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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zur Gründung des Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands

Prof. Dr. Siegfried Prokop, Bernau

 

Auf Erlass des "Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen" wurde am 24. März 1952 in Bonn der Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands konstituiert. Er erhielt den Status eines der Bundesregierung zur Seite gestellten selbständigen Organs. Der Forschungsbeirat setzte sich aus Wissenschaftlern und "Fachkennern der sowjetzonalen Verhältnisse" zusammen, wie es in den Presseverlautbarungen hieß. Er wurde durch Vertreter der Bundestagsparteien - außer der KPD -, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und  einige Bundestagsabgeordnete ergänzt. Zugleich entstand ein "interministerieller Ausschuss für gesamtdeutsche Fragen". Zur Spezifik der Aufgaben der beiden Gremien hieß es im "Gründungsprotokoll": "Während der Forschungsbeirat mit Sitz in Berlin die Aufgabe habe, für das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen sowie die einzelnen Fachressorts Gutachten, Stellungnahmen und Pläne über wirtschaftliche Maßnahmen nach der Wiedervereinigung auszuarbeiten, diene der interministerielle Ausschuss der Koordinierung der von den einzelnen Ressorts erarbeiteten Maßnahmen. [Geheimes Protokoll der Staatsekretär-Besprechung vom 21.4.1952, in: INFORMATIONEN über die imperialistische Ostforschung, Berlin 1965, H. 4, S. 45.]

In Friesdorf bei Bonn wurde das "Archiv für gesamtdeutsche Fragen" eingerichtet, das Archivalien, Bücher, Broschüren, Fachzeitschriften aus der DDR sammelte. Spezialdateien erfassten wichtige Daten über die DDR. Der "Bayern-Kurier" schrieb darüber: "In der Personenkartei findet man Funktion und Lebenslauf aller Personen der Sowjetzone, die in irgendeiner Weise von allgemeinem Interesse sind. Die Strukturkartei gibt einen Überblick des Aufbaus und der Besetzung des Apparates der Regierung, der Parteien, der Massenorganisationen, aber auch der kulturellen Institutionen (z.B. der Deutschen Akademie der Wissenschaften) der Zone." [Bayern-Kurier, München, 19.9.1959.]

Am 12. Dezember 1952 billigte die Bundesregierung Organisation, Arbeitsweise und Zielsetzung des Forschungsbeirates. Seine Tätigkeit wurde schwerpunktmäßig auf die Wirtschaft und die Sozialpolitik konzentriert. Dem Forschungsbeirat wurden zwei Aufgaben gestellt:

"Eine Klärung der Lage in den einzelnen Wirtschaftszweigen, ihrer Entwicklung, ihrer Kapazitäten sowie ihrer gegenwärtigen Organisation und der für sie geltenden Prinzipien der Wirtschaftsordnung.

Die Erstellung eines Sofortprogramms, d.h. die Vorbereitung all derjenigen Maßnahmen, die im Falle der Wiedervereinigung alsbald, also etwa innerhalb des ersten Jahres, notwendig sein würden." [Forschungsbeirat: Erster Tätigkeitsbericht 1952/1953. (Auszug). Bonn 1954, S. 11f.]

1953 legte der Forschungsbeirat seinen Ersten Tätigkeitsbericht vor, der schon deutlich zu erkennen gab, worum es dem Forschungsbeirat nach dem "Tag X", dem Tag der Wiedervereinigung, ging:

1. Es müsste "in einer großen Anzahl von Fällen der sofortige Ersatz der bisherigen Betriebsleitungen erfolgen". Die "neuen Betriebsleitungen" sollten aus solchen Personen bestehen, gegen deren "politische Zuverlässigkeit" [Ebenda, S. 24 f.] keine Bedenken bestünden. Die Auswahl sei von den zuständigen Ministerien vorzunehmen. In solchen volkseigenen Betrieben, wo eine sofortige oder baldige Reprivatisierung möglich sei, sollten die ehemaligen Eigentümer mit der Leitung beauftragt werden.

2. Die Bodenreform sollte "nicht unter dem Gesichtspunkt einer Restauration der alten Eigentumsverhältnisse revidiert werden". [Ebenda, S. 21 f.]

3. Liquidierung des staatlichen Handels. Private Händler sollten "ihre Tätigkeit im Rahmen ihrer Zulassung sofort aufnehmen." [Ebenda, S. 22.]

Zur Förderung der vorgesehenen Reprivatisierung sah der Forschungsbeirat gezielte wirtschaftliche Maßnahmen vor: eine besondere Belieferung mit Rohstoffen, Subventionen, besondere Verkehrstarife, Steuererleichterungen und Sonderkredite. Der "Telegraf" spekulierte mit einem "konzentrierten Einsatz" von zunächst einer Milliarde DM. [Telegraf, Berlin, 11.8.1953.] Erhofft wurde davon ein "schockartiger Aufstieg". [Ebenda, S. 22.]

