Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

28. April 1919: Der Völkerbund wird gegründet

Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg

 

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges begrub endgültig das Konzept des Gleichgewichts der Mächte, wie es dem System des Wiener Kongresses zugrunde gelegen hatte. Auch alle anderen Ansätze einer überstaatlichen internationalen Friedensordnung, wie sie zur Jahr­hundertwende auf den Haager Konferenzen zum humanitären Völkerrecht entwickelt wor­den waren, hatten sich aufgelöst. Die großen multinationalen Gebilde wie das Osmanische Reich, Österreich-Ungarn und das zaristische Russland brachen auseinander. Die einzelnen Bestandteile, Völker und Volksgruppen, strebten auseinander und forderten das Selbstbe­stimmungsrecht bis hin zu einem eigenen Staat für sich. Unter den europäischen Mächten gab es kein Konzept für die Nachkriegszeit.

Wilsons Konzept

Die USA waren im April 1917 in den Krieg eingetreten und hatten das militärische Patt zu­gunsten der Ententemächte entschieden. Dank ihrer wirtschaftlichen, militärischen und politischen Kraft spielten sie nun auch in Europa eine führende Rolle. Sie brachten vor allem Vorstellungen für eine neue und dauerhafte Friedensordnung mit, in deren Mittel­punkt eine universelle Staatenorganisation, der Völkerbund, stehen sollte. Der US-amerika­nische Präsident Woodrow Wilson hatte diese Idee in seinen berühmten 14 Punkten am 8. Januar 1918 vorgestellt.

Fünf Forderungen bildeten den Kern von Wilsons Konzept:

  • Geheimdiplomatie und Geheimverträge sollten abgeschafft werden.
  • Die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit aller Staaten sowie das Selbstbe­stimmungsrecht der Völker sollten gesichert werden. Nationale Minderheiten sollten be­sonderen Schutz genießen.
  • Staaten sollten unabhängig von ihrer Größe und ihrer wirtschaftlichen Stärke gleich be­handelt werden. Die besiegten Staaten sollten in dem zu bildenden Völkerbund einge­schlossen sein.
  • Die nationalen Rüstungen sollten bis auf den Stand vermindert werden, der notwendig ist, um die innere Sicherheit aufrechtzuerhalten. Alle Kriegsrüstung sollte verboten sein. Die äußere Sicherheit der Staaten sollte durch den kollektiven Sicherheitsmechanismus des Völkerbundes erfolgen.
  • Wirtschaftliche Gleichberechtigung sollte durch die Freiheit der Meere, den Abbau der Handelsschranken und das Prinzip der Meistbegünstigung gesichert werden.

Schon zwei Monate früher, am 8. November 1917, hatte Lenin in seinem »Dekret über den Frieden« die Prinzipien der sowjetischen Außenpolitik formuliert und die wesentlichen Aus­sagen, zumindest die ersten drei Forderungen Wilsons, vorweggenommen. All diese Forde­rungen wie auch der Völkerbundgedanke selbst fußten auf dem Gedankengut, welches die Arbeiterbewegung und die bürgerlichen Friedensbewegungen des 19. Jahrhunderts ent­wickelt hatten. Die Grundidee für einen Völkerbund zur Sicherung des Friedens hatte Immanuel Kant bereits 1796 in seinem Traktat »Zum ewigen Frieden« formuliert. Und so unterschiedlich die soziale Basis der beiden Bewegungen und manche ihrer Zielsetzungen auch war, in der Aufhebung der engen nationalen Schranken und in der Errichtung über­staatlicher Organisationsstrukturen waren sie sich einig.

Vor allem trafen sich Pazifisten und die internationale Arbeiterbewegung in ihren Forderun­gen nach Abrüstung und internationaler Zusammenarbeit. Die Arbeiterbewegung verband die Friedensfrage zugleich mit der sozialen Frage, die infolge der sozialen Missstände in der aufkommenden Industriegesellschaft immer dringlicher wurde. Doch fand die 1889 in Brüssel gegründete »Zweite Internationale« keine gemeinsame Formel gegen den drohen­den Krieg. Sie lehnte ihn zwar auf ihrem Stuttgarter Kongress 1907 ab, hatte aber keine Kraft, sich dem nationalistischen Sog, der alle bürgerlichen Parteien ergriffen hatte, wirk­sam entgegenzustellen. Ihr Bekenntnis zu internationaler Solidarität, zum Erhalt des Friedens durch Abrüstung und internationale Zusammenarbeit war dennoch geeignet, eine breite Zustimmung in der Bevölkerung für die Errichtung des Völkerbundes zu erreichen.

