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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

19. Januar 1919 – ein historischer Tag: Erstmals aktives und passives Wahlrecht für Frauen in Deutschland

Brigitte Triems, Berlin

 

»Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und … ich möchte hier feststellen …, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.« [1]

Mit diesen Worten wandte sich die Sozi­aldemokratin Marie Juchacz am 19. Januar 1919 als er­ste Frau in Deutschland an die Ab­geordneten der Weimarer Nationalversamm­lung. Unter den 423 Abgeordneten waren erstmals 37 Frauen. Das waren nur 8,7 Pro­zent, aber es war nicht nur ein Erfolg für die Frauen nach jahrelangen Kämpfen gegen mächtige Widerstände. Es war gleicher­maßen ein Erfolg für die Demokratie, auch wenn es bis zur Wahl des deut­schen Bundestages im Jahre 1987 dau­ern sollte, bis der Anteil von Frauen auf über 10 Prozent stei­gen konnte.

Die rechtliche Grundlage für die Einfüh­rung des Frauenwahlrechts in Deutsch­land wurde mit dem Aufruf des Rates der Volksbeauftrag­ten an das deutsche Volk vom 12. November 1918 ge­schaffen. Darin hieß es: »Alle Wahlen zu öffentli­chen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportio­nalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Perso­nen zu vollziehen.« Im Reichswahlgesetz vom 30. Novem­ber 1918 fand das seinen Nieder­schlag im Paragraph 2: »Wahlberechtigt sind alle deut­schen Männer und Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben.« [2]

Ein langer Kampf

Der Weg bis zur Erkämpfung des Frauenwahlrechts war ein langer und mühsamer. Die his­torischen Wurzeln gehen zurück bis zur Französischen Revolution, die 1789 die Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Tagesordnung setzte, aber nur das Wahlrecht für alle männlichen Bürger einführte. Die von der französischen Frauenrechtlerin Olympe de Gouges 1791 verfasste »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin« war der Beginn eines unermüdlichen Kampfes für die Rechte von Frauen.

Neuseeland gewährte als erster Staat den Frauen landesweit das Wahlrecht. In Europa um­fasste der Zeitraum der Einführung des Frauenwahlrechts ganze 78 Jahre – von Finnland im Jahre 1906 bis Liechtenstein im Jahre 1984.

Im 19. Jahrhundert wurde die Gewährung der vollen staatsbürgerlichen Rechte für Frauen auch in Deutschland von der ständig anwachsenden Frauenbewegung, vor allem von Louise Otto-Peters, Helene Lange, Anita Augspurg, Minna Cauer, Hedwig Dohm und Helene Stöcker, mit ihren Aktionen unermüdlich und lautstark eingefordert.

Als 1896 der Entwurf für das neue Bürgerliche Gesetzbuch erschien, entwickelte sich aus gutem Grund eine landesweite Protestwelle dagegen. Der Entwurf untermauerte die Un­gleichheit der Geschlechter und die Vormachtstellung des Ehemannes gegenüber der Ehe­frau. Mit dem Paragrafen 1354 wurde dem Ehemann die letztendliche Entscheidungs­gewalt in der Familie zugestanden: »Dem Manne steht die Entscheidung in allen das ge­meinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu«. [3] Sei­ne Ehefrau konnte einen Arbeitsvertrag nur nach vorheriger Zustimmung des Ehemannes abschließen. Das gesamte Vermögen der Ehefrau unterstand der Verwaltung und Nutznie­ßung des Ehemannes, wenn vor der Eheschließung vertraglich keine Gütertrennung verein­bart worden war. Die erste promovierte Juristin Deutschlands Anita Augspurg kommentier­te den Entwurf sehr drastisch mit den Worten; »Wer sich auf den Boden der Gesetze stellt, kann unter deren Sanktion Person, Arbeitskraft, Vermögen seiner Gattin bis auf den Grund des Sklaventums ausbeuten.« [4] Trotz der anhaltenden Proteste trat das Bürgerliche Gesetz­buch am 1. Januar 1900 in Kraft.

