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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Wiederbelebtes Bündnis (II)

Karin Leukefeld, jW vom 6. Mai 2014, S. 10/11

Spätestens seit 2006 verstärken Russland und Syrien ihre zu Sowjetzeiten entwickelten Beziehungen. Im Kampf gegen eine unipolare, von den USA bestimmte Welt koordinieren beide Länder ihre Interessen

(Fortsetzung von Heft 6/2014) Mit der Jahrtausendwende verstärkte sich die syrisch-russische Kooperation wieder. Wladimir Putin war 1999 Ministerpräsident und 2000 Präsident der Russischen Föderation geworden. Ebenfalls 2000 folgte Baschar Al-Assad in Syrien seinem verstorbenen Vater Hafis als Präsident. Die frühere Intensität der alten Beziehungen wurde wiederbelebt. 2006 gewährte Russland Syrien einen großzügigen Schuldenerlass aus der Zeit der UdSSR. Von 13,4 Milliarden wurden 9,6 Milliarden US-Dollar erlassen. Gleichzeitig wurde Moskau größter Rüstungslieferant für Syrien. Um das »strategische Gleichgewicht in der Region nicht zu stören«, werde man »nur Waffen zur Verteidigung liefern«, argumentierte Außenminister Lawrow.

Seine westlichen Kritiker betonen hingegen bis heute die strategische Bedeutung des Hafens Tartus für mögliche russische Expansionswünsche im östlichen Mittelmeer. 2008 erklärten russische Beamte, daß der Stützpunkt Tartus für eine dauerhafte Marinepräsenz renoviert werde. An den vorhandenen zwei Kais ist seitdem Platz für vier mittelgroße Schiffe. Weitere Einrichtungen sind zwei schwimmfähige Kais, eine ebensolche Werkstatt, dazu kommen Lager und Kasernen. Die Zahl der dort stationierten Marinesoldaten wurde 2010 offiziell mit 50 angegeben. Als die US-Administration für Anfang September 2013 Damaskus mit einem Militärschlag wegen angeblichen Einsatzes von Giftgas durch die syrischen Streitkräfte drohte, schickte Russland zunächst sieben Kriegsschiffe vor die Küste. »Die Aufgabe sei kristallklar«, sagte Flottenadmiral Wiktor Tschirkow. Es gehe darum »die kleinste Bedrohung der Sicherheit des Staates (Syrien; K.L.) zu verhindern«. Moskau werde seine Mittelmeerflotte so weit aufstocken, wie »die Aufgabe es erfordert«. Russischen Medienberichten zufolge befinden sich aktuell 16 russische Marineschiffe im Mittelmeer. Keines davon hat in letzter Zeit den Hafen in Tartus angelaufen. Derzeit ist er Drehkreuz internationaler Hilfslieferungen für UN- und Rot-Kreuz- bzw. Roter-Halbmond-Organisationen in Syrien.

Moskaus Motiv in Syrien

Für Russland ging es bei den wieder aufgenommenen Beziehungen zu Syrien zunächst um die erneute Eröffnung von Märkten im Mittleren Osten. Seit der Auflösung der Sowjetunion war Moskaus Einfluss in Afrika und im Mittleren Osten von den USA und der EU sukzessive minimiert worden und hatte seinen wirtschaftlichen und militärischen Einfluss im Jemen, Sudan, Irak und in Libyen verloren. In Syrien sollte das nicht geschehen. Der Fund von großen Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer spielte dabei ebenso eine Rolle wie Pläne der Golfstaaten für eine Pipeline durch Syrien zum Mittelmeer in Richtung Europa. Nach den islamischen Aufständen in Tschetschenien 1999 wollte Moskau die radikalen Islamisten stoppen, die die Russische Föderation erschüttert hatten. Wie Syrien ist das eurasische Land ein multiethnischer und multireligiöser Staat, und Putin sah die Gefahr, dass islamistische Söldner vom Mittleren Osten durch den Kaukasus auch nach Moskau geschickt werden könnten.

