Wer hat Angst vorm Kommunismus? Zum 35. Jahrestag der Aprilrevolution in Portugal
Frank Bochow, Berlin
"Die Wirtschafts- und Sozialordnung beruht auf der Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse, durch den Übergang der wichtigsten Produktionsmittel, des Grund und Bodens und der Naturschätze in Gemeineigentum sowie die Ausübung der demokratischen Macht der Werktätigen." "…durch die Umwandlung der kapitalistischen Produktions- und Akkumulationsverhältnisse muß die wirtschaftliche und soziale Ordnung des Landes durch den Plan gelenkt, koordiniert und diszipliniert werden."
"Gott bewahre uns vor derartig kommunistischem Teufelzeug!" Der Aufschrei der hier Mächtigen ließe nicht auf sich warten. Obige Zitate sind jedoch nicht dem Parteiprogramm der SED entnommen. Sie stammen aus der am 2. April 1976 beschlossenen Verfassung der Portugiesischen Republik. Diese wurde von der überwältigenden Mehrheit der 250 Abgeordneten der Konstituierenden Versammlung angenommen, von denen nur 30 Kommunisten waren. Für diese Sätze stimmten die Abgeordneten der gegenwärtig regierenden "Sozialistischen Partei" ebenso, wie die der "Sozialdemokratischen Partei" (PSD). Die Verfassung von 1976 war das Ergebnis eines revolutionären Prozesses nach dem Sturz des faschistischen Regimes durch den Aufstand der progressiven Militärs am 25. April 1974. Einer starken Bewegung des Volkes, insbesondere des Industrie- und Landproletariats gelang es, mit der Nationalisierung der Banken, der großen Monopolgruppen und der Enteignung der Großgrundbesitzer gewichtige Veränderungen in den Produktionsverhältnissen durchzusetzen. Die Verfassung war somit nicht in erster Linie ein Programm für die Zukunft, sie widerspiegelte bereits Errungenes der sozialen Kämpfe. Auch in Spanien und Griechenland wurden die faschistischen Regimes beseitigt, doch nur in Portugal kam es, wenn auch nur für kurze Zeit, zu grundlegenden gesellschaftlichen Umgestaltungen.
Der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus war in diesem Land mit der am längsten währenden faschistischen Diktatur so offenkundig, daß in den Jahren 1974-1976 fast jeder für den Sozialismus war. Im Programm der "Sozialistischen Partei" vom Dezember 1976 hieß es: "Der Kapitalismus ist eine brutale Kraft der Unterdrückung, die Sozialistische Partei kämpft für seine vollständige Beseitigung." Im Programm der großbürgerlichen "Sozialdemokratischen Partei" (damals Portugiesische Volkspartei PPD) von November 1975 wurde gefordert am "Prinzip des Privateigentums substantielle Beschränkungen" vorzunehmen. Es bezeichnete die "Nationalisierungen" als "eine der Möglichkeiten um zu einer freien und gerechten Gesellschaft zu gelangen." Ein wenig ähneln diese Aussagen den Erklärungen führender westdeutscher Politiker nach 1945, dem Ahlener Programm der CDU und der Schumacher-Losung vom "Sozialismus als Tagesaufgabe".
Ein Sieg des Volkes
Der bewaffnete Aprilaufstand 1974 kam für Außenstehende vielleicht überraschend. In Wirklichkeit bereitete er sich schon seit langem vor. Das Salazar- und später Caetano-Regime war am Ende. Der anhaltende Krieg gegen den Befreiungskampf der Völker der portugiesischen Kolonien hat, trotz aller Unterstützung durch die imperialistischen Mächte, wesentlich dazu beigetragen, die Staatsmacht zu schwächen. Da die Armee immer mehr Soldaten und Offiziere benötigte, drangen demokratische und antifaschistische Überzeugungen, die sich in großen Teilen der Intelligenz und der Studentenbewegung immer stärker ausbreiteten, auch in das untere und mittlere Offizierscorps ein. Zahlreiche Streikaktionen der Arbeiter in der Industrie und Landwirtschaft und das Anwachsen der demokratischen und antifaschistischen Bewegungen unterminierten das Regime zunehmend. Als es dann zum Aufstand der Militärs kam, war dies keine isolierte Revolte, sondern eine Aktion, die sofort von den Volksmassen, vor allem auch von den einflußreichen Gewerkschaften getragen wurde. Die Menschen waren auf der Straße, widersetzten sich mit klug geführten Aktionen allen Angriffen der inneren und äußeren Konterrevolution. Für zwei Jahre wurde Portugal zu einem Land im Aufbruch. Eineinhalb