Zusammenstehen in den Hauptfragen!
Heinz Keßler, Armeegeneral a.D., Berlin
Verehrte Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, wir haben uns heute versammelt, um - wie bereits gesagt - Ernst Thälmann, Mitgliedern des ZK der kommunistischen Partei Deutschlands und anderen Funktionären zu gedenken, die hier am 7. Februar 1933 in einer illegalen Beratung sich darüber verständigten und einigten, wie der Kampf gegen den Faschismus, die Speerspitze des deutschen Imperialismus, auch unter den Bedingungen des Machtantritts des Faschismus weitergeführt und verbreitert werden kann.
Ich möchte zuerst eine Bemerkung machen zu dem Umstand, warum gerade hier, im Sporthaus Ziegenhals, diese illegale Beratung der von mir genannten Genossen unter der Führung Thälmanns stattfand. Darüber kursieren die unterschiedlichsten Versionen. Einige davon wurden gestern im „Neuen Deutschland“ veröffentlicht. Ich persönlich glaube – und ich stütze mich dabei auf glaubwürdige Informationen von Genossinnen und Genossen, die zu dieser Zeit illegal in der Kommunistischen Partei gelebt, gearbeitet und gekämpft haben –, einer der Hauptgründe, warum gerade diese Stätte, das Sporthaus Ziegenhals, als Tagungsstätte ausgesucht wurde, bestand darin, daß rings um Ziegenhals, um die Seen, die Ziegenhals umgeben, schon vor 1933 viele Zeltlager von Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten bestanden, unter denen viele Mitglieder der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, also antifaschistisch gesinnte Menschen waren. Und hier waren durch diesen Umstand die besten Voraussetzungen gegeben, unter den Bedingungen der tiefsten Illegalität die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen mit Hilfe der Genossinnen und Genossen, die ich eben erwähnt habe, zu garantieren, um die Tagung einwandfrei, mit guten Resultaten durchführen zu können. Das heißt also, auch zu diesem Zeitpunkt stützte sich die Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands unter Leitung von Ernst Thälmann auf die Solidarität, auf die Unterstützung der Arbeiterinnen und Arbeiter, all derer, die antifaschistisch gesinnt und die zu diesem Zeitpunkt noch entschlossen waren, gegen den Faschismus zu kämpfen.
Was war eigentlich der Hauptinhalt der Tagung, über die wir heute reden, die von Ernst Thälmann geleitet wurde und die mit entsprechenden Darlegungen der Mitglieder des ZK, Funktionären der KPD, und Ernst Thälmanns sozusagen ihren orientierenden Inhalt bekam? Der Hauptinhalt bestand darin, daß die Antifaschisten, ganz gleich welcher Partei, welcher Organisation sie angehörten, sich nunmehr wirklich als Patrioten des deutschen Volkes, insbesondere der Arbeiterklasse, der Werktätigen unseres Landes bewähren und den Kampf dort aufnehmen müßten, wo irgendwann und -wo die Möglichkeit bestand.
Was heißt Patriotismus? Ernst Thälmann war, an der Spitze der Genossinnen und Genossen, die sich hier versammelt hatten, derjenige, der sein ganzen Leben lang, bis ihn die Faschisten ermordeten, ein wirklicher deutscher Patriot war.
Was wollte er? Er wollte, daß die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Werktätigen, das ganze deutsche Volk verschont werden von Verwüstungen, von menschlichen Verlusten. Er wollte einfach, daß Deutschland und sein Volk in Ruhe die Auseinandersetzung um eine bessere Zukunft führen können und jedes Blutvergießen vermieden wird. Ich darf daran erinnern, daß die Kommunistische Partei Deutschlands vor 1933 im Zusammenhang mit den bevorstehenden Reichstagswahlen die Losung geprägt hatte: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler und wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" Ich muß heute fragen, welche politische Organisation, welche Formation vor 1933 eine solche klare gesellschaftspolitische Analyse erarbeitet hat und aufgrund dieser Analyse auch die entsprechenden Schlußfolgerungen zog, indem sie an alle Antifaschisten, besonders an die Sozialdemokraten, an die Gewerkschaftler das Angebot machte, gemeinsam zusammenzustehen, um die Gefahr des Faschismus, die ja Krieg bedeutete, auf jeden Fall zu verhindern. (...)
