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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Wege zum Sozialismus

Uwe Hiksch

 

Wege zum Sozialismus

Von Uwe Hiksch

Meine politische Sozialisation war typisch für die Bundesrepublik – und gleichzeitig auch völlig untypisch. Geboren als zweites von sechs Kindern in einem sozialdemokratischen Haushalt, wurde ich von frühester Jugend mit den Zielen und Idealen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung vertraut gemacht. Meine ersten Erinnerungen als kleines Kind sind nicht Spiele mit Freunden, sondern die großen Kreistreffen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. Es dürfte im Bundestagswahlkampf 1969 gewesen sein – mein Vater hatte wieder einmal Ottendorf, einen Stadtteil meiner Heimatstadt Ludwigsstadt, zum Verteilen der Wahlwerbung übernommen – als er mit mir gemeinsam zum Austragen der Wahlwerbung für Willy Brandt losging. Ich war damals als gerade einmal Fünfjähriger stolz, daß ich den Menschen etwas schenken konnte. Mein Vater schickte mich mit der Wahlwerbung auch immer in die Bauernhöfe zu den konservativ ausgerichteten Bauern, denn einem kleinen Kind verwehrt man ja nicht die Übergabe eines Wahlgeschenks. Als ich dann in einem Bauernhof ging und voller Stolz zum Bauern lief, um ihm die Wahlprospekte und einen Kugelschreiber zu übergeben, freute er sich nicht, sondern schrie aus voller Kehle: „Jetzt schicken die Sozis schon ihre kleinen Kinder, um ihre linke Propaganda loszuwerden!“ Das verstand ich nicht und war völlig verstört.

Aufgewachsen bin ich in der Tradition der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. In unserer Familie war der höchste Feiertag der 1. Mai. An diesem Tag ging es mit Kind und Kegel zur Maifeier der Gewerkschaften. Als Kind imponierten mir die vielen Fahnen, die Umzüge und die Musik. Auch die SPD-Kreistreffen – damals mit 3.000 bis 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern – waren für uns Kinder ein Hochgenuß.

Auch wenn es auf dem Dorf normal war, in der evangelischen Jugend mitzumachen, waren die Feste und Veranstaltungen der AWO und der Falken ein schönes Kontrastprogramm. Die Entwicklung der Falkenrepubliken, das Mitreden als Kind bei der Gestaltung der Gruppenstunden und der Falkenrepubliken, waren ein prägendes Erlebnis für mich. Ernst genommen zu werden, demokratisch auch die Erwachsenen überstimmen zu können und die uns immer wieder eingeschärfte Erkenntnis „Kinder haben Rechte“, und es gibt für uns kein „Oben“ oder „Unten“, sondern nur ein solidarisches Miteinander, waren faszinierend.

Mein Vater sagte zu uns Kindern drei Sätze, die sich besonders bei mir eingeprägt haben: „Wir haben kein Vaterland – denn Euer Vater hat kein Land, denn wir wohnen zur Miete.“ „Ihr dürft nie nach oben buckeln und nach unten treten. Sondern immer nur umgekehrt.“ Und: „Es gibt keine gute und schlechte Arbeit. Egal, ob Du Dir die Hände schmutzig machst oder nicht, egal ob Beamter, Angestellter oder Arbeiter – alle verkaufen nur ihre Arbeitskraft, um gut leben zu können. Alle sind Arbeiter, die gemeinsam für ihre Interessen streiten müssen.“

So wuchs ich in den 70er Jahren auf, bis sich die ersten Risse in dem schönen sozialdemokratischen Bild zeigten. Durch das Aufkommen der Studierendenbewegung in den 60er Jahren und die Debatten über neue Lebensentwürfe geriet ich als junger Mensch schnell mit den miefigen sozialdemokratischen Moral- und Wertvorstellungen in Konflikt. Auch meine Haare wurden länger, die Kleidung wurde alternativer und die Themen, die mich prägten, waren der Ausstieg aus der Atomenergie und die Diskussionen um die Nachrüstungsbeschlüsse unter Helmut Schmidt. Hier wurde meine Solidarität zur SPD mit 15 Jahren auf eine harte Probe gestellt. Die SPD sagte Ja zur Nachrüstung und war zur damaligen Zeit mehrheitlich für die Atomenergie. So entfernte ich mich innerlich immer weiter vom sozialdemokratischen Grundkonsens, denn die Themen Umweltschutz und Friedenspolitik waren damals für viele innerhalb der SPD nicht relevant.

