkomitee Plänterwald und der Bund der Antifaschisten Treptow e.V. aus, des weiteren VVN-BdA Köpenick e.V. und viele andere. Sie wurden nachhaltig von Jutta Matuschek unterstützt, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Zur Begründung schrieben die Initiatoren in einem Flugblatt: "Ruth Werner war eine mutige Antifaschistin, Jüdin, Kommunistin. Sie hat unter Einsatz ihres Lebens als Kundschafterin das Hitler-Regime bekämpft. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin erreichte sie als Schriftstellerin die Herzen vieler Menschen. Ruth Werner wohnte viele Jahre im Dammweg 35 in Berlin-Treptow. Der Uferweg an der Spree war ihr bevorzugter Spazierweg. Wir ehren Ruth Werner, wenn wir an ihrem Geburtstag in ihren Fußstapfen diesen Weg entlang laufen, uns ihrer erinnern, aus ihren Büchern uns vorlesen. Wir wollen diesen Weg Ruth-Werner-Promenade nennen, ihr zu Ehren und uns zum Gedenken."

Das Beschämende: Drei Wochen vor Ruth Werners 100. Geburtstag, am 26. April 2007, beschloß eine Mehrheit aus den Fraktionen von SPD, CDU, FDP, Grünen und NPD in der Bezirksverordnetenversammlung von Treptow-Köpenick nach einer entwürdigenden Diskussion, die Benennung des Spreeuferwegs in Ruth-Werner-Promenade abzulehnen.

Sofern Beschämendes sich steigern läßt, bleibt hinzuzufügen: Das noch Beschämendere bestand darin, daß der Treptow-Köpenicker Bezirksverordnetenfraktionsvorsitzende der SPD, Igel, sein Verhalten mit dem Hinweis rechtfertigen wollte, die Antragsteller und Befürworter hätten bei der Unterschriftensammlung für ihr Vorhaben "unprofessionell agiert". Das wirkliche Motiv, eine Ehrung für Ruth Werner zu verweigern, kam unverhüllt in einer der Gremiensitzungen vor der Abstimmung vom 26. April zum Ausdruck. Und zwar in Satzfetzen wie diesem: Ruth Werner sei "weniger Antifaschistin als Gehilfin Stalins" gewesen.

Ruth Werners Freunde haben sich so nicht lahmlegen lassen. Etwa 150 von ihnen aus dem Bezirk Treptow-Köpenick sind gleich am 15. Mai als demonstrierende Spaziergänger ohne Bezirksverordnetenplacet den Spreeuferweg entlang gestapft. Sie haben den Weg – vorerst symbolisch – Ruth-Werner-Promenade genannt.

Weiteres bleibt wohl noch offen, ist zu hoffen.

Wer sich für Gespräche wappnen will, Auseinandersetzungen darüber, ob es ein historisch richtiger oder falscher Entschluß war, dafür sorgen zu helfen, daß beide in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg voraussehbar dominierenden Weltmächte – statt nur einer – über die Atombombe verfügten, der kann erfreulicherweise fundierte Antworten in zwei Büchern finden, die im ersten Jahrzehnt seit Ruth Werners Tod erschienen sind: in dem von Rudolf Hempel herausgegebenen Sammelband "Funksprüche an Sonja. Die Geschichte der Ruth Werner", veröffentlicht 2007 im Verlag Neues Leben, und in Eberhard Panitz´ 2009 in erweiterter Auflage herausgekommenem Buch "Geheimtreff Banbury. Wie die Atombombe zu den Russen kam", Verlag Das Neue Berlin.

