Zum Hauptinhalt springen

Ohne Frieden ist alles nichts

Referat von Thomas Hecker, Bundessprecher der KPF

 

Die acht reichsten Menschen auf der Welt besitzen mehr als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammengenommen. Die Zahl der Menschen, die Hunger leiden oder davon bedroht sind, ist gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel angestiegen.[junge Welt, 01./02. April 2017] Weltweit hungern über eine Milliarde Menschen, mehr als zwei Milliarden leben von weniger als zwei Dollar am Tag. Akut droht mehr als 20 Millionen Menschen in Afrika der Hungertod – vor allem im Süd-Sudan, in Somalia, Nord-West-Nigeria sowie im Jemen. Wer die Hauptverantwortung für die dort tobenden blutigen Kriege und Konflikte trägt, muss hier nicht besonders erwähnt werden. 4,4 Milliarden Dollar würden für die dringendste humanitäre Hilfe benötigt, damit die zwanzig Millionen weiterleben können. Das Budget des US-Verteidigungs¬ministeriums, den Zeitraum vom 1. Oktober 2017 bis 30. September 2018 umfassend, soll dem Regierungsentwurf zufolge gegenüber dem derzeitigen Niveau von 587 Milliarden um 52 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Auf die Auflistung von Rüstungsausgaben anderer Staaten, besonders innerhalb der NATO, soll hier verzichtet werden. Der eine Vergleich reicht vollauf: Nicht einmal 10 Prozent der für das kommende Haushaltsjahr zusätzlich geplanten Mittel für das Pentagon würden reichen, 20 Millionen Afrikanern und Jemeniten das Leben zu retten.[Frankfurter Rundschau, 24. März 2017] Es sei auch darauf verzichtet, hier noch jene aufzuführen, die aus diesem Rüstungswahn Maximalprofite ziehen; stellvertretend seien Rheinmetall und Siemens benannt. Der Umsatz von Rheinmetall wird 2016 um 8 Prozent auf 5,6 Milliarden Euro steigen. Siemens wird ausgehend von einem Rahmenvertrag dem US-Verteidigungs¬ministerium Radiologiesysteme in ungewöhnlich großem Umfang liefern.[junge Welt, 30. März 2017] Nicht zuletzt durch diese mörderischen, der Rüstung dienenden Exporte kommt der eingangs benannte, unbeschreibliche Reichtum zustande. Und – eben die Armut, das Elend, die Not, die im Mittelmeer Ertrinkenden und die dahinvegetierenden Flüchtenden. Und – die stetig wachsende Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Das ist der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, der uns täglich vor Augen führt, wie recht Rosa Luxemburg mit ihrer Feststellung hatte: Sozialismus oder Barbarei. Vom Sozialismus sind wir wohl weit entfernt, nicht aber von unserer Verpflichtung, aufzuklären und zu kämpfen: Für sozialen Fortschritt, gegen Krieg und gegen Faschismus. Trotz alledem.

Strippenzieher und Strategen

Stephen Bannon ist ein Faschist. Und: Er bleibt – zumindest in innenpolitischen Fragen – Chefstratege von Donald Trump, auch wenn er unlängst aus dem Nationalen Sicherheitsrat der USA abgezogen wurde. Ein Mann, der seit 2012 die auf Lügen und Chauvinismus spezialisierte Website Breitbart News leitete, die er im Sommer 2016 als »Plattform für Alt-Right« bezeichnete. Letzteres ist eine neue US-Neonazigruppierung, die mit der landesüblichen Herrenvolkideologie von White supremacy, »weißer Vorherrschaft«, Wahlkampf für Trump machte.[junge Welt, 31. Januar 2017] Dieser Trump-Einflüsterer Bannon, Strippenzieher der extremen Rechten, hat unlängst seine Überzeugung kundgetan, es werde einen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China geben – und zwar innerhalb der nächsten zehn Jahre. Ist das eine Umkehr US-amerikanischer »Sicherheitspolitik«? Nein – es ist die auf die Spitze getriebene Weiterführung jener Strategie, die Brzezinski in seinem Buch »The Grand Chessboard« (Die einzige Weltmacht) entwickelte. China, so schrieb er 1997, würde die USA innerhalb der kommenden 20 bis 30 Jahre überholen. Zwei Jahrzehnte sind seither vergangen. Die von Bannon ausgesprochene Prognose bezieht sich auf das letzte Drittel der Brzezinski-Vorhersage. Dass Trump während seines Treffens mit dem Chinesischen Präsidenten Xi vor zwei Wochen davon sprach, dass die USA und China auf lange Sicht eine sehr, sehr gute Beziehung haben würden, muss gar nichts zu sagen haben. Der chinesische Präsident war entsprechend zurückhaltend. Dass der US-Militärschlag gegen Syrien ausgerechnet während Xis Besuch bei Trump erfolgte, musste er, nicht nur mit Blick auf den angedrohten US-Alleingang gegen Nordkorea, als dreiste Provokation verstehen. Ebenso, wie die Entsendung des US-Flugzeugträgers Carl Vinson mit Kurs auf die koreanische Halbinsel unmittelbar nach Xis Besuch. Und noch etwas ist elementar: Die US-Think-Tanks wurden bis vor kurzem nicht müde, zu wiederholen, es sei nötig, in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit China Russland nicht zum Feind, sondern an der eigenen Seite zu haben. Allein diese tückische Absicht stellte jede Hoffnung infrage, Trump würde nach einem Wahlsieg zumindest eine andere Russlandpolitik betreiben, und damit käme es zumindest zu einem bisschen mehr an weltpolitischer Stabilität. Auch manche KPF-Mitglieder wünschten sich so etwas. Diese Hoffnung ist inzwischen unter dem Berg von Irrsinnshandlungen des US-Präsidenten vollends begraben. Denken wir nur an den Einsatz der stärksten nichtatomaren Bombe der US-Army am Karfreitag in Afghanistan – eine Drohung gegen Russland, Iran, China und Nordkorea. Eine Bombe mit der Sprengkraft von 11 Tonnen TNT, 16 Millionen US-$ kostend.

Die Russen wollen keinen Dritten Weltkrieg

Wenn in dieser Weltlage die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa mit Blick auf die USA die gemeinsamen Anstrengungen gegen den Terrorismus als auch weiterhin alternativlos bezeichnet, so zeugt das von außerordentlicher Besonnenheit der Russen. Unmittelbar nach dem US-amerikanischen Aggressionsakt gegen Syrien rätselten Journalisten, warum Russland keine Flugabwehrraketen eingesetzt habe. Da ist nichts zu rätseln: Die Russen wollen keinen III. Weltkrieg. Die Russen werden den auch nur kleinsten Ansatzpunkt nutzen, um diesen Krieg zu verhindern. Währenddessen bemüht sich der in puncto Atomkrieg offensichtlich völlig phantasielose Trump unter Beweis zu stellen, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, er habe sich im Wahlkampf von Russland unterstützen lassen, jeglicher Grundlage entbehren. Wir erinnern uns: Der Sicherheitsberater Flynn, der an normaleren Beziehungen zu Russland interessiert war, musste gehen und droht jetzt damit, auszupacken. Niemand kann sagen, was daraus folgen würde. Aber selbst, wenn im Extremfall die Trump-Gegner sich durchsetzten und im Ergebnis dessen sein Vize Mike Pence Präsident würde: Der äußerst reaktionäre Kurs ginge weiter, nur mit einem etwas weniger auffälligen Irrsinn. Denn der Irrsinn kommt nicht in erster Linie von Personen, sondern er entspringt den Funktionsmechanismen des Systems.

Nichts scheint halbwegs sicher. Wie gefährlich der von den USA betriebene Rollback in Lateinamerika ist, erleben wir in diesen Tagen, besonders in Venezuela. Die Drohungen gegen den Iran sind brandgefährlich. Von denen gegen Nordkorea ganz zu schweigen. Der Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem wäre Öl ins Feuer des Nahostkonflikts. Einer Zusammenarbeit zwischen Washington und Moskau stehen in Libyen weniger Hindernisse entgegen als in Syrien. Das wurde – wie schon erwähnt – gefährlich deutlich, als EU und USA der syrischen Administration beweislos unterstellten, die syrische Armee habe in Khan Scheikhun Giftgas eingesetzt. Nur eins kann wohl sicher gesagt werden: Was sich da gerade weltpolitisch, aber auch bezogen auf die US-Innenpolitik, abspielt, ist weitaus mehr als irgendwelche Launen des neugewählten Präsidenten. Es ist die nunmehr unverhohlen offen aggressive, von zunehmend faschistoid geprägten Zügen betriebene US-Politik, koste es, was es wolle, Weltmacht Nr. 1 zu bleiben und sich bei diesem mörderischen Abenteuer von den verbliebenen Hürden der bürgerlichen Demokratie nicht behindern zu lassen. Wir wissen, wie weit die USA auch schon vor Trump von jenen demokratisch verfassten Vereinigten Staaten entfernt waren, als die sie gepriesen werden. Und dennoch gibt es noch viele Reste dieser Demokratie, die beseitigt werden können. Welche Chance Trumps Vorgehen auch haben mag: Es ist mit Sicherheit extrem gefährlich, zumal mit ihm an der Spitze ein Abenteurer steht, ohne Empathie, ohne Kultur, hemmungslos und brutal – mit äußerst reaktionären Gestalten in seiner Regierung – ein wahres Gruselkabinett. So äußerte Greenpeace zum Außenminister Rex Tillerson: »Nun wird also ein wirklicher J. R. Ewing Chefdiplomat der USA … Wir haben seit Jahren gewarnt, dass Exxon zu nahe an der Regierung ist. Nun ist es die Regierung.«

