Wiederbelebtes Bündnis (I)
Karin Leukefeld, jW vom 6. Mai 2014, S. 10/11
Spätestens seit 2006 verstärken Russland und Syrien ihre zu Sowjetzeiten entwickelten Beziehungen. Im Kampf gegen eine unipolare, von den USA bestimmte Welt koordinieren beide Länder ihre Interessen.
Die USA und westliche Staaten seien nicht an gleichberechtigten Partnerschaften mit anderen Ländern interessiert. Sie suchten nach Staaten, die sich ihnen unterordneten, stellte der syrische Präsident Baschar Al-Assad Mitte April in Damaskus fest. Länder, die nicht bereit seien, sich unterzuordnen, würden destabilisiert. Russland dagegen trete für eine multipolare Welt ein. »Nach vielen Jahren einer unipolaren Hegemonie« - der USA, muss hinzugefügt werden - habe Russland die Welt neu ausbalanciert, so Assad weiter. Die Geschichte des Westens sei eine des Kolonialismus. Mit unabhängigen Staaten, ob sie klein seien oder groß, könne der Westen nicht umgehen.
Der Krieg in Syrien ist in Politik und Medien wegen des Konflikts um die Ukraine in den Hintergrund getreten. Doch hier wie dort sieht sich Moskau mit dem US-amerikanischen Anspruch konfrontiert, die internationalen Beziehungen nach Washingtons Vorstellungen als der einzigen Weltmacht zu »ordnen«. Deutlich fiel kürzlich die Kritik des russischen Außenministers Sergej Lawrow aus: »Unsere westlichen Partner, vor allem die USA, versuchen, sich als Sieger des ›Kalten Krieges‹ aufzuspielen«, sagte er am 23. April 2014 bei einer Veranstaltung an der Universität in Moskau. »Sie tun so, als könnten sie Russland ignorieren und machen, was sie wollen. Damit verletzen sie direkt russische Sicherheitsinteressen.«
Lawrow sprach zur Lage in der Ukraine, doch diese Kritik gilt für das Vorgehen westlicher Politik unter US-Führung seit Beginn des »Krieges gegen den Terror«, den die USA mit den Anschlägen auf das Welthandelszentrum in New York am 11. September 2001 begannen. Dieser heiße Krieg wird nicht nur mit der Verlegung von Truppen und Militärberatern, mit dem Auf- und Ausbau neuer Basen und militärischer Abkommen, mit der Erweiterung des Nordatlantischen Militärbündnisses (NATO) und mit der Stationierung von Raketensystemen geführt, es ist auch ein Krieg zur Durchsetzung westlicher Interessen. Politik, Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen sind längst in diese Strategie eingebunden.
Lawrow wies auf die »Farbenrevolutionen« hin, mit denen gesellschaftlicher Unmut und Verunsicherung in osteuropäischen Staaten gezielt gefördert, orchestriert und schließlich für politische Zwecke instrumentalisiert worden waren. »In der Ukraine haben die Vereinigten Staaten und die Europäische Union versucht, eine weitere ›Farbenrevolution‹ zu inszenieren - wir sollten die Dinge beim Namen nennen«, forderte der Außenminister gemäß einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Das sei nichts anderes als »eine Operation, um verfassungswidrig ein Regime zu verändern«. Die Westmächte instrumentalisieren die Krise in der Ukraine zur Schwächung Russlands. »Sie wollen die Ukraine als Pfand in einem geopolitischen Spiel nutzen.«
Nach Jahren der Zurückhaltung hat sich Russlands Kritik an den USA seit dem NATO-Angriff auf Libyen im März 2011 verschärft. Russische Diplomaten hatten damals im UN-Sicherheitsrat der Resolution 1970 zugestimmt und sich bei der Resolution 1973 enthalten, um die Gewalt in Libyen - einem früheren engen Partner Russlands und der UdSSR - zu begrenzen und den Weg zu einer politischen Lösung zu ebnen. Doch das Gegenteil geschah. Kampfjets der NATO bombten mit den Resolutionen als Rückendeckung den nordafrikanischen Staat in Grund und Boden. Mit der Ermordung des libyschen Staatsführers Muammar Al-Ghaddafi wurde ein Regierungswechsel gewaltsam durchgesetzt. Um eine solche Entwicklung zukünftig zu verhindern, hat Moskau in den Verhandlungen um Syrien kontinuierlich von seinem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat Gebrauch gemacht. Verglichen mit den USA, europäischen und den Golfstaaten hat Russland wohl die intensivsten diplomatischen Bemühungen vollbracht, um den Krieg in Syrien zu beenden.