Aber Ernst Thälmann und seine Genossinnen und Genossen und die vielen Mitglieder der Kommunistischen Partei und viele Sozialdemokraten, Antifaschisten waren zugleich Internationalisten. Das heißt, ihr Patriotismus ging konform mit ihrer internationalistischen Haltung, das heißt, wie die Kommunistische Partei damals formulierte, mit dem proletarischen Internationalismus. Sie standen auf dem Standpunkt, daß es sowohl im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse der Völker Europas und der ganzen Welt ist, wenn wir gemeinsam dafür kämpfen, daß der deutsche Imperialismus mit seiner Speerspitze, dem Faschismus, nicht in der Lage ist, die Völker Europas zu überfallen, ihre Ressourcen, die personellen und anderen Ressourcen, für weitere Kriegsvorbereitungen zu benutzen, um auf diese Weise gemeinsam den Faschismus mit seinen Vorhaben zu bekämpfen.
Das heißt also, der Patriotismus, der von Thälmann verkörpert wurde, und der proletarische Internationalismus bilden eine dialektische Einheit, die, wenn sie von allen angenommen und durchgesetzt worden wäre, vieles, vieles verhindert hätte. Es hätte verhindert werden können, daß 50 Millionen Menschen zu Tode gekommen sind, daß 5 Millionen jüdische Bürger von dem imperialistischen, faschistischen Regime ermordet worden sind. Es hätte verhindert werden können, daß 27 Millionen Bürger der Sowjetunion für den Sieg über den Faschismus ihr Leben gaben. Es hätte verhindert werden können, daß große Teile des Sowjetlandes okkupiert und vernichtet wurden und zum Nutzen des deutschen Imperialismus ausgebeutet wurden.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir müssen immer, wenn wir uns an dieser Gedenkstätte versammeln, daran denken und darauf aufmerksam machen, daß Ernst Thälmann und seine Genossinnen und Genossen und viele, viele Antifaschisten an den unterschiedlichsten Plätzen unseres Erdballes echte Patrioten unseres Volkes und wirkliche Internationalisten waren und daß diese beiden Hauptelemente die Triebkraft des antifaschistischen Kampfes gegen den deutschen Imperialismus, gegen den deutschen Faschismus waren.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß Genosse Ernst Thälmann zu keiner Zeit, auch unter den schwierigsten Bedingungen im Zuchthaus, in den Konzentrationslagern auch nur einen einzigen Augenblick diese seine politische Linie, die im Interesses des deutschen Volkes und der Völker Europas war, verlassen hat. Er war der standhafteste, aufrechteste Antifaschist des deutschen Volkes und deswegen ist es notwendig, daß wir für die Gedenkstätte Ernst Thälmann im Sinne meines Vorredners kämpfen und daß wir uns bei allen möglichen Gelegenheiten an dieser Gedenkstätte zusammenfinden, um diesen Geist Ernst Thälmanns und seiner Genossen unter die Menschen zu tragen.
Es wäre nach meiner Auffassung eine gute, eine nützliche Sache, wenn „Die Linke“, die Partei der Linken, wenn die DKP, wenn die KPD, wenn alle fortschrittlichen Organisationen, wie die GRH und viele, viele andere mithelfen würden beim Kampf um den Erhalt dieser Gedenkstätte und wenn sie den Geist Ernst Thälmanns weiter tragen würden und zur Maxime ihrer konkreten Politik machen könnten.