Ein Ringen zwischen Reaktionären

Nicht allen Kapitalfraktionen wird dies gefallen. Davon zeugt möglicherweise Bannons Machteinbuße. Nicht von ungefähr meutern die Hochtechnologiefirmen wie Google oder Facebook. Sie sehen sich in den Möglichkeiten eingeschränkt, weltweit Brain-Drain zu betreiben. Die Signale, die von Mitgliedern der Regierung Trump kommen, widersprechen teils Aussagen des Präsidenten. Rollenverteilung oder essentielle Machtkämpfe? Nehmen wir die Gerichtsurteile zu den extremen Einreisebeschränkungen oder das Stimmverhalten bei dem Versuch, Obama-Care abzuschaffen. Noch lässt sich das alles im Einzelnen nicht einschätzen. Als sicher kann dennoch angenommen werden, dass hinter den Kulissen – und nicht nur dahinter – Kämpfe stattfinden. Welche Kapitalfraktion sich durchsetzen wird, ist die spannende Frage. Die Börsenkurse allerdings beeindruckt das bislang nicht.

Der wichtigste US-Börsenindex Dow Jones Industrial kletterte am 25. Januar dieses Jahres erstmals in seiner mehr als 130-jährigen Geschichte über die Marke von 20.000 Punkten. Dies zeugt nicht nur davon, dass maßgebliche Kreise des Kapitals den Trump-Kurs klammheimlich freudvoll begrüßen. Was sich deutlich abzeichnet – und gerade das findet offenbar die Zustimmung der Wall Street – ist ein zunehmend diktatorischer Führungsstil unter der Überschrift »America first«. Ohne dass der seine deutschen Wurzeln nicht Verleugnende den Begriff »völkisch« möglicherweise kennt, agiert Trump vollkommen völkisch und rassistisch und zeigt in brutaler Offenheit, dass er die verbliebenen Reste der bürgerlichen Demokratie für unzweckmäßig hält. Donald Trumps erste Schritte im Amt bestätigten vieles, was Investoren sich erhofft hätten, so Neil Wilson von ETX Capital. Trump, so Wilson, zeige sich extrem unternehmens- und wirtschaftsfreundlich und wende sich von Regulierungen im Energie-, Umwelt- und Finanzsektor ab.[neues deutschland, 27. Januar 2017] Trump schert sich nicht um den Protest auf der Straße und eine gewisse Abneigung des geistig-kulturellen Überbaus, dessen Vertreter im Übrigen gegen die beängstigende Aggressionspolitik Trumps bisher eher nicht auf die Straße gehen. Der Präsident entspricht zutiefst der Brutalität und Kulturlosigkeit des Systems und ist auch als Milliardär exemplarisch Teil dessen. Seine Massenbasis sind vorwiegend die weißen Mittel- und Unterschichten. Es gibt keine Massenorganisationen wie im klassischen Faschismus des 20. Jahrhunderts. Aber es gibt 310 Millionen Waffen in Privatbesitz und ungezählte, teils paramilitärische Formationen: Die stockreaktionären Evangelikalen, den Ku Klux Klan, die Tea-Party-Bewegung – es gibt all diese faschistoid empfindenden und agierenden Gruppierungen, von denen ein schwer bewaffneter Vertreter vor laufender Kamera äußerte: »Wenn Trump uns ruft, sind wir da.« Als Protagonist des Clubs der Milliardäre und vor diesem rassistischen Hintergrund will Trump aus dem Weg räumen, was den Mechanismus der Profitmaximierung stört – ohne Rücksicht auf die Umwelt, sei es die Natur, seien es andere Länder. Und er wählt konsequent kapitalfixiert aus: Menschen aus dem bitterarmen, zerbombten Jemen sollen nicht mehr einreisen dürfen, die aus dem reichen, den islamischen Terror finanzierenden und den Jemen bombardierenden Saudi Arabien schon. Das Agieren der Justiz in dieser Frage zeugt davon, dass um die zukünftige Linie der US-Politik gerungen wird. Dies ist allerdings kein Ringen zwischen Reaktion und Fortschritt. Es ist ein Ringen zwischen Reaktionären, die sich über taktische, vielleicht muss man sogar sagen, über strategische Zweckmäßigkeiten im Interesse des Kapitals gegenwärtig nicht einig sind. Es ist sicher nicht sehr gewagt, zu sagen: Wenn Trumps aggressive Eindeutigkeiten im Verhältnis zu Russland weitergehen, wird es – das deutet sich schon an – um seine Innenpolitik sehr viel ruhiger werden. Und die von Atlantikern durchsetzten deutschen Medien, die bis vor kurzem kein gutes Wort für den neuen Präsidenten fanden, sind inzwischen durchaus freundlich gestimmt. Mit jeder Bombe ein bisschen netter.

Antifaschismus mehr denn je Kernaufgabe linker Politik

Trumps Politik – sie ist vielleicht schon mehr als nur ein Vorbote eines neuen Faschismus. Hat die bürgerliche Demokratie in Anbetracht einer aus den Fugen geratenden Welt ihre Schuldigkeit getan? Sind Kapitalinteressen in absehbarer Zukunft nur noch offen diktatorisch zu gewährleisten? Eine Hillary Clinton hätte wohl die US-amerikanischen Restbestände der bürgerlichen Demokratie länger erhalten wollen. Und zugleich drohte sie die offene Konfrontation mit Russland an. Nach dem US-Raketenangriff auf Syrien war sie die erste namhafte US-Politikerin, die diesen begrüßte. Ja – es war die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Entwicklung, die die USA jetzt verstärkt nehmen, widerspiegelt ein beängstigendes globales Problem: Die Mechanismen der bürgerlichen Demokratie könnten vollends ausgedient haben. Oder wie ist es zu verstehen, wenn der Kongress nicht einmal mehr gefragt wird, ob ein Militärschlag erfolgen kann, der den III. Weltkrieg auslösen könnte? Die eklatanten Rechtsentwicklungen sind nicht nur das Problem der USA. Antifaschismus ist mehr denn je Kernaufgabe linker Politik. Das wollen wir an den Anfang unseres heutigen Berichtes stellen, ohne zu wiederholen, was wir zu dieser Problematik, insonderheit zur AfD-Programmatik – umfänglich vor fünf Monaten auf der Bundeskonferenz dargelegt und in unserem Sonderheft Antifaschismus veröffentlicht haben, und ohne im heutigen Bericht noch einmal ausführlich auf die Rechtsentwicklungen in Deutschland und Europa einzugehen. Wir müssen heute aus Zeitgründen auch darauf verzichten, dazulegen, welche Rolle die stetig wachsende Kluft zwischen Arm und Reich bei diesen gefährlichen Entwicklungen spielt. Verwiesen sei in diesem Kontext auf den jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, aus dem hervorgeht, dass die reichsten zehn Prozent der deutschen Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens besitzen, während die untere Hälfte gerade einmal über ein Prozent verfügt. Und in anderen EU-Staaten sind die sozialen Verwerfungen in der Regel noch wesentlich ausgeprägter als hierzulande.

Zum Streit zwischen türkischen und EU-Nationalisten

In dieser Gemengelage verschieben die rechtsaußen agierenden Politfiguren die Koordinaten in der EU nach rechts. Dass Geert Wilders in den Niederlanden unterlag, war kein Sieg der Demokratie. Das Wahlergebnis vom 15. März 2017 zeugte vielmehr davon, dass ein Rassist wesentlich dadurch auf den zweiten Platz verwiesen wurde, dass die sogenannte bürgerliche Mitte rassistische Ressentiments aggressiv bediente. Durch dieses verkommene Spiel, welches nicht nur in den Niederlanden betrieben wird, entsteht ein stetig gefährlicher werdendes Klima, aus dem heraus im gegebenen Falle mit Hilfe der Medien Mehrheiten für die faktische Abschaffung der bürgerlichen Demokratie organisiert werden können. Zumindest aber – und damit haben wir es heute schon zu tun – können bestimmte reaktionäre Maßnahmen des Staates ohne großen Widerstand durchgesetzt werden. Denken wir nur an den Umgang mit den Menschen, die vor den Folgen der von der NATO und ihren Verbündeten angezettelten Kriege und Konflikte fliehen. Denken wir nur an den rigorosen Abbau demokratischer Rechte im Kampf gegen den durch diese Kriege produzierten Terror.

Und noch etwas: Wir haben in den Märzmitteilungen die gemeinsame Erklärung der Neuen KP der Niederlande und der Türkischen KP vom 13. März 2017 dokumentiert. Auch wir haben keine Veranlassung, uns bei dem Streit zwischen türkischen und EU-Nationalisten auf eine der beiden Seiten zu schlagen. Beide tun dasselbe: Sie schüren zum Zwecke des Machterhalts Ressentiments, die sich gegen die Interessen derer richten, die von ihnen verführt werden. Sie lenken ab von den sozialen Problemen, mittels Sündenböcken. Besonders perfide ist es, dass die Regierenden in der EU erst jetzt die antidemokratischen Vorgänge in der Türkei so richtig zur Kenntnis nehmen. Als Kurden bei lebendigem Leibe in Kellern verbrannt wurden, in denen sie Schutz vor türkischen Kommandos suchten, die ganze Städte verwüsteten, blieb es auf dem alten Kontinent beinahe ruhig. Und man wird auch nicht lange über das Ergebnis des Referendums über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei lamentieren. Man braucht das Land geostrategisch und in den schmutzigen Kriegen in der Region. Und 51,4 Prozent pro Erdogan entsprechen letztlich den Zeilen des Liedes »The winner takes it all«. Man wird wohl hoffen, dass das polarisierte Land mittels Ausnahmezustand schon zusammengehalten wird. Wie sagte einst Carl Schmitt? »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.«

Debatte über eigene deutsche Atomwaffen?

Auch zwischen den USA und der EU deutet sich ein imperialistischer Schlagabtausch an. »Wenn Trump«, so Gabriel am 23. Januar 2017 im Handelsblatt, »einen Handelskrieg mit Asien und Südamerika beginnt, eröffnen sich damit auch Chancen für uns.« Denn »die Räume, die Amerika freimacht, die könne Deutschland nutzen.« Ähnliches besprachen Merkel und der chinesische Ministerpräsident etwa zur gleichen Zeit in einem Telefonat. Zugleich thematisieren einflussreiche europäische Kreise die Frage nach einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit. Im Spiegel [Spiegel, Nr. 45/2016] war zu lesen, im Falle eines Falles sei »selbst eine Debatte über eigene deutsche Atomwaffen« nicht ausgeschlossen. Das alles ist nicht gerade beruhigend. »Seht ihr«, bekommen wir in Anbetracht all dessen zu hören, »das sind auch die Folgen der russischen Politik. Die Russen«, wird uns gesagt, »sind um Annäherung an die USA Trumps bemüht und verbünden sich mit Europas Rechten: Mit Orban in Ungarn oder Le Pen in Frankreich. Eure Solidarität mit Russland ist fehl am Platze.«

Wer so argumentiert, verwechselt Ursache und Wirkung. Nachdem die Sowjetunion unter aktiver Mithilfe Gorbatschows zusammengebrochen war und Jelzin Russland die letzte nationale Würde genommen hatte, tat Putin alles dafür, dem Land wieder einen geachteten Platz unter den anderen Nationen zu verschaffen. Nicht mehr und nicht weniger. Nimmt man z.B. Putins Rede vor dem Deutschen Bundestag im September 2001 oder im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz am 10. Februar 2007, so wird ohne Wenn und Aber deutlich: Russland geht es um friedliche Beziehungen zur Welt, nicht zuletzt zu den USA und ebenso zur EU. Und Russland – dem Riesenland mit so schmerzerfüllter Geschichte – geht es natürlich gleichermaßen um die Bewahrung der eigenen Souveränität. Diese legitimen russischen Interessen wurden mit Füßen getreten -- nicht zuletzt seitens der EU, aber vor allem seitens der USA. Dafür steht der sogenannte Ukraine-Konflikt exemplarisch, in dessen Verlauf Russland wohl abwarten sollte, bis Sewastopol NATO-Marine-Stützpunkt wird. Ebenso geht es um die Missachtung russischer Interessen – von Karelien bis zum Kaukasus, von Kaliningrad bis zu den Kurilen.

Russland hat darum gerungen, das Verhältnis zur EU, insonderheit zu Deutschland, nicht in die Abgründe gleiten zu lassen, in denen es sich heute befindet. Die Antwort war und ist ein unbeschreiblicher, durch nichts zu rechtfertigender Russenhass, hinter dessen Rauchvorhang deutsche Panzer wieder vor Russlands Grenzen stehen – unter aktiver Mitwirkung dieser geschichtsvergessenen EU. In einer solchen Situation zwingt man ein Land wie Russland geradezu, sich an den 22. Juni 1941 zu erinnern. In einer solchen Situation sagt ein Land wie Russland: Mit uns nie wieder. Da wird dann jeder in der westlichen Welt vorhandene Widerspruch genutzt. Da soll der mögliche Kriegsgegner von morgen destabilisiert werden. Das ist keine Rechtfertigung der sich wohl daraus ergebenden, teils ausgesprochen unappetitlichen Beziehungen zu manchen Regierungen oder potentiellen zukünftigen Regierungschefs. Am Rande bemerkt: Orban ist nicht schlimmer als die baltischen Chefs. Es bleibt jedenfalls die Frage, wie denn die Russen mit der sie buchstäblich umkreisenden Feindseligkeit umgehen sollen.

Als hätte es das alles nicht gegeben

Anfang des Jahres wurden die ersten Bundeswehrsoldaten im Rahmen der massiven Aufrüstung der NATO nach Litauen verlegt. Sie landeten am 24. Januar in der Hauptstadt Vilnius. »Meine Soldaten und ich sind wirklich glücklich, in Litauen zu sein«, sagte Oberstleutnant Christoph Huber, der Kommandeur des von ihm angeführten NATO-Bataillons bei der Ankunft.[taz, 25. Januar 2017] Deutsche Offiziere waren schon einmal glücklich, in Litauen zu sein. Über den damaligen Einsatz deutscher Truppen und ihrer litauischen und übrigens auch ukrainischen Gesinnungsgenossen zitiert Walter Laqueur in seinem Buch »Was niemand wissen wollte« aus einem Bericht des OSS, des Office of Strategic Services: »Es sind keine Juden in größeren ukrainischen Städten verschont geblieben, und in Litauen werden sie bald gänzlich ausgerottet sein.« Karl Jäger, SS-Standartenführer im SD, Kommandeur des Einsatzkommandos 3 mit Sitz im litauischen Kaunas, verantwortlich für die Ermordung der jüdischen Bevölkerung, teilte in einem Bericht mit, bis zum 1. Dezember 1941 mit 137.346 Exekutionen das »Judenproblem für Litauen gelöst zu haben.«[junge Welt, 28./29. Januar 2017]

Die Völker der Sowjetunion, vor allem ihre Rote Armee, trugen die Hauptlast bei der Zerschlagung des deutschen Faschismus. Und nun stehen deutsche Soldaten erneut an den Grenzen Russlands – in totaler Geschichtsvergessenheit: Als hätte es den 22. Juni 1941 nicht gegeben, nicht die 27 Millionen toter Sowjetbürger, nicht 2.000 km verbrannter sowjetischer Erde, nicht die mehr als 600 niedergemachten Dörfer Belorusslands, nicht die sowjetischen Kinder, die deutschen Soldaten als Blutspender dienten, bis kein Tropfen Blut mehr in ihren kleinen Körpern war, nicht die zu Tode gefolterten, erhängten und gepfählten Partisanen, nicht die Million Verhungerten während der Blockade Leningrads, nicht das bis auf die Grundmauern zerstörte Stalingrad. Als hätte es das alles nicht gegeben, stehen die Enkel in deutschen Uniformen an den Grenzen Russlands, weil die Russen angeblich eine Gefahr darstellen. Auch das hatten wir schon einmal. Dass in Anbetracht des Terroranschlags in St. Petersburg das Brandenburger Tor nicht in den Farben Russlands angestrahlt wurde, ist ebenso Teil dieser antirussischen Hetze. Ein Aufschrei der Empörung müsste durch dieses Land gehen. Doch es bleibt eher still. Auch unsere Partei sagt viel zu wenig zu diesen Ungeheuerlichkeiten. Warum ist die LINKE hier so zurückhaltend? Warum bleibt sie eher abstrakt, wenn es um Fragen der NATO und der Auslandseinsätze der Bundeswehr geht? Sollen SPD und Grüne nicht verärgert werden?

