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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zur Geschichte der Sachsenhausen-Komitees: Ein nachdenkenswertes Jubiläum

Reinhard Junge, Bochum

 

1989/90: Mit der DDR "erbte" die Bundesregierung ein besonders delikates Problem: die Nationalen Gedenkstätten. Im Westen hatte man es bis dahin den Ländern und Städten überlassen, die Geschichte der KZs und Nazi-Folterstätten aufzuarbeiten - und oft geschah das sehr widerwillig, halbherzig und erst auf Druck ehemaliger Widerstandskämpfer und von Bürgerinitiativen. Nun aber hatte man Gedenkstätten wie Sachsenhausen "am Hals", in denen der Faschismus als Produkt des Kapitalismus, als Mittel zur Vernichtung der Arbeiterbewegung und Instrument der Profit verheißenden Eroberungskriege dargestellt und der Widerstand gegen ihn gewürdigt wurden. Schleifen konnte man Sachsenhausen oder Buchenwald nicht - also musste man diese Stätten umbauen und anders interpretieren. In Siegermanier machten sich bestens bezahlte bürgerliche Historiker und Museumspädagogen daran, alle Zeugnisse des "verordneten Antifaschismus" aus DDR-Zeiten auszumerzen.

In Sachsenhausen z.B. störten sich die westlichen Museumspädagogen bereits an den Silhouetten der Häftlingsbaracken am Rande des Appellplatzes - sie wurden als unhistorisch bezeichnet und abgerissen. Dann kritisierte man das Lagermuseum. Die relativ geringe Beachtung der jüdischen Opfer wurde bisweilen als Zeugnis eines latenten Antisemitismus gedeutet. Und selbstverständlich wurden aus den Entscheidungsgremien alle Vertreter des kommunistischen Widerstands entfernt, sofern sie nicht jede Änderung bereitwillig abnickten.

Ein Kernpunkt der Debatten war die 1945 erfolgte Verwendung des ehemaligen KZs als Speziallager des sowjetischen Sicherheitsdienstes NKWD, in dem vor allem gefangene Nazis untergebracht wurden. KZ und Sonderlager sollten als historische Kontinuität dargestellt werden - als "Beleg" für die in der BRD gepflegte "Totalitarismus"-Theorie, nach der Faschismus und Sozialismus nur zwei Spielarten derselben diktatorischen Staatsauffassung sind. (Jahrzehnte lang waren die Lehrer im Westen dazu verpflichtet, diese Theorie zu lehren.) Auf die schlichte Frage, ob die Sowjets die SS- und NSDAP-Leute 1945 etwa in Hotels hätten unterbringen sollen, kam in diesem Zusammenhang niemand.

November 2012: Andreas Meyer und Regina Szepansky feiern das 15-jährige Bestehen des "Sachsenhausen-Komitees in der Bundesrepublik Deutschland", dessen Vorsitzende sie sind [1]. Sie berichten, dass es seit Mitte der 90er Jahre Führungen durch die Gedenkstätte und Informationsveranstaltungen gebe - das Fehlen der Adverbiale "wieder" könnte suggerieren, dass es so etwas in der DDR nicht gegeben habe. Zugleich wird die Arbeit des seit etwa 1960 im Westen tätigen "Sachsenhausen-Komitees für die Bundesrepublik Deutschland" fast völlig ignoriert und als bedeutungslos abqualifiziert.

Ich selbst habe aber schon als Schüler viel von dem Wirken dieses Komitees hautnah mitbekommen, denn mein Vater Heinz Junge aus Dortmund (ehemals Mitglied im Illegalen Lagerkomitee der Häftlinge) war einer der Organisatoren. Schon die Menge an "Sachsenhausen-Informationen" die auf unserem Wohnzimmertisch tagelang eingetütet und dann verschickt worden sind, kann ich nicht einmal schätzen.

Diese unregelmäßig erschienene Zeitschrift [2] informierte z.B. über Prozesse gegen ehemalige SS-Aufseher, über alte Nazis im Öffentlichen Dienst der BRD (vor allem in Polizei und Justiz), aber auch über Fragen der verweigerten Haftentschädigung für "rückfällig" gewordene Kommunisten. Die beiden zuletzt genannten Komplexe tauchten in der bürgerlichen Presse jener Jahre so gut wie gar nicht auf, und über Prozesse wurde höchstens bei spektakulären Verhandlungen berichtet - etwa über den großen Auschwitz-Prozess in Frankfurt/M. oder das Verfahren gegen die Sachsenhausener SS-Schergen Sorge und Schubert in Bonn.

Anfangs wurde diese Informationen in einer Auflage von über tausend Exemplaren gedruckt. Für viele ehemalige Häftlinge waren sie eine wichtige Stütze im Alltag. Immerhin war die KPD seit 1956 verboten - und in einigen Bundesländern zeitweise auch die VVN, bei der man eigentlich kompetente Beratung zu Haftentschädigung, Wiedergutmachung etc. bekommen konnte.