Ich bin der Auffassung, daß die linken Kräfte bei den Landtagswahlen in Niedersachsen zum Beispiel einen ersten richtigen Schritt unternommen haben, indem die Partei „Die Linke“ und die DKP und andere linke Kräfte sich zusammengefunden haben, eine gemeinsame Liste der Kandidaten für die Landtagswahlen aufgestellt haben und auf diese Weise viele Menschen in Niedersachsen für die gemeinsame Liste mobilisiert haben und mit mehr als 7 Prozent in den Landtag Niedersachsens eingezogen sind.
Das ist nach meiner Meinung auch ein Beispiel und ein Weg, wie bei den zukünftigen Landtagswahlen und im Jahre 2009 bei den Bundestagswahlen die Linken zusammenstehen sollten, um gemeinsam dafür zu sorgen, daß in diesem Lande, der Bundesrepublik Deutschland, eine Politik gemacht wird im Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Angestellten, aller Werktätigen.
Natürlich gehört dazu eine prinzipienfeste Position zu den wichtigsten Fragen, die unser Volk gegenwärtig bewegen, und zu den Lasten, die unser Volk gegenwärtig bedrücken. An der Spitze steht nach meiner Auffassung der gemeinsame Kampf gegen alle Erscheinungen des Faschismus und Nazismus.
Wie kann man zulassen ohne große Kampfbewegungen zu organisieren, daß die Faschisten und ihre Kostgänger die Möglichkeit haben, öffentlich zu fordern, den Anton-Saefkow-Platz umzubenennen und ihm den Namen der Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu geben?
Man macht über alle möglichen Dinge einen großen Brei. Aber in einer solchen entscheidende Frage, die unter den heutigen Bedingungen schon wieder die Möglichkeit schafft, in der Öffentlichkeit eine solche von mir eben erwähnte Forderung aufzustellen, da verhält man sich zurückhaltend mit wenigen und nichtssagenden Kommentaren. Eigentlich müßten alle Zeitungen, vor allem die Zeitungen und Publikationen der Linken, voll sein und alle Menschen aufrufen, gegen eine solche Provokation, die ja nur der Anfang sein kann, wie wir aus Erfahrung wissen, Sturm zu laufen.
Liebe Genossinnen und Genossen, als eine zweite Forderung müßte einem solchen Bündnis der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, der Kampf gegen Hartz IV zugrundeliegen. Es ist eine Schande, was man mit jenen Menschen macht, die heute Empfänger von Hartz IV sind, und wie man sie behandelt. Darum kann es nur eine gemeinsame Auffassung geben: Hartz IV muß weg!
Aber gleichzeitig berät man und überlegt, wie man in Afghanistan die deutschen Truppen weiter verstärken kann. Wenn man genau zuhörte, dann konnte man hören, daß man etwa 200 Leute, also bewaffnete Kräfte, mehr nach Afghanistan schicken will. Und jetzt hat man sich doch geeinigt, es sollen 260 sein. Und man ist einen Schritt weitergegangen. Wenn die Notwendigkeit besteht, würde diese Kampftruppe, wenn die Forderung seitens der NATO gestellt würde, im Norden in die Kämpfe eingreifen.
Und jetzt stellt man schon die Frage, daß im Herbst dieses Jahres das Mandat für den Einsatz in Afghanistan abläuft, und daß man eventuell entsprechend den Forderungen des amerikanischen, englischen und kanadischen Imperialismus darüber reden könnte, ob man zusätzlich 1000 Leute, also 1000 Angehörige von Kampftruppen, nach Afghanistan schicken kann.
Das heißt, man bereitet langsam und systematisch die Bevölkerung unseres Landes auf die Kriegseinsätze in Afghanistan, in anderen Gebieten Europas und in der Welt vor. Und hier muß natürlich ein linkes Bündnis – aus welchen Kräften auch immer es besteht – eine klare Position haben.
Eine nächste Problematik besteht darin: Im Verlaufe der letzten Jahre sind Schritt für Schritt Maßnahmen unternommen worden, um das Eigentum des Staates, der Kommunen zu privatisieren, also Privatleuten, den Monopolen zuzuschlagen, mit der Konsequenz, daß Entlassungen durchgeführt wurden, daß die Löhne und Gehälter gekürzt wurden usw. Die Forderung muß darin bestehen, diese Privatisierungen rückgängig zu machen und jede weitere Privatisierung zu verhindern.
