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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Was der Mord an Olof Palme am 28. Februar 1986 mit Reagans geheimen Kriegern zu tun hat

Klaus Eichner, Lentzke

 

Anfang November 2015 strahlte das ZDF eine Propagandasendung der US-Administration unter dem Titel »Reagans geheime Krieger« aus. Den Zuschauern sollte nahegebracht werden, dass die USA-Geheimdienste bereits in den 50er/60er Jahren ein Katz-und-Maus-Spiel mit den sowjetischen Geheimdiensten und Militärs siegreich gestaltet hätten. Mit der Dokumentation sollte das Wirken eines sogenannten Täuschungskomitees unter direkter Leitung des US-Präsidenten und des CIA-Direktors William Casey (von 1981 bis 1989 im Amt) illustriert werden. Die Autoren unterbreiteten erneut viele seit Jahren widerlegte Lügen und erfundene Märchen über diese Phase des Kalten Krieges. Dennoch ist diese Dokumentation [1] sehenswert, entlarvt sie doch letztlich die Machenschaften westlicher Geheimdienste.

Anfänge der elektronischen Kriegführung

Ein Ausgangspunkt in der Planung der subversiven Kriegführung im Kalten Krieg war der technologische Vorsprung der US-amerikanischen Wirtschaft im Zusammenhang mit der industriellen Revolution – dem Ausgangspunkt des Computerzeitalters.

Begünstigt durch einen Verräter aus dem sowjetischen KGB, der in leitender Position im Direktorat T (wissenschaftlich-technische Aufklärung) tätig war, soll es nach Aussagen der Autoren der CIA gelungen sein, über Jahre hin der Sowjetunion Computerbestandteile zu unterschieben, die erst später als Auslöser für Fehlfunktionen wirksam wurden.

Dieser Verräter, Wladimir Ippolitowitsch Wetrow (CIA-Deckname FAREWELL), wurde vom französischen Präsidenten Mitterand dem US-Präsidenten Reagan zur gemeinsamen Nutzung gegen die Sowjetunion angeboten.

Das war einer der Ausgangspunkte für die elektronische Kriegführung (heute: CyberWarfare) des Westens gegen das sozialistische Lager bis in die Gegenwart.

Das »neutrale« Schweden und die NATO

Die Aufklärung der DDR erhielt seit Anfang der 70er Jahre interne Informationen über jährliche Konferenzen der Luftwaffengeheimdienste der NATO-Staaten (interne Bezeichnung: Regenbogen-Konferenz) speziell zu Fragen der elektronischen Aufklärung. Einer besonderen Geheimhaltung unterlag die Teilnahme von Vertretern der schwedischen Luftwaffe an dieser NATO-Tagung.

Diese unheilige Allianz setzte sich auch später fort. Über Jahre hin beherrschten die internationalen Schlagzeilen immer wieder Meldungen über das Auftauchen von sowjetischen U-Booten in schwedischen Gewässern, oft direkt vor schwedischen Militärobjekten und selbst für Laien erkennbar an den ausgefahrenen Periskopen.

Die schwedischen Militärs waren intensiv bemüht, eine reale Aufklärung dieser Geisterszenarien zu verhindern. Als der sowjetische Außenminister ihnen öffentlich erklärte, sie sollen doch diese Phantome beim Auftauchen in den schwedischen Gewässern bombardieren, verschwanden diese Meldungen aus den Medien, aber es wurde auch kein zerstörtes U-Boot präsentiert.

In diesen und weiteren Fragen unterstellen die Autoren der »Dokumentation« der sowjetischen Seite grenzenlose Dummheit, die es den westlichen Geheimdiensten angeblich ermöglichte, mit den Sowjets ungestraft Katz und Maus zu spielen.

Hart am Rande eines heißen Krieges

Die USA-Marine fuhr über Jahre hinweg provokative Manöