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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

10 Jahre Internationaler Strafgerichtshof

Prof. Dr. Gregor Schirmer, Berlin

 

Am 11. März 2003 hat in Den Haag die Inauguration des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) stattgefunden. Das Statut des IStGH war am 1. Juli 2002 in Kraft getreten. Es legt die Gerichtsbarkeit nach dem Vorbild des Statuts des Nürnberger Militärtribunals von 1945 und der Völkermord-Konvention von 1948 für vier schwerste Verbrechen fest, "welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren", nämlich das Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Für andere Verbrechen ist der IStGH nicht zuständig. Was haben der Ankläger und seine Behörde und die 19 in drei verschiedenen Kammern tätigen Richter geleistet? Die Bilanz ist ernüchternd.

Stand der Verfahren

Bisher wurden dem Ankläger acht "Situationen" unterbreitet, in denen "es den Anschein hat, dass ein oder mehrere der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen begangen wurden". Das waren Situationen in Darfur (Sudan), der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, Kenya, Uganda, Libyen, der Elfenbeinküste und zuletzt Mali (alles afrikanische Staaten). Daraus ergaben sich 18 Anklagefälle gegen 30 Personen (alle sind Afrikaner). Verschiedene Anklagen haben sich durch Tod der Angeklagten (Gaddafi) oder aus anderen Gründen erledigt. Es blieben 22 Angeklagte übrig. Anklage wurde gegen den Präsidenten Sudans Omar al Bashir wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord erhoben und zwei Haftbefehle gegen ihn erlassen. Der ehemalige Präsident der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo und seine Ehefrau Simone sitzen in Den Haag ein und warten auf ihren Prozess. Die bisher einzige Verurteilung durch den IStGH ist die von Lubango Dyilo, einem Rebellenführer in der Demokratischen Republik Kongo. Er bekam im Juli 2012 wegen zwangsweiser Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten 14 Jahre Haft.

Großes Aufsehen haben die Haftbefehle gegen al Bashir erregt. Die Afrikanische Union hat ihre Mitglieder mit einer Resolution aufgefordert, in Sachen Festnahme und Überstellung al Bashirs nicht mit dem IStGH zusammenzuarbeiten. Nicht nur in Afrika wurde das Vorgehen gegen einen amtierenden afrikanischen Staatschef mehr oder weniger deutlich missbilligt. Die Haftbefehle wurden natürlich nicht vollzogen. Der IStGH hat keine eigene Polizei, die das versuchen könnte. Sudan ist als Nicht-Partner des Statuts dazu nicht verpflichtet. Bei Besuchen in anderen afrikanischen Staaten - ob sie dem Statut angehören oder nicht - konnte und kann sich al Bashir sicher sein, dass er nicht verhaftet und ausgeliefert wird. Das Vorgehen gegen al Bashir ist eine zweischneidige Sache. Einerseits ist in Art. 27 des Statuts festgelegt "dass die amtliche Eigenschaft als Staats- und Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder als Amtsträger der Regierung oder eines Parlaments nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut" enthebt. Das ist ein fortschrittliches Rechtsprinzip, nach dem in den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg und Tokio verfahren wurde. Die diplomatische Immunität schützt nicht vor der Verfolgung von Verbrechen, für die der IStGH zuständig ist. So gesehen ist die Anklage gegen al Bashir ein außergewöhnlicher Präzedenzfall, mit dem offenbar anderen Staatschefs Angst gemacht werden soll. Andererseits ist es im Interesse des Friedens und der internationalen Sicherheit, auch für die Wiederherstellung und Wahrung der Menschenrechte notwendig, mit den Kräften zu verhandeln, die reale Macht ausüben. Die Bedrohung des potentiellen Verhandlungspartners und aktuellen Machtinhabers mit Verhaftung und Verurteilung fördert nicht die Verhandlungsbereitschaft.

Die Richter am Gerichtshof können nach rechtsstaatlichen Regeln nicht aus eigener Initiative, sondern nur in Fällen tätig werden, die ihnen der Ankläger vorlegt. Dieser nimmt Ermittlungen auf, wenn ihm eine Situation von einem Partnerstaat des Statuts angezeigt wird, oder vom UNO-Sicherheitsrat überwiesen wird, was bisher zwei Mal mit der Situation in Darfur (Sudan) bei Stimmenthaltung der Veto-Mächte China und USA und in Libyen einstimmig geschah. Der Ankläger kann auch aus eigener Initiative Situationen untersuchen, wenn er die Genehmigung der Vorverfahrenskammer bekommt. Das machte der inzwischen ausgeschiedene Ankläger Luis Moreno-Ocambo bisher nur zu den Situationen in Kenya und in der Elfenbeinküste. Hinweisen auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in anderen Situationen ist er nicht nachgekommen. Der deutsche Richter am IStGH Hans-Peter Kaul hat über ihn gesagt, er habe sein Büro geführt "wie ein argentinischer Großgrundbesitzer". Die Tatsache, dass bisher nur Fälle in Afrika mit afrikanischen Beschuldigten vor den Gerichtshof gebracht wurden, erweckt den begründeten Verdacht auf Einäugigkeit des IStGH gegen Afrika. Es bleibt abzuwarten, ob seine Nachfolgerin Fatou Bensouda, eine Juristin aus dem afrikanischen Gambia, daran etwas verändern wird. Zunächst hat sie mit der Untersuchung der Situation in Mali hinsichtlich des Verdachts auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begonnen.