Wenn wir gemeinsam unter diesen Losungen, mit diesen Forderungen ein Bündnis bilden, dann besteht die Möglichkeit, daß wir bei den zukünftigen Landtagswahlen und im Jahre 2009 bei den Wahlen zum Bundestag einen mächtigen Schritt nach vorn machen können und der Einfluß der linken Kräfte hinsichtlich der Einschränkung der Möglichkeiten der imperialistischen, kapitalistischen Kräfte größer wird, das Bewußtsein der Menschen wächst, daß der Kapitalismus, Imperialismus in Wirklichkeit die Probleme der Werktätigen nicht lösen kann.
Ich möchte zum Schluß auf ein eigenes Erlebnis verweisen. Und ich glaube, hier sind viele Genossinnen und Genossen, die ein gleiches Erlebnis hatten wie ich.
Vielleicht kann sich diese Genossin oder jener Genosse an den Genossen Otto Buchwitz erinnern. Otto Buchwitz war ein führender Sozialdemokrat vor 1933. Sein Hauptwirkungsfeld war in Schlesien und in Ostdeutschland. Aber er war ein Sozialdemokrat, der schon vor 1933 in vielen Fragen feste antifaschistische Positionen vertrat. Deswegen wurde er, wie viele Kommunisten, andere Antifaschisten, Sozialdemokraten von den Faschisten ins Gefängnis, ins Zuchthaus, ins Konzentrationslager gebracht.
Dieser Otto Buchwitz war einer jener Menschen, der nach der Zerschlagung des faschistischen Deutschland auf vielen, vielen Versammlungen – und einige davon habe ich erlebt – immer wieder die Menschen erinnerte, indem er sagte: Wollen wir erst wieder warten, bis der deutsche Imperialismus, bis der deutsche Faschismus unser eigenes Land, die Völker Europas zerstört, unsere Besten, die Antifaschisten, in die Konzentrationslager wirft und viele von ihnen zu Tode foltert und prügelt? Und er leitete davon die Forderung ab, wir müssen zusammenstehen in den Hauptfragen, über die ich hier gesprochen habe, unser Volk zusammenführen, um auf diese Weise ein wirklich demokratisches gesellschaftliches System zu entwickeln, aus dem dann die Möglichkeit erwächst, eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufzubauen.
Ich glaube, daß wir solche Verlautbarungen von Genossen mit solch großer Lebenserfahrung, politischer Erfahrung, folgen und sie als Beispiel nehmen sollten.
In diesem Sinne, liebe Genossinnen und Genossen, führen wir auch heute diese unsere Kundgebung durch und ehren wir den standhaftesten Antifaschisten des deutschen Volkes Ernst Thälmann und die vielen, vielen Genossinnen und Genossen, die von den Faschisten vertrieben, gefoltert, gequält und ermordet wurden.
Eine letzte Bemerkung: Viele der hier Anwesenden können sich sicher an die Kampfgefährtin von Ernst Thälmann, Rosa Thälmann, erinnern.
Meine Mutter war mit Rosa Thälmann zusammen viele Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück. Und meine Mutter – und ihr kennt alle Rosa Thälmann – hat immer gesagt: Diese Rosa Thälmann ist genau so wie Ernst Thälmann ein Beispiel für uns alle, vor allen Dingen, was Rosa Thälmann betrifft, für alle werktätigen Frauen. Und in diesem Sinne werden wir, trotz aller Schwierigkeiten, den Kampf für unsere gerechte Sache, für Demokratie und Sozialismus, weiterführen. Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Korrigierte Tonbandabschrift der Rede des Genossen Heinz Keßler am 10. Februar 2008 auf der Kundgebung des "Freundeskreises Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals e.V." anläßlich des 75. Jahrestages der illegalen Tagung des Zentralkomitees der KPD vom 7. Februar 1933