Wie schützt man Flüchtlinge?
Interview mit Marianna Tzeferakou, Athen
Welches Motiv bewegt Sie zu Ihrem Menschenrechtsengagement in Griechenland?
Wir, die Gruppe der Anwälte für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten und die Solidaritätsgruppen auf den ostägäischen Inseln sind der Meinung, daß Flüchtlinge in Griechenland, aber auch im restlichen Europa, eine besonders schutzbedürftige Gruppe darstellen. Sie sind Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen und das Schlimme daran ist, daß ihnen in Griechenland oftmals jegliche Hilfe verweigert wird. Politisch gesehen, sind Flüchtlinge die am stärksten von Gewalt betroffene Gruppe in Griechenland, und vor allem: Sie sind unsichtbar. Diese Unsichtbarkeit aufzuheben ist eines der wichtigsten Ziele, die wir uns gesetzt haben, und auch der Grund dafür, daß wir uns des Themas der Flüchtlinge annahmen.
Welche Art von Menschenrechtsverletzungen werfen Sie den griechischen Grenzbehörden vor?
Die schwerste Menschenrechtsverletzung ist, daß Schutzsuchende an den Land- und Seegrenzen illegal zurückgewiesen werden. Diese Zurückweisungen finden in einer lebensgefährdenden Weise statt. Damit wird das Recht auf Leben mißachtet. Jeder illegal Neueinreisende – darunter Folteropfer, Frauen, Kinder, schwerst Traumatisierte –, den man dennoch auf griechischem Territorium aufgreift, wird inhaftiert. Alle Flüchtlinge können nach dem Arrestgesetz bis zu drei Monate in Haft genommen werden. Das bedeutet, daß allen Flüchtlingen, die griechisches Territorium betreten, das Recht genommen wird, als freier Mensch um Schutz nachzusuchen. Ihnen wird die Möglichkeit deutlich erschwert, Asyl zu beantragen. Menschen, die beispielsweise Opfer von Folter geworden sind, wird damit, durch die Praxis der griechischen Regierung, die Inanspruchnahme ihrer legitimen Rechte verweigert.
Wie unterstützen Sie und das griechische Asylnetzwerk jene Asylsuchenden, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen an der griechischen Grenze geworden sind?
Es gibt eine Reihe von Unterstützungsmöglichkeiten, darunter das Verlangen nach juristischem Beistand. Die größte Unterstützung aber, die wir den Flüchtlingen geben können, ist, daß wir die Menschenrechtsverletzungen sichtbar machen. Wenn es die Solidaritätsgruppen an der Grenze nicht gäbe, wüßte niemand, was dort wirklich passiert. Wir wüßten nichts über Menschenrechtsverletzungen, die gescheiterten Fluchtversuche und die unmenschlichen Verhältnisse in den Haftzentren.
Was muß, Ihrer Meinung nach, getan werden, damit sich die Situation der Asylsuchenden in Griechenland verbessert und zukünftig weitere Menschenrechtsverletzungen an der griechischen Grenze verhindert werden können?
Dafür müßte das gesamte europäische Grenzregime verändert werden. Faktisch kann man hunderte Dinge aufzählen, die es zu verändern gäbe. Das Problem ist nur, daß die griechische Asylpolitik in den Rahmen der europäischen Asylpolitik eingebettet ist. Und die besagt, daß Flüchtlinge vom Gebiet der Europäischen Union ferngehalten werden sollen. Solange diese Politik nicht geändert wird, verändert sich auch nichts substantiell an der Situation der Flüchtlinge in Griechenland. Vielleicht werden bessere Haftlager gebaut, aber der Skandal, daß diese Menschen überhaupt inhaftiert werden und daß es an effektivem Flüchtlingsschutz fehlt, würde damit nicht beseitigt.
Marianna Tzeferakou ist Trägerin des Pro Asyl Menschenrechtspreises 2008. Die Athener Rechtsanwältin ist aktiv in Solidaritätsgruppen der ostägäischen Inseln und in der Group of Lawyers, einer Gruppe von Rechtsanwälten, die sich für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten einsetzt.
Das Interview mit Marianna Tzeferakou erschien am 6. September 2008 – dem Tag der Preisverleihung durch die Stiftung Pro Asyl – im "Neuen Deutschland", die Fragen stellte Patrick Widera.
Quelle: www.neues-deutschland.de