Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zur internationalen Finanzkrise

Sahra Wagenknecht, Berlin

Vortrag am 26. April 2008 auf der 1. Tagung der 14. Bundeskonferenz

Ich möchte Ausführungen machen über die möglichen Hintergründe und Auswirkungen der internationalen Finanzkrise, weil sie den Kapitalismus weltweit in seiner Entwicklung in den nächsten Jahren erheblich prägen wird und damit auch die Bedingungen, unter denen wir kämpfen. Es muß ja schon ziemlich schlimm stehen, wenn selbst der Deutsche-Bank-Chef Ackermann nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes glaubt und wenn sogar das Handelsblatt feststellt, daß der Kapitalismus heute ohne Einmischung des Staates nicht mehr überlebensfähig ist.

Die Gesundbeter sind leise geworden. Das, was wir derzeit auf den Weltfinanzmärkten erleben, ist nicht nur ein kleiner zyklischer Abschwung, sondern eine tiefe Systemkrise, die noch lange nicht überwunden sein wird. Das wird heute in nahezu allen seriösen Wirtschaftszeitungen anerkannt. Und nicht nur der bekannte Hedge-Fonds-Milliardär George Soros prognostiziert die tiefste Krise des Kapitalismus seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Kredit und Profit

Das Zentrum dieser Kreditblase, die sich aufgebläht hat und langsam zu platzen beginnt, sind die USA, und der Hauptakteur ist der amerikanische Konsument, der amerikanische Verbraucher, dem nicht erst seit fünf oder sechs, sondern schon seit zwanzig Jahren immer höhere Kredite, immer höhere Schulden aufgebürdet wurden und dem natürlich irgendwann die Luft ausgeht und ausgehen mußte. Und der Kern der immensen Verbraucherschulden in den USA, das kann man ja auch der Presse entnehmen, sind Hypothekenschulden. Ins Gespräch gekommen sind dabei vor allem Hypothekenschulden im sogenannten Subprime-Segment, das heißt, Kredite, die an amerikanische Familien vergeben wurden, bei denen völlig klar war, daß sie diese Kredite aufgrund ihrer Einkommenslage langfristig nicht zurückzahlen können. Man nennt sie auch zynisch Ninja-Kredite: No income, no job, no asset. Also, Familien, die eigentlich keine Möglichkeit haben, hohe Kreditsummen zu schultern.

Diese Subprime-Hypotheken sind in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Im Jahr 2000 haben sie gerade 9 Prozent des gesamten Hypothekenvolumens ausgemacht. 2006 waren es schon 20 Prozent. Das heißt: ein Viertel aller Hypothekenkredite in den USA ging in den letzten Jahren an solche Schuldner, die keine Voraussetzung der Zurückzahlung haben. Das Gesamtvolumen dieses Subprime-Marktes liegt bei 1,5 Billionen US-Dollar.

Man darf sich allerdings nicht einreden lassen, daß dies das einzige Problem sei. Es sind nicht nur diese Subprime-Hypotheken, sondern der gesamte Hypothekenmarkt ist explodiert, das heißt, auch die normalen Hypotheken sind exorbitant nach oben gegangen. Allein 2006 sind in den USA Hypotheken im Gesamtwert von 2,5 Billionen US-Dollar auf den Markt geworfen worden. Das läßt einen die Größenordnung des Geschäfts erahnen, das damit gemacht wurde, aber natürlich auch die Probleme, die dahinter stehen. Und diese Hypotheken wurden auch oft mit variablen Zinsen vergeben, das heißt, man hat nicht einen bestimmten Zinssatz, sondern der ändert sich. Damit weiß man nicht, was man über die vielen Jahre in etwa an monatlichen Rückzahlungen, an Tilgung und Zinsen, kalkulieren muß. Vielmehr hatten die Familien zunächst mal in einer Niedrigzins-Phase der USA das Gefühl, das sei eine überschaubare Summe. Meinetwegen 500, 600, 700 Dollar im Monat. Wenn man ein halbwegs gutes Einkommen hat, scheint das kalkulierbar. Aber die Zinsen waren eben gebunden an die gesamte Zinsentwicklung. Und in dem Augenblick, wo die Zinsen stiegen, und das war ja in den letzten Jahren der Fall, stieg auch die monatliche Belastung der einzelnen Haushalte enorm an. Teilweise hatte sie sich bis über ein Drittel erhöht und damit natürlich ganz anders die Familienbudgets beansprucht.

Man muß auch nicht unbedingt denken, daß diesem Volumen, das dort an Hypotheken vergeben wurde, 2,5 Billionen im Jahr 2006, tatsächlich realer Hausbau gegenübersteht. Das ist nicht der Fall. Die Kreditnehmer sind vielfach nicht etwa Leute, die ein Haus gekauft und dieses dann mit Hypotheken finanziert haben, sondern der Trick war vielmehr, daß man vorhandene Immobilien, weil die Preise immer weiter angestiegen sind, refinanziert, also mit immer höheren Summen beliehen hat. Also, man hatte zum Beispiel ein Haus, was vielleicht fast schuldenfrei war, oder eine Althypothek mit einem Wert von 200.000 Dollar. Dadurch, daß die Immobilienpreise immer höher wurden, haben dann die Banken bereitwillig den Familien immer mehr Geld gegeben und dann eine höhere Hypothek auf das vorhandene Haus gesetzt. Das heißt, dieser Mechanismus besteht nicht darin, daß man neue Häuser baut, eine Hypothek bekommt und sie dann zurückzahlt, sondern es ist eine Verschuldungsmaschinerie vor dem Hintergrund vorhandener Immobilien und deren Preissteigerung.

Aber nicht nur die Verschuldung durch Hypotheken, sondern auch die durch Bankkredite, Kreditkartenkredite, Autokredite ist in den USA seit Jahren immer weiter angeschwollen. Viele Hypotheken zum Beispiel waren auch eine Refinanzierung anderer Schulden. Wenn man hohe Kreditkartenschulden hatte – die haben natürlich hohe Zinssätze – kam die Bank und sagte, natürlich könnt ihr ganz viel sparen, nehmt eine Schuld auf euer Haus auf, und ihr kriegt weniger Zinssatz, weniger Rückzahlung. Die Kreditkartenschulden allein liegen derzeit in den USA bei einem Gesamtvolumen von 900 Milliarden Dollar. All diese Schulden sind ein ganz erheblicher Teil der Kreditblase, die wir in den letzten Jahren hatten, und das hat in den 80er Jahren angefangen. Aber explodiert ist es tatsächlich seit der Jahrtausendwende, da ist die Verschuldung der Haushalte richtig rapide nach oben gegangen.

Die Kreditblase hat allerdings auch noch ein zweites Element, und das sind Unternehmenskredite. Auch da ist in den letzten Jahren massiv die Verschuldung angewachsen. Es ist interessanterweise eben nicht so, daß die Unternehmen Kredite aufgenommen haben, um zu investieren und damit auch reales produktives Kapital zu schaffen, sondern die Unternehmenskredite sind explodiert, weil im Gefolge dieser ganzen Übernahmeaktivitäten – gerade auch von Private-Equity-Firmen – wiederum vorhandene Unternehmen aufgekauft, der Kauf großenteils über Kredit finanziert und dieser den Unternehmen aufgebürdet wurde. Also der Trick, der sehr profitabel funktionierte, ist: ich kaufe ein Unternehmen, nehme einen kleinen Anteil Eigenkapital und einen riesigen Anteil Kredit, und dann hole ich mir das eingesetzte Kapital ganz schnell zurück, indem ich eine Sonderausschüttung mache, und die finanziere ich, indem ich dem Unternehmen noch mehr Schulden aufbürde. Dieses Geschäftsmodell wurde in den letzten Jahren aktiv in Milliarden-Größenordnungen praktiziert. Das heißt, die Kredite haben kein wirtschaftliches Wachstum produziert, sondern vorhandene Unternehmen sind mit immer höheren Schulden belegt worden.

Darüber hinaus gibt es natürlich auch die generelle internationale Spekulation, die immer mehr über Kredite finanziert wird, durch Hedge-Fonds zum Beispiel. Das ist Teil der Kreditblase: ein Jonglieren mit internationalen Derivaten, mit Spekulationsvehikeln. Und das alles zusammen, Verbraucher – in den USA, auch in Großbritannien und im Zuge der immer stärker werdenden Deregulierung von Verbraucherkrediten europaweit – auf der anderen Seite Unternehmen und internationale Spekulationen, bedeutete, daß die Verschuldung in den letzten Jahren immer schneller gestiegen ist, und zwar viel, viel schneller als die Weltwirtschaft gewachsen ist. Also, wir haben riesige Schulden, die viel schneller wachsen als die reale Produktion, und dadurch können die Zinsen nicht aus einem Wachstum der Produktion finanziert werden, sondern aus Umverteilung. Das ist die Grundlage dieser Kreditblase, und deswegen ist es eben auch eine Blase.

Und da muß man sich fragen, wie konnte es eigentlich passieren, daß in diesem exorbitanten Volumen Kredite vergeben wurden. Jeder von uns kennt das ja so ein bißchen: wenn jemand eine gute Idee hat und möchte dafür von einer Bank Geld haben, um diese Idee vielleicht in ein Geschäftsmodell umzusetzen, wird das enorm schwierig, bei der Deutschen Bank blitzt man da in der Regel ab. Also, wie konnte es sein, daß die Banken mit dieser Leichtfertigkeit Kredite vergeben haben, von denen eigentlich klar sein mußte, daß sie nicht zurückgezahlt werden. Das hat eben mit der Deregulierung der Finanzmärkte, mit der Zulassung immer neuer sogenannter Finanzinnovationen zu tun, die dann auch als besonders produktiv gefeiert wurden und den gesamten Kreditmechanismus verändert haben.

Wildwuchs fiktiven Kapitals

Früher war es ja so, die Banken verdienten ihr Geld eigentlich mit der Zinsdifferenz. Sie haben sich Einlagen auf ihre Konten geholt und diese Einlagen dann weiterverliehen. Die Zinsen für dieses Verleihen waren höher, als sie den Anlegern zahlten. Und dann gibt es Regeln, die diesen Kreditmechanismus gesteuert haben. Eine Bank darf eben nur für einen gewissen Prozentsatz ihres Eigenkapitals Kredite vergeben – damit ist limitiert, wie viel Kredite sie ausgeben kann – und damit hätte es diese Kreditblase niemals geben können, weil Banken eben nur beschränktes Eigenkapital haben. Sie können nicht ins Unendliche immer mehr Kredite vergeben.

Das, was es dann möglich gemacht hat, daß genau das passiert ist, war der exorbitant wachsende Verbriefungsmarkt. Heute verdienen die Banken nicht mehr hauptsächlich durch Zinsdifferenzen, sondern mit Gebühren und Provisionen, die sie daraus beziehen, daß sie Kredite nur noch arrangieren, aber nicht mehr selber in ihren Büchern behalten.

Das heißt, die Banken vergeben Kredite, verbriefen dann diese Kredite, sie werden dann sozusagen in ein Wertpapier gepackt und verkaufen sie weiter. Sie haben sie aus ihrer Bilanz ausgelagert und damit im Grunde ein unendliches Kreditpotential geschaffen, solange sie Käufer für diese Kredite finden. Und das ist im Grunde das, was sich seit den 80er Jahren entwickelt hat. Das ist nicht so ganz neu, aber in den letzten Jahren hat sich das Volumen solcher Verbriefungen vervielfacht. Dieser Wildwuchs an fiktivem Kapital geht dann noch weiter, solche Verbriefungen werden dann wieder in neue Pakete eingepackt, dann gibt’s noch Kreditderivate, die mit eingeschnürt werden, also, das ist wirklich ein unglaublicher selbstreferenzieller Prozeß, wo immer wieder neue Pakete geschnürt werden aus vorhandenen Papieren.

Trotzdem ist es natürlich so, daß diese Pakete, die dann verkauft werden, einen Fundamentalwert haben, der darin besteht, was von diesen Krediten zurückgezahlt wird an Zinsen und an Tilgung. Also, so wie man bei der Aktie einen Anteil Unternehmensprofit bekommt, ist es bei diesen Papieren auch. Der Anteil, den man dann erhält, ist eben der Anteil an den Zins- und Tilgungsleistungen der Menschen, die diese Hypotheken irgendwann mal aufgenommen haben.

Und damit ist auch klar, der Wert dieser Papiere steigt oder fällt mit der Ausfallrate dieser Kredite und natürlich auch mit den Zinsen, die diejenigen zahlen müssen. Je höher die Ausfallrate ist, desto problematischer wird der Wert dieser Papiere, wobei man eben hier einen besonderen Trick gefunden hat, um völlig risikoreiche Papiere scheinbar risikolos aussehen zu lassen, in dem man sie in verschiedenen Tranchen verkauft, die das Ausfallrisiko unterschiedlich abdecken. Aber das will ich jetzt nicht im Detail darlegen. Das sind Papiere, die so kompakt sind, die so unübersichtlich sind, daß keiner mehr genau das wirkliche Risikoprofil abschätzen kann, selbst die Finanzhaie nicht. Diese Papiere wurden weltweit verkauft. Damit ist eben auch das seltsame Phänomen verbunden, daß man sich sagt, ja in den USA gibt es die Hypothekenkrise, wieso aber trifft sie die IKB, die Sachsen LB und die Banken in Südostasien und in China? Und der Grund ist eben, daß diese verbrieften Kredite weltweit gehandelt wurden. Weil sie scheinbar als sicher galten und relativ gute Renditen brachten, haben auch Landesbanken fleißig zugegriffen.

Käufer dieser Papiere waren außerdem Hedge-Fonds, Pensionsfonds, Versicherungen, aber indirekt die Banken selber auch. Dafür haben viele Banken sogenannte Zweckgesellschaften gegründet, deren einziger Zweck ist, diese Kredite aus ihrer Bilanz herauszunehmen. Diese Zweckgesellschaften sind scheinbar selbständig, agieren höchst eigenständig, aber die Bank haftet am Ende dafür, wenn diese Zweckgesellschaft in Finanznöte gerät. Wären die Kredite in ihrer Bilanz geblieben, hätten sie sie mit ihrem Eigenkapital unterlegen müssen. Aber dadurch, daß es eine eigenständige Zweckgesellschaft ist, ist eben diese Eigenkapitalunterlegung nicht erforderlich gewesen. Diese Zweckgesellschaften gingen dann irgendwann in die Knie, weil die Papiere keiner mehr haben wollte. Dadurch entstand das Problem, daß die Banken selber für diese Verluste gerade stehen mußten und dann natürlich Probleme hatten. Inzwischen ist auch sehr, sehr deutlich: das trifft keineswegs nur die LKB und Sachsen LB, natürlich auch die ganz großen Banken weltweit, die das alles in riesigen Größenordnungen gemacht haben.

Man kann mit diesen Papieren das Ausfallrisiko verstecken, weil keiner mehr die Risiken, die eigentlich wirklich in ihnen enthalten waren, überschauen konnte. Aber dieses Ausfallrisiko ließ sich nicht beseitigen, weil irgendwann klar war, daß, wenn man Leute so hoch verschuldet, sie eben nicht mehr können. Das zeigte sich schon im Jahr 2006, als immer mehr amerikanische Hausbesitzer in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind. Jeder fünfte Inhaber einer sogenannten Subprime-Hypothek war bereits im Februar 2007 in Zahlungsverzug. Also, 20 Prozent von denen, die dieses riesige Volumen an Hypotheken aufgenommen hatten, waren schon im Februar 2007 nicht mehr in der Lage, das zu schultern. Entsprechend erhöhte sich natürlich im letzten Jahr die Zahl der Zwangsversteigerungen der Häuser. Insgesamt wurden in den USA 2007 2,2 Millionen Häuser zwangsversteigert, das war in etwa das Doppelte der Anzahl des Jahres davor, und natürlich steht dahinter, daß etwa 2,2 Millionen Familien am Ende noch ärmer dastanden als vorher. Zwangsversteigerung bedeutet einschließlich aller Gebühren, daß man viel mehr verliert als nur das geliehene Geld, daß man oft genug vor dem Nichts steht.