Einerseits sah der Forschungsbeirat in der Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik gute Möglichkeiten für Kapitalanleger, zum anderen hielt er die Neuauflage eines "Wirtschaftswunders" für erforderlich, um eine Reprivatisierung erfolgreich durchführen zu können. Wir sehen also, dass es dem Forschungsbeirat mit seinem Sofortprogramm des Jahres 1953 hauptsächlich darum ging, auf dem Territorium der DDR die Besitz- und Machtstrukturen der Bundesrepublik durchzusetzen. Um dies möglichst sicher erreichen zu können, war er bereit, taktische Konzessionen zu machen. Diese bestanden vor allem in der Anerkennung der Bodenreform, dem Verzicht auf eine schlagartige Reprivatisierung der VEB, der Gewährung bestimmter sozialer Zugeständnisse und einer Berücksichtigung der Stimmung der Bevölkerung. Dem Forschungsbeirat war klar, dass es für den vorgesehenen Vorgang kein geschichtliches Beispiel gab, auf das als Vorbild zurückgegriffen werden konnte. Er warnte davor, nach der Wiedervereinigung "chaotische Zustände" entstehen zu lassen, weshalb auch auf eine "Ent-SED-isierung" zu verzichten sei. Die Warnung vor einem Chaos wurde immer wieder mit Befürchtungen verbunden, dass dadurch die gesellschaftlichen Verhältnisse der Bundesrepublik erschüttert werden könnten. Bestrafungen von DDR-Bürgern sollten nur bei Vorliegen krimineller Handlungen erfolgen. Der Eindruck einer "Kolonisierung vom Westen" müsse vermieden werden. Als größte Gefahr sah der Forschungsbeirat das Entstehen einer Massenarbeitslosigkeit an. Zur Vermeidung einer solchen sozialen Krise hielt der Forschungsbeirat eine Kapitalbereitstellung für Umbau und Anpassung der DDR-Wirtschaft notwendig. Reserven für Arbeitsmöglichkeiten sah der Forschungsbeirat in den Konsumgüterindustrien, im Wohnungsbau, im Wiederaufbau des Verkehrswesens und der Forstwirtschaft. Da die Wirtschaft in der Umbauphase vor dem Konkurrenzdruck aus dem Westen geschützt werden musste, warnte der Forschungsbeirat vor der sofortigen Übernahme der westdeutschen D-Mark.

Der Forschungsbeirat vergrößerte sich im Verlaufe der Jahre zu einem Gremium von einigen hundert ständigen oder zeitweiligen Mitarbeitern. Von 1954 bis 1961 erhöhte sich die Zahl der im Forschungsbeirat tätigen Studiengruppen, Arbeitsgruppen, Facharbeitskreise und Ausschüsse von 19 auf 58. Die Zahl der Sitzungen dieser Gremien erhöhte sich von 83 in der Berichtsperiode 1952/53 auf 298 in der Berichtsperiode 1954/56. Zahlreiche Universitäts- und Wirtschaftsinstitute sowie Forschungskapazitäten der Ministerien standen dem Forschungsbeirat für seine Arbeit zur Verfügung. Über seine Arbeit veröffentlichte der Forschungsbeirat Tätigkeitsberichte in den Jahren 1953 (Auszug), 1956, 1961, 1965 und 1969. Das darin entwickelte Sofortprogramm wurde umfassender und differenzierter, blieb aber dem Grundkonzept einer geordneten Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik weiterhin verhaftet. Die Anerkennung der Bodenreform wurde aufgrund konservativer Proteste erst eingeschränkt und dann gänzlich zurück genommen. Ab 1964 erschien die Schriftenreihe "Wirtschaft  und Gesellschaft in Mitteldeutschland".

Nach den Maßnahmen der DDR vom 13. August 1961 setzte der Forschungsbeirat hinter seine Arbeit erstmals ein Fragezeichen. Im Februar 1962 gipfelte die Frage von Johann Baptist Gradl, Vorsitzender des Forschungsbeirates, darin, ob es noch einen "realen Sinn hätte", wenn heute "für eine Illusion" geforscht und geplant würde. [Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn, Nr.30, vom 13.2.1962, S.258.]Aber erst im Zuge der Entspannungspolitik in der ersten Hälfte der 70er Jahre stellte der Forschungsbeirat 1974/75 sang- und klanglos seine anachronistisch gewordene Arbeit ein. [Vgl. Markus Gloe: Planung für die deutsche Einheit. Der Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands 1952-1975. Wiesbaden  2005.]

Plötzliche Aktualität erhielten die Arbeitsresultate des Forschungsbeirates im Jahre 1990, als die Frage einer deutschen Einheit infolge der finalen Krise des osteuropäischen Sozialismus und der Kapitulationspolitik Michail Gorbatschows auf die Tagesordnung der Geschichte kam. In Bonn erinnerte man sich an die umfänglichen Vorarbeiten für eine Wiedervereinigung durch den Forschungsbeirat. Aber die von der Arroganz der Macht beherrschte Regierung unter Helmut Kohl lehnte die wohlüberlegten Konzepte des Forschungsbeirates ab. Sie zog das anders geartete Konzept Ludwig Erhards vor. Erhard hatte im September 1953, direkt nach dem 17. Juni, die Pläne des Forschungsbeirats strikt abgelehnt. Erhard sprach sich in einer Zeit, da sich die beiden deutschen Staaten noch nicht so sehr auseinander entwickelt hatten, dafür aus, die Vereinigung außerhalb eines vorgefassten "Wiedereingliederungsplans" vorzunehmen.

Wie es gar nicht anders sein konnte, sah Erhard die Marktwirtschaft als das einzig wirksame Wundermittel an, das die rasche Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik bewirken werde. Als ersten Schritt empfahl er im Gegensatz zum Forschungsbeirat die "Einbeziehung in unser Währungssystem". [Ludwig Erhard, Wirtschaftliche Probleme der Wiedervereinigung. Unbegründete Befürchtungen der Planwirtschaftler hinsichtlich ungünstiger Rückwirkungen, in: Bulletin das Presse- und Informationsamtes de Bundesregierung, Bonn, Nr. 174,12.09.1953, S.1453.]

Erhard vermochte ziemlich klar vorauszusagen, was damit erreicht werden würde: "Mit diesem Prozess wird dann naturgemäß die wirtschaftliche Lage der Sowjetzone schonungslos offengelegt, und es kann kein Zweifel bestehen, dass das Resultat betrüblich, ja, vielfach sogar erschütternd sein wird. Das heißt mit anderen Worten, dass wir mit einem starken Leistungsgefälle zwischen Ost und West rechnen müssen, und dass sich daraus schwerwiegende Konsequenzen für die sozialen Verhältnisse der Bevölkerung ergeben können. Dennoch müssen wir den Mut zur Klarheit und zur Wahrheit aufbringen, weil erst dann die Mittel der Heilung eingesetzt und wirksam werden können." [Ebenda.] Schutzmaßnahmen wurden folglich als leistungshemmend abgelehnt. Stattdessen sollten der ostdeutschen Wirtschaft "produktionsfördernde steuerliche Erleichterungen und Befreiungen" gewährt werden. Zur Beruhigung versicherte er den Bundesbürgern: "Weder wird für die heutige Bevölkerung des Bundesgebiets durch den Zusammenschluss eine steuerliche Belastung eintreten, noch etwa dadurch die Existenz von Betrieben gefährdet werden.” [Ebenda, S.1454.]

Auch Helmut Kohl hatte den Bundesbürgern die Bezahlung der Kosten der Einheit aus der Portokasse versprochen. Heute wissen alle, dass das eine Lüge war. Über zwei Jahrzehnte nach der Herstellung der deutschen Einheit werden die Deutschen in West und Ost noch immer mit einer Sondersteuer, dem Solidaritätszuschlag, belastet, auch weil Kohl die Warnungen des Forschungsbeirates missachtet hatte. Den Ostdeutschen wurde eine langandauernde Massenarbeitslosigkeit zugemutet, die heute allerdings durch statistische Kosmetik mühsam zu kaschieren versucht wird. Die Angleichung der Löhne und Renten verschob die politische Klasse auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

Der Forschungsbeirat war 1952 gegründet worden, um von der Spaltungspolitik der Regierung Konrad Adenauers abzulenken. Am 10. März 1952 hatte die sowjetische Regierung in einer Note die Wiedervereinigung Deutschlands auf dem Wege freier Wahlen angeboten und in weiteren Noten alle vom Westen gewünschten Modifizierungen akzeptiert. Damals ging es der Regierung Adenauer aber um die Westintegration der Bundesrepublik durch den Generalvertrag und den Beitritt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG).

Dass das eine Entscheidung gegen die Wiedervereinigung war, sollte vor den Deutschen in Ost und West verschleiert werden. Der Forschungsbeirat hatte die Illusion zu nähren, in Bonn werde eine Wiedervereinigungspolitik betrieben. Keineswegs war der Forschungsbeirat ein "Planungsstab für eine Aggression", der "graue Pläne" für den "Tag X" ausarbeitete, wie damals in der DDR behauptet wurde. Gleichwohl trugen seine Ausarbeitungen und ihre umfangreiche propagandistische Nutzung in den 50er- und 60er Jahren zweifellos einen dezidiert antikommunistischen Charakter.