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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Wladimir Iljitsch Lenin starb am 21. Januar 1924

Auszüge aus zwei seiner Werke

Aus: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Gemeinverständlicher Abriß (1917)

[...] Der Imperialismus erwuchs als Weiterentwicklung und direkte Fortsetzung der Grundeigenschaften des Kapitalismus überhaupt. Zum kapitalistischen Imperialismus aber wurde der Kapitalismus erst auf einer bestimmten, sehr hohen Entwicklungsstufe, als einige seiner Grundeigenschaften in ihr Gegenteil umzuschlagen begannen, als sich auf der ganzen Linie die Züge einer Übergangsperiode vom Kapitalismus zu einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation herausbildeten und sichtbar wurden. Ökonomisch ist das Grundlegende in diesem Prozeß die Ablösung der kapitalistischen freien Konkurrenz durch die kapitalistischen Monopole. Die freie Konkurrenz ist die Grundeigenschaft des Kapitalismus und der Warenproduktion überhaupt; das Monopol ist der direkte Gegensatz zur freien Konkurrenz, aber diese begann sich vor unseren Augen zum Monopol zu wandeln, indem sie die Großproduktion schuf, den Kleinbetrieb verdrängte, die großen Betriebe durch noch größere ersetzte, die Konzentration der Produktion und des Kapitals so weit trieb, daß daraus das Monopol entstand und entsteht, nämlich: Kartelle, Syndikate, Trusts und das mit ihnen verschmelzende Kapital eines Dutzends von Banken, die mit Milliarden schalten und walten. Zugleich aber beseitigen die Monopole nicht die freie Konkurrenz, aus der sie erwachsen, sondern bestehen über und neben ihr und erzeugen dadurch eine Reihe besonders krasser und schroffer Widersprüche, Reibungen und Konflikte. Das Monopol ist der Übergang vom Kapitalismus zu einer höheren Ordnung.

Würde eine möglichst kurze Definition des Imperialismus verlangt, so müßte man sagen, daß der Imperialismus das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist. Eine solche Definition enthielte die Hauptsache, denn auf der einen Seite ist das Finanzkapital das Bankkapital einiger weniger monopolistischer Großbanken, das mit dem Kapital monopolistischer Industriellenverbände verschmolzen ist, und auf der anderen Seite ist die Aufteilung der Welt der Übergang von einer Kolonialpolitik, die sich ungehindert auf noch von keiner kapitalistischen Macht eroberte Gebiete ausdehnt, zu einer Kolonialpolitik der monopolistischen Beherrschung des Territoriums der restlos aufgeteilten Erde.

Doch sind allzu kurze Definitionen zwar bequem, denn sie fassen das Wichtigste zusammen, aber dennoch unzulänglich, sobald aus ihnen speziell die wesentlichen Züge der zu definierenden Erscheinung abgeleitet werden sollen. Deshalb muß man - ohne zu vergessen, daß alle Definitionen überhaupt nur bedingte und relative Bedeutung haben, da eine Definition niemals die allseitigen Zusammenhänge einer Erscheinung in ihrer vollen Entfaltung umfassen kann - eine solche Definition des Imperialismus geben, die folgende fünf seiner grundlegenden Merkmale enthalten würde: 1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses "Finanzkapitals"; 3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet. Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist. […] (Abschnitt "VII. Der Imperialismus als besonderes Stadium des Kapitalismus")

[...] Dadurch, daß die Kapitalisten eines Industriezweiges unter vielen anderen oder eines Landes unter vielen anderen usw. hohe Monopolprofite herausschlagen, bekommen sie ökonomisch die Möglichkeit, einzelne Schichten der Arbeiter, vorübergehend sogar eine ziemlich bedeutende Minderheit der Arbeiter zu bestechen und sie auf die Seite der Bourgeoisie des betreffenden Industriezweiges oder der betreffenden Nation gegen alle übrigen hinüberzuziehen. Diese Tendenz wird durch den verschärften Antagonismus zwischen den imperialistischen Nationen wegen der Aufteilung der Welt noch verstärkt. So entsteht der Zusammenhang von Imperialismus und Opportunismus, der sich am frühesten und krassesten in England auswirkte, weil dort gewisse imperialistische Züge der Entwicklung bedeutend früher als in anderen Ländern zutage traten. […] Am gefährlichsten sind in dieser Hinsicht Leute, die nicht verstehen wollen, daß der Kampf gegen den Imperialismus eine hohle, verlogene Phrase ist, wenn er nicht unlöslich verknüpft ist mit dem Kampf gegen den Opportunismus. […] (Abschnitt "X. Der Platz des Imperialismus in der Geschichte")

Geschrieben Januar-Juni 1916. Quelle: W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Bücherei des Marxismus-Leninismus, Dietz Verlag Berlin 1975, S. 93-135.

