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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

75. Jahrestag der Gründung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe

Prof. Dr. Christa Luft, Berlin

 

Am 25. Januar 1949 wurde auf Initiative der Sowjetunion in Moskau der Rat für Gegenseiti­ge Wirtschaftshilfe (RGW) gegründet. Zu den Mitgliedern der ersten Stunde gehörten Bul­garien, Polen, Rumänien, Ungarn und die Tschechoslowakei. Die DDR trat dem Bündnis im September 1950 bei.

Im Westen als COMECON (Council for Mutual Economic Assistence) bezeichnet, sollte der RGW ein Gegengewicht sein zur 1948 geschaffenen OEEC, der Organisation für (west)europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit. Er galt auch als Antwort auf die Her­ausforderungen, die sich für die Sowjetunion und ihren Einflussbereich aus dem von den USA organisierten und finanzierten Wiederaufbauprogramm für Europa (ERP bzw. Mar­shallplan) ergaben. Er war aber mehr: Er war die wirtschaftliche Komponente eines Sys­tems international geschlossener Gesellschaften. Für die DDR war unter den gegebenen Nachkriegsverhältnissen jede Alternative zur Zusammenarbeit mit der Sowjetunion – ob politisch, ökonomisch oder militärisch – undenkbar. Diese garantierte eine stabile Versor­gung mit Rohstoffen, vor allem mit Erdgas und Erdöl, und sicherte in der verarbeitenden Industrie die Produktion großer Stückzahlen wie sonst nirgends auf dem Weltmarkt. Das bedeutete für DDR-Betriebe eine zuverlässige langfristige Disposition. Die Maschinenbau­kombinate konnten mehr als die Hälfte ihrer Kapazitäten über einen Fünfjahreszeitraum mit der Sowjetunion binden. Als Beispiele für jährliche Lieferungen seien genannt: große Schiffe, tausende von Reisezugwagen und Kühlwaggons, Großdieselmotoren, Hafenkräne, Eisenbahndrehkräne, Raupendrehkräne, zahlreiche Ausrüstungen für die Gas- und Ölförde­rung aber auch Möbel und Konsumgüter. In dieses für eine zuverlässige Kooperation gemachte Bett legten sich nach der deutschen Einheit mit aktivem Zutun der Treuhand westdeutsche Konzerne, und die Bundesregierung gewährte staatliche Bürgschaften für eventuelle Zahlungsausfälle der neuen östlichen Kunden. Noch nicht privatisierten DDR-Unternehmen mit langjährigen Russlandkontakten wurden solche Hilfen nicht gewährt. Politische Engstirnigkeit ging vor Beschäftigungssicherung.

Ausdehnung des RGW über die europäischen Grenzen

Bis in die 1970er Jahre dehnte sich der RGW mit dem Beitritt der Mongolei (1962) Kubas (1972) und Vietnams (1978) über Europas Grenzen hinweg aus. Diese Erweiterung war vor allem politisch motiviert. Die erheblichen wirtschaftlichen Niveau- und Strukturunterschie­de der beteiligten Staaten sowie das ökonomische und politische Übergewicht der Sowjet­union belasteten den Zusammenschluss und erwiesen sich als Integrationshemmnis. Hochindustrialisierte Länder sahen sich im Bunde mit landwirtschaftlich geprägten. Deren pro-Kopf-Einkommen nahm dank der Kooperation langsam zu, differierte aber auch nach jahrelanger Zusammenarbeit noch erheblich von dem der hochindustrialisierten Partner.

Überlebenswichtig war die Mitgliedschaft im RGW für Kuba, das vom Nachbarn USA seit Anfang der 1960er Jahre mit den schmerzhaftesten und am längsten andauernden Sank­tionen und Blockaden belegt worden ist mit dem bislang vergeblichen Versuch, die Politik in Havanna grundlegend zu ändern und das Land auf einen kapitalistischen Weg zu ziehen. Das konnte nur durch brüderliche Hilfe der Sowjetunion und anderer RGW-Länder abge­wendet werden. Der Sowjetunion verdankt Kuba vor allem den Aufbau und Ausbau des Energiesektors, der DDR z.B. die Errichtung eines großen Zementwerkes und anderer für Bevölkerung und Wirtschaft wichtiger Investitionen. Und: Als Nahrung für Kinder lieferte sie zuverlässig Milchpulver. Das sind nur Beispiele.

RGW und westliche Embargopolitik

Die Abgeschlossenheit des RGW gegen den Weltmarkt entsprang weniger einem selbst ge­wählten Autarkiestreben, es war zuoberst Folge der westlichen Embargo-Politik. Noch 1985 wurde durch ein neues US-amerikanisches Handelsgesetz dieses Vorgehen verschärft und perfektioniert. Die Abschottung des RGW von der internationalen Arbeitsteilung vor allem auf dem Gebiet der Hochtechnologien war am Ende total. In der DDR führte das innerhalb des Ministeriums für Außenhandel zur Herausbildung eines exklusiven, rein marktwirtschaft­lich organisierten Raumes im Planungssystem: des Bereiches »Kommerzielle Koordinierung«, kurz »KOKO«, auch »Imperium Schalck-Golodkowski« genannt. Das kümmerte sich um die Einnahme konvertierbarer Devisen und die Beschaffung von westlichen High-Tech-Erzeugnis­sen. Nur unter Beibringung importierter elektronischer Steuerungen konnten die begehrten DDR-Werkzeugmachinen zu einem akzeptablen Preis exportiert werden.