Warum kommentieren wir kaum die ständigen Wiederholungen, vorgetragen von europäischen Politikern, so May und Merkel, wie sehr sie mittlerweile mit Trump in der NATO-Frage übereinstimmen? Weil die Akzeptanz der NATO Voraussetzung für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis ist? Bodo Ramelow empfahl schon vor Monaten, man solle doch das Thema NATO einfach einmal ausklammern. Wer hat ihn für diesen Verstoß gegen das geltende Parteiprogramm gerügt? Die üblichen Verdächtigen, so der Landessprecherrat der KPF Thüringen. Ansonsten – Schweigen im Walde. Wer wehrt sich, wenn Ramelow sagt, er halte »die Chance, dass Rot-Rot-Grün im Bund kommt, für hoch« und sei »froh, dass die Ausschließeritis gegenüber der Linken vorbei ist«. DIE LINKE wolle »nicht auf die Weltrevolution warten«, sondern müsse das praktische Leben verbessern.[junge Welt, 28. Dezember 2016] Wer bitte – außer Ramelow in dieser denunziatorischen Weise – redet denn in der Linken gegenwärtig über die Weltrevolution? Das würde in dieser Lage vielleicht nicht einmal Leo Trotzki getan haben. Wer sich gegen die NATO wendet, will zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger, als Überlebenschancen für die Menschheit sichern zu helfen. Und zu überleben ist ja wohl eine existentielle Bedingung für die Verbesserung des praktischen Lebens. In der NATO-Frage das Programm zu verwässern, zunächst klammheimlich, indem vorgeschlagen wird, sie auszuklammern, wäre Teil des zu leistenden Kotaus, den der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz verlangt, wenn er sagt, wer mit der SPD koalieren wolle, müsse sich ihrem Programm annähern. Und Oppermann äußerte Anfang dieses Monats im ARD-Bericht aus Bonn, man wolle stärkste Partei werden und dann seien alle, die mit der SPD arbeiten wollen, »herzlich eingeladen, mit uns« – also der SPD – »darüber zu reden und sich an unseren inhaltlichen Vorstellungen auszurichten.« Wörtlich Oppermann: »Wir werden in jedem Fall keine Koalition eingehen, die darauf angelegt ist, die EU zu schwächen. … Wir sind Teil des westlichen Wertebündnisses und wir werden auch und gerade nachdem Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist, darum kämpfen.«

Vermittlungs-Dilemma für die LINKE

Was manchen Protagonisten unserer Partei und der Rosa-Luxemburg-Stiftung auch immer vorschwebt: Die politische Realität widerspiegelt sich in solchen Aussagen führender SPD-Funktionäre. »Träumt weiter«, möchte man manchen in unserer Partei zurufen. »Auch unter kapitalistischen Vorzeichen wäre mit Rot-Rot-Grün eine alternative Außenpolitik möglich«, so Erhard Crome am 16. Januar 2017 im ND. Er schreibt: »In einer vorgestellten rot-rot-grünen Konstellation auf Bundesebene lassen sich heute recht bald Gemeinsamkeiten in der Sozial-, Gesundheits- oder Umweltpolitik finden, bei einiger Anstrengung auch in der Steuerpolitik. Von verschiedener Seite jedoch wird«, so Crome weiter, »nach wie vor betont, in der Außenpolitik sei es ungleich komplizierter. Die Politikfelder«, so der Autor, »können in der Tat nicht je nach Geschmack von links gegeneinander aufgerechnet werden, frei nach dem Motto: ›Wir machen eine schöne Renten- und Bildungspolitik, und dafür schlucken wir die Kröte Militäreinsätze, um in der Regierung zu sein und so ersteres machen zu können‹«. Daraus ergibt sich laut Crome ein Vermittlungs-Dilemma für die LINKE: Diejenigen, die sie in erster Linie wegen ihrer friedenspolitischen Grundposition wählten, würden sich mit dem Hinweis auf die Rentenpolitik nicht abspeisen lassen; diejenigen, die sie wegen ihrer sozialpolitischen Positionen wählten, würden sich nicht auf Dauer mit dem Verweis auf die Differenzen in der Außenpolitik zufrieden geben.

Wegen dieses Vermittlungs-Dilemmas, so schlussfolgert Chrome, seien rot-rot-grüne Debatten nötig. In diesem Kontext bezieht er sich auf Thomas Oppermann, SPD-Fraktions¬vorsitzender im Bundestag. Der habe kürzlich von »Lockerungsübungen« gesprochen. Gemeint gewesen sei wieder, die LINKE solle sich endlich »lockern« und ihre außenpolitischen Positionen dem Konsens der anderen Bundestagsparteien anpassen. Crome weiter wörtlich: »Das blendet allerdings aus, dass nur in einer rot-rot-grünen Koalition eine Kanzleroption für die SPD besteht.« Zu den Grünen bemerkt Crome, der Druck maßgeblicher Parteikreise, lieber eine bürgerliche Mitte-Partei zu sein, die auf die CDU zugeht, nähme zu.

Die drei Stöckchen Egon Bahrs

Nach diesen nicht von der Hand zu weisenden Feststellungen Cromes, die allerdings den Grundwiderspruch nicht auflösen, ja nicht auflösen können, kommt dann doch der Versuch einer Lösung. Der Name der Lösung: Donald Trump. Crome bezieht sich in diesem Kontext auf Egon Bahr. Bahr, so Crome, »gehörte bereits vor Jahren zu jenen, die meinten, die LINKE müsse über drei Stöckchen springen, wolle sie mitregieren: Das seien die ›Freundschaft zu den USA‹, die Einbindung in die NATO und das Bekenntnis zur EU-Integration«.

Nun würden mit Donald Trump die seit 1945 der westdeutschen politischen Elite antrainierten transatlantischen Gewissheiten in Bewegung geraten. Crome nennt dann Eckpunkte der von Trump angekündigten Politik. Angekündigt sei zumindest eine Relativierung der interventionistischen imperialistischen Globalstrategie der USA. Dazu müsse das Land »aus dem Geschäft des nation-buildung« in anderen Ländern »aussteigen«, so Trump, und auf »Stabilität in der Welt« zielen. Im Nahen Osten müsse der Terrorismus zerschlagen werden und zugleich »die regionale Stabilität, nicht der radikale Wandel« gefördert werden. Die Spannungen mit Russland sollten verringert und die Beziehungen verbessert, der »Zyklus der Feindschaft« beendet werden.

»America first«, so Crome im Kontext mit den ersten beiden Stöckchen, verkörpere einen US-Nationalismus, auf den die westeuropäischen herrschenden Klassen nicht vorbereitet seien. Das beträfe auch die NATO-Strategie gen Osten, wie sie unter den Präsidenten Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama nahtlos vorangetrieben worden sei. Der deutschen Bundesregierung sei bisher nichts anderes eingefallen, als auf verstärkte Aufrüstung und Kriegsführungsfähigkeit der europäischen NATO-Staaten zu setzen.

Dann kommt Crome zum dritten Stöckchen Egon Bahrs: Was die EU anbeträfe, so habe die LINKE die positiven Seiten für die Bürger gewürdigt, ihren neoliberalen und undemokratischen Charakter jedoch kritisiert, aber auch vor Illusionen gewarnt, die sich mit der Idee eines Rückzuges auf Positionen der Nationalstaatlichkeit verbinden würde.

Auf allen drei Feldern – also dem Verhältnis der LINKEN zu den USA, zur NATO und zur EU – hieße dies 2017, so Crome, dass die LINKE nicht über Stöckchen springen, sondern einer verfehlten Politik tragfähige Alternativen entgegensetzen müsse, »die der Bevölkerung und ihrem Wohlergehen dienen, in einem Rahmen des Friedens, der Sicherheit und internationaler Solidarität«.

»Wenn etwa 70 Prozent der Deutschen regelmäßig in Umfragen gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan waren, aber 70 Prozent für den Verbleib Deutschlands in der NATO sind«, so Crome weiter, könne eine 10-Prozent-Partei den NATO-Austritt nicht dekretieren. »Zumal ein Koalitionsvertrag dies unter solchen Mehrheitsverhältnissen nicht hergeben würde. Aber es könnte vereinbart werden, die Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen zurückzurufen, weitere nicht zu beschließen, die Waffenexporte in alle Nicht-NATO-Länder sofort einzustellen«. Die USA müssten aufgefordert werden, »ihre Kernwaffen aus Deutschland abzuziehen und von deutschem Boden aus keine Kriege mehr in anderen Teilen der Welt zu führen«.

Crome beendet seine Überlegungen mit der Skizzierung weiterer Schritte, die letztlich dazu führten, dass die Bundeswehr nur noch den Auftrag hätte, die Territorialverteidigung des Landes zu sichern. »Dann könnte die Forderung gestellt werden, dass Deutschland aus der Militärorganisation der NATO austritt. Die USA hätten so auch alle Militärstützpunkte in Deutschland aufzugeben.« Aus der Summe seiner Überlegungen schlussfolgert Crome, auch in der Außenpolitik seien weitreichende Schritte einer Veränderung möglich, die nur gegangen werden könnten, wenn eine aktive Linke Regierungsverantwortung übernähme. Es gelte, »›Verantwortung‹ und ›Interessen‹ Deutschlands alternativ, von links zu definieren. Und dann in Politik umzusetzen.«

Halbwertzeit Trumpscher Äußerungen

Wir haben deshalb aus dem ND-Artikel so ausführlich zitiert, weil er einen scheinbaren Ausweg aus dem Dilemma anbietet. Dank Trump – so lässt es sich verkürzt sagen – könne die LINKE koalieren, denn die von Bahr formulierten Bedingungen seien obsolet geworden. Mit den USA müsse man nicht mehr gut Freund sein. Die NATO würde von ganz anderen infrage gestellt, und in puncto EU sei DIE LINKE ja ohnehin ganz vernünftig.

