25. November: Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen
Brigitte Triems, Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes e.V.
Im Jahr 2021 wurden weltweit viele Jubiläen begangen. Zwei für die Beendigung von Gewalt gegen Frauen bemerkenswerte Jahrestage fanden und finden in der Öffentlichkeit jedoch kaum Beachtung. Da ist zum einen der 40. Jahrestag eines Treffens lateinamerikanischer und karibischer Feministinnen in Bogotá, Kolumbien, im Jahr 1981. Die Teilnehmerinnen trafen sich im Gedenken an die Ermordung der drei Schwestern Mirabal, die wegen ihrer Aktivitäten gegen den damaligen Diktator Rafael Trujillo vom militärischen Geheimdienst der Dominikanischen Republik nach monatelanger Folter am 25. November 1960 getötet wurden. Die Teilnehmerinnen des Treffens fassten den Beschluss, den Todestag der Schwestern zum alljährlichen Gedenktag für die Opfer von Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu machen. Es sollte noch achtzehn Jahre dauern, bis die Vereinten Nationen den 25. November offiziell als internationalen Gedenktag anerkannten.
Der andere Jahrestag: 30 Jahre nach der Ermordung der Schwestern Mirabal wurde vom amerikanischen Center for Women‘s Global Leadership der Rutgers University die internationale Kampagne »16 Tage Aktivismus gegen geschlechtsspezifische Gewalt« (16 Days of Activism against gender-based violence) ins Leben gerufen. Die Kampagne läuft jedes Jahr vom 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte. Inzwischen liegt die internationale Beteiligung bei über 6.000 Organisationen und 187 Ländern.
Der Aktionszeitraum wird weltweit genutzt, um das Ausmaß und die verschiedenen Ausprägungen von Gewalt gegen Frauen zu thematisieren und Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen als fundamentale Menschenrechtsverletzung nachhaltige Folgen für die Betroffenen selbst, aber auch für die gesamte Gesellschaft hat. Die Kampagne hat einen wesentlichen Anteil daran, dass das Thema »Gewalt gegen Frauen und Mädchen« ab den frühen 90er Jahren als Menschenrechtsfrage und nicht, wie bis dahin, unter Diskriminierungsaspekten behandelt wurde.
Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine der schwerwiegendsten Formen der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und nach wie vor eine der am häufigsten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen, von der Frauen unverhältnismäßig stark betroffen sind. Wenige Zahlen seien hier genannt:
- 35 Prozent der Frauen weltweit haben in ihrem Leben entweder Gewalt in der Partnerschaft oder sexuelle Gewalt durch Nicht-Partner erfahren.
- Weltweit wird eine von fünf Frauen einmal in ihrem Leben Opfer von Vergewaltigung oder versuchter Vergewaltigung.
- Mehr als 200 Millionen der heute lebenden Mädchen und Frauen wurden einer Verstümmelung ihrer Geschlechtsorgane unterzogen.
- Weltweit wurden mehr als 700 Millionen heute lebender Frauen als Kinder verheiratet.
- Nach Schätzungen des UN-Weltbevölkerungsberichtes »Ending Violence against Women and Girls« kommen bei steigender Tendenz jährlich 5.000 Frauen weltweit durch sogenannte Ehrenmorde ums Leben.
- Über 80 Prozent der Opfer von Menschenhandel sind Frauen.
- Nach EU-Schätzungen hat eine von zehn Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr irgendeine Form von Cybergewalt erlebt.[1]
Auch wenn partnerschaftliche Gewalt die offensichtlich am stärksten verbreitete Form geschlechtsspezifischer Gewalt ist, erfahren Frauen und Mädchen auch in anderen Zusammenhängen Gewalt, wie beispielsweise während bewaffneter Konflikte und kriegerischer Handlungen sowie innerhalb der Familie, im Arbeitsleben, in der Gesellschaft und mit den immer schneller wachsenden Technologien auch im Internet. Neben körperlicher und sexueller Gewalt haben auch psychische und emotionale Gewalt gravierende Folgen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) benennt Gewalt als eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen.[2] Viele Frauen, die Gewalt erleben, haben danach Schwierigkeiten, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Sie leiden unter Depressionen, vereinsamen, verarmen – emotional und materiell. Häufig hat die Gewalt generationenübergreifende Auswirkungen auf die ganze Familie.
Im Zuge der Covid-19-Pandemie zeichnete sich weltweit ein Anstieg häuslicher Gewalt ab. Häusliche Isolation, finanzielle Existenzangst und andere Stressfaktoren begünstigten das Gewaltpotenzial in Haushalten. Die Leidtragenden waren in den meisten Fällen Frauen und Kinder. Da vielerorts Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Zuge der Quarantäne-Maßnahmen erlassen wurden, konnten Frauen das Haus nur eingeschränkt verlassen. So hatten sie bei Partnergewalt kaum Möglichkeiten, sich Hilfe zu suchen und waren gezwungen, bei ihren gewalttätigen Partnern zu bleiben. Damit waren sie einer doppelten Gefahr ausgesetzt. Verstärkt wurde dies auch durch die erhöhte ökonomische Abhängigkeit aufgrund der mit der Pandemie einhergehenden plötzlichen Arbeitslosigkeit.
