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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zu Rosa Luxemburgs Verurteilung und Inhaftierung

Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht

Wegen ihrer Aufrufe zum Kampf gegen die Kriegsgefahr bei Reden in zwei hessischen Städten wurde Rosa Luxemburg am 20. Februar 1914 in Frankfurt/a.M. zu einem Jahr Haft verurteilt. Es folgt ein kurzer Auszug aus der Verteidigungsrede Rosa Luxemburgs vor der Frankfurter Strafkammer.

[...] Am 12. November 1911 nahm die Berliner Arbeiterschaft in zwölf Versammlungen eine Resolution an, in der sie den italienischen Genossen für den Massenstreik dankte.

Ja, der Massenstreik! sagt der Staatsanwalt. Gerade hier glaubt er mich wieder bei meiner gefährlichsten, staatserschütternden Absicht gepackt zu haben. Der Staatsanwalt stützte heute seine Anklage ganz besonders durch die Hinweise auf meine Massenstreikagitation, an die er die schauerlichsten Perspektiven eines gewaltsamen Umsturzes knüpfte, wie sie eben nur in der Phantasie eines preußischen Staatsanwalts ihr Dasein führen.

Herr Staatsanwalt, wenn ich bei Ihnen die geringste Fähigkeit voraussetzen könnte, auf die Gedankengänge der Sozialdemokratie, auf eine edlere historische Auffassung eingehen zu können, so würde ich Ihnen auseinandersetzen, was ich in jeder Volksversammlung mit Erfolg darlege, daß Massenstreiks als eine bestimmte Periode in der Entwicklung der heutigen Verhältnisse nicht "gemacht" werden, so wenig wie die Revolutionen "gemacht" werden. Die Massenstreiks sind eine Etappe des Klassenkampfes, zu der allerdings unsere heutige Entwicklung mit Naturnotwendigkeit führt. Unsere, der Sozialdemokratie, ganze Rolle ihnen gegenüber besteht darin, diese Tendenz der Entwicklung der Arbeiterklasse zum Bewußtsein zu bringen, damit die Arbeiter auf der Höhe ihrer Aufgaben sind als eine geschulte, disziplinierte, reife, entschlossene und tatkräftige Volksmasse.

Sie sehen, auch hier wieder will mich der Staatsanwalt, wenn er das Gespenst des Massenstreiks in der Anklage vorführt, wie er ihn versteht, eigentlich für seine Gedanken, nicht für die meinigen strafen.

Hier will ich schließen. [...] Und nun verurteilen Sie mich!

Veröffentlicht in: Vorwärts (Berlin), Nr. 52 vom 22. Februar 1914.

Aus der Rede Karl Liebknechts vor dem Preußischen Landtag am 9. März 1915 zur Inhaftierung von Rosa Luxemburg am 18. Februar 1915:

Meine Herren, vor wenigen Tagen haben Sie mir in Fortsetzung einer alten Gepflogenheit dieses Hauses, das sich also auch in dieser Beziehung treu geblieben ist, das Wort abgeschnitten; heute werden Sie es sich doch gefallen lassen müssen, dass ich Ihnen dasjenige sage, was ich für angemessen halte. Meine Parteifreundin Rosa Luxemburg ist, wie Ihnen bekannt, im vorigen Jahre wegen angeblicher an die Soldaten gerichteter Aufforderung zum Ungehorsam zu der ungeheuerlichen Strafe von 1 Jahr Gefängnis verurteilt worden [1] (Abgeordneter Ströbel: Hört! hört!); das Urteil wurde vor einigen Monaten vom Reichsgericht bestätigt. Im Januar dieses Jahres erhielt sie wegen Krankheit einen Strafaufschub bis zum 31. März. Sie hatte mehrere Wochen im Schöneberger Krankenhaus zugebracht und war von dort ungeheilt mit der Aufgabe zur Innehaltung einer bestimmten Kur entlassen worden. Am 18. Februar wurde sie plötzlich in ihrer Südender Wohnung von zwei Berliner Kriminalbeamten festgenommen, im Automobil nach dem Berliner Polizeipräsidium gebracht, und zwar nach Abteilung 7, d.h. der politischen Polizei, nicht der Kriminalpolizei. Von dort wurde sie trotz Intervention ihres Anwalts im Grünen Wagen gemeinsam mit gemeinen Verbrechern nach dem Weibergefängnis in der Barnimstraße transportiert, und zwar zur Vollstreckung ihrer einjährigen Gefängnisstrafe.