Das allein hätte allerdings die Krise noch nicht ausgelöst, weil die Zwangsversteigerungen immer noch durch steigende Immobilienpreise jeglichen Wert der Hypothek wieder eingespielt haben, solange funktioniert das Spiel für die Banken, und für alle, die diese Papiere haben, wunderbar. Es wird ja dort nichts faul, es muß nichts abgeschrieben werden, man verdient gigantisch Geld damit. Nur – wenn man natürlich viele Zwangsversteigerungen hat, dann stagnieren auch irgendwann die Immobilienpreise, und genau das hat im Jahr 2006 begonnen und ist 2007 sehr deutlich geworden. Erst dadurch, daß die Immobilienpreise nicht mehr so hoch anstiegen, war klar, daß diese Hypotheken faul sind.

Das heißt, die muß man abstreifen, die werden weder durch die Zwangsversteigerungen noch durch die Kreditnehmer irgendwie zurückzahlbar sein. Und in dem Augenblick hat keiner mehr diese Papiere haben wollen, weil man auch nicht genau wußte, was da noch wirklich zurückkommt und was nicht. Umgekehrt, und das ist dieser Deregulierung im Finanzmarkt geschuldet, gerade, weil keiner genau wußte, welche Bank wie viele dieser Papiere in ihren Büchern hatte oder über Zweckgesellschaften, Hedge-Fonds und andere Konstrukte dafür haftete, entstand dann die Situation im Sommer letzten Jahres, daß die Banken nicht mehr bereit waren, sich untereinander Geld zu leihen. Und damit war der Interbankenmarkt ausgetrocknet, damit fingen die Zentralbanken an – das war das große Ereignis im August – mit massiver Liquidität zu versuchen, diesen Interbankenmarkt wieder zu verflüssigen.

Sozialisierung der Verluste

Nur, das Grundproblem ist nicht nur ein Liquiditätsproblem, sondern das Geld ist weg. Irgendeiner muß die Verluste schultern, weil das Geld ausgegeben ist, die Familien haben dafür dies und jenes gekauft, das ist weg, und die Häuser bringen es auch nicht wieder. Das heißt, irgendeiner muß am Ende dafür geradestehen. Nach der Logik müßte man ja sagen, all jene, die sich eine goldene Nase mit diesem ganzen riesigen Kreditrad verdient haben, müßten ja auch in der Lage sein, die Verluste zu schultern. Nur dazu haben sie natürlich überhaupt keine Lust, und entsprechend hat jetzt auch schon begonnen, was der Kapitalismus immer macht, wenn die private Hand nicht mehr so richtig funktioniert, nämlich die Sozialisierung der Verluste.

Also, nachdem über Jahre riesige Gewinne eingestrichen wurden – ist jetzt sozusagen die Sozialisierung der Verluste angesagt, und das hat bereits in Größenordnungen begonnen. Der Baufinanzierer Northern Rock in Großbritannien ist mit 26 Milliarden Pfund Steuergeld gerettet worden, das heißt, da hat der britische Steuerzahler 26 Milliarden reingeschossen. In Deutschland bürgt der Bund inzwischen mit bis zu 10 Milliarden für die IKB, auch da ist sozusagen die öffentliche Hand für eine private Bank – die IKB ist ja keine öffentliche Bank – eingesprungen. Entsprechend in den USA: Bear Stearns ist bekanntlich bankrott gegangen, ist verkauft worden, und bei diesem Verkauf hat die Fed, die Zentralbank der USA, eine Garantie über 29 Milliarden Dollar übernommen. Das heißt, der amerikanische Steuerzahler garantiert für diese Bank in Höhe von 29 Milliarden Dollar.

