Wirtschaftsausschuß verwässert Kritik an europäischer Steuerpolitik
Sahra Wagenknecht, MdEP, Brüssel
Der Wirtschaftsausschuß des Europäischen Parlaments hat in seiner heutigen Abstimmung über meinen Bericht die Chance vertan, ein klares kritisches Votum zur derzeitigen Steuerpolitik der EU abzugeben.
Wie sich bereits in den Verhandlungen mit den anderen Fraktionen abgezeichnet hatte, konnten in einigen Fragen zwar annehmbare Kompromisse erzielt werden: Beispielsweise wird der Trend zu immer höheren Mehrwertsteuersätzen mit Verweis auf die negativen Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Konsumnachfrage vom Ausschuß kritisiert. Auch hinsichtlich der Notwendigkeit, Steuern auf Arbeitseinkommen zu senken, gibt es einen breiten Konsens. Es fehlt auch nicht an der Erkenntnis, daß Strategien der Steuervermeidung bzw. des Steuerdumpings durch die Existenz von 27 verschiedenen Steuersystemen begünstigt werden und daß eine stärkere Koordination der Fiskalpolitik in der EU erforderlich wäre. Und selbst Konservative und Liberale erkennen an, daß die „Notwendigkeit zur Vermehrung von Humankapital in einer wissensbasierten Gesellschaft zu einem Anstieg der öffentlichen Ausgaben führt.“
Auf der anderen Seite hat sich jedoch erneut gezeigt, daß eine große Mehrheit im ECON nicht bereit ist, dem Trend zu sinkenden Unternehmenssteuern und verbreiteter Steuerflucht entgegenzuwirken oder über Maßnahmen zur Erhöhung von Steuern auf Vermögen oder Finanztransaktionen auch nur ernsthaft nachzudenken. So wurden alle meine Vorschläge, die Vermögensbesitzer und Konzerne stärker zur Kasse zu bitten, im Ausschuß abgeschmettert. Der europaweite Steuerwettbewerb, der zu milliardenschweren Einnahmeausfällen der europäischen Länder führt, wird unverändert schöngeredet. Man ist zwar dafür, eine einheitliche konsolidierte Bemessungsgrundlage einführen. Schritte zur Angleichung von Steuersätzen auf einem oberen Niveau werden dagegen konsequent abgelehnt. Die Aussage, daß man für eine faire Verteilung der Steuerbelastung zwischen Arbeitnehmern, Konsumenten, Unternehmen und Vermögensbesitzern eintritt, kann vor diesem Hintergrund nur als leere Phrase gewertet werden, die von dem tatsächlichen Trend – der Umverteilung der Steuerlast von Unternehmen und Vermögensbesitzern auf Beschäftigte und Verbraucher – ablenken soll.
Aus all diesen Gründen habe ich heute im Wirtschaftsausschuß gegen meinen eigenen Bericht gestimmt. Die entscheidende Abstimmung im Plenum wird im November stattfinden. Wir werden dort unsere Positionen noch einmal einbringen und hoffen, daß das Plenum die Ausschußentscheidung korrigieren wird.
Presseerklärung vom 9. Oktober 2007 zur Abstimmung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung im Europaparlament über den Bericht zum Beitrag der Steuer- und Zollpolitik zur Lissabon-Strategie