Dies klingt nach einer dialektischen Herangehensweise. Ist es aber nicht. Bereits ein Vierteljahr, nachdem Crome seine Überlegungen im ND veröffentlicht hatte, stimmt buchstäblich keine der von ihm im Zusammenhang mit Trumps Präsidentschaft gezogenen Schlussfolgerungen mehr. Keine einzige! Jüngst äußerte Trump nach einem Treffen mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg, dieses Militärbündnis – gemeint ist die NATO – sei ein Bollwerk für Frieden und Sicherheit. Die NATO sei nicht länger obsolet. Das eine Beispiel mag genügen, um die Halbwertzeit Trumpscher Äußerungen zu belegen. Weitere Beispiele haben wir an anderer Stelle dieses Berichtes schon aufgeführt.

Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Trumpsche Politik hat maßgeblich beschleunigt, dass – unter der Losung, Europa müsse den USA auf Augenhöhe begegnen – der deutsche Imperialismus eine massive Rückkehr zur Weltgeltung anstrebt. Die BRD will mit aller Macht eine zentrale Stellung in der Weltpolitik. Die aus den monströsen deutschen Verbrechen im II. Weltkrieg abgeleitete Zurückhaltung gerade auf militärischem Gebiet, welche zugleich untrennbar mit der Existenz der Sowjetunion und des Warschauer Vertrages verbunden war – diese Zurückhaltung hat mit der Stationierung deutscher Panzer an Russlands Grenzen ihr symbolisches Ende gefunden. Dieser Prozess, von Gauck seinerzeit kryptisch als »Verantwortungsübernahme« bezeichnet, läuft schon länger als ein Vierteljahrhundert, seit nämlich deutsche Soldaten wieder in anderen Ländern zu finden sind. Und es gibt eine weitere, kaum beachtete Tendenz: Mittlerweile sind zwei Drittel der niederländischen Heeresverbände in deutsche Einheiten integriert. Eine Kooperationsvereinbarung ist unterzeichnet, die die Einbindung der 4. Schnellen Eingreifbrigade der tschechischen Streitkräfte in die 10. Panzerdivision der Bundeswehr vorsieht. Das gilt auch für die Einbindung der 81. Mechanisierten Brigade der rumänischen Armee in die Division Schnelle Kräfte der Bundeswehr. Das European Air Transport Command, an dem sich die BRD, Frankreich, die Benelux-Staaten, Italien und Spanien beteiligen, bündelt rund 60 Prozent der europäischen Lufttransportkapazitäten.[ junge Welt, 10. März 2017] Die Aufzählung könnte weitergehen. Eine EU-Armee, faktisch unter deutscher Führung, ist schon im Entstehen. Die normative Kraft des Faktischen wird das Ihre tun. Und als integraler Bestandteil dieses Prozesses laufen Modernisierungen, so die Indienststellung der Cyber-Truppe, einer neuen Teilstreitkraft der Bundeswehr mit 13.500 Spezialisten. Wir »dürfen uns auch offensiv verteidigen«, sagte Ursula von der Leyen in diesem Zusammenhang.

Bundesrepublik will zentrale Stellung in der Weltpolitik

All diese Entwicklungen nahmen ihren Anfang mit dem Ende der DDR. Das ist kein Zufall; doch dies hier zu belegen, würde zu weit führen. Kehren wir zur Gegenwart zurück. Wenige Tage vor seinem Amtsende erklärte Obama Angela Merkel zur neuen Führerin der westlichen Welt. Seither können die deutschen Eliten mit Frau von der Leyen und Herrn Gabriel an der Spitze kaum noch an sich halten, ihre bedeutende internationale Rolle hervorzuheben und zu betonen, dass man dafür natürlich zu zahlen bereit ist. Gemeint sind die zu entrichtenden 2 Prozent für Kriegsvorbereitungen, die – wie immer in diesem Lande – als Verteidigungsnotwendigkeiten bezeichnet werden. Schuld sind – gemeinsam mit dem IS – wie stets die Russen. Im Vorfeld der Münchener Sicherheitskonferenz formulierte das Wolfgang Ischinger so: »Putin hat gezeigt, wie grundfalsch es ist, zu sagen: Es kann keine militärischen Lösungen geben. Ich wünsche mir, dass kein verantwortlicher deutscher Politiker diesen Satz wiederholt. Er dient leider immer wieder als wohlfeile, aber falsche Begründung, wegzuschauen. … Wir Europäer sind dadurch einmal mehr an den Spielfeldrand verbannt worden – eine Zuschauerposition, die der Rolle der EU als größte Handels- und Wirtschaftsmacht der Welt mit 500 Millionen Menschen nicht gerecht wird. Die Bürger spüren das und fragen: Werden unsere Interessen hier adäquat vertreten?«

Soweit Ischinger, der sich hier auf die Bürger beruft, als hätte er jeden einzelnen gefragt. Er macht den Weltmachtanspruch deutlich und dies bei klarer Forderung nicht zuletzt nach militärischen Lösungen. Dieser Situation müssen sich alle friedliebenden Menschen stellen, besonders in Deutschland. Sich dieser Situation zu stellen – gerade auch jetzt im bevorstehenden Wahlkampf – bedeutet, sie zunächst einmal deutlich zu charakterisieren. Es gilt, die imperialistischen Träume Deutschlands offen zu benennen. Es gilt ebenso, ehrlich zu sagen, dass sich voraussichtlich keine bürgerliche Regierung dieses Landes – sei es die CDU, sei es die SPD – gegen diese deutsche Großmachtpolitik stellen wird. Eine Behauptung? Nein. Eine auf Erfahrungen basierende Feststellung. 1999 Jugoslawien, 2001 Afghanistan, und seither Auslandseinsätze der Bundeswehr am laufenden Band. Und Grüne und SPD waren beinahe ausnahmslos dabei. Es gibt keinen vernünftigen Grund für die Annahme, diese beiden Parteien, mit denen einige in der LINKEN so gerne im Bund koalieren wollen, würden in dieser Frage von Leben und Tod eine Kehrtwende vollziehen. Aus unserer Sicht ist also der Hauptirrtum von Crome, dass er eine friedvolle Außenpolitik einer rot-rot-grünen Regierung in Anbetracht der Trumpschen Politik für gut möglich hält. Die Tendenz ist entgegengesetzt. Die Trumpsche Parole, »America first« stimuliert die deutschen Eliten, dem Paroli zu bieten – gerade auch in militärischer Hinsicht. Wer glaubt, die SPD würde sich diesem Trend widersetzen, ist Illusionist. So äußerte Herr Gabriel: »Wir sind zurzeit nicht stark genug. Die historische Herausforderung ist, ein neues, ein stärkeres Europa zu schaffen. Sonst werden wir weder von Herrn Trump und Herrn Putin ernstgenommen noch von China. […] Wir haben zu lange geglaubt, dass unsere Art zu leben am besten von den Amerikanern verteidigt wird und man ansonsten mit den zweifelhaften Händeln in dieser Welt nichts zu tun haben will. Und dann haben wir die Amerikaner dafür kritisiert, wie sie das gemacht haben. Viele haben sich so gemütlich eingerichtet. Diese Zeiten sind aber unweigerlich vorbei. Wir müssen selber bestimmen, wie wir unsere Interessen und Werte verteidigen, was unsere Aufgabe in dieser unruhigen, krisenbeladenen Welt ist, in der uns vieles nicht gefällt.«[Frankfurter Allgemeine, 16. Fwebruar2017] Da ist er wieder, der deutsche Größenwahn, verkündet von einem Spitzenpolitiker der SPD, diesmal unter der Flagge der EU. Beinahe ist man geneigt, zu sagen: Unter falscher Flagge! Und es sei noch angemerkt: Als Gabriel Anfang April Bundeswehrsoldaten in Mali besuchte, sagte er, man müsse sich auf einen langen Einsatz einstellen. Gabriel wird diese Auffassung nicht der LINKEN zuliebe ändern! Friedlicher wird die deutsche Politik nur, wenn eine von Massen getragene Friedensbewegung dazu zwingt. Davon sind wir noch weit entfernt, wie die jüngsten Ostermärsche zeigten. Dennoch macht es Hoffnung, dass sich wesentlich mehr Menschen an den Ostermärschen beteiligten als in den Vorjahren. Daran ist anzuknüpfen, auch, indem wir darüber aufklären, dass eine Regierungsbeteiligung der LINKEN nur eine Schwächung der Friedensbewegung zur Folge haben kann. Auch das sollte im Wahlkampf offen thematisiert werden.

