Wie Kriege gemacht werden
Redaktion
Wer den Syrien-Konflikt aufmerksam verfolgt und - um sich über neue Ergebnisse zweier US-amerikanischer Experten genauer zu unterrichten - in der vierten Januarwoche 2014 bei Google die Suchbegriffe "Lloyd & Postol" eingegeben hat, der dürfte von der hierzulande hochgelobten "Pressefreiheit" schwer enttäuscht gewesen sein. Denn laut Suchergebnis hat sich kein bundesdeutsches oder internationales bürgerliches Leitmedium erlaubt, auch nur mitzuteilen, dass neue, die Assad-Regierung entlastende Erkenntnisse in Bezug auf den schwerwiegenden Vorwurf vorliegen, mit dem seit vorigem Sommer ein mögliches militärisches Eingreifen des Westens gerechtfertigt wird. Soll daran die Öffentlichkeit etwa kein Interesse haben?
Worüber nur wenige linke Zeitungen und Webportale informieren, das fasst Hans Springstein im Freitag vom 20. Januar 2014 unter der Überschrift "Bürde für die Friedenskonferenz" so zusammen:
"Am 14. Januar veröffentlichten die beiden Wissenschaftler Richard Lloyd, ein früherer UN-Waffeninspekteur, und Theodore Postol, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), eine Analyse der Munition, die beim Giftgaseinsatz am 21. August 2013 in einem Vorort von Damaskus zum Einsatz gekommen sein soll. Weitgehendes Schweigen herrscht u.a. bei den deutschen Medien gegenüber den Erkenntnissen der beiden Wissenschaftler, die der von der US-Regierung behaupteten Sicht auf die Ereignisse widersprechen und feststellten, dass die syrischen Regierungstruppen die Giftgas-Munition nicht verschossen haben könnten. Sie stützten sich dabei interessanterweise vor allem auf die von der US-Regierung veröffentlichten Karten, mit denen aber versuchte wurde, die syrische Regierung für das Massaker verantwortlich zu machen. 'Vergleicht man Geheimdienst-Karten der Region mit der Reichweite der eingesetzten Raketen, so könne das Saringas nicht aus Gebieten abgeschossen worden sein, die zu dem Zeitpunkt von syrischen Truppen kontrolliert wurden', gab als eines der wenigen deutschsprachigen Medien die Tageszeitung neues deutschland schon am 17. Januar die Erkenntnisse von Postol und Lloyd wieder. Am 20. Januar legte die Tageszeitung junge Welt nach und berichtete ebenfalls über ‚Obamas Kriegslüge‘, die beinahe zu einer offenen Intervention der USA und ihrer Verbündeten in Syrien geführt hätte. Das Online-Magazin McClatchy hatte bereits am 15. Januar auf die interessante Analyse hingewiesen und das Dokument als PDF-Datei veröffentlicht.
Interessanterweise wurden eine erste Analyse der beiden Wissenschaftler vom September 2013 schneller von deutschen Medien gemeldet, in der sie aufgrund der Bilder von der vermutlich am 21. August 2013 eingesetzten Munition zum Schluss kamen, dass ‚das abgeworfene Giftgas in einem Vorort von Damaskus tatsächlich zur Tötung von mehr als 1.400 Menschen ausreichte‘. Die New York Times hatte am 4. September auf die Untersuchungen aufmerksam gemacht. Die damaligen Aussagen von Lloyd und Postol passten besser in die Vorverurteilung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und zu dem Ziel der westlichen Kriegstreiber und ihrer Verbündeten, endlich direkt in den Krieg gegen und in Syrien einzugreifen. Vielleicht wurden sie deshalb bereitwilliger aufgegriffen, wenn auch der vorbereitete Angriff abgeblasen wurde."
Und der Autor kommt im Freitag zu der Einschätzung, die neuen Erkenntnisse der beiden Wissenschaftler bestätigten ein weiteres Mal nicht nur die zahlreichen Zweifel an den westlichen Schuldzuweisungen für den Giftgaseinsatz bei Damaskus, sondern auch die an der Aufrichtigkeit des Westens und seiner Verbündeten bei den am 22. Januar beginnenden Friedensverhandlungen in Montreux.
Zusammen mit der Anklage Seymour Hershs, wonach Obama seit August 2013 "bewusst verschwiegen" habe, "dass auch die islamistische Rebellengruppe Al-Nusra-Front über Chemiewaffen verfüge" (Focus, 10. Dezember 2013), widerlegen die nun bekannt gewordenen Tatsachen die Kriegslügen des Westens mehr und mehr. Diese Lügen waren Teil der Vorbereitung eines Krieges, in den womöglich mehrere Atommächte verwickelt worden wären - wenn es nicht insbesondere durch kluge Diplomatie Russlands gelungen wäre, ihn vorerst zu verhindern. Wie nahe die Welt am Abgrund stand, wird rückblickend vielleicht an der besonders eindringlichen Warnung Fidel Castros vom 27. August 2013 deutlich, in der er die reale Gefahr der "Auslöschung unserer Spezies" beschwor.