Das Konzept des Völkerbundes

Das Friedenskonzept des Völkerbundes wurde in seiner Satzung in vier Kernaussagen zu­sammengefasst:

  • Es besteht ein enger Zusammenhang von Frieden und Sicherheit mit sozialer Gerechtig­keit (Präambel, Art. 23).
  • Frieden kann letztlich nur durch Abrüstung dauerhaft gewährleistet werden (Art. 8, 9).
  • Die Regeln des Völkerrechts müssen die Richtschnur für das Verhalten der Staaten bilden und alle Konflikte müssen friedlich, auf diplomatischem Weg oder durch Schiedsgerichte und Gerichte, gelöst werden (Art. 11 bis 15).
  • Es wird ein Mandats- und Minderheitenschutzsystem errichtet (Art. 22).

Wilsons Forderungen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker hatte bereits Lenin in seinem Friedensdekret vom 8. November 1917 vorgegeben. In den Friedensverhandlungen nun forderte Wilson von den besiegten Mittelmächten, dass die territorialen Ansprüche der Nationen berücksichtigt werden müssten. Ihnen sei die »freieste Möglichkeit autonomer Entwicklung« bis hin zu eigener Staatlichkeit zu gewähren. Wilson hatte vorgeschlagen, den Rechtsgrundsatz eines Minderheitenschutzes in die Satzung des Völkerbundes aufzu­nehmen, war aber mit dem Vorschlag nicht durchgedrungen.

Die besiegten Staaten Österreich, Ungarn und Türkei mussten sich jedoch in den Friedens­verträgen zu einem Mindestschutzprogramm für Minderheiten verpflichten. Ähnliche Ver­pflichtungen wurden den neugeschaffenen Staaten Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien und den vergrößerten Staaten Rumänien und Griechenland auferlegt. Die baltischen Staa­ten und Albanien mussten 1922/23 für ihre Aufnahme in den Völkerbund entsprechende Erklärungen abgeben. In zahlreichen Abkommen der Nachkriegszeit waren Schutzbestim­mungen für Minderheiten enthalten, so im Oberschlesienabkommen zwischen Polen und Deutschland 1922. Das Entscheidende war, dass die Verträge für die betroffenen Staaten internationale Verpflichtungen begründeten, die unter Garantie des Völkerbundes gestellt waren.

Deutschlands Ablehnung

Deutschland war ebenso wie Russland nicht in den Völkerbund aufgenommen worden. Sei­ne Position zum Völkerbund wurde wesentlich durch die Ablehnung des Versailler Friedensvertrags bestimmt. Die Völkerbundsatzung war wesentlicher Bestandteil aller Ver­sailler Friedensverträge von 1919/1920, deren Erfüllung der Völkerbund zu überwachen hatte. Da die Friedensbedingungen, die Deutschland in dem Vertrag auferlegt wurden, auf große Empörung stießen und von weiten Kreisen der Bevölkerung zurückgewiesen wurden, übertrug sich die Ablehnung nun auch auf den Völkerbund. Die These von der Alleinschuld, die hinter der Höhe der Reparationen und dem Ausmaß der Gebietsabtretungen stand, er­zeugte Gegenpropaganda wie die »Kriegsschuldlüge« und die »Dolchstoßlegende«, die eine neutrale oder gar positive Aufnahme des Völkerbundes in den ersten Jahren der Weimarer Republik unmöglich machte. Selbst als Anfang der zwanziger Jahre schon England und Frankreich die Aufnahme Deutschlands erwogen, stießen sie bei Reichsregierung und Reichstag auf Hohn und Ablehnung.

Es gab nur wenige Stimmen, die sich vornehmlich aus dem Kreis der »Deutschen Friedens­gesellschaft« und der »Deutschen Liga für den Völkerbund« positiv zu dem Staatenbund äußerten. Neben Graf Bernstorf waren es vor allem die beiden Völkerrechtler Hans Weh­berg und Walter Schücking, die in mehreren Schriften trotz mancher Kritik den Völkerbund begrüßten. Schückings Berufung an die Berliner Universität scheiterte denn auch an seiner pazifistischen Gesinnung. Er ging 1933 ins Exil, ebenso wie zwei weitere berühmte Ver­fechter des Völkerbunds, Max Planck und Albert Einstein, die für ihre Fürsprache nur hefti­ge Kritik ernteten. Letzterer hatte sich sogar in der Völkerbundkommission für geistige Zu­sammenarbeit engagiert.

Doch Mitte der zwanziger Jahre änderte sich die Einstellung der Reichsregierung. Der Völ­kerbund etablierte sich unter den Staaten und in der Regierung wuchs die Überzeugung, nur als Mitglied des Völkerbundes eine Revision seiner Satzung und des »Versailler Friedensdiktats« erreichen zu können.