Jahre lang sicherte eine progressive Regierung unter General Vasco Gonçalves den revolutionären Prozeß. Das kulturelle und geistige Leben erblühte. Begeisternde und anrührende Lieder erklangen auf den Straßen und Plätzen. "Wer hat Angst vorm Kommunismus? Es sind die Kapitalisten, es sind die Latifundisten, es sind die Kolonialherren es sind letztlich die Parasiten" war der Refrain eines von ihnen. Wie immer in der Geschichte, wenn es an die Wurzel des Übels geht, ergoß sich ein Kübel voller Haß auf die Kommunisten und ihre Partei. Ein Diktaturregime beseitigen, daß störte die internationale Bourgeoisie zunächst nicht, doch der Herrschaft des Kapitals an den Kragen gehen, das konnte nicht geduldet werden. Und so wurden Parteibüros der Kommunisten angezündet, terroristische Aktionen von links und rechts organisiert, Spaltergewerkschaften gegründet. Im Notfall wurde eine militärische Invasion nicht ausgeschlossen, NATO-Flotten kreuzten vor der Küste Lissabons, und in Spanien standen Truppen bereit. In seiner 1999 veröffentlichen Schrift "Wahrheit und Lüge in der Aprilrevolution! Die Konterrevolution bekennt sich!" schildert Álvaro Cunhal, von 1961-1992 Generalsekretär der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP), mit welchen Mitteln und Methoden das nationale und internationale Monopolkapital alles daransetzte, seine angeschlagenen Positionen zurückzuerobern. Dabei konnte sich die portugiesische Reaktion voll und ganz auf die USA und die NATO stützen. Der nach Portugal entsandte Botschafter der USA-Regierung, Frank Carlucci, war ein hochrangiger Mitarbeiter der CIA. Er überzeugte Henri Kissinger, der auch zu militärischen Interventionen bereit war, daß ein enges Zusammenwirken mit der Sozialistischen Partei und ihrem Generalsekretär Mário Soares viel zweckmäßiger sei. Dieser bekannte dann auch in einem Interview, daß ihm Carlucci bei einem Treffen 1995 versichert habe, "daß niemand besser geeignet sei, die kommunistische Linke zu bekämpfen, wie ein mutiger und kämpferischer ‚linker’ Antikommunist", und Mário Soares fügte bescheiden hinzu "Carlucci hat lediglich in großer Klarheit eine einfache Diagnose gestellt: "Wer konnte Portugal vor der totalitären Bedrohung bewahren?" Unter der Regierung von Mário Soares verstärkten sich die Angriffe auf die Agrarreform, die Nationalisierungen und weitere demokratischen Errungenschaften beträchtlich. Auch ein schönes Zeichen von Demokratieverständnis, wenn der Regierungschef eine Politik betreibt, die offen gegen wesentliche Grundsätze der Verfassung seines Landes gerichtet ist, für die er selbst gestimmt hat.
Letztlich konnten die sozialökonomischen Umgestaltungen der Aprilrevolution nicht erhalten werden, und auch die eingangs zitierten Passagen der Verfassung von 1976 wurden nach hartnäckigem Widerstand 1982 entsprechend verändert.
Ganz sicher sind die Erfahrungen der portugiesischen Revolution nicht übertragbar, sie entstanden unter ganz konkreten Bedingungen an einem bestimmten Ort. Gegen den Faschismus kämpften die unterschiedlichsten Kräfte, zeitweise gelangen sehr breite politische Bündnisse. Doch ohne das jahrzehntelange Wirken – davon 48 Jahre in der Illegalität – der 1921 gegründeten Portugiesischen Kommunistischen Partei wäre eine solcher Verlauf der "Nelkenrevolution" nicht möglich gewesen. Sie war der entscheidende subjektive Faktor der Revolution, mit einer geschlossen handelnden Führung, aufopferungsvoll kämpfenden Mitgliedern und einem zielklaren Programm, das auf dem VI. Parteitag im September 1965 (er fand als einziger außerhalb Portugals in Kiew statt) beschlossen wurde. Es beruhte auf der Ausarbeitung von Álvaro Cunhal, der nach seiner Flucht aus dem faschistischen Kerker 1961 zum Generalsekretär gewählt worden war. Dieses Werk "Kurs auf den Sieg" (deutsch im Dietz Verlag Berlin 1981) ist ein wirkliches Meisterwerk marxistischer Analyse und der sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen für das Handeln der Partei. Es orientierte auf die Vorbereitung einer bewaffneten Erhebung zum Sturz des faschistischen Regimes, auf eine "demokratische und nationale Revolution" zur Durchsetzung folgender Forderungen.