Bei Regierungsbeteiligung gilt die Staatsräson

Wir bleiben bei den Realitäten. Wir haben alle Gründe der Welt, ohne Wenn und Aber Friedenspartei zu bleiben. Das würde bei einer rot-rot-grünen Koalitionsregierung unmöglich. Denn bei Regierungsbeteiligung im Bund gilt die Staatsräson. Die impliziert unabdingbar die Einhaltung der Bündnisverpflichtungen in NATO und EU, und das wiederum machte unsere bisherige, konsequente Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr obsolet. Dies ist durch keinerlei gedankliche oder sonstige Spielchen zu umgehen. Wer etwas anderes behauptet, ist entweder sehr naiv oder führt die Mitglieder sowie die Wählerinnen und Wähler unserer Partei hinters Licht. Man wird diese unsere Position weiterhin als paranoid und betonartig schelten. Man wird uns vorhalten, wir begriffen nicht, welche Kompromisse eingegangen werden müssten, um den weiteren Vormarsch der Rechten europaweit zu stoppen. Man wird alle möglichen Pseudoargumente ins Feld führen, um zu beweisen, dass der Bär gewaschen werden kann, ohne dessen Pelz zu nässen. Wir aber wissen: Er würde nass. Die Staatsräson der BRD gilt bei Regierungsteilhabe und Punkt. Von dieser Einschätzung werden wir keinen Millimeter abweichen und sie wieder und wieder unterstreichen. Und was die Verweise auf Kompromisse anbetrifft, die die Rechten stoppen sollen, so zitieren wir hierzu Sahra aus ihrem ND-Interview vom 21./22. Januar 2017: »Wenn eine Bundesregierung unter Beteiligung der LINKEN auch nichts Besseres macht als neoliberale Politik … dann enttäuscht sie ihre Wähler. Dann wären wir nach einer Legislaturperiode keine relevante Kraft mehr. Wir sollten uns daher nicht auf eine Regierungsperspektive fixieren. Denn die Politik der nächsten Regierung wird auch davon abhängen, wer in Zukunft die Opposition dominiert: Also ob es eine starke LINKE gibt und eine schwächere AfD – oder umgekehrt.« Genau um diese Frage geht es und sie sollte das Motto unseres Wahlkampfes werden.

Spekulationen über R2G

Das ist umso wichtiger, da der SPD-Kanzlerkandidat Schulz offenbar mit jenen in der LINKEN übereinstimmt, die die Frage nach der Außenpolitik zurzeit am liebsten aus dem Verhältnis SPD/LINKE ausklammern möchten. Wir werden innerhalb unserer Partei – wenn wir in Anbetracht der Spekulationen über R2G unsere Besorgnisse kundtun – häufig mit folgenden zwei Argumenten abgespeist: Erstens: Wir stehen zu unseren friedenspolitischen Grundsätzen. Siehe Wahlprogrammentwurf. Zweitens: Diese Grundsätze sind sicher. Siehe die Stimmung in der Partei und die Ausführungen maßgeblicher Protagonisten der LINKEN. Doch wie sicher, liebe Genossinnen und Genossen, sind verbale Bekenntnisse zu unseren friedenspolitischen Grundsätzen, wenn zugleich davor zurückgewichen wird, sich offen damit auseinanderzusetzen, dass es bis dato keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass SPD und Grüne diese Grundsätze im Falle von R2G akzeptieren würden. Wir wissen doch alle, dass das Gegenteil der Fall wäre. Und wenn auf dem Berliner SPD-Bundesparteitag am 19. März das Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht einmal angesprochen wurde, dann zeugt das von keinem Kurswechsel. Einen solchen nimmt man in der Politik annähernd nie stillschweigend vor. Es zeugt lediglich davon, dass Ruhe sein soll zu diesem Thema. Schulz wartet auf ungewöhnliche Ereignisse, die es der SPD ermöglichten, offensiv mit ihrer verteidigungspolitischen Linie umzugehen – oder eben auf Koalitionsverhandlungen. Da würde man sich schon durchsetzen. Vermutlich will Schulz zwar keine rot-rot-grüne Koalition, aber – so wird er gleichzeitig denken – man kann ja nie wissen! Wir werden die Frage nach dem möglichen Preis von R2G auch im Wahlkampf offensiv stellen. Schon jetzt hören wir: »Seid doch nicht so misstrauisch«. Und wir sagen ohne jede diplomatische Floskel: Doch, das sind wir. Zwingt die SPD, in der Friedensfrage Farbe zu bekennen und setzt Euch mit ihren sogenannten verteidigungspolitischen Positionen auseinander, und schon wird unser Vertrauen wiederhergestellt sein. Und noch etwas Vertrauensbildendes gäbe es: Hört auf, mit den Begriffen »Auslandseinsätze« und »Kampfeinsätze« zu spielen. Wenn Bernd Riexinger auf der Pressekonferenz am 3. April einräumte, die Entscheidung zwischen Kampfeinsatz und Auslandseinsatz sei in der Praxis nicht ganz einfach, dann fragen wir: Ja, warum bleibt ihr dann nicht dabei, Auslandseinsätze abzulehnen? Und Punkt! Warum wies Bernd Riexinger auf dieser Pressekonferenz darauf hin, dass die Fraktion seiner Partei im Bundestag jeden aktuellen Auslandseinsatz abgelehnt habe, ohne gleichzeitig zu sagen, dass es eine Koalition nur geben kann, wenn ebendiese Einsätze beendet werden? Warum lehnte der Parteivorstand Anfang April folgenden Antrag der AKL ab: Im Wahlprogramm solle es heißen, dass sich die LINKE nicht an einer Regierung beteiligen wird, die Kriege führt oder Auslandseinsätze der Bundeswehr zulässt. Es blieb die ursprüngliche Formulierung, es dürften keine Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zugelassen werden. Warum nur? Weil es im Parteiprogramm der LINKEN von 2010 auch – neben dem Begriff Auslandseinsätze – den Begriff Kampfeinsätze gibt? Schlimm genug, dass man schon seinerzeit – und dies nicht zum ersten Mal – diese Zweideutigkeit bewusst verteidigte. Anträge, auf den Begriff Kampfeinsätze zu verzichten, wurden durch das Prinzip der Poolabstimmung unter den Tisch gekehrt. Sollte da ein Türchen offenbleiben? Soll jetzt daran erinnert werden, dass es diesen winzigen Türspalt gibt? Wir haben jedenfalls keine bessere Antwort und werden gegen diese spitzfindigen Versuche, SPD und Grünen Verhandlungsangebote zu unterbreiten, kämpfen. So werden wir den Antrag stellen, dass in das aktuelle Wahlprogramm die Formulierung aus dem Wahlprogramm 2013 aufgenommen wird, die da lautete: »Wir haben als einzige Fraktion im Bundestag den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht zugestimmt und werden es auch in Zukunft nicht tun.«

Aufrechten Gang wieder lernen

Seit in Berlin eine rot-rot-grüne Landesregierung zustande kam, wird immer wieder die Hoffnung erweckt, eine gleiche Konstellation im Bund würde einen grundlegenden Politikwechsel ermöglichen. Allerdings zählen in der Politik nicht Hoffnungen und Versprechungen, sondern Kräfteverhältnisse und auch Erfahrungen. Eine solche Erfahrung ist, dass die SPD, die zurzeit noch an der großen Koalition beteiligt ist, seit 1998 – mit Unterbrechung durch die schwarz-gelbe Koalition von 2005 bis 2009 – alle Schweinereien mitzuverantworten hat, vor allem die Aggression gegen Jugoslawien und die Agenda 2010. Eine Erfahrung ist, dass die Grünen seit Beginn des Jugoslawienkrieges jedes imperialistische Abenteuer des Westens frenetisch als Menschenrechtsrettung begrüßten. Mit solchen Parteien in eine Koalition zu gehen, ist – für Kommunisten und Linke nicht nur in der BRD, sondern vielerorts in Europa – immer schiefgegangen. Man muss das nicht ununterbrochen neu ausprobieren – frei nach dem bekannten Ausspruch: »Immer das Gleiche zu tun und immer ein anderes Ergebnis zu erwarten, ist auch eine Form des Irrsinns.«

Der Irrsinn allerdings wird solchen wie uns unterstellt. »Welche Alternative habt ihr denn anzubieten?«, hören wir schon die vorwurfsvollen Fragen derer, die eigentlich gar nicht fragen wollen, sondern die analytische Debatte über Sinn und Unsinn von Regierungsbeteiligungen im Bund zu vermeiden suchen. »Wollt Ihr vielleicht die Revolution?« Wir meinen, wissend, dass in der Endkonsequenz nichts an der Eigentumsfrage vorbeiführt: Wer gegenwärtig die Revolution hierzulande zu einer Alternative erklärt, ist ähnlich realistisch wie diejenigen, die meinen, mit dieser SPD und mit diesen Grünen könne man einen grundlegenden Politikwechsel herbeiführen. Wie die ticken, wurde auch jüngst in Berlin wieder deutlich.

Deshalb einige Bemerkungen zur Causa Holm. Am 16. Januar trat Andrej Holm zurück. Die Medien kommentierten, er sei der Entlassung zuvorgekommen. Er hat jedenfalls durch seinen Schritt dafür gesorgt, dass DIE LINKE als Koalitionspartner scheinbar das Gesicht wahren konnte. Ohne den Rücktritt Holms hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben: DIE LINKE hätte sich geweigert, Holm zu entlassen. Das wäre – nach der Erpressung durch den regierenden Bürgermeister Müller – einem Koalitionsbruch gleichgekommen. Die zweite Möglichkeit wäre gewesen, dass die Linke den untilgbaren Makel auf sich genommen hätte, Holm fallen gelassen zu haben. Und letzteres, nachdem Holm auf dem Parteitag Anfang Dezember 2016 triumphal empfangen und klar gesagt wurde, dass die Berliner LINKE zu ihm steht. Holm selbst hat auf diesem Parteitag alle notwendigen Kniefälle gemacht. Auch das soll hier – frei von Häme – der Ehrlichkeit halber nicht ausgelassen werden. Es hat ihm nichts genutzt.