Dieser Vorgang enthüllt das Wesen des sogenannten Burgfriedens mit der Präzision eines physikalischen Experimentes. (Abgeordneter Ströbel: Sehr wahr!) Darüber, dass diese hochpolitische, diese parteipolitische Strafe jetzt trotz des sogenannten Burgfriedens vollstreckt wird, beschweren wir uns nicht. Darüber mögen sich diejenigen beschweren, die an den Burgfrieden geglaubt haben (Abgeordneter Ströbel: Sehr wahr!), die sich die Würdigkeit für die Segnungen dieses Burgfriedens durch Wohlverhalten zu erwerben versucht haben oder versuchen. Ich weiß, dass meine Freundin Luxemburg genauso wie ich in dieser Vollstreckung im Gegenteil einen Ehrentitel erblickt, ein Zeugnis dafür, dass sie ihrer Pflicht, im sozialistischen Sinne für das Interesse des Volkes zu arbeiten, auch in dieser Zeit der inneren Wirrnisse gar vieler nach Kräften und wirksam genügt hat.

Aber, meine Herren, bemerkenswert ist folgendes - und diese Tatsache hebe ich besonders heraus - : sie ist zum Zweck der Strafvollstreckung verhaftet worden trotz des Strafaufschubes, der ihr bis zum 31. März bewilligt war, ohne dass man ihr, nachdem man meinte, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Strafaufschubes nicht mehr vorhanden seien, eine erneute Aufforderung zum freiwilligen Strafantritt hätte zugehen lassen. Man hat sie ohne jede Aufforderung gefasst und weggeschleppt, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, sich freiwillig im Gefängnisse zu stellen. Die Art der Ausführung ist unter aller Kritik. Dieser Transport mit dem Grünen Wagen und die Einzelheiten, von denen ich vorhin sprach, rechtfertigen die schwersten Vorwürfe gegen diejenigen Beamten, die für dieses Vorgehen verantwortlich sind. (Sehr wahr! bei den Soz.)

Von besonderer politischer Bedeutung ist der Grund dieser Maßnahmen. Die "Deutsche Tageszeitung" hat, bevor noch in unseren Parteizeitungen irgendeine Mitteilung von der Verhaftung meiner Parteifreundin erschienen war, bereits eine Notiz gebracht, die sicherlich inspiriert war und jedenfalls von gut unterrichteter Seite herrührte, und in der mit klipp und klaren Worten gesagt wurde, dieses Verfahren sei eingeschlagen worden, weil die Frau Dr. Luxemburg Versammlungen abgehalten habe (Hört, hört! bei den Soz.), weil sie sich politisch betätigt habe. (Hört! hört! bei den Soz.)

Gewiss, die Verhaftung war keine bloße militärdiktatorische Maßregel, gewiss, es handelt sich um eine Strafvollstreckung; aber man hat das beschriebene Verfahren aus Gründen angewendet und in einer Weise zur Ausführung gebracht, dass es den Stempel einer parteipolitischen Verfolgung in der schärfsten und verwerflichsten Form trägt. Sehr bemerkenswert ist, dass, wie ich weiß, dieses Vorgehen stattgefunden hat, nachdem die Berliner Geheimpolizei dem Oberkommando in den Marken vom Auftreten der Frau Luxemburg in einigen Versammlungen Kenntnis gegeben hatte. (Hört! hört! bei den Soz.) Das Oberkommando in den Marken als die höchste militärdiktatorische Institution der Mark Brandenburg hat die Staatsanwaltschaft, die ihr ja in diesen Zeiten als Verwaltungsorgan untergeben ist, angewiesen, gegen Frau Luxemburg einzuschreiten, einzuschreiten wegen der Versammlungen, wegen ihrer politischen Tätigkeit. (Hört! hört! bei den Soz.) Nun ein Beispiel, wie prompt die Spitzelei funktioniert, die hier im Dienst der Justiz und damit im trauten Verein der Militärdiktatur stand! Am 10. Februar hat Frau Luxemburg in Charlottenburg in einer geschlossenen Mitgliederversammlung gesprochen. Schon am 13. Februar war daraufhin in Frankfurt am Main die Verfügung erlassen, sie nunmehr in Haft zu bringen. Es war also im Verlaufe von drei Tagen oder vielmehr von zwei Tagen - die Versammlung hatte ja erst am Abend des 10. Februar stattgefunden - von dem Spitzel, der in der Versammlung gewesen sein muss, und für den Sie jetzt den Etat bewilligen werden, die Nachricht an das Polizeipräsidium, von diesem an das Oberkommando und vom Oberkommando nach Frankfurt a. M. gegeben, und von dort ist die Verfügung getroffen worden. So prompt funktioniert die Technik des preußischen Staates zur politischen Unterdrückung der Bevölkerung auch heute, zur Zeit des "Burgfriedens"! Hier hat sich der Mechanismus des preußischen Staates fast noch bewundernswerter erprobt als in den Gebieten, von denen hier in den letzten Tagen so viel Rühmens gemacht wurde.

Man soll mir nicht sagen, Frau Dr. Luxemburg sei in Haft genommen worden, weil sie, nachdem sie Versammlungen gehalten hat, nicht mehr krank gewesen sei. Meine Herren, zunächst weiß ich, dass sie nur unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte obwohl krank, sich bemüht hat, ihre Parteipflicht im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse des ganzen internationalen Proletariats zu erfüllen. Aber, meine Herren, wer will uns denn etwa glauben machen, dass diese Maßnahmen unabhängig gewesen seien von dem, was sie gesagt hat? (Sehr wahr! bei den Soz.) Der parteipolitische Inhalt dessen, was sie gesagt hat, war bestimmend für die Behörden, die "keine Parteien mehr kennen". Hätte sie die heute übliche Marktware von sogenanntem Patriotismus verzapft, so wäre ihr nicht nur dieser überraschende Überfall erspart worden, sondern es wäre ihr wahrscheinlich sogar die Amnestie aufgenötigt worden. (Sehr wahr! bei den Soz.) Aber, meine Herren, sie hat eben unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft sich bemüht, in proletarisch-sozialistischem Sinne gegen den wahnwitzigen Völkermord zu wirken. Das passt den herrschenden Gewalten nicht, und deshalb wurde zugepackt.

Wohl das Schlimmste aber ist, dass man sich nicht begnügt hat, meine Freundin Luxemburg in dieser Weise zu fassen, sondern dass man noch versucht, ihr eine Brandmarkung zuteilwerden zu lassen, dass man ihre Ehre antasten möchte, indem man, aus durchsichtigen Gründen, geflissentlich behauptet, sie habe sich fluchtverdächtig gemacht. [...]

In der Tat lag die Sache so, dass die Militärbehörde besorgte, dass Frau Luxemburg im Ausland in einem den herrschenden deutschen Gewalten nicht erwünschten Sinne politisch tätig sein könne. Sage man das doch offen und ehrlich heraus, statt sich hinter solchen Paragraphenmasken zu verstecken. Wie für Ihre Wahlrechtsabsage, für die Aufrechterhaltung der Ausnahmerechte, wie für Ihre Verweigerung jeder inneren Reform es nur ein Gegenstück gibt, nämlich die politische Unbelehrbarkeit und Volksfeindlichkeit der zaristischen Regierung, so bildet dieses Verfahren gegen meine Freundin Luxemburg ein Gegenstück zu den Verhaftungen der russischen Dumaabgeordneten, unserer bewunderungswürdigen Freunde im Kampfe für die Völkerfreiheit und für die Wiederherstellung des Völkerfriedens, die mit uns gemeinsam - jeder in seinem eigenen Lande - sich bemühen, in unversöhnlicher Opposition gegen die eigene Regierung dem Wohl des eigenen Volkes und dem Wohl der anderen Völker, dem Wohle des internationalen Proletariats, dem Wohle der Menschheit zu dienen. Und so gewiss die Verhaftung der Dumaabgeordneten dazu geführt hat, dass in Russland selbst Hunderttausenden Verblendeter die Augen geöffnet wurden, so sind wir überzeugt, dass auch das Verfahren gegen unsere Genossin Luxemburg gar manchen Träumer aufgescheucht hat (Sehr richtig! bei den Soz.), und dass es den Kampf für ein freies Preußen fordern wird und den Kampf für die Beendigung des Völkermassenmords. (Bravo! bei den Soz.).

Quelle: Karl Liebknecht: Reden und Aufsätze, Verlag der Kommunistischen Internationale (1921)

Anmerkung

[1] Rosa Luxemburg auf einer Antikriegsdemonstrationen in Fechenheim bei Frankfurt (Main) am 25. September 1913: "Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: ‚Nein, das tun wir nicht!‘". Rosa Luxemburg wurde daraufhin der "Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit" angeklagt und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ihre Rede vor der Frankfurter Strafkammer am 20. Februar 1914 wurde unter dem Titel "Militarismus, Krieg und Arbeiterklasse" veröffentlicht. - Red.