Außerdem hat das Komitee nicht nur existenzielle Häftlingsinteressen vertreten, sondern auch wichtige Informationen für oftmals lernunwillige Staatsanwälte geliefert, Hinweise auf noch lebende Zeugen gegeben und öffentliche Aufklärungsarbeit geleistet. Meyer/Szepansky verschweigen aber nicht nur den Namen meines Vaters, sondern auch Rudi Larsch, Harry Naujoks, Franz Ballhorn, Hein Meyn, Georg Wieber und andere Kameraden, die über Jahre hinweg aufopferungsvolle Arbeit geleistet haben.

Mitte der sechziger Jahre entstand - mit anfangs sehr primitiven Mitteln ebenfalls an unserem Wohnzimmertisch hergestellt - eine Wanderausstellung über das KZ Sachsenhausen. Sie wurde zuerst in Köln und Dortmund, in den 70ern auch in Wiesbaden, Darmstadt, Kassel und anderen Städten gezeigt. Ohne die Unterstützung der ehemaligen Häftlinge Reinhold Heinen (Verleger der CDU-nahen Zeitungen "Kölnische" bzw. "Bonner Rundschau") und Georg Buch (SPD-Landtagspräsident in Hessen) wäre diese Ausstellung nie an die Öffentlichkeit gekommen.

Bedeutsam an dieser Ausstellung war auch, dass sie auf die damals gerne verbreitete Legende verzichtete, Hitler sei nur wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten an die Macht gekommen. Industrielle und Bankiers, von denen die Nazipartei finanziell unterstützt wurde, waren namentlich genannt. Ebenso wurde am Beispiel Sachsenhausens dokumentiert, dass deutsche Rüstungskonzerne von der SS zahlreiche KZ-Häftlinge für Sklavenarbeit in den Fabriken "angemietet" hatten. Hunderte von Schulklassen haben diese Ausstellung gesehen - und für die meisten Schüler/innen (und viele Lehrer) waren das völlig neue Erkenntnisse.

In all den Jahren hat das West-Komitee nicht nur feste Verbindungen zum Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR gepflegt, sondern auch mit Ex-"Sachsenhausern" in den Benelux-Staaten, in Norwegen, England, Frankreich, Polen, Ungarn, der ČSSR und der Sowjetunion zusammengearbeitet. Ehemalige Sachsenhausen-Häftlinge bekleideten auch in einigen kapitalistischen Ländern zeitweilig hohe Ämter - u.a. war unter ihnen ein norwegischer Außenminister und ein Verteidigungsminister aus Luxemburg. Die Frage, ob jemand Kommunist war oder nicht, spielte meist keine Rolle. An der im Lager gewachsenen Solidarität hielten auch viele bürgerliche Antifaschisten fest.

Dann kamen die "Wendejahre" 1989/90. Viele ehemalige Häftlinge, die das Lager überlebt hatten, waren inzwischen gestorben, oft an den Spätfolgen von Hunger, Haft und Folter. Auch das Komitee war kleiner geworden, obwohl einige jüngere Leute - Nachkommen von Widerstandskämpfern oder interessierte Antifaschisten - sich an der Arbeit beteiligten. Für die Vorgänge in der Gedenkstätte Sachsenhausen war nun die Landesregierung von Brandenburg verantwortlich.

Anfangs wurden noch Mitglieder des alten Sachsenhausenkomitees über die geplanten Änderungen in der Gedenkstätte befragt oder zumindest informiert. Zur selben Zeit ging es auch darum, die Komitees aus der alten BRD, aus der DDR und West-Berlin zusammenzuschließen. Meyer/Szepansky erwecken den Eindruck, dass man sich im Westen einem Zusammenschluss prinzipiell verweigert hätte. Doch was den (aus biologischen Gründen wenigen) "Alten" missfiel, war der feste Vorsatz, die von der DDR erstellte Gedenkstätte bis zur Unkenntnis zu verwandeln. Und hartnäckig widersprach man der Gleichsetzung von KZ und Sonderlager, wie sie heute auf den Internetseiten der Brandenburgischen Gedenkstätten vollzogen wird. Man wollte das Vermächtnis und die Ehre der sowjetischen Kameraden nicht mit Füßen treten.

Daraufhin wurden die "störenden" Standhaften aus Gedenkstättenleitung und Komitee auf die Straße gesetzt, andere kapitulierten angesichts der drohenden Arbeitslosigkeit und einige der "Alten" (nicht nur) aus der DDR und Westberlin erlagen den Schmeicheleien der neuen Herren des Lagers und der Aussicht auf honorige Pöstchen - sie wurden zielgerichtet abgeworben.

Nun musste die Landesregierung nur noch Charles Desirat, den greisen "Chef" des Internationalen Komitees, gewinnen - und das war leichtes Spiel, da dieser die deutschen Wirren nach der "Wende" von Frankreich aus nicht voll durchschauen konnte. Danach stand der Isolation des alten Sachsenhausen-Komitees ("für die" BRD) und der Gründung eines neuen ("in der" BRD) nichts mehr im Wege. Die Lagergeschichte konnte nun im Sinne der Landesregierung von Brandenburg umgeschrieben werden - und die Geschichte der Häftlingskomitees auch.

 

Anmerkungen:

[1] "antifa", Heft 11/2013.

[2] Zeitweilig auch unter dem Namen "Der Appell" verbreitet.