Und es hat auch inzwischen angefangen, daß die Zentralbanken zumindest relativ risikoreichere Papiere, die mit Hypotheken unterlegt sind, als Sicherheit für Liquidität akzeptieren, was auch heißt, daß sie die Risiken in ihre Bücher nehmen. Und die Zentralbanken sind öffentliche Banken, also am Ende ist es Steuergeld, was dort, wenn Verluste entstehen, hineinfließt.

Trotzdem sind diese Zahlen, die ich eben genannt habe, im Grunde noch gar nichts, wenn man sich das Volumen an Krediten, das wahrscheinlich an diesem Markt faul geworden ist, betrachtet. Die aktuelle Schätzung des IWF ist, daß eine Billion US-Dollar an Krediten faul sind. Eine Billion Dollar sind 1.000 Milliarden US-Dollar, eine gigantische Summe, die irgendeiner am Ende zahlen und abschreiben muß.

Und wenn sogar in unserer Partei sich manche hinstellen und uns erzählen, wie produktiv doch dieser Kapitalismus ist und wie toll er doch Innovation und Produktivität fördert: diese ganze riesige Kreditblase ist eben deswegen so problematisch, weil sie nicht reale Wirtschaft, reales wirtschaftliches Wachstum finanziert hat, sondern sich über einer stagnierenden ökonomischen Basis aufgebläht hat. Und damit heißt das eben: dieses Geld ist einfach weg, niemand hat es produktiv investiert, und damit sind auch die Zinsen nur durch Umverteilung und nicht aus wirtschaftlichem Wachstum finanzierbar. Daß das so funktioniert und diese Entwicklung genommen hat, ist wiederum auch kein Zufall, sondern hat mit inneren Widersprüchen dieses Kapitalismus zu tun. Diese gigantische Verschuldungswelle war ja nicht einfach nur eine dumme Idee von Bankern, sondern hatte damit zu tun, daß man darüber einen wesentlichen Widerspruch des Kapitalismus zumindest hinausschieben konnte, nämlich den Widerspruch, daß auf der einen Seite die Profite natürlich steigen, wenn die Arbeitskraft immer stärker ausgebeutet wird und die Reallöhne stagnieren oder sogar sinken, aber dann immer das Problem entsteht, wer eigentlich die Produkte kauft.

Wir haben in den USA die Situation, daß, wenn man die Managementlöhne abzieht, die durchschnittlichen Lohneinkommen auf dem Niveau der 70er Jahre liegen. Und seit 15 bis 20 Jahren sinken die Reallöhne. Das ist eine Situation, die wir derzeit auch in Deutschland erleben, die normalerweise bedeutet, daß der Binnenmarkt stagniert und am Boden liegt. Die deutsche Wirtschaft reproduziert sich ja deswegen nur über Exporte, weil man am Binnenmarkt nichts mehr absetzen kann, wenn die Löhne sinken. Die USA haben das aber anders gelöst. Sie haben über all die letzten Jahre einen sogenannten Konsumboom erreicht, und zwar nicht nur intern für die eigene Wirtschaft, sondern weltweit. Sie sind ja ein riesiger Importeur, und sie haben die Weltwirtschaft dadurch angekurbelt und am Laufen gehalten, daß sie soviel konsumiert haben. Sie konnten aber nur deshalb soviel konsumieren, weil sinkende Löhne durch steigende Schulden kompensiert wurden. Sonst wäre das ganze Rad längst zum Stehen gekommen, weil die Leute mit dem, was sie an Löhnen wirklich verdient haben, gar nicht mehr so viel hätten kaufen können.