Es ist bezeichnend, dass diese rechtlichen Hürden für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der Gesellschaft in der Bundesrepublik teilweise noch bis in die 70er Jahre Bestand hatten: Verheirateten Frauen war es lange nicht erlaubt, ohne die Ge­nehmigung des Ehemannes eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Bis zum 1. Juli 1958 konn­te der Ehemann den Arbeitsvertrag seiner Frau ohne deren Einwilligung fristlos kündigen. Und er hatte das Recht, den Lohn seiner Frau zu verwalten. Erst ab 1962 konnten Ehefrau­en ein eigenes Bankkonto eröffnen, erst 1969 wurde verheirateten Frauen die volle Ge­schäftsfähigkeit zugesprochen. Bis Juni 1977 war die Frau verpflichtet, den Namen des Mannes anzunehmen. Die Reformen des Familien- und Eherechts Mitte der 1970er Jahre stellten endlich die Gleichberechtigung von Frau und Mann auf diesem Gebiet her.

Die Erlangung des Frauenwahlrechtes in Deutschland war ein wichtiger Meilenstein für die längst fällige Gleichstellung von Frauen und Männern. Es musste gegen zahlreiche Vorur­teile von Männern, aber auch von Frauen durchgesetzt werden, und es war längst nicht das Ende im Kampf gegen die Ungleichbehandlung von Frauen. Keinesfalls darf es isoliert betrachtet werden, denn es war nicht das einzige Anliegen der Frauenrechtlerinnen und ih­rer Bewegungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Neben dem Ziel der vollen staats­bürgerlichen Rechte wurden Forderungen nach Gleichberechtigung von Frau und Mann in Partnerschaft und Beruf, einschließlich nach mehr Erwerbsarbeitsmöglichkeiten für Frau­en, und die Verbesserung der Bildungschancen für Frauen und Mädchen immer lauter.

Das war durchaus verständlich, denn die zunehmende Industrialisierung im 19. Jahr­hundert führte zu einer Zunahme der Frauenerwerbsquote, allerdings mit geringerer Ent­lohnung, schlechteren Arbeitsbedingungen als die der Männer und der damit einhergehen­den Belastung durch die in der Regel von Frauen geleistete Familienarbeit.

So war die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland ein bedeutender Baustein einer umfassenden Gesellschaftskritik, führte aber nicht zwangsläufig zur Herstellung glei­cher Rechte von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland.

Gleichstellung – ein legales und moralisches Gebot

Wie sieht es heute mit der Geschlechtergleichstellung aus? Vieles hat sich in den ver­gangenen Jahrzehnten getan. Historisch betrachtet haben Frauen in ihrem Ringen für glei­che Rechte schon einiges erreicht. Das Bewusstsein, dass Gleichstellung zwischen Frauen und Männern nicht nur ein Grundrecht, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist, hat sich zunehmend durchgesetzt.

Doch trotz vieler gesetzlicher Regelungen in Deutschland, der Schaffung von Mechanis­men institutionalisierter Gleichstellungspolitik und der Umsetzung von »zeitweiligen Son­dermaßnahmen zur beschleunigten Herbeiführung der De-facto-Gleichberechtigung von Mann und Frau«, wie es in Artikel 4 von CEDAW [5] (der UN-Frauenrechtskonvention von 1979) gefordert wird, ist Gleichstellung von Frauen und Männern immer noch nicht er­reicht. [6]

Wir leben in einem Staat, der dank des hartnäckigen Kampfes der »Mütter des Grundgesetzes«, Elisabeth Selbert, Helene Weber, Frieda Nadig und Helene Wessel im Arti­kel 3 des Grundgesetzes formal Frauen und Männern gleiche Rechte garantiert. 1994 wur­de diesem Artikel ein Zusatz hinzugefügt, in dem der Staat aufgefordert wird, für die »tat­sächliche Durchsetzung« der Gleichberechtigung und die »Beseitigung bestehender Nach­teile« Sorge zu tragen. [7]