- Schaffung eines demokratischen Staates;
- endgültige Beseitigung der Macht der Monopole und Förderung einer schnellen, allseitigen wirtschaftlichen Entwicklung;
- Durchführung der Agrarreform;
- Wesentliche Erhöhung des Lebensniveaus der werktätigen Klassen und des Volkes im allgemeinen;
- Demokratisierung des Bildungswesens und der Kultur;
- Befreiung Portugals vom Imperialismus;
- Anerkennung des Rechts auf sofortige Unabhängigkeit der portugiesischen Kolonien;
- Durchführung einer Politik des Friedens und der Freundschaft mit allen Völkern.
Der Gedanke einer bewaffneten Volkserhebung war im Jahre 1965 in der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung durchaus nicht populär. Die Aussagen des XX. Parteitages der KPdSU (1956) von der Möglichkeit des friedlichen Übergangs zum Sozialismus wurde in den Jahren 1957-1960 von der Führung der PCP sehr großzügig ausgelegt und auch als Möglichkeit für den Sturz des faschistischen Regimes betrachtet. Mit dem Programm von 1965 wies die PCP diese Position endgültig als "rechte Abweichung" zurück. Am Rande der Beratung der Kommunistischen und Arbeiterparteien von Karlovy Vary 1965 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit Santiago Carrillo, dem damaligen Generalsekretär der spanischen KP, der die These vertrat, daß vor dem Sturz des Faschismus in Spanien eine Veränderung in Portugal nicht möglich sei. Die Antwort der portugiesischen Genossen war eindeutig: "Der Faschismus erhält sich mit Gewalt, und nur mit Gewalt ist er zu bezwingen." Auf die Frage, woher man die Waffen dafür nehme, kam die prompte Antwort. "Die Waffen sind in den Kasernen."
Gleichzeitig warnte die Partei vor linken Abenteuern von Kräften, die meinten, man könne zu jeder Zeit einen Aufstand herbeiführen. Es galt, durch beharrliche Kleinarbeit, unter Nutzung aller legalen und illegalen Möglichkeiten, die Bedingungen für eine bewaffnete Erhebung zu schaffen. Dazu gehörte, Schritt für Schritt die Erkenntnis im Volk zu vertiefen, daß eine Verbesserung seiner Lebenslage den Sturz des Faschismus erforderte. Und so wirkten die Kommunisten an allen Fronten des sozialen Kampfes. Die entscheidenden Bastionen waren die Landarbeiter des Alentejo, das Industrieproletariat der großen Städte. Kommunisten waren die konsequentesten Gewerkschafter bei der Verteidigung der Arbeiterinteressen. Sie waren führend beteiligt, als sich 1970 die Gewerkschaftszentrale "CGTP-Intersindical" gründete, bis heute der einflußreichste gewerkschaftliche Dachverband. Kommunisten wirkten in hunderten Bürgerorganisationen, Berufsverbänden und antifaschistischen Vereinigungen. Sie wirkten auch in den Streitkräften und beauftragten ihre Mitglieder, den Wehrdienst anzutreten.
Der Sieg der Nelkenrevolution, neun Jahre nach dem VI. Parteitag, bestätigte glänzend die vorausschauende, zielstrebige Politik der Portugiesischen Kommunistischen Partei.