Bedrohliche Dynamik

Außerdem muß man mit einer Legende aufräumen: dieser Konsumboom ist für die große Mehrheit primär nicht ein Luxusboom gewesen, sondern das, was die Leute mit dieser Verschuldung finanziert haben, war im Grunde die Aufrechterhaltung ihres bisherigen Lebensstandards. Sie haben nicht Luxusdinge gekauft wie Reisen und Elektronik, sondern immer größere Posten im Haushaltsbudget des normalen US-Konsumenten waren Gesundheitsausgaben, Bildungsausgaben, vor allem eben auch für Bildung und Ausbildung von Kindern und für alles, was sich ums Haus bewegte, natürlich auch Energieausgaben und ähnliches. Das heißt, die Familien haben sich verschuldet, um so elementare Dinge wie eine Herzoperation zu finanzieren oder eben zu finanzieren, daß die Kinder nicht auf der letzten Schule, sondern auf einer etwas besseren ausgebildet werden. Also, insoweit war diese Verschuldung das Mittel, sinkende Löhne auszugleichen und trotzdem immer noch ein bestimmtes Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Nur, das muß ja irgendwann an Grenzen stoßen, und genau diese Grenzen sind jetzt erreicht, und jetzt schlägt es doppelt zurück. Zum einen werden die Banken die Kredite nicht mehr so ausweiten können, denn sie brauchen jetzt auch das Geld, um ihr eigenes Eigenkapital aufzustocken. Zum anderen bedeutet es für die Familien, die nicht alle in Verbraucherkonkurs gehen können – das machen natürlich nur die, die völlig am Ende sind – daß sie zusätzlich zu den sinkenden oder stagnierenden Löhnen jetzt auch noch ihre Kaufkraft dadurch wegfressen lassen müssen, daß sie Zinsen und Tilgungen leisten. Das heißt, das, was vorher als Grenze der Konsummöglichkeiten überproportional hinausgeschoben wurde, ist jetzt überproportional kleiner, und damit ist natürlich die Gefahr einer wirklich richtig tiefgehenden Rezession nicht nur in den USA relativ groß. Und natürlich, wenn die USA schrumpfen, dann schrumpft auch die Weltwirtschaft mit, fast schon notwendig, weil die USA eben mit ihren Importen – nicht nur aus Südostasien, sondern auch aus Europa – die Wirtschaft am Laufen gehalten haben. Und gerade eine Wirtschaft wie die bundesdeutsche ist davon ganz direkt betroffen. Nicht nur mit den direkten Exporten in die USA, sondern indirekt auch: Wir haben sehr viel Exporte von Investitionsgütern nach Südostasien. Südostasien wiederum hat so viel investiert, weil es ja wieder Konsumgüter in die USA geschickt hat.

Natürlich stehen diesen explodierenden Schulden ebenso explodierende Vermögen gegenüber, das hat ja mit dieser Umverteilung zu tun, aber das Problem ist eben, solange man nicht tatsächlich politische Kräfteverhältnisse hat, die ermöglichen, daß an diese privaten Vermögen rangegangen wird, ist das Kreditproblem nicht zu lösen. Im Grunde genommen müßte man das Volumen, das bei Krediten abgeschrieben wird, bei den privaten Vermögen abziehen, dann hätten wir eigentlich weltwirtschaftlich keine großen Probleme. Nur, genau das wird natürlich die herrschende Klasse dieses Kapitalismus nicht zulassen wollen. Und damit ist eben eine Dynamik in Gang gesetzt, von der keiner genau wissen kann, wie sie weitergeht. Damit ist natürlich – wir alle wissen, wie das 1930 ausgegangen ist – die Gefahr doppelt und dreifach groß, daß gerade, wenn aus internen Verwertungsmechanismen nicht mehr der entsprechende Profit zu bekommen ist, dann auf zwei Dinge gesetzt wird: auf Kriege, weil das natürlich immer eine Möglichkeit ist, sich ganz aggressiv Werte anzueignen, die man eben nicht erwirtschaftet, und das zweite ist die große Gefahr, daß in dem Augenblick, wo der Kapitalismus sich nicht mehr stabil fühlt, er auf Aussetzung jeglicher demokratischer Rechte setzt, um damit auch wieder Umverteilung in einer Größenordnung, die weit über das hinausgeht, was wir zur Zeit erleben, möglich zu machen. Nun glaube ich zwar nicht, daß sich Geschichte so platt wiederholt, aber es ist zumindest eine riesige Gefahr. Und man muß sie zumindest sehen, wenn wir als LINKE darauf richtig und angemessen reagieren wollen.