Als nach den politischen Umbrüchen in Tunesien, Ägypten und nach dem Krieg in Libyen der politische Protest gegen das Assad-Regime in Syrien in eine bewaffnete Auseinandersetzung umschlug, ergriffen westliche Regierungen schnell Partei für die Opposition. Die USA und ihre Verbündeten – auch Deutschland – schlossen ihre Botschaften und brachen alle offiziellen Kontakte zum Assad-Regime ab. Mit den »Freunden Syriens« wurde ein politisches und wirtschaftliches Instrument geschaffen, mit dem die Opposition aufgebaut und auf allen Ebenen unterstützt werden sollte. Russland lehnte diese Entwicklung von Anfang an ab und blieb den »Freunden Syriens« fern. Außenminister Lawrow erläuterte die russische Position im Juni 2012: Experten hätten seit langem auf die wachsende Unzufriedenheit in den autoritär geführten Staaten in der arabischen Welt hingewiesen. Die Umbrüche dort seien – wie die Weltwirtschaftskrise – die »deutlichsten Anzeichen« dafür, dass »das neu entstandene internationale System in Turbulenzen« geraten sei. Zwei unterschiedliche Linien seien sichtbar geworden, wie auf die Entwicklungen international reagiert werde. Die einen wollten »den arabischen Völkern helfen, selbst ihr Schicksal zu bestimmen«, die anderen versuchten, »nach eigenem Ermessen neue politische Realitäten zu schaffen«.

Russland wählte den ersten Weg. Man stehe »auf der Seite der arabischen Völker in ihrem Bestreben nach einem besseren Leben, Demokratie und Wohlstand«, so Lawrow. Man sei aber »entschieden gegen die Anwendung von Gewalt«. Vielleicht besser als andere Staaten kenne Russland »den wahren Preis der Revolution«, die sozialen und wirtschaftlichen Niedergang, menschliche Opfer und Leiden mit sich bringe. Die »äußeren Akteure« müssten »alles in ihren Kräften Stehende unternehmen, um das Blutvergießen zu beenden«, so der Außenminister weiter. Zweideutigkeiten und »freihändige« Auslegung und Umsetzung von UN-Sicherheitsratsbeschlüssen dürfe es nicht geben.

Die syrische Führung trage große Verantwortung für die Militarisierung des Konflikts, weil sie notwendige politische und wirtschaftliche Reformen vernachlässigt habe, so Lawrow 2012 weiter. Russland verteidige nicht das »gegenwärtige Regime in Damaskus«, weil es dafür »weder politische noch ökonomische, noch andere Gründe« gäbe. Man sehe aber die große Gefahr, dass der multireligiöse und multiethnische Staat Syrien, »wo neben muslimischen Sunniten und Schiiten, Alawiten, russisch-orthodoxe und Christen anderer Konfession, Drusen und Kurden leben«, zerbrechen könne. Bei einer Regionalisierung des Konflikts, und wenn dann noch (wie von Israel gefordert) der Iran angegriffen werden sollte, werde das Gebiet untergehen. »Einen Regimewechsel in Damaskus« herbeiführen zu wollen, wie es die Opposition und deren Unterstützer forderten, diene nicht dem Frieden, sondern sei ein »Element des großen regionalen geopolitischen Spiels« der USA.

Geopolitische Dimensionen

Bis heute steht Russland in täglicher Verbindung mit der syrischen Führung. Es liefert Hilfsgüter, hat großen Anteil am Aushandeln des Abkommens über die Vernichtung syrischer Chemiewaffenbestände und schickte Spezialfahrzeuge und Experten für deren Abtransport. Russische Militärexperten unterstützen die Regierung bei der Aufklärung von Massakern und Angriffen mit chemischen Substanzen und legten – entsprechend dem internationalen Abkommen über das Verbot von Chemiewaffen – ihre Ermittlungen dem UN-Sicherheitsrat vor.