Die Treue der Kommunisten
Eine Partei mit einer solch ruhmvollen Vergangenheit ist auch durch jähe Wendungen der Geschichte nicht so leicht zu erschüttern. Selbstverständlich ist der Niedergang des Sozialismus in Europa auch für die portugiesischen Kommunisten nicht folgenlos geblieben. Der Antikommunismus, der die meisten Massenmedien beherrscht, bleibt nicht ohne Wirkung, und doch behauptet sich die Partei, gerade deshalb, weil sie ihrer Tradition treu bleibt. Sie änderte nicht den Namen und verriet nicht ihre Prinzipien. Nach wie vor ist sie fest verankert in den größten Gewerkschaften und vielen anderen Bewegungen und Organisationen. Ihre leitenden Funktionäre verschließen sich nicht in Büros und Parlamentskabinetten. Sie sind überall dabei, wenn es um die Verteidigung der Interessen der Werktätigen geht. Der reale Einfluß der Partei geht weit über die 7,6% der Wählerstimmen und ihre12 Abgeordneten in der Nationalversammlung hinaus. Er widerspiegelt sich in zahlreichen Gemeinden, die seit Jahrzehnten von kommunistischen Bürgermeistern regiert werden, ebenso wie in den vielfältigen politisch-kulturellen Massenveranstaltungen von Nord bis Süd. Die größte dieser Art ist das jährlich am ersten Septemberwochenende stattfindende "Fest der Avante!", das unbestritten größte Volksfest des Landes. Wer von den Lesern der "Mitteilungen" kurz vor den Bundestagswahlen sich noch einmal eine politische Aufmunterung verschaffen möchte, sollte sich den 4. bis 6. September in Lissabon nicht entgehen lassen. "O Partido" ist die portugiesische Bezeichnung für "die Partei". Wer das in Lissabon einem Taxichauffeur sagt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Sitz des Zentralkomitees der PCP gefahren. Nicht zuletzt verdankt die PCP ihre nationale und internationale Autorität Álvaro Cunhal, einem der bedeutendsten Repräsentanten der internationalen Arbeiterbewegung. Als er am 13. Juni 2005 im Alter von 91 Jahren verstarb, säumte eine halbe Million Menschen in Lissabon die Strecke zum Friedhof, auf dem er auf seinen Wunsch ohne Trauerreden bestattet wurde. Viele Millionen im ganzen Land verfolgten den Zug am Bildschirm, das staatliche Fernsehen übertrug über mehrere Stunden. Staatstrauer war angeordnet und die gesamte Staatsführung nahm Abschied von dem Kommunisten Cunhal.
Das aktuelle Parteiprogramm orientiert darauf, die noch vorhanden demokratischen Errungenschaften zu verteidigen und sie zu einer "erweiterten Demokratie" auszubauen. Darunter versteht die Partei eine Gesellschaft, in der vor allem die Rechte der werktätigen Bevölkerung auf allen Gebieten (politisch, ökonomisch, kulturell, ökologisch) wesentlich ausgebaut werden. In der Einleitung zu diesem Programm heißt es: "Die Portugiesische Kommunistische Partei, politische Partei der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, setzt sich zum höchsten Ziel die Errichtung des Sozialismus und Kommunismus, einer Gesellschaft frei von Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, frei von Unterdrückung, Ungleichheit, Ungerechtigkeit und sozialer Geißel, einer Gesellschaft, in der die Entwicklung der Produktivkräfte, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und die Vertiefung der ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Demokratie den Bürgern Freiheit, Gleichheit, hohe Lebensqualität, Kultur, eine ökologisch ausgeglichene Umwelt und den Respekt der Persönlichkeit gewährleisten." Das befindet sich in vollem Einklang mit der bis heute gültigen Präambel der Verfassung der Portugiesischen Republik:
"Die Verfassungsgebende Versammlung bestätigt die Entschlossenheit des portugiesischen Volkes, die nationale Unabhängigkeit zu verteidigen, die Grundrechte der Staatsbürger zu garantieren, die wesentlichen Grundsätze der Demokratie festzulegen, den Vorrang der Rechtsstaatlichkeit zu sichern und den Weg für ein sozialistisches Gesellschaftssystem unter Beachtung des Willens des portugiesischen Volkes zu eröffnen, im Hinblick auf die Errichtung eines freien gerechteren und brüderlichen Landes."
Es kracht mächtig im Gebälk des kapitalistischen Wolkenkratzers. Hektisch ziehen seine Baumeister eine Stütze nach der anderen ein, jagen von einer Konferenz zur nächsten und verkünden dabei immer wieder: Nicht das System, das "freiheitlich-demokratische" wäre verantwortlich für die Krise, gewissenlose Banker und raffgierige Profithaie hätten Schuld an dem ganzen Elend. Ergibt sich daraus nicht die logische Schlußfolgerung, daß man dann erst recht eine gesellschaftliche Ordnung verändern muß, die derartiges hervorruft? Daß es anders gehen kann, beweisen nicht nur die Erfahrungen der sozialistischen Länder, deren Niederlage kein Beweis für die Überlegenheit des Kapitalismus ist, sondern eher für die Unvollkommenheit des Versuches seiner Überwindung. Die mißglückten Flugübungen von Otto Lilienthal haben die Menschheit auch nicht davon abgehalten, es weiter mit dem Fliegen zu versuchen. Wer hat Angst vorm Kommunismus hierzulande? Da brauche ich mir nur die verbissenen und panikartigen Reaktionen von einigen Talk-Show-Gästen auf die klugen und sachlichen Ausführungen von Sahra Wagenknecht anzuschauen.
Frank Bochow war zwischen 1977 und 1981 DDR-Botschafter in Portugal. Siehe auch seinen Beitrag "Eine andere Welt ist möglich!" im Heft 4/2004 der "Mitteilungen", S. 29.