Als ich 16 wurde, schaute ich mir deshalb alternative Parteien an, die ich für interessant hielt. Die Grünen und die DKP. Heimlich besuchte ich Veranstaltungen der Grünen und der DKP. Mein Vater durfte dies nicht wissen, da ich fast täglich – nach intensiven Diskussionen über die damaligen Themen – zu hören bekam, „wenn ihr bei diesen Grünen beitretet, fliegt ihr aus dem Haus“. Sozialdemokratischer Fortschrittsoptimismus und grüne Wachstumskritik waren zur damaligen Zeit fast wie Feuer und Wasser.

Die DKP schied für mich sehr schnell aus. Als – auf eine kritische Nachfrage von mir – mehrere Genossen der DKP in sehr ernsthaften Vorträgen erklärt hatten, daß sozialistische AKWs selbstverständlich gut seien, während kapitalistische AKWs abzulehnen seien und jegliche Kritik an der DDR als antikommunistisch anzusehen sei, wandte ich mich von diesem Politikansatz schnell wieder ab.

Thematisch und auch politisch wohl fühlte ich mich bei den Grünen der damaligen Zeit. Die Debatten in den Anfangsjahren der Grünen waren geprägt von einer offenen Diskussion, die Themen in zum Teil stundenlangen Sitzungen bis zum Erbrechen ausdiskutierte. In dieser Zeit fand ich bei den Grünen jedoch eine Atmosphäre des Aufbruchs und der Veränderung vor. Auch die politischen Schwerpunkte der Grünen, Umweltschutz, Waldsterben, Friedenspolitik, Ausstieg aus der Atomenergie, waren die Inhalte, die mich bewegten. Aber immer, wenn ich auf die Arbeitswelt, die Sorgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auf Gewerkschaften zu sprechen kam, erntete ich bei meinen grünen Freundinnen und Freunden völliges Unverständnis. Das führte zu einer schnellen Entfremdung von dieser Bewegung, da ich, geprägt durch 15 Jahre sozialdemokratische Erziehung, mir Politik ohne die Interessenvertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch die Gewerkschaften gar nicht vorstellen konnte.

Als ich nach meinem Hauptschulabschluß meine Ausbildung zum Industriekaufmann begann, wurde ich von meinem Vater zu Hause damit verabschiedet: „Wenn Du heute Abend nach Hause kommst, bist Du aber Mitglied der Gewerkschaft.“ Als ich dann nach meinem ersten Arbeitstag nach Hause kam, war die erste Frage: „Bist Du in die Gewerkschaft eingetreten?“ Ich mußte damals aber gestehen, daß ich noch kein Gewerkschaftsmitglied war, da der Betriebsrat mich mit folgenden Worten abwies: „Du lernst doch im Büro. Dann bist Du doch kein Arbeiter. Da brauchst Du doch nicht in die Gewerkschaft.“

1982 kam die Abwahl von Helmut Schmidt. Durch diese Zäsur entschied ich mich sofort, Mitglied der SPD zu werden, da ich jetzt wieder konkrete Handlungsoptionen für eine Veränderung der Partei sah. Innerhalb weniger Jahre wurde ich bei den Jusos Kreisvorsitzender, dann Mitglied im Bezirksvorstand Franken und später drei Jahre Mitglied im Bundesvorstand der Jusos. Innerhalb der Jusos wurde ich Teil der sogenannten Antirevisionisten. Die Antirevisionisten verstanden sich als theoretischer Flügel, der die marxistischen Positionen gegen „revisionistische“ Veränderungen der Undogmatischen oder Stamokap-Jusos theoretisch weiterentwickelte.

Seit frühester Jugend vertrat ich die Ansicht, daß parlamentarische – und damit abgeleitet parteipolitische – Arbeit und außerparlamentarische Arbeit zusammengehören. Innerhalb der Jusos nannten wir diese Strategie „Doppelstrategie“. Durch meine theoretische Verbindung zu den Schriften von Rosa Luxemburg gehörte ich zum antinationalen Flügel der Jungsozialisten und der SPD. Für mich war die Überwindung des Nationalstaates immer erklärter Teil meiner politischen Arbeit. Der zunehmende Nationaldiskurs innerhalb der Bundesrepublik wurde von mir skeptisch bis ablehnend verfolgt. So führten die Historikerdebatte und später die Walser-Debatte dazu, daß die Auseinandersetzung zu Fragen der Nation und die Rolle des Nationalstaates zu wichtigen Fragen wurden.

