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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Zu Erich Honeckers 100. Geburtstag

Auszug aus: Erich Honecker: Letzte Aufzeichnungen

 

Es folgt ein Auszug aus: Erich Honecker: Letzte Aufzeichnungen, Für Margot, edition ost 2012.

Erich Honecker wurde am 25. August 1912 geboren. Er starb am 29. Mai 1994 in Santiago de Chile im Exil.

 

11. August:

Was hat dieser Gorbatschow nur für ein Gewissen? Ich kann mich an den Perestroika-Kleinbürger noch gut erinnern, als er mir seine Strategie und Taktik erläuterte und die Rolle, die seine Frau Raissa dabei spielen sollte. Und daran, wie er im Kreis der Generalsekretäre ängstlich darauf bedacht war, von uns gelobt und geliebt zu werden. Sein Ansehen war ihm immer wichtig. Einmal habe ich ihn zu beruhigen versucht, weil er im Selbstzweifel war. Ihm war der Beifall aus dem Westen allerdings wichtiger.

Mit ihm ging erst seine Funktion, dann die ganze KPdSU verloren. Jetzt lebt er von seinen Geldgebern, der Dollar wiegt nun mal schwerer als der Rubel. Alle kalten Krieger von Reagan bis Bush stellen sich schützend vor ihn. Gorbatschow hat offenbar nicht bemerkt, wie er zum Schuft wurde.

Eine Konföderation mit der BRD wäre in jedem Fall besser gewesen, um Gorbatschows "Abmachung" à la Kohl zu verhindern.

Ein Wort noch zu den 40 Jahren DDR. Die 40 Jahre waren nicht nur SED, das waren ja auch 40 Jahre CDU, LDPD, NDPD, DBD, das waren Götting und Gerlach und Homann und Goldenbaum. Goldenbaum war der DDR treu, Gerlach war es schon 1949 nicht, ganz zu schweigen von der Zeit davor. Man sollte der KPD und der SED danken, dass sie nach 1945 zur Stelle waren. Nur ein Pieck konnte mit J. W. Stalin sprechen, bei ihm intervenieren. Er hat es getan, ich weiß es. Die deutschen Kommunisten waren nicht verantwortlich für die sowjetischen Ungeheuerlichkeiten und nicht für die faschistischen Verbrechen, das waren Hitler, Göring, Goebbels, Heß, diese ganze braune Pest. Sie haben die Welt in den Krieg gepeitscht – sie sind in die Sowjetunion wie die Barbaren eingefallen. Die Deutschen hatten allen Grund, der SED zu vertrauen, sie war die einzige Partei, die sie aus den Trümmern führte. Ja, man muss es klar sagen, die deutschen Kommunisten unter Führung von Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht und die deutschen Sozialdemokraten unter Führung von Otto Grotewohl und Max Fechner haben nach der Befreiung 1945 in der sowjetischen Besatzungszone mit Hilfe der Roten Armee den Weg in eine menschliche Zukunft gebahnt. Was wäre aus Europa ohne die Gründung der DDR und deren Einfluss geworden? Diese Frage sollte man sich stellen und ehrlich beantworten, bevor man die DDR verteufelt.

Der heutigen Meldung über den Krieg in Jugoslawien werden schon bald die ersten Anzeigen folgen: Mein Sohn, unser Sohn ist gefallen. Zweieinhalb Jahre nach der Annexion der DDR, das geht schneller als nach dem Anschluss des Saarlandes an das "Reich" 1935. Da dauerte es noch vier Jahre bis zum Beginn des Krieges. Alles Dinge zum Überlegen. Aber wer überlegt heute schon? Einige vielleicht. Es ist eine Minderheit.

Wenige merken, dass der Prozess gegen die Partei- und Staatsführung der DDR ein Teil der Kriegsvorbereitung ist. Wird zum Schluss etwas von Deutschland übrig bleiben? Bei einem Dritten Weltkrieg wohl nichts mehr. (S. 37-38)

 

Aus der Rede vor Gericht:

(...) die Entscheidung, die Sie für richtig halten, hätte Tausende oder Millionen Tote zur Folge gehabt.

Das war und das ist meine Überzeugung und, wie ich annehme, auch die Überzeugung meiner Genossen. Wegen dieser politischen Überzeugung stehen wir hier vor Ihnen. Und wegen Ihrer andersartigen politischen Überzeugung werden Sie uns verurteilen.

Wie und warum es zum Bau der Mauer gekommen ist, interessiert die Staatsanwaltschaft nicht. Kein Wort steht darüber in der Anklage. Die Ursachen und Bedingungen werden unterschlagen, die Kette der historischen Ereignisse wird willkürlich zerrissen. Erich Honecker hat die Mauer gebaut und aufrechterhalten. Basta. So einfach vermag der bundesdeutsche Jurist die Geschichte zu sehen und darzustellen. Hauptsache, der Kommunist wird zum Kriminellen gestempelt und als solcher verurteilt.

Dabei kann doch jeder Deutsche wissen, wie es zur Mauer kam und warum dort geschossen wurde. Da die Anklage so tut, als sei es dem Sozialismus eigen, Mauern zu bauen und daran Menschen erschießen zu lassen, und als trügen solche ‚verbrecherischen’ Einzelpersonen wie ich und meine Genossen dafür die Verantwortung, muss ich, ohne Historiker zu sein, die Geschichte, die zur Mauer führte, rekapitulieren.

Der Ursprung liegt weit zurück. Er beginnt mit der Entstehung des Kapitalismus und des Proletariats. Der unmittelbare Beginn des Elends der deutschen Geschichte der Neuzeit ist das Jahr 1933. 1933 haben bekanntlich sehr viele Deutsche in freien Wahlen die NSDAP gewählt, und der Reichspräsident Hindenburg, der schon 1932 ebenfalls frei gewählt worden war, hat Adolf Hitler dann ganz demokratisch zum Reichskanzler berufen. Anschließend haben die politischen Vorläufer unserer etablierten Parteien mit Ausnahme der SPD dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt, das Hitler diktatorische Vollmachten verlieh. Nur die Kommunisten hatten vor den Wahlen gesagt: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg."

Bei der Abstimmung zum Ermächtigungsgesetz waren die kommunistischen Abgeordneten bereits aus dem Reichstag entfernt. Viele Kommunisten waren inhaftiert oder lebten illegal. Schon damals begann mit dem Verbot der Kommunisten der Untergang der Demokratie in Deutschland.

Kaum war Hitler Reichskanzler, erlebte Deutschland sein erstes Wirtschaftswunder. Die Arbeitslosigkeit wurde überwunden, die Anrechtsscheine auf Volkswagen wurden verkauft, die kochende Volksseele führte zur Vertreibung der Juden. Das deutsche Volk war in seiner Mehrheit glücklich und zufrieden.

Als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war und die Fanfaren die Siege in den Blitzkriegen gegen Polen, Norwegen, Dänemark, Belgien, Holland, Luxemburg, Frankreich, Jugoslawien und Griechenland vermeldeten, kannte die Begeisterung keine Grenzen. Die Herzen fast aller Deutschen schlugen für ihren Kanzler, für den größten Führer aller Zeiten. Kaum einer dachte daran, dass das Tausendjährige Reich nur zwölf Jahre bestehen würde.

Nachdem 1945 alles in Scherben lag, gehörte nicht die ganze Welt Deutschland (wie es in einem bekannten Nazilied vorausgesungen wurde), sondern Deutschland gehörte den Alliierten. Deutschland war in vier Zonen geteilt. Freizügigkeit gab es nicht. Dieses Menschenrecht galt damals bei den Alliierten noch nicht. Es galt nicht einmal für die deutschen Emigranten, die wie Gerhart Eisler aus den USA nach Deutschland zurückkehren wollten.

In den USA gab es damals Pläne (z. B. den Morgenthauplan), Deutschland für dauernd in mehrere Staaten aufzuteilen. Diese Pläne gaben Stalin Veranlassung zu seinem oft zitierten Satz: ‚Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk und der deutsche Staat bleiben.’ Die damals von der UdSSR angestrebte Erhaltung der Einheit Deutschlands kam jedoch nicht zustande.

Deutschland wurde im Ergebnis des 1947 von den USA ausgerufenen Kalten Krieges auf dem Wege über die Bildung der Bizone, der Trizone, die separate Währungsreform und schließlich die Bildung der Bundesrepublik im Mai 1949 für lange Zeit zweigeteilt. Diese Teilung war, wie die zeitliche Abfolge beweist, nicht das Werk der Kommunisten, sondern das Werk der westlichen Alliierten und Konrad Adenauers. Die Bildung der DDR war eine zeitliche und logische Folge der Bildung der BRD.

Nunmehr existierten zwei deutsche Staaten nebeneinander. Die BRD war jedoch nicht gewillt, die DDR anzuerkennen und mit ihr friedlich zu leben. Sie erhob vielmehr für ganz Deutschland und alle Deutschen den Alleinvertretungsanspruch. Sie verhängte mit Hilfe ihrer Verbündeten über die DDR ein Wirtschaftsembargo und versuchte so, die DDR wirtschaftlich und politisch zu isolieren. Es war eine Politik der nichtkriegerischen Aggression, die die BRD gegen die DDR führte. Es war dies die Form des Kalten Krieges auf deutschem Boden. Es war die Politik, die zur Mauer führte.

Nachdem die BRD der NATO beigetreten war, schloss sich die DDR dem Warschauer Vertrag an. Damit standen sich beide deutsche Staaten als Mitglieder feindlicher Militärbündnisse feindlich gegenüber. Die BRD war der DDR nach der Zahl ihrer Bevölkerung, nach ihrer Wirtschaftskraft und nach ihren politischen und ökonomischen Verbindungen in vielfacher Hinsicht überlegen. Die BRD hatte durch den Marshallplan und durch geringere Reparationsleistungen weniger an den Kriegsfolgen zu tragen. Sie hatte mehr Naturreichtümer und ein größeres Territorium. Sie nutzte diese vielfache Überlegenheit gegenüber der DDR in jeder Hinsicht, besonders aber dadurch aus, dass sie DDR-Bürgern materielle Vorteile versprach, wenn sie ihr Land verließen.

Viele DDR-Bürger erlagen dieser Versuchung und taten das, was die Politiker der BRD von ihnen erwarteten: Sie ‚stimmten mit den Füßen ab’. Der wirtschaftliche Erfolg verlockte die Deutschen nach 1945 nicht weniger, als er sie nach 1933 verlockt hatte.

Die DDR und die mit ihr verbündeten Staaten des Warschauer Vertrages gerieten in eine schwierige Situation. Die Politik des Rollback schien in Deutschland zum Erfolg zu führen. Die NATO schickte sich an, ihren Einflussbereich bis an die Oder zu erweitern.

Durch diese Politik entstand 1961 eine Spannungssituation in Deutschland, die den Weltfrieden gefährdete. Die Menschheit stand am Rande eines Atomkrieges. In dieser Situation also beschlossen die Staaten des Warschauer Vertrages den Bau der Mauer.

Niemand fasste diesen Entschluss leichten Herzens. Er trennte nicht nur Familien, sondern er war auch ein Zeichen einer politischen und wirtschaftlichen Schwäche des Warschauer Vertrages gegenüber der NATO, die nur mit militärischen Mitteln ausgeglichen werden konnte.

Bedeutende Politiker außerhalb Deutschlands, aber auch in der BRD, erkannten nach 196l an, dass der Bau der Mauer die Weltlage entspannt hatte. Franz Josef Strauß schrieb in seinen Erinnerungen: ‚Mit dem Bau der Mauer war die Krise, wenn auch in einer für die Deutschen unerfreulichen Weise, nicht nur aufgehoben, sondern eigentlich auch abgeschlossen.’ Vorher hat er über den geplanten Atombombenabwurf im Gebiet der DDR berichtet.

Aus meiner Sicht hätte es weder den Grundlagenvertrag noch Helsinki noch die Einheit Deutschlands gegeben, wenn damals die Mauer nicht gebaut oder wenn sie vor der Beendigung des Kalten Krieges abgerissen worden wäre. Deswegen meine ich, dass ich genauso wie meine Genossen nicht nur keine juristische, sondern auch keine politische und keine moralische Schuld auf mich geladen habe, als ich zur Mauer ja sagte und dabei blieb.

(S. 156-159, Persönliche Erklärung von Erich Honecker vor dem Berliner Landgericht am 3. Dezember 1992)

 

Mit "Vor 19 Jahren: Die letzten Aufzeichnungen Erich Honeckers" hatte Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolff das Buch, aus dem wir hier zitierten, in den "Mitteilungen", Heft 4/2012, S. 27ff, rezensiert.

 

Dr. Friedrich Wolff beging am 30. Juli 2012 seinen 90. Geburtstag. Dazu gratulieren die "Mitteilungen" ihrem Autor sehr herzlich.

 

Fidel Castro Ruz: Haltungen, die nicht vergessen werden – Haltungen, die man nicht vergisst

Der revolutionärste Deutsche, den ich je kennen gelernt habe, war Erich Honecker.

Jeder Mensch lebt in seiner Zeit und Epoche. Die jetzige ist unendlich wechselhaft, wenn man sie mit jeglicher vorheriger vergleicht. Ich hatte das Privileg, sein Verhalten zu beobachten, als er bitterlich die von jenem eingegangene Schuld abbezahlte, welcher seine Seele für einige wenige Milliliter Wodka dem Teufel verkauft hatte.

Ich bewahre Honecker gegenüber ein Gefühl der im höchsten Grade tiefgründigen Solidarität.

Reflexionen des Genossen Fidel (in der von der Botschaft Kubas in Deutschland verbreiteten Übersetzung), 11. Juni 2012, 15:17 Uhr