Der Vorgang Holm zeugt von den tiefen Illusionen, die er und führende Leute der LINKEN von dem System haben, in dem wir leben. Dieses System ist rachsüchtig. Rache wird dafür geübt, dass über vier Jahrzehnte in einem Teil Deutschlands die Macht des Kapitals gebrochen war. Und es ist skrupellos. Aus nicht einmal einer Mücke – aus dem Nichts – wird bei Holm ein Elefant gemacht, um zweierlei zu erreichen: Den Hass gegen die DDR und gegen alle, die ihr loyal dienten, immer wieder neu zu erzeugen, und um einen profunden Kritiker und Fachmann einfach loszuwerden. Wie konnten diejenigen, die Holm unter diesen Voraussetzungen in die Politik holten, glauben, das könnte gut gehen? Gut gegangen wäre es vielleicht, wenn schon im Zusammenhang mit der Präambel durch die LINKE gesagt worden wäre: Ihr – SPD und Grüne – wollt jenseits einer großen Koalition regieren? Dann respektiert die Überzeugungen vieler unserer Mitglieder. Wir werden sie nicht noch einmal so demütigen, wie wir es mit der Präambel 2002 getan haben. Ihr wollt unbedingt regieren? Dann respektiert eine Biografie wie die von Holm – und stellt Euch gemeinsam mit uns vor ihn, wenn die Hatz in den Medien beginnen sollte. Irgendwann muss Schluss sein mit der Hysterie, wenn es um die DDR und ihre Strukturen geht. Irgendwann sollten die etablierten Parteien des Westens akzeptieren, dass es der Gipfel der Verlogenheit und Dreistigkeit ist, dass in einem Land, in dem schlimme Verbrecher des vergangenen Jahrhunderts – so Globke und Kiesinger – ihre zweite Karriere machen konnten, das in diesem Land jeder DDR-Bürger, der seinem Land diente, dafür zahlen muss, bis zu seinem Ende. In der Wendezeit war viel die Rede von der Notwendigkeit des aufrechten Gangs. Wir sollten ihn wieder lernen.

Mobilisierungsreserven für die LL-Demo

In Anbetracht der internationalen Lage und der Rechtsentwicklungen im eigenen Land ist es notwendig wie vielleicht nie zuvor, dass sich eine breite außerparlamentarische Opposition entwickelt, die dem erklärten Friedenswillen von mehr als 60 Prozent der deutschen Bevölkerung Ausdruck verleiht, die unmissverständlichen Antifaschismus demonstriert und untrennbar damit verbunden die sozialen Interessen der übergroßen Bevölkerungsmehrheit verteidigt. Daran können Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN nicht nur dadurch mitwirken, dass sie mit auf die Straße gehen, sondern nicht zuletzt dadurch, dass sie in der Partei darum kämpfen, dass die LINKE sich der entsprechenden Mobilisierung in neuer Qualität widmet.

Von besonderer Bedeutung sind die Widerstandsaktionen anlässlich des G-20-Gipfels am 8. Juli 2017 in Hamburg. Wir wenden uns gegen jegliche Versuche, entsprechende Aktivitäten zu spalten und bitten alle hier Versammelten, im kommenden Vierteljahr mit nach Hamburg zu mobilisieren. In diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zum 15. Januar 2017. An der diesjährigen Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht Ehrung beteiligten sich etwas über 10.000 Menschen. Können wir uns nun beruhigt zurücklehnen und weitermachen wie bisher? Nein, das können und dürfen wir nicht tun. Wir haben nämlich einen spürbaren Rückgang in der Demonstrationsteilnahme. Wir wissen: Der Rückgang fiel optisch kaum auf. Es war eine bunte, kämpferische, vielfach gut ausgestaltete und gut organisierte Demonstration; vorwiegend diszipliniert.

Das ändert aber nichts an dem genannten Problem, dem spürbaren Rückgang der Teilnehmerzahlen. Natürlich – der Wetterbericht sagte nichts Gutes voraus und mancher mag sich deshalb nicht auf die Straße oder Schiene begeben haben. Natürlich – so wie noch viel sichtbarer beim Stillen Gedenken – gibt es auch so manchen treuen Demo-Teilnehmer, der die Strecke inzwischen nicht mehr bewältigt. Doch fänden wir uns allein mit diesen Erklärungen ab, dann wäre das nur ein Ausweis von Selbstzufriedenheit und ungesunder Routine.

Wir müssen vielmehr herausfinden, wo unsere Mobilisierungsreserven liegen. Das Bündnis in Berlin sorgt für eine gemeinsame inhaltliche Orientierung, für das bezahlbare Maß an Öffentlichkeitsarbeit, für die Führung der Demonstration, die technische Kommunikation eingeschlossen, für die Zusammenarbeit mit Partnern und ein möglichst konfliktfreies Zusammenwirken mit der Polizei. Des Weiteren finanziert sich das Bündnis selbst. Was unbedingt im Vorfeld von 2018 verändert werden muss, ist die entsprechende Seite im Internet, die nicht mehr zeitgemäß ist und vor allem junge Menschen – zurückhaltend ausgedrückt – nicht anspricht. Daran arbeitet das Bündnis. Was ist unser Hauptproblem? Die bundesweite Mobilisierung erfolgt in zu hohem Maße in Gestalt moralischer Appelle. Sie ist zu wenig organisatorisch verbindlich. Wir möchten daher alle Landessprecherräte bitten mitzuhelfen, diese Situation zu verändern, und haben Euch einen diesbezüglichen Beschlussentwurf vorgelegt. Der Kern dieses Papiers besteht in der Aufforderung, die Initiative zu ergreifen, LL-Organisationsstäbe in den einzelnen Bundesländern zu formieren. Es geht – wo sie zustande kommen – nicht um zusätzliche Papiere, Aufrufe oder Ähnliches. Es geht um drei Dinge: Frühzeitig gezielt Menschen anzusprechen, dass sie mit nach Berlin kommen, mit Hilfe der Parteien und Organisationen die entsprechenden Transportkapazitäten zu binden und finanzielle Mittel zu akquirieren. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um konkrete Organisationsarbeit – und durchführen sollten sie Genossinnen und Genossen, die organisatorische Erfahrungen haben. Wir bitten Euch alle um die Zustimmung zu unserem Beschlussentwurf und vor allem dann um seine Umsetzung.

Dies ist auch eine Generalprobe für die Vorbereitung der LL-Ehrung 2019 – das ist der hundertste Jahrestag des Gedenkens an die Ermordung von Karl und Rosa. Eine US-amerikanische Genossin hat angeregt, zu diesem Datum eine hohe internationale Beteiligung anzustreben. Das Bündnis wird sicher sehr frühzeitig mit der Vorbereitung dieses Ereignisses beginnen.

Kritikpunkte am Wahlprogrammentwurf

Vom 9. bis 11. Juni 2017 findet in Hannover der Wahlparteitag statt. Zuvor werden wir am 7. Mai die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und am 14. Mai die in NRW haben. Die Wahlen im Saarland liegen mittlerweile einen Monat zurück. Die Ergebnisse sind bekannt und ebenso die ungezählten Interpretationen. Wir geben hier nur zwei Auslegungen wieder. Die eine lautet: Die SPD blieb unter den Erwartungen bzw. Prognosen, weil sie nur halbherzig die Bereitschaft bekundete, die große Koalition zu beenden und eine rot-rote bzw. rot-rot-grüne Landeskoalition anzustreben. Und die andere lautete: Weil die Saar-SPD eine rot-rote Regierung nicht ausschloss, wurden die konservativen Wähler mobilisiert, was dann zu den bekannten Ergebnissen führte. Muss uns interessieren, welche der beiden Aussagen der Realität am nächsten kommt? Nur sehr bedingt. Ist es für uns bedeutend, ob das Saarlandergebnis für die bevorstehenden Bundestagswahlen Signalwirkung hatte oder nicht? Auch dass berührt uns nicht übermäßig. Es zeichnet sich ab, dass die CDU auf der Klaviatur einer intelligenter geführten »Roten-Socken-Kampagne« spielen will, wenngleich die SPD gerade dabei ist, dies durch die angebliche Präferenz von Rot-Grün-Gelb zu unterlaufen. Zugleich beantwortet DIE LINKE diese Spielchen mit der Forderung an die SPD, sie solle sich zu Rot-Rot-Grün bekennen. Wir können uns gegenwärtig des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass taktische Spielchen zunehmend an die Stelle klarer inhaltlicher Positionen gesetzt werden. Oder müssen wir etwa für R2G Partei ergreifen, weil die Konservativen dies als Schreckgespenst an die Wand malen? Die KPF sollte über dieses Stöckchen nicht springen. Und DIE LINKE sollte sich endlich dazu durchringen, einen klaren Oppositionswahlkampf zu führen und unser Wahlprogramm entsprechend ausrichten.

