Zum Offenen Brief »Propaganda oder Fakten?«
Zuschriften
zum Offenen Brief »Propaganda oder Fakten?« des Bundessprecherrates der KPF an den Vorstand der Partei Die Linke vom 23. September 2024
Lieber ...,
ich möchte voranstellen, dass ich den Antrag unterschrieben habe trotz Einwände, die ich schon beim erstmaligen Lesen hatte. Nach der Ablehnung des Antrages und eures Antwortbriefes mit dem Faktencheck habe ich das Antragspapier noch mal gelesen und finde meine anfänglichen Einwände bestätigt, auch wenn eurem Faktencheck nicht zu widersprechen ist.
Begründung: In eurem Antrag wird die Vorgeschichte des Krieges richtig beschrieben, auch der Ablehnung der NATO, der US-Hörigkeit der Bundespoltiker von Grün bis Schwarz ist zuzustimmen. Dennoch … Russland ist zum Aggressor geworden mit inzwischen eigenen imperialen Zielen (Machtsicherung im Nahen Osten, z.B. Bombardement in Syrien, Afrikaeinsätze, Terrortruppen wie Wagner und ebenfalls Nutzung russischer Rechtsradikaler).
In eurer Betrachtung klammert ihr die Machkämpfe und Verschiebungen in einer multipolaren Welt aus, die auch mit neuen militärischen Playern einhergeht. In dieser einseitigen Betrachtung erschein Russland sozusagen nur in der Opferrolle. Es entsteht der Eindruck einer Reinwaschung. Schließlich ist die Aufrüstung weltweit im Gange.
Auch und vor allem darum muss eine Politik der weltweiten Abrüstung, Rüstungskontrolle, ein System der wechselseitigen Sicherheitsverträge unter Einschluss natürlich von Russland erreicht werden. Dabei hätte die Ukraine eine Brücke zwischen Ost und West sein können.
Ich bin dagegen, euren Antrag einfach abzulehnen. Ich würde ihn mir mit einer anderen Einordnung in die heutige Weltlage und mit einer anderen Einordnung der Rolle des heutigen Russlands wünschen.
Ich habe ihm dennoch zugestimmt, weil der strammen Kriegs- und Rüstungshysterie in Deutschland zu widersprechen ist und wir als Deutsche dafür in erster Linie Verantwortung tragen.
Mit solidarischen Grüßen, Sonja Newiak, DIE LINKE KV Lausitz, 25. September 2024
Liebe Genossinnen und Genossen,
der Offene Brief findet meine volle Unterstützung. Lasst mich nur auf die offensichtlich von der Mehrheit getragene These, es gebe einen russischen Imperialismus, eingehen. Das ist das Nachplappern der Position des deutschen politischen und medialen Mainstreams.
Das Märchen von der russischen Bedrohung der EU-Staaten ist übrigens eine Neuauflage des Märchens, auf dem sämtliche WINTEX-Übungen der NATO bis zur letzten 1989 beruhten, dass nämlich die UdSSR bzw. der Warschauer Pakt die Absicht habe, bis zum Atlantik vorzustoßen.
Dieses Märchen wurde 1988 von der CIA in einem Vortrag in Langley als solches entlarvt. Der Anlass: der Routine-Jahresbesuch der Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei den Kollegen des Kongresses. Die Delegation wurde vom damaligen Parlamentarischen Staatssekretär im BMVg, Willy Wimmer, geleitet.
In seinem Buch »Die Akte Moskau« schildert er die Kernaussage des vortragenden Beamten auf den Seiten 143 ff.: Alles, was die UdSSR nach 1945 im Ostblock politisch unternommen habe, hatte defensiven Charakter vor dem Hintergrund der russischen historischen Erfahrungen mit Napoleon und Hitler und habe, wörtlich, »dem Schutz von Mütterchen Russland« gedient.
Zu diesem Zeitpunkt standen die Zeichen auf Entspannung (Reagan und Gorbatschow), u. a. war 1987 der Vertrag über die jeweiligen atomar bestückten Mittelstreckenraketen Pershinhg-II und SS-20 (INF) ratifiziert worden. Damit konnte das Märchen als solches zugegeben werden. Der Generalinspekteur der Bundeswehr beschwor den US-Botschafter in Bonn, davon nichts an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, denn sonst stünde es schlecht um die Motivation der Soldaten.
Dieses Ereignis hat Wimmer als Übungs-Verteidigungsminister u. a. dazu bewogen, Bundeskanzler Kohl den Ausstieg aus der letzten WINTEX-Übung 1989 vorzuschlagen, weil deutsche Tornados u. a. Dresden und Potsdam atomar bombardieren sollten. Kohl hat seinem Vorschlag zugestimmt.
Manch ein Genosse wird sich vielleicht mal gefragt haben, wieso ein ehemaliger Offizier der Bundeswehr in der Linken ist. Die oben geschilderte, historisch belegte Situation habe ich schon lange vor Erscheinen des Buches von Willy Wimmer erfahren – nach meiner Dienstzeit, als sein Abgeordnetenbüro in der Mauerstraße auf gleicher Höhe mit meinem Büro in der PDS-Fraktion gegenüber lag, verbunden mit einer Fußgängerbrücke.
Als ehemaliges SPD-Mitglied bin ich nicht 2001 zur PDS gewechselt, um nun einen vergleichbaren Kurswechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik, der schon seit einiger Zeit schleichend stattfindet, als Mitglied implizit mitzutragen.
Mit solidarischen Grüßen, Jochen Scholz, 27. September 2024