Deshalb trat Deutschland 1926 dem Völkerbund bei und forderte sogleich einen ständigen Sitz im Völkerbundrat, um als gleichberechtigte Großmacht u.a. auch bei der Gestaltung des Mandatssystems mitreden zu können. Man hoffte, wenigstens auf diesem Weg den Verlust aller Kolonien kompensieren zu können.

Als sich die deutsche Regierung entschlossen hatte, dem Völkerbund beizutreten, begründe­te Außenminister Stresemann diesen Schritt in einem Brief an den ehemaligen deut­schen Kronprinzen vom 7. September 1925: »Zu der Frage des Eintritts in den Völkerbund möchte ich folgendes bemerken: Die deutsche Außenpolitik hat nach meiner Auffassung für die nächste absehbare Zeit drei große Aufgaben: Einmal die Lösung der Reparationsfra­ge in einem für Deutschland erträglichen Sinne und die Sicherung des Friedens, die die Voraus­setzung für die Wiedererstarkung Deutschlands ist. Zweitens rechne ich dazu den Schutz der Auslandsdeutschen, jener zehn bis zwölf Millionen Stammesgenossen, die jetzt unter fremdem Joch in fremden Ländern leben. Die dritte große Aufgabe ist die Korrektur der Ost­grenzen: die Wiedergewinnung Danzigs, des polnischen Korridors und eine Korrek­tur der Grenze in Oberschlesien. Im Hintergrund steht der Anschluss von Deutsch-Öster­reich, ob­wohl ich mir sehr klar darüber bin, dass dieser Anschluss nicht nur Vorteile für Deutschland bringt, sondern das Problem des Deutschen Reiches sehr kompliziert. Wollen wir diese Ziele erreichen, so müssen wir uns aber auch auf diese Aufgaben konzentrieren …«

Das Scheitern des Völkerbundes

Dieses allein auf Revision und Korrektur ausgerichtete Programm reichte nicht aus, über den Tod Stresemanns 1929 hinaus die Mitgliedschaft im Völkerbund zu begründen. Für den zweiten »Griff nach der Weltmacht« erschien die Mitgliedschaft hinderlich. 1933 ver­ließ Deutschland den Völkerbund, Japan 1935. Die Sowjetunion, 1934 erst aufgenommen, wurde 1939 wieder ausgeschlossen. Die USA wurde nie Mitglied, der Kongress verweiger­te dem Projekt ihres Präsidenten die Ratifikation des Vertrages. Das bedeutete, dass dem Staatenbund wesentliche Großmächte fehlten, was in der Folge zweifellos einer der Grün­de für das Scheitern des Völkerbundes war. Hinzu kam, dass es nicht gelang, die in den Friedensverträgen wie auch in der Satzung des Völkerbundes verankerte Pflicht zur Ab­rüstung allgemein durchzusetzen. Das gleiche gilt für den Schutz der Minderheiten. Ent­scheidend aber wohl war, dass das in der Satzung vorgesehene Sanktionssystem (Art. 11-16) zur Kriegsverhütung versagte. Die japanische Besetzung der chinesischen Provinz Mandschurei im September 1931, der Angriff Italiens gegen das Völkerbundmitglied Äthio­pien im Oktober 1935, um seine koloniale Machtposition in Afrika auszudehnen, die Revol­te von General Franco im Juli 1936 in Spanien, das alles waren Aggressionsakte, bei deren Verhinderung oder Befriedung der Völkerbund offensichtlich versagte. Ob diese Unfähig­keit eher dem Sanktionssystem des Völkerbundes oder der Gewaltbereitschaft und Rechtsverachtung der Aggressoren zuzuschreiben ist, mag dahinstehen, die Gründungs­mitglieder der UNO haben daraus jedoch Konsequenzen gezogen und ihr Sanktionssystem (Art. 39-48 UN-Charta) verändert – allerdings ohne nachweisbaren Erfolg. So war der Völkerbund schon vor der großen Aggression Hitlers und Nazi-Deutschlands faktisch hand­lungsunfähig. Formal aufgehoben wurde er durch einstimmigen Beschluss der verbliebe­nen 34 Mitglieder am 18. April 1946.

Nach wie vor aktuell: Walter Poeggel, »Der Völkerbund als zwischenstaatliche Organisation für den Weltfrieden. Die Haltung Deutschlands«, Leipzig 1995.

 

Mehr von Norman Paech in den »Mitteilungen«: 

2016-01: 1975: Osttimor wird von Indonesien besetzt

2015-06: 70 Jahre UNO-Charta

2014-04: Völkermord in Ruanda – 6. April 1994

2013-10: Warum sollen Deutsche töten und sterben?