Am 1. April beschloss der Parteivorstand den Leitantrag für den Hannoveraner Parteitag – den Entwurf des Wahlprogramms. Der Entwurf umfasst 99 Seiten. Damit ist klar, dass nur politisch stark interessierte Wählerinnen und Wähler dieses Programm in Gänze lesen werden. Bei einer Kritik hieran wollen wir uns nicht aufhalten. Wir wissen um die Schwierigkeit, dass sich einerseits in einem Wahlprogramm alle grundlegenden politischen Felder widerspiegeln müssen und dies andererseits eine leserunfreundliche Länge zur Folge hat. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich beinahe automatisch ein gewisser Warenhauscharakter des zukünftigen Wahlprogramms. Der Entwurf jedenfalls ist eine Mischung zwischen der mehr oder weniger gelungenen Beschreibung der Situation im Lande, einer Vielzahl richtiger Forderungen und einer Reihe von im herrschenden Gesellschaftssystem unrealisierbaren Wünschen; es ist daher eine Synthese von notwendigen Forderungen und voluntaristischen Vorstellungen. Wir sollten uns in unserer Haltung zum vorliegenden Entwurf nicht davon leiten lassen, alles verbessern zu wollen, was besser gemacht werden könnte. Denn dann würde das Programm doppelt so lang oder müsste neu geschrieben werden. Dafür aber gibt es unserer Auffassung nach keinen triftigen Grund. Denn mit der überwiegenden Mehrheit der im Programm formulierten Forderungen, die sich ja auf eine Wahlperiode beziehen, können wir uns durchaus identifizieren. Welches sind unsere Kritikpunkte? Der Lageanalyse – so man von einer Analyse überhaupt sprechen kann – fehlt der antikapitalistische Biss. Das beginnt schon bei der Überschrift: »Sozial. Gerecht. Für alle.« Also: Sozial. Gerecht. Für den Vorstand der Deutschen Bank, die Quandt-Familie, die Hartz-IV-Empfänger und die Asylbewerber? Was für ein Schwachsinn. Hier und da gibt es ein bisschen Antikapitalismus und Antiimperialismus. Aber die klare Aussage, dass fast all die im Entwurf aufgeführten Konflikte und Widersprüche – ob sie nun die Innen- oder die Außenpolitik betreffen – ihre sozialökonomischen Wurzeln im System der Profitmaximierung haben und dass dieses System entlarvt und bekämpft werden muss, diese klare Aussage fehlt. Wir denken, dass die verharmlosende Situationsbeschreibung untrennbar damit verbunden ist, dass wir uns als koalitionsfähig darstellen wollen. Ohne dass dies direkt gesagt wird, zeugt der Programmentwurf von dem starken Wunsch, nach dem 24. September mit der SPD und den Grünen eine Regierung zu bilden. Nicht einmal in einem Nebensatz kommt im Papier vor, dass wir einer klugen Oppositionsarbeit große Bedeutung beimessen, und entsprechend untergeordnet wird unser Zusammenwirken mit außerparlamentarischen Bewegungen behandelt. Die Friedensbewegung findet z.B. kaum Erwähnung. Die Formulierungen im Programm sind nicht selten so, als säßen wir schon auf der Regierungsbank. Eine letzte Bemerkung zum Programmentwurf: Der Teil Frieden entspricht unseren diesbezüglichen programmatischen Grundsätzen. Unsere Haltung zur Verwendung des Begriffes »Kampfeinsätze« haben wir an anderer Stelle bereits dargelegt. Was fehlt, ist die unverwechselbare Aussage, dass diese friedenspolitischen Prinzipien für uns nicht verhandelbar sind. Diese Eindeutigkeit fehlt, und es passt zusammen, dass die für die Zukunft alles entscheidende Frage erst als XVI. Abschnitt im Programm enthalten war. Den Thüringern ist heute besonders zu danken, dass sie auf ihrem Landesparteitag einen Beschluss durchbrachten, vom Bundesvorstand zu verlangen, den Friedensabschnitt als ersten Teil nach der Präambel einzufügen. Im Bundesvorstand hatte dieser Antrag keine Chance, aber immerhin rückte der friedenspolitische Teil einige Seiten weiter nach vorne. In der Vorbereitung des Parteitages werden wir in erster Linie Anträge stellen bzw. mittragen, die sich auf die eben aufgeführten Kritikpunkte beziehen.

Das muss drin sein!

Wir haben Euch heute einen Beschlussantrag vorgelegt, auf welche Hauptaufgaben wir uns – abgeleitet von den in diesem Bericht behandelten Schwerpunkten – bis zu den Bundestagswahlen konzentrieren wollen und bitten Euch um Zustimmung.

Unser Wirkungsfeld ist naturgemäß in erster Linie die Partei DIE LINKE. Viele unserer Genossinnen und Genossen sind über Aktivitäten in ihren Basisorganisationen hinaus in ihren Kreisen und Bezirken und nicht selten auch auf Landesebene tätig. Nicht wenige sind Delegierte auf Parteitagen der verschiedenen Ebenen und vertreten dort die Positionen der KPF. Wir unterschätzen nicht die Bedeutung des Wirkens in Bündnissen und gemeinsam mit anderen Parteien, besonders der DKP. Aber – unsere Verantwortung besteht vor allem darin, in der LINKEN zu kämpfen. Und wenn es einen gemeinsamen Nenner dafür gibt, worauf sich dieser Kampf konzentriert, dann ist es der um die Bewahrung der Grundsätze unseres Parteiprogramms. Das bezieht sich nicht »nur« auf die friedenspolitischen Prinzipien, sondern ebenso z.B. auf den Umgang mit der Geschichte. Nun sind die dazu im Parteiprogramm fixierten Aussagen nicht gerade idealtypisch. Aber sie sind weit davon entfernt, die DDR zum Unrechtsstaat zu erklären. Deshalb lohnt es sich, auch um diese Inhalte zu ringen.

Was wir bewirken können, hängt vor allem von zwei Sachverhalten ab. Zum einen von der Verbreitung unserer Mitteilungen. Damit werden wir uns speziell auf einer Sitzung des Bundeskoordinierungsrates im nächsten Halbjahr befassen. Zum anderen geht es um die Verfasstheit der KPF selbst. Inhaltlich sind wir gut aufgestellt und wir können ohne Schönfärberei sagen: In der KPF herrscht ein Klima des gegenseitigen Respekts und der Solidarität. Wir sind von niemandem die Hausmacht und können auf taktische Spielchen weitgehend verzichten. Was nicht heißt, dass wir nicht um eine kluge Taktik ringen. Das alles steht auf unserer Habenseite. Was ist unser größtes Problem? Der Erhalt unserer Mitgliederstärke. Wir haben uns am 12. März im Bundeskoordinierungsrat mit dieser Problematik befasst und können folgende Tendenzen skizzieren:

  1. Einerseits ist es uns insgesamt gelungen, Mitglieder der LINKEN durch kontinuierliche Arbeit in der KPF zu halten – auch über Krisen in der Partei hinweg –, durch klar erkennbare Inhalte. Anderseits ist uns nur unzureichend gelungen, neue und insbesondere junge Mitglieder für die KPF zu gewinnen.
  2. Wir haben uns als mitgliedermäßig nach der AG Betrieb & Gewerkschaft zweitstärkster Zusammenschluss behaupten können – trotz Beobachtung durch den Verfassungsschutz –, angesichts der Altersstruktur sind allerdings erhebliche und kontinuierliche Anstrengungen erforderlich, um die Mitgliederzahl weiterhin zu halten. Dabei ist die Situation in den einzelnen Landesorganisationen der KPF durchaus unterschiedlich. Alle Landessprecherräte verfügen über die entsprechenden Angaben.
  3. Die unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Landesorganisationen lässt sich weder allein mit der unterschiedlichen Altersstruktur der Partei im Osten und im Westen erklären, noch allein mit den unterschiedlichen Rahmenbedingungen z.B. in einem Stadtstaat im Vergleich zu einem Flächenstaat, und auch nicht allein damit, ob die LINKE an der Landesregierung beteiligt oder in der Opposition ist.
  4. Entscheidend ist, dass die KPF in den Ländern sichtbar ist, an der Basis der Partei verankert, offen und attraktiv für neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Den Landessprecherräten, die diese politisch-organisatorische Kleinarbeit seit Jahren ehrenamtlich leisten, sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt.
  5. Für uns alle gilt: Wir müssen die Mitgliedergewinnung systematischer, stetiger und gezielt betreiben. Natürlich geht es um eine Verjüngung der KPF – aber uns ist jedes Mitglied der LINKEN willkommen, das mit unseren Inhalten sympathisiert. Versuchen wir, in diesem Jahr etwa 50 neue Mitglieder zu gewinnen. Das ist machbar, wenn in jedem Bundesland etwa drei Genossinnen bzw. Genossen hinzukommen. Um an eine laufende Kampagne unserer Partei zu erinnern: Das muss drin sein!

Ich danke Euch für die Aufmerksamkeit.

 

Mehr von Thomas Hecker in den »Mitteilungen«: 

2016-01: Mitgliedergewinnung für die KPF: Herausforderung an uns alle

2015-05: Bericht des Bundessprecherrates (Archiv)

2014-03: Nach der Wahl ist vor der Wahl: Noch 81 Tage bis zum Parteitag in Berlin

2014-03: Verharmlosung der ukrainischen Faschisten ist unangebracht