Gewalt gegen Frauen, physischer und psychischer Art, hat auf allen Kontinenten einen festen Platz. Auch in Europa ist Gewalt kein Randproblem. Jede vierte europäische Frau erlebt im Erwachsenenalter körperliche Gewalt, jede zehnte leidet unter sexueller Gewalt. Täglich sterben sieben Frauen – Opfer von häuslicher Gewalt durch ihre Partner oder Ehemänner. Im Rahmen von Befragungen für eine Studie der EU-Grundrechte-Agentur FRA gab ein Drittel der Frauen zwischen 15 und 74 Jahren an, körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren zu haben. Das entspricht 62 Millionen Frauen. Fünf Prozent erklärten, Opfer einer Vergewaltigung, zwölf Prozent als Kinder Opfer sexueller Gewalt gewesen zu sein.[3]
Geschlechtsspezifische Gewalt verursacht nicht nur Schmerz und Leid bei den Opfern, sondern auch hohe Kosten für die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes. Das Ausmaß und die damit verbundenen Kosten geschlechtsspezifischer Gewalt, die den Verlust an Wirtschaftsleistung, die öffentlichen Ausgaben für Gesundheits-, Rechts-, Sozial- und Spezialdienste zur Schadensbegrenzung sowie die persönlichen Auswirkungen auf die Opfer umfassen, werden jedoch selten gesehen. In einer vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) im September 2021 veröffentlichten Studie werden die Kosten geschlechtsspezifischer Gewalt in der EU auf 366 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Gewalt gegen Frauen macht 79 % dieser Kosten aus, die sich auf 289 Milliarden Euro belaufen. In der Studie werden die verschiedenen Kosten geschlechtsspezifischer Gewalt aufgeschlüsselt, wobei die größten Kosten durch physische und emotionale Auswirkungen entstehen (56 %), gefolgt von Strafverfolgungsmaßnahmen (21 %) und entgangener Wirtschaftsleistung (14 %). Weitere Kosten können durch zivilrechtliche Leistungen (z. B. für Scheidungen und Sorgerechtsverfahren), Wohngeld und Kinderschutz entstehen.[4]
Ein wesentlicher Schritt bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen war das am 11. Mai 2011 verabschiedete Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch bekannt als Istanbul-Konvention. Erstmalig wurden in einem völkerrechtlichen Vertrag umfassende und spezifische Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt sowie zum Schutz der Opfer geregelt. Das Übereinkommen, das am 1. August 2014 in Kraft trat, wurde bisher von 34 Staaten ratifiziert. Für die Bundesrepublik Deutschland ist es seit 1. Februar 2018 rechtsverbindlich. Die Europäische Union hat das Übereinkommen zwar im Juni 2017 unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert. Grund ist die Blockierung der Ratifizierung im Europäischen Rat durch Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Lettland, Litauen und die Slowakei, die das Übereinkommen bisher nicht ratifiziert haben. Als Gegenargument wird angeführt, dass die Umsetzung des Abkommens zur Zerstörung vieler Familien führe, da es die Grenzen zwischen Männern und Frauen verwische, die Legalisierung eines dritten Geschlechts mit sich bringen und damit gegen fundamentale Werte des christlichen Glaubens verstoßen würde.
Der Europäische Gerichtshof hat am 6. Oktober 2021 erklärt, dass eine qualifizierte Mehrheit des Europäischen Rates für eine Ratifizierung der Istanbul-Konvention ausreichend wäre, gleichzeitig aber darauf verwiesen, dass der Europäische Rat auch weiterhin die Möglichkeit für eine einstimmige Entscheidung hat.[5] Diese »halbherzige« Entscheidung bedeutet, dass der Beitritt zur Istanbul-Konvention im Rat auf unbestimmte Zeit blockiert bleiben kann, obwohl eine qualifizierte Mehrheit ausreichen würde, um die Ratifizierung voranzutreiben. Deshalb sollte die Europäische Kommission nunmehr zügig eine horizontale EU-Richtlinie über die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen vorschlagen. Bereits in der Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015 hatte sich die Europäische Kommission verpflichtet, eine EU-weite Strategie zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen zu beschließen und diese durch eine europaweite Kampagne zur Sensibilisierung für das Problem der Gewalt gegen Frauen zu ergänzen. Seitdem hat sich nichts getan.
Das Europäische Parlament hat nun gehandelt: in seiner Entschließung vom 16. September 2021 hat es die Kommission aufgefordert, eine umfassende Richtlinie über geschlechtsspezifische Gewalt vorzuschlagen, mit der die Standards des Übereinkommens von Istanbul und weitere internationale Standards umgesetzt werden, geschlechtsspezifische Gewalt als neuer Kriminalitätsbereich gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV festgelegt und eine Koordinatorin/einen Koordinator für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und anderer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ernannt wird.[6] Es ist höchste Zeit zu handeln. Die Beseitigung aller Formen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Es geht uns alle an, und es braucht jetzt den Druck seitens aller Kräfte der Gesellschaft, damit der Gewalt gegen Frauen und Mädchen für immer ein Ende bereitet wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. www.unwomen.de/aktuelles/aktuelle-kampagnen/16-tage-zur-beendigung-der-gewalt-gegen-frauen-2020.html, eige.europa.eu/news/cyber-violence-growing-threat-especially-women-and-girls, www.unfpa.org/gender-based-violence
[2] www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/violence-against-women
[3] fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2014-vaw-survey-main-results-apr14_en.pdf
[4] eige.europa.eu/news/gender-based-violence-costs-eu-eu366-billion-year
[5] curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2021-10/cp210176en.pdf
[6] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0388_DE.html
Mehr von Brigitte Triems in den »Mitteilungen«:
2020-11: 75 Jahre Internationale Demokratische Frauenföderation
2018-03: Rechtspopulismus – was droht der Gleichstellungspolitik