Und trotzdem ist es für Frauen auch in Deutschland nicht leichter geworden, sondern eher ist das Gegenteil der Fall. Obwohl über die Hälfte der Bevölkerung dieses Landes weiblich ist, kann von der Hälfte der Macht, des Einflusses und der wirtschaftlichen Kraft für Frau­en noch lange nicht die Rede sein. Die Gleichstellung der Geschlechter ist nach wie vor nicht Realität. Arbeitslosigkeit ist heute Langzeitarbeitslosigkeit und weiblich. Teilzeitarbeit ist vor allem Frauensache. Die Beschäftigungsrate von Frauen liegt offiziell bei 75,2 Pro­zent – in Vollzeitäquivalente umgerechnet sind es jedoch nur 58,2 Prozent. Das geschlech­terspezifische Lohngefälle beträgt über 20 Prozent, das Rentengefälle liegt bei 44 Prozent. Das Armutsrisiko von Frauen, insbesondere von Alleinerziehenden und älteren Frauen, ist in den letzten Jahren auf 21,1 Prozent gestiegen. Gewalt gegen Frauen nimmt immer mehr zu: jede dritte Frau hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt er­fahren.

Bei politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Entscheidungspositionen sind in der überwiegenden Mehrzahl männliche Führungskräfte zu finden. Der Anteil von Frauen an den Abgeordneten des Bundestages ist bei der letzten Wahl aufgrund des niedrigen Frau­enanteils von CDU, FDP und AfD um sieben Prozentpunkte gesunken und beträgt nur noch 30,9 Prozent. In kommunalen Vertretungen sind es nur 25 Prozent, und bei den Ober­bürger- und Bürgermeistern gar nur 10 Prozent. [8] Mit anderen Worten: die Einführung des Frauenwahlrechts hat nicht automatisch zu einer gleichen Beteiligung von Frauen an parla­mentarischer Politik geführt.

Wahre Gleichbehandlung der Geschlechter macht es zwingend notwendig, die grundlegen­den Ursachen der sozialen, politischen und wirtschaftlichen geschlechterspezifischen Un­terschiede als Folge ungleicher Ressourcen- und Machtverteilung zu bekämpfen und dies­bezüglich radikale Veränderungen in Angriff zu nehmen.

Gleichstellung ist ein Menschenrecht und demzufolge ein legales und moralisches Gebot. Wirtschaftswachstum, Demokratie und nachhaltige Entwicklung, Beschäftigung und sozia­ler Zusammenhalt der Gesellschaft sind ohne Gleichstellung undenkbar.

Anita Ausgpurg brachte es in zwei Sätzen auf den Punkt: »Was verstehen wir unter dem Rechte der Frau? Nichts anderes als das Recht des Menschen überhaupt!« [9]

Brigitte Triems ist Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes e.V.

 

Anmerkungen:

[1]  www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/49494782_kw07_kalenderblatt_juchacz/215672.

[2]  www.documentarchiv.de/wr/1918/reichswahlgesetz.html.

[3]  www.jura.uni-hannover.de/2277.html (abgerufen am 30. Dez. 2018).

[4]  www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/anita-augspurg#actor-quotations.

[5]  Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women.

[6]  www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CEDAW/cedaw_de.pdf.

[7]  www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html.

[8]  www.lpb-bw.de/frauenanteil_laenderparlamenten.html.

[9]  www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/anita-augspurg#actor-quotations.

 

Mehr von Brigitte Triems in den »Mitteilungen«: 

2018-03: Rechtspopulismus – was droht der Gleichstellungspolitik

2013-03: Überlegungen zum Internationalen Frauentag

2011-11: Gewalt gegen Frauen