1989 empfand ich als Befreiung und Niederlage. Befreiung, weil wir uns erhofften, daß sich die erstarrte Sozialismuskonzeption in den Staaten des RGW weiterentwickeln könnte. Niederlage dahingehend, daß ich die Nationaleuphorie als bedrohend empfand. Diese Debatte über die angebliche „Normalität“ des Nationalen fand ich aus der „deutschen Debatte“ heraus für falsch. Seit dem Beginn meiner politischen Aktivität hatte ich immer für die Anerkennung der DDR als eigenständigen Staat gekämpft. Mit dem Zusammenbruch der DDR stellten sich plötzlich völlig neue Fragen. Noch in den Weihnachtsferien 1989 – als wir als Westdeutsche in die DDR reisen konnten – nahmen wir Kontakte zur SPD, den Nelken und zur damaligen SED-PDS auf.

Wir wurden dann auch zu einem Gespräch nach Saalfeld in die Kreisleitung der SED-PDS eingeladen. Was wir dort antrafen, überraschte uns. Die anwesenden Genossinnen und Genossen saßen mit Angst und Sorgen zusammen, da sie für diesen Tag damit rechneten, daß die große Demonstration, die sich auf dem Marktplatz in Saalfeld formierte, auch die Kreisleitung der Partei stürmen könnte. Auf der anderen Seite trafen wir Genossen von der „sozialdemokratischen Plattform“ innerhalb der SED-PDS, die uns erzählten, daß sie das Ziel hätten, die Sozialdemokraten innerhalb der Partei zu sammeln und dann geschlossen zur SPD überzutreten. Der Rest des Kreisvorstandes befand sich in Auflösung oder in einer tiefen Depression. So fuhren wir nach einem dreistündigen Gespräch mit vielen geplatzten Illusionen nach Bayern zurück und schlußfolgerten zum damaligen Zeitpunkt falsch, daß die Zeit für die SED-PDS zu Ende gehen würde. So begannen wir mitzuhelfen, daß sich Genossinnen und Genossen, die sich als „Sozialdemokraten“ fühlten, im Rahmen der Ost-SPD einbringen konnten.

Über viele Jahre hatte ich dann noch die Hoffnung, daß es uns gelingen könnte, die SPD nach links zu verändern. So kämpften wir viele Jahre gegen die ständige Veränderung der Positionen der SPD nach rechts: Asylkompromiß, Auslandseinsätze der Bundeswehr – immer gab es aber eine Minderheit auf Bundesparteitagen der SPD von 30-40 Prozent, die gegen die Veränderung der Positionen stimmte. Durch diese starke Minorität hatten wir die Hoffnung, die Mehrheiten innerhalb der Partei wieder zu verändern.

Schluß der Illusionen kam mit der Regierungsübernahme der SPD 1998 unter Gerhard Schröder. Angriffskrieg gegen Jugoslawien, Agenda 2010 – und damit die Aufgabe sozialdemokratischer Positionen. Damit war der Austritt aus der SPD vorgegeben.

Geprägt von der sozialdemokratischen Vorstellung „Ein Linker muß organisiert sein“, trat ich aus der SPD aus und in die PDS über. Hier zeigte sich jedoch relativ schnell, daß linke SPD-Positionen und ein Teil der Inhalte der PDS sehr schnell auch zu Konflikten und Mißverständnissen führen konnten. So fand ich mich – ohne meine links-sozialdemokratischen Positionen zu verändern – in der PDS auf dem linken Minderheitenflügel wieder. Durch den Geraer Parteitag bekam ich noch einmal Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel der PDS, der sich aber schon wenige Tage nach dem Parteitag durch die internen Diskussionen im geschäftsführenden Vorstand völlig zerschlug.

2003 gehörte ich zu den Gründungsinitiatoren der WASG – als Versuch, Linke aus Westdeutschland zu sammeln und mittelfristig mit der PDS zusammenzuführen – und kehrte 2007 zurück in die gemeinsame Partei DIE LINKE, in der ich heute mit meinen Freundinnen und Freunden und Genossinnen und Genossen für eine Veränderung der Gesellschaft – und für die Durchsetzung des Sozialismus kämpfe.