Defizite in der Zusammenarbeit und Gründe des Scheiterns

Was hat den RGW nach 42 Jahren schließlich zum Zusammenbruch gebracht? Da sind zual­lererst Gründe zu benennen, die schließlich das sozialistische System insgesamt implodie­ren ließen: Gravierender Produktivitätsrückstand gegenüber führenden kapitalistischen Industrieländern, Demokratiedefizite, die auch Innovationspotenzial einschnürten, ein star­res Leitungs- und Planungssystem, das Leistung nicht belohnte, sondern eher behinderte, Unterschätzung von Wertkennziffern zugunsten von Naturalkennziffern, ein fehlendes origi­näres Preissystem sowie das Fehlen einer eigenen konvertierbaren Währung. Verrechnet wurden die gegenseitigen Austauschbeziehungen in transferablen Rubeln, einer Art Kunstwäh­rung, ökonomisch nicht begründet und nicht begründbar, selbst als multilare Verrechnungsein­heit funktionierte er höchst unvollkommen. Er stimulierte den bilateralen Austausch Ware gegen Ware und behinderte die Ausweitung des Handels, weil jedes Land auf eine ausgegli­chene Bilanz mit jedem anderen Partner achtete, denn Exportüberschüsse in einem waren kaum für Importe in einem anderen einsetzbar.

Diskrepanzen gab es in den Planungssystemen der Länder. Ungarn und Polen zum Beispiel hatten ihre Planung stark dezentralisiert und Entscheidungen auf die untere Ebene dele­giert. Antipoden mit straff zentralisierter Planung waren die UdSSR und die DDR. Bei sol­chen Unterschieden fiel eine multilaterale Plankoordinierung schwer. Die aber sollte zusammen mit der Spezialisierung und Kooperation in der industriellen Produktion die Hauptmethode zur Erreichung der Ziele in der Zusammenarbeit sein.

Es gab auch mentale Unterschiede und nationale Egoismen, die internationale Projekte behindeten. Vor allem aber der eskalierende Dauermangel an allen Gütern und Leistungen, der sich steigernde Devisenhunger machte gemeinsame rationale Überlegungen mehr und mehr zunichte. Der Westexport erhielt absoluten Vorrang in allen RGW-Ländern. So bestand Ungarn z.B. Ende der 1980er Jahre darauf, der DDR langfristig zugesagte Lieferun­gen von Ikarusbussen sowie von Obst und Gemüse nur noch gegen freie Devisen zu reali­sieren. Die Sowjetunion verlangte zuletzt für manche nicht langfristig vereinbarte Lieferung freie Devisen. Sie kürzte Öl-Liefermengen und erhöhte die Preise. Klagen der DDR dagegen konterte sie damit, dass diese billig importiertes Öl raffinierte und als Benzin gegen hartes Geld nach Westdeutschland verkaufte. In manchen Jahren hatte sie so ein Drittel des Devisenaufkommens generiert.

Die Niedergangsphase der RGW-Länder endete schließlich in deren Flucht in die kapitalisti­sche Weltökonomie nach dem Prinzip: Jeder stirbt für sich allein.

Am 28. Juni 1991 beschlossen die RGW-Länder in Budapest die Auflösung des Bündnisses binnen Quartalsfrist. Die DDR war im Zuge des Vereinigungsprozesses mit der BRD bereits 1990 ausgetreten. So nahm das einst vielversprechende Projekt ein schmähliches Ende.

Was bleibt?

Bleibt vom RGW nur das imposante Moskauer Hochhaus in den Konturen eines aufgeschlagenen Buches im Gedächtnis, das der internationalen Organisation als zentraler Sitz diente? Und überleben nur Gedenkmünzen bzw. Gedenkbriefmarken als Artefakte einer vergangenen Zeit? Oder bleibt als Zeugnis damaliger Kooperation nicht eine Reihe gemeinsamer Investitionsprojekte, darunter vor allem die von Nordsibirien bzw. dem Ural bis in die westlich und südwestlich gelegenen Mitgliedsländer führende Erdölleitung »Drushba« (Freundschaft), deren Trassen Teil eines Netzes waren, das Mittel- und Westeuropa, darunter die DDR und später die Bundesrepublik Deutschland, stabil und preisgünstig mit Erdgas versorgte bis zu deren bis heute nicht aufgeklärter Zerstörung im Jahre 2022. Und die Entwicklung einst agrarisch geprägter Länder zu Industriestaaten ist eine historisch nicht zu tilgende Hinterlassenschaft, ebenso das Engagement in Entwicklungsländern, die nicht vorrangig als Rohstofflieferanten ausgenutzt wurden. Oder bleibt, um noch etwas hinzuzufügen, nicht auch die Erinnerung zehntausender Delegierter aus den Mitgliedsstaaten an eine interessante, meist kameradschaftliche, oft auch mühsame und nicht selten konfliktreiche Zusammenarbeit unter »Bruderländern«?

Ja, das bleibt in jedem Falle. Ich meine aber, es bleibt mehr. In der Rückschau lassen sich Erfahrungen verdichten, die heute und künftig für internationale wirtschaftliche Zusammen­schlüsse nicht ohne Belang sind und die sich sogar in gewisser Weise in der Europäischen Union und besonders in deren Währungsunion wiederholen.

1. Dezember 2023

Weiterführend: Christa Luft, Von der Zeitenwende zum Epochenbruch, Marxistische Blätter, Oktober 2023, oder auch https://leibnizsozietaet.de/wp-content/uploads/2023/08/04_03_Luft.pdf.

 

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2018-06: 1. Juni 1998: Gründung der Europäischen Zentralbank