Keine universale Geltung

Von der angestrebten Universalität ist der IStGH noch weit entfernt. Von den 193 UNO-Mitgliedern haben 73 das Statut nicht ratifiziert, darunter Staaten, auf die es gerade ankommt. Es fehlen: Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und Veto-Mächte USA, Russland und China; Israel und seine arabischen Nachbarn Ägypten, Libanon und Syrien; die Nahost-Länder Türkei, Iran, Irak, Kuwait, Jemen und Saudi-Arabien; die nordafrikanische Staatenkette Libyen, Algerien, Marokko und Mauretanien; aus dem subsaharischen Afrika Äthiopien, Elfenbeinküste, Ruanda, Simbabwe, Somalia und Sudan; die asiatischen Staaten Indien und Pakistan, Sri Lanka, Indonesien, die Philippinen, Thailand, Vietnam und Nordkorea; Belarus, die Ukraine und die meisten ehemaligen kaukasischen und asiatischen Sowjetrepubliken; in Amerika Haiti, Honduras, Jamaika, Kuba und Nikaragua. Die Gründe für die Verweigerung sind sicher sehr unterschiedlich. Russland hat das Statut unterzeichnet, aber (noch?) nicht ratifiziert.

Die USA sind auch unter Obama die schärfsten Gegner des Gerichts geblieben. Kein Wunder, wären doch der ehemalige Präsident Bush, dessen Kriegsminister Rumsfeld und eine ganze Reihe von US-Generälen, Offizieren und Soldaten wegen Kriegsverbrechen erste Anwärter für einen Platz auf der Anklagebank in Den Haag. Bush hat die von seinem Vorgänger geleistete Unterschrift unter das Statut für null und nichtig erklärt und einen wahren Amoklauf gegen den IStGH geführt. Die USA haben sich durch Abkommen mit ihnen hörigen Regierungen zusichern lassen, dass diese keine US-Bürger an den IStGH überstellen. Nach wie vor ist ein US-Gesetz in Kraft, das den Präsidenten ermächtigt, die "notwendigen", also auch militärische Maßnahmen zu ergreifen, um US-Bürger aus etwaiger Haft in Den Haag zu befreien. US-Behörden ist es untersagt, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten. Staaten, die nicht Mitglieder der NATO sind und das Statut ratifizieren, kann die Militärhilfe entzogen werden.

Das Aggressionsverbrechen

2010 hat eine Konferenz der Vertragsstaaten des Statuts zu dessen Überprüfung stattgefunden. Überraschenderweise wurde eine Einigung über offen gebliebene Fragen zum Aggressionsverbrechen erzielt. Im Statut von 1998 war zu diesem Verbrechen festgelegt worden, dass der IStGH die Gerichtsbarkeit erst dann ausübt, wenn eine Einigung über die Definition der Aggression und über die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit über dieses Verbrechen erreicht ist. Das gelang auf der Konferenz.

Zur Definition des Aggressionsverbrechens wurde auf die Resolution der Generalversammlung der UNO vom 14. Dezember 1974 zurückgegriffen. Das Aggressionsverbrechen ist "die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Aggressionsakts", aber nicht jedes Aggressionsaktes, sondern nur eines solchen, "der durch seinen Charakter, durch die Schwere oder seinen Umfang eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt". Der Akt muss begangen worden sein "durch eine Person, die Kraft ihrer Stellung effektiv die Kontrolle über die oder die Leitung der politischen oder militärischen Handlungen eines Staates ausübt". Und was ist ein Aggressionsakt im Unterschied zu einem Akt der Selbstverteidigung? Das bleibt offen. Die Bestimmung in der Aggressionsdefinition von 1974, dass es als Prima-facie-Beweis für eine Aggression gilt, wenn ein Staat zuerst bewaffnete Gewalt anwendet, wurde nicht übernommen. Die Definition des Aggressionsverbrechens ist lückenhaft und streitträchtig.

Die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit sind mit vielen Begrenzungen kompliziert und juristisch unsicher formuliert worden. a) Der UNO-Sicherheitsrat kann Aggressionssituationen an den IStGH überweisen und die Feststellung einer Aggression durch den Sicherheitsrat ist eine hinreichende Voraussetzung für das Tätigwerden des Anklägers. b) Es kommen nur Situationen vor das Gericht, an denen Partnerstaaten des Statuts beteiligt sind. Für Aggressionsverbrechen von politischen und militärischen Führern aus Nicht-Partnerstaaten ist der IStGH nicht zuständig. Zudem kann jeder Partnerstaat erklären, dass er die Gerichtsbarkeit des IStGH für das Aggressionsverbrechen nicht anerkennt; c) Partnerstaaten können auch ohne den Segen des Sicherheitsrats Aggressionssituationen dem IStGH überweisen. d) Der Ankläger ist verpflichtet, dem Sicherheitsrat zu notifizieren, wenn er ein mögliches Aggressionsverbrechen sieht. Wenn der Sicherheitsrat daraufhin sechs Monate lang keine Entscheidung trifft, kann er aus eigener Initiative die Ermittlungen weiterführen, wenn er von der Vorverfahrenskammer dafür grünes Licht bekommt. Bislang haben ganze vier Staaten die Statutenänderung ratifiziert. Der IStGH kann die Gerichtsbarkeit zum Aggressionsverbrechen erst dann ausüben, wenn 30 Staaten ratifiziert haben und wenn nach dem 1. Januar 2017 eine nochmalige Entscheidung der Vertragspartner getroffen wird. Bis dahin kann jeder Staat ein Aggressionsverbrechen straffrei begehen. Und auch danach wird es schwierig sein, Aggressoren vor Gericht zu bringen.

 

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