Seit 1950 offizielle Beziehungen
Russische Schiffe hatten das östliche Mittelmeer erstmals 1770 erreicht und lieferten sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts dort verschiedene Seeschlachten mit den Osmanen. Dabei ging es um Handelsrouten, um Inseln und strategisch wichtige Passagen. Die entscheidende für die Russen waren damals schon die Dardanellen, durch die bis heute der Zugang zum Marmarameer und - durch den Bosporus - zum Schwarzen Meer gesichert wird.
Nach dem Ende des Osmanischen Reichs 1918 hatte Moskau zunächst Interesse am Osten des früheren Imperiums, an Armenien gezeigt. Doch im Zuge des Sykes-Picot-Abkommens im Jahr 1916, wonach die arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs in britische und französische Einflusssphären aufgeteilt werden sollten, blieb das unberücksichtigt. Auf der Pariser Friedenskonferenz setzten sich 1919 die Interessen Großbritanniens und Frankreichs durch, die als Mandatsmächte u. a. in Syrien und Palästina eingesetzt wurden.
Der Zweite Weltkrieg sorgte für eine Verschiebung der Machtverhältnisse. Gerade noch gemeinsam gegen den Faschismus gekämpft, wurden die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion Gegner. Der Kalte Krieg brachte Washington und seine Verbündeten auch in der arabischen Welt und im östlichen Mittelmeerraum in Stellung gegen die Sowjetunion.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Moskau und Damaskus basiert auf in den 1950er Jahren entstandenen Beziehungen. Nach der Unabhängigkeit Syriens vom Mandat Frankreichs im Jahr 1946 war die Nationenbildung holprig verlaufen, es gab verschiedene Militärputsche - vermutlich unter Mitwirkung ausländischer Geheimdienste. Gleichzeitig wurde die Region Austragungsort für den Kalten Krieg. 1950 unterzeichneten die UdSSR und Syrien einen Nichtangriffspakt, Moskau half beim Aufbau der nationalen Streitkräfte. In der Region waren die arabische Nationalbewegung um Gamal Abdel Nasser und Gruppen von »Freien Offizieren« auf dem Vormarsch. Sie wurden von der Sowjetunion unterstützt, allein schon deshalb, weil das sozialistische Land an der Sicherung seiner südwestlichen Außengrenzen interessiert war, die es durch das Vordringen imperialistischer Staaten im Mittleren Osten gefährdet sah. Der 1955 abgeschlossene Bagdad-Pakt zwischen dem Irak und der Türkei, die beide dem westlichen Lager zustrebten, wird als Auslöser für eine weitere Annäherung Syriens an die Sowjetunion gesehen. Gleichzeitig vertiefte sich die Spaltung der Staaten im Mittleren Osten; die einen schlossen sich dem Westen an, die anderen der UdSSR.
Syrien strebte nach nationaler Unabhängigkeit. Das Land trat 1970 der Bewegung der Blockfreien Staaten bei. Doch die Unabhängigkeit zur Hochzeit des Kalten Krieges zu erhalten, war bei der für beide Blöcke geostrategisch wichtigen Lage Syriens kaum möglich. Staatspräsident Hafis Al-Assad verstärkte daher die wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen mit der UdSSR. Vor allem wollte er das Land entwickeln und gegen westliche und israelische Begehrlichkeiten schützen. Mit sowjetischer Hilfe wurden Bildungs- und Forschungseinrichtungen gebaut, Landwirtschaft und Industrie gestärkt. Großzügige Stipendienprogramme halfen jungen Syrern in Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrags zu studieren. Im Gegenzug konnte Moskau seit 1971 den Mittelmeerhafen Tartus für seine Schwarzmeerflotte nutzen. 1980 folgte ein Freundschafts- und Kooperationsvertrag zwischen Syrien und der Sowjetunion. Im Artikel 5 ist der militärische Beistand im Fall eines Angriffs durch andere Staaten festgelegt.
Die engen Beziehungen zwischen Damaskus und Moskau änderten sich mit Beginn der Perestroika nach 1985. Die SU änderte ihre Politik im Mittleren Osten, Syrien öffnete sich dem Westen. Russland behielt jedoch den Zugang zum Hafen von Tartus, und seine Militärberater blieben in Syrien. Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 wurden die Beziehungen zwischen beiden Ländern eingefroren. Moskau nahm diplomatische Beziehungen zu Tel Aviv auf. Die militärische Zusammenarbeit mit Syrien wurde dennoch beibehalten.
Teil II und Schluss folgt im nächsten Heft. Die Autorin schrieb auf diesen Seiten (junge Welt, »Thema« - Red.) zuletzt am 9. Juli 2013 über die nationale, regionale und internationale Ebene des Syrien-Konflikts. Sie dankt Helmut Semmelmann vom Europäischen Friedensforum für die Übersetzungen verschiedener Texte des russischen Außenministers Sergej Lawrow.