Aus: Der "Linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus (1920)

[...] Theoretisch gilt es für Marxisten als durchaus feststehend und durch die Erfahrungen aller europäischen Revolutionen und revolutionären Bewegungen vollauf bestätigt, daß der Kleineigentümer, der Kleinbesitzer (ein sozialer Typus, der in vielen europäischen Ländern sehr weit, ja massenhaft verbreitet ist), weil er unter dem Kapitalismus ständiger Unterdrückung und sehr oft einer unglaublich krassen und raschen Verschlechterung der Lebenshaltung und dem Ruin ausgesetzt ist, leicht in extremen Revolutionarismus verfällt, aber nicht fähig ist, Ausdauer, Organisiertheit, Disziplin und Standhaftigkeit an den Tag zu legen. Der durch die Schrecken des Kapitalismus "wild gewordene" Kleinbürger ist eine soziale Erscheinung, die ebenso wie der Anarchismus allen kapitalistischen Ländern eigen ist. Die Unbeständigkeit dieses Revolutionarismus, seine Unfruchtbarkeit, seine Eigenschaft, schnell in Unterwürfigkeit, Apathie und Phantasterei umzuschlagen, ja sich von dieser oder jener bürgerlichen Modeströmung bis zur "Tollheit" fortreißen zu lassen - all das ist allgemein bekannt. Aber die theoretische, abstrakte Anerkennung dieser Wahrheiten bewahrt die revolutionären Parteien noch keineswegs vor den alten Fehlern, die stets aus unerwarteten Anlässen, in etwas neuer Form, in früher noch nicht gekannter Verhüllung oder Umgebung, unter originellen - mehr oder weniger originellen - Umständen auftreten.

Der Anarchismus war nicht selten eine Art Strafe für die opportunistischen Sünden der Arbeiterbewegung. Beide Auswüchse ergänzten einander. […]

Kompromisse "prinzipiell" abzulehnen, jedwede Zulässigkeit von Kompromissen, welcherart sie auch seien, schlechthin zu verneinen, ist eine Kinderei, die man schwerlich ernst nehmen kann. Ein Politiker, der dem revolutionären Proletariat nützlich sein möchte, muß es verstehen, die konkreten Fälle gerade solcher Kompromisse herauszugreifen, die unzulässig sind, in denen Opportunismus und Verrat ihren Ausdruck finden, die ganze Wucht der Kritik, die ganze Schärfe der schonungslosen Entlarvung und des unversöhnlichen Krieges gegen diese konkreten Kompromisse zu richten und den gerissenen "geschäftstüchtigen" Sozialisten und parlamentarischen Jesuiten nicht zu erlauben, sich durch Betrachtungen über "Kompromisse schlechthin" herauszuwinden und der Verantwortung zu entziehen. […] (Abschnitt "IV. Im Kampf mit welchen Feinden innerhalb der Arbeiterbewegung hat sich der Bolschewismus entwickelt, gekräftigt und gestählt?")

[...] Gerade die absurde "Theorie", wonach sich die Kommunisten an den reaktionären Gewerkschaften nicht beteiligen dürfen, zeigt am deutlichsten, wie leichtfertig sich diese "linken" Kommunisten zur Frage der Beeinflussung der "Massen" verhalten und wie sie mit ihrem Geschrei von den "Massen" Mißbrauch treiben. Will man der "Masse" helfen und sich die Sympathien, die Zuneigung, die Unterstützung der "Masse" erwerben, so darf man sich nicht fürchten vor Schwierigkeiten, darf man sich nicht fürchten vor den Schikanen, den Fußangeln, den Beleidigungen und Verfolgungen seitens der "Führer" (die als Opportunisten und Sozialchauvinisten in den meisten Fällen direkt oder indirekt mit der Bourgeoisie und der Polizei in Verbindung stehen) und muß unbedingt dort arbeiten, wo die Massen sind. Man muß jedes Opfer bringen und die größten Hindernisse überwinden können, um systematisch, hartnäckig, beharrlich, geduldig gerade in allen denjenigen - und seien es auch die reaktionärsten - Einrichtungen, Vereinen und Verbänden Propaganda und Agitation zu treiben, in denen es proletarische oder halbproletarische Massen gibt. […]

Millionen von Arbeitern [...] gehen zum erstenmal von der vollständigen Unorganisiertheit zur elementaren, untersten, einfachsten (für diejenigen, die noch durch und durch von bürgerlich-demokratischen Vorurteilen erfüllt sind), zugänglichsten Organisationsform, nämlich zu den Gewerkschaften über, während die revolutionären, jedoch unvernünftigen linken Kommunisten danebenstehen, "Masse! Masse!" schreien - und sich weigern, innerhalb der Gewerkschaften zu arbeiten!! Sie tun das unter dem Vorwand, die Gewerkschaften seien "reaktionär"!!, und klügeln eine nagelneue, blitzsaubere "Arbeiter-Union" aus, die unbefleckt ist von bürgerlich-demokratischen Vorurteilen und frei von den Sünden zünftlerischer, eng beruflicher Beschränktheit, eine "Arbeiter-Union", die angeblich eine Massenorganisation werden (werden!) soll und die als Aufnahmebedingung nur (nur!) die "Anerkennung des Rätesystems und der Diktatur" (siehe die oben angeführte Stelle) fordert!!

Einen schlimmeren Unverstand, einen größeren Schaden für die Revolution, als ihn die "linken" Revolutionäre anrichten, kann man sich gar nicht ausdenken! […] (Abschnitt "VI. Sollen Revolutionäre in den reaktionären Gewerkschaften arbeiten?")

Geschrieben April-Mai 1920. Quelle: Ausgewählte Werke III, Dietz Verlag Berlin 1965, S. 400-424.