Als bei den bewaffneten Auseinandersetzungen in Baba Amr (Homs) Anfang 2012 klar wurde, dass die bewaffneten Gruppen westliche Funkverbindungen nutzten, die gegen syrische Aufklärung geschützt waren, half das russische Militär der syrischen Armee mit Satelliten- und Funkaufklärung aus. Durch den Tschetschenien-Krieg erfahrene russische Offiziere schulten Sondereinheiten der syrischen Armee, die bisher nicht für einen sogenannten asymmetrischen Krieg ausgebildet worden war. Jenseits der Öffentlichkeit bot Moskau unzählige Male seine Vermittlung für Waffenstillstände oder die Befreiung entführter Personen an. Russische Diplomaten, die der russisch-orthodoxen Kirche nahestehen, setzten sich für die Freilassung entführter syrischer Bischöfe und Nonnen ein. Der deutsche Reporter Billy Six, der für die rechte Tageszeitung Junge Freiheit illegal nach Syrien eingereist und später festgenommen worden war, wurde Anfang März 2013 mit Hilfe der russischen Botschaft wieder nach Deutschland gebracht.

Viele Male hat Moskau versucht, die verschiedensten syrischen Oppositionsgruppen an einen Tisch zu bringen. Immer kritisierte Russland Aufrufe zu einer »internationalen militärischen Intervention« scharf. Seine Diplomaten sprachen mit allen an dem Krieg in Syrien beteiligten regionalen Staaten. Viele Unterredungen gab es zwischen Lawrow und seinem US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry. Wiederholt machte Moskau Anstrengungen, eine internationale Konferenz zu Syrien abzuhalten. Die nach monatelangen Verzögerungen Anfang 2014 in Genf organisierten Gespräche blieben ohne Erfolg.

Hintergrund des russischen Engagements, Syrien zu stabilisieren, ist sicherlich nicht zuletzt der US-amerikanische Anspruch, die Welt nach den eigenen Vorstellungen als »einzige Weltmacht« – so Zbigniew Brzeziński, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten James Carter (1977–1981) – zu »ordnen«. Ob mit dem »Krieg gegen den Terror« oder durch »Dialog und Annäherung« wie neuerdings mit dem Iran bleibt das Ziel für Washington gleich: Sowohl in Syrien als auch in der Ukraine geht es darum, daß sich die USA den Zugriff auf Westasien (Mittlerer Osten) und das »eurasische Schachbrett«, wie Brzeziński es nennt, sichern wollen. In seinem 2012 erschienenen Buch »Strategic Vision« muss er zwar das Scheitern der westlichen Militärinterventionen in Afghanistan und Irak eingestehen, bekräftigt aber weiterhin die zentrale Rolle von Europa und Zentralasien (Eurasien) für die angestrebte Weltherrschaft der USA.

Russland hat – in einem schwierigen Prozess mit China – nach dem Ende des Kalten Krieges der unipolaren Weltordnung, wie die USA sie durchsetzen wollten, die multipolare Weltordnung der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) entgegengesetzt. Dafür sucht Moskau weitere Bündnispartner. Syrien beharrt darauf, seine innenpolitischen Konflikte selbst lösen zu wollen und sucht Anschluss an diejenigen, die dem Land Souveränität versichern. Wie in den 1950er Jahren ergänzen sich die russischen und syrischen Interessen erneut. Ende April 2014 hat Syrien die Mitgliedschaft in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organization, SCO) beantragt. Die 2004 von Russland, China und zentralasiatischen Ländern gegründete Organisation hat sich mit Indien, Iran, Pakistan und anderen Beobachterstaaten kontinuierlich erweitert. Beim letzten Treffen im September 2013 hieß es, dass aus der SCO eine »kontinentale Eurasische Union« entstehen könnte. Deren Mitgliedsländer sollten nicht nur wirtschaftlich und außenpolitisch, sondern auch durch »eine kollektive Verteidigung« verbunden sein.