Ob Gedenkenbehinderer wie der zitierte Herr Igel aus Köpenick imstande sind, neue Einsichten zu gewinnen, ist ungewiß. Unmöglich braucht es aber auch nicht zu sein. Die Betreffenden könnten beispielsweise mit Lesefrüchten wie dieser vertraut gemacht werden: In Panitz´ Buch findet man dargestellt, wie Klaus Fuchs, mit dem Ruth Werner in Großbritannien zusammenarbeitete, und der dänische Atomphysiker Niels Bohr sich angesichts amerikanisch-englischer Politik-Manöver wie der Hinauszögerung der "zweiten Front" mehr und mehr der "furchtbaren Bedrohung" bewußt wurden, die entstehen könnte, falls die Bombe "nur im Besitz der einen Seite" blieb. "Wollte die Sowjetunion nicht ihre Unabhängigkeit verlieren und vom Wohlwollen der Westmächte abhängig sein, müßte sie", meinte Bohr, "eigene Atomwaffen haben". Bohr und Fuchs dachten beide schon über den Krieg gegen Hitler hinaus. Bohr plädierte in einem Brief an Roosevelt dafür, die USA sollten vor Einsatz der Atombombe die UdSSR wenigstens unterrichten. Roosevelt besprach das mit Churchill. Der lehnte ab und sagte sogar, man solle Niels Bohr als einen Verdächtigen verhaften.

Einem ergänzenden Kapitel in der englischen, 1991 erschienenen Ausgabe von "Sonjas Rapport" sind Schilderungen Ruth Werners von ihren mit dem Fahrrad unternommenen Ausflügen zu den Treffen mit Klaus Fuchs in bzw. nahe bei der Stadt Banbury entnommen. Über den emotionalen Gehalt dieser Begegnungen sagt ein Satz von ihr das Wesentliche: "Das gemeinsame, gefährliche Handeln schuf eine große Nähe und Verbundenheit." Was ihre "Rolle" betrifft, schreibt sie: "Meine Rolle dabei war gering, ich war einfach nur der Bote, der mit der technischen Übermittlung betraut war, mehr nicht." Mehr nicht? Der für sie zuständige Direktor in der Zentrale des von Fuchs und ihr mit Nachrichten versorgten Dienstes sah das anders: "Wenn wir fünf Sonjas in England besäßen, wäre der Krieg früher zu Ende."

Zu den von Klaus Fuchs und Ruth Werner an die sowjetischen Partner übermittelten Materialien gehörten, was in Panitz´ Buch dokumentiert ist (Seite 24), unter anderem:

- detaillierte Angaben über die Reaktoren und die chemische Fabrik zur Gewinnung von Plutonium in Winskale;

- eine vergleichende Analyse der Funktionstätigkeit von Uranöfen mit Luft- bzw. Wasserkühlung;

- das Grundschema der Wasserstoffbombe und theoretische Daten zu ihrer Herstellung, erarbeitet von Wissenschaftlern der USA und Englands im Jahre 1948;

- die Ergebnisse der Erprobung einer Wasserstoffbombe im Gebiet des Eniwetok-Atolls durch die Amerikaner;

- Angaben über den Stand der englisch-amerikanischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Herstellung von Atomwaffen.

Zum Schluß meiner Betrachtung über die nötige Ausweitung und Vertiefung des Verständnisses für das, was Ruth Werner weltgeschichtlich zu bewirken geholfen hat, sei ein mir unvergeßlich gebliebenes Wort zitiert, das sie nach innen, an uns hier gerichtet hat.

Am 24. November 1987 ergriff sie auf dem X. Schriftstellerkongreß der DDR in Berlin das Wort. Sie sagte ihren Kolleginnen und Kollegen: "Ich kann euch versichern, Probleme hören für keine Generation auf, und für jene, die sich ein Leben lang gut geschlagen haben, gab es ebenfalls Probleme, Konflikte und Widersprüchliches." Im Rahmen ihrer Weltanschauung habe sie die dunklen Seiten jener Zeit verarbeiten müssen, in der Mißbrauch der Macht geherrscht hatte. "Seitdem achte ich besonders auf demokratisches Verhalten, niemanden täuschen, nichts vertuschen ... es ist für mich und die Leser wesentlich, daß meine Bücher ehrlich sind." Und mahnend sagte sie auch dies: "Schriftsteller und – ich hoffe – Journalisten wissen: Die schönsten Sätze, zu oft wiederholt, werden blaß wie die allerletzte Kopie einer Schreibmaschinenseite."

 

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