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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Yes, Your Honour – and proud of it!

Walter Kaufmann, Berlin

 

Wir hatten befürchtet, es nicht zu schaffen. Die Winde aber waren mit uns und die Dubbo machte schon gegen acht Uhr morgens im Hafen von Sydney fest. Eine Stunde später gingen wir geschlossen von Bord, vierzehn Mann, geschniegelt und gebügelt, und folgten unserem Bootsmann Lou Armstrong - der hatte dem Ersten kurz Bescheid gegeben, dass ein Matrose als Wachmann zur Verfügung stand, sich aber auf keine Diskussion eingelassen, und weg waren wir. Die Offiziere, auch Kapitän Wells, sahen uns mit steinernen Mienen nach, rührten sich aber nicht. Es war ein kühler sonniger Morgen im Herbst des Jahres 1954, das weiß ich noch, nicht aber wie der Weg vom Hafen zum Gerichtsgebäude verlief - auf den hatte ich nicht zu achten, den kannte Armstrong, und ich fühlte mich gut unter den Männern, zu denen ich gehörte, seit ich nicht mehr beim Harbour Trust war. Welch ein Unterschied - Decksmann auf einem namenlosen Schleppkahn oder Decksmann auf einem schmucken Fünfhunderttonner. Der Crew auf der Dubbo war ich seit dem Lunch Time Meeting an Bord kein Fremder gewesen, sie hatten meinen Roman Stimmen im Sturm in der Schiffsbibliothek und mich schon nach kurzer Zeit angenommen - einer, der schreibt, sich aber nicht zu schade ist, das Deck zu schrubben, Rost zu klopfen, Aufbauten zu streichen, und am Ruder auf der Brücke den Kurs zu halten. Beim Harbour Trust hatte ich nichts dergleichen zu tun gehabt, und die vermeintliche Knochenarbeit mit dem Schwungrad war zu schaffen gewesen - bloß, recht eigentlich unter Seeleuten war ich auf dem Schleppkahn nie, im Grunde waren es einsame Monate, denn der zweite Decksmann mit Namen Pit, den alle Pity riefen, war ein spindeldürres Kerlchen von fünfzig, maulfaul und mürrisch. Zeit zum Nachdenken übers Schreiben hatte ich die Menge, denn die Fahrten vom Bagger ins offene Meer waren lang. Es war ein Dasein an frischer Luft, doch alles andere als gesellig - zugehörig fühlte ich mich erst, seit ich auf der Dubbo fuhr. Und heute, im frischen Herbstwind auf dem Weg zum Gericht, gab es mir Auftrieb, als Mann unter Männern zu sein - gewienertes Schuhwerk, gebügelte Hose, frisches weißes Hemd, und im Revers der Jacke das kleine golden wheel der australischen Seeleutegewerkschaft.

Wir waren früh vor Ort und unter den ersten, die ins Gerichtsgebäude gelangten. Nicht lange später war der Zuschauerraum bis auf den letzten Platz belegt, drängten sich an die fünfzig Seeleute auf den Bänken und reckten die Hälse. Um zehn genau betraten die Richter der Royal Commission den Saal und die Anhörung Bill Birds, den ein abtrünniger Diplomat der sowjetischen Botschaft namens Petrow bei den australischen Behörden der Spionage für Moskau bezichtigt hatte, setzte ein. Er wurde in den Zeugenstand gerufen, wir sahen ihn vor den Schranken stehen, hörten ihn den Richtern seinen Namen sagen und bestätigen, er leite die Seeleutegewerkschaft von Victoria. Von den Fragen, die folgten, aber beantwortete er nur eine: "Waren Sie und sind Sie noch Mitglied der Kommunistischen Partei Australiens?" Er dehnte die Schultern, dass sein Anzug sich straffte, und sagte: "Yes." Was dem Vorsitzenden nicht passte, der wollte mit "Your Honour" angesprochen werden. Bill Bird setzte neu an. "Yes, Your Honour - and proud of it!" hörten wir ihn sagen und dann verstummte er. Wann und wo er dem Zeugen Petrow begegnet, wann und wie oft er in der Sowjetunion gewesen, wie und mit wem er dorthin gereist sei, welche Auskünfte er in Moskau erteilt und was für Unterlagen er dort überreicht hätte - Bill Bird verweigerte die Aussage. Bis es dem Vorsitzenden reichte und er anordnete, ihn festzunehmen. Die Reaktion im Zuschauerraum war hart und plötzlich. Die Seeleute sprangen auf, durchbrachen die Schranken, hoben Bill Bird aus dem Zeugenstand und trugen ihn auf den Schultern aus dem Gebäude. Weder Gerichtsdiener noch Wachmänner wagten einzugreifen, sie wagten sich auch nicht auf die Straße, wo laut durch ein Sprachrohr zu hören war, dass auch nicht ein Schiff den Hafen von Sydney verlassen würde, sollte Bill Bird verhaftet werden. "Hands off Bill Bird!" Ich sah ihn zwischen den Männern stehen, sah ihn die Hände zu einem Trichter formen, doch was er rief, ging unter im Stimmengewirr - es erklärte sich, als es durch das Sprachrohr schallte: "All hands to the Domain", und sich alle in Bewegung setzten, um Bill Bird wie ein Mann in die Innenstadt zu folgen, wo auf dem Gelände im Park ein Stop-Work-Meeting angesetzt war - mein erstes, aber nicht das letzte, das ich als australischer Seemann erlebte.

Aus der Autobiographie "Im Fluss der Zeit" (Dittrich Verlag 2010, ISBN 978-3-937717-45-6, 293 Seiten, gebunden, 19,80 € ). Der in Berlin geborene Autor - australischer Staatsbürger, Seemann, in seiner späteren Heimat DDR sehr bekannter Schriftsteller und Generalsekretär des PEN-Zentrums der DDR - wird 2014, am 19. Januar, 90 Jahre alt.

Rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse 2013 ist im Prospero Verlag Münster Walter Kaufmanns jüngster Erzählungsband erschienen: "Schade, dass du Jude bist - Kaleidoskop eines Lebens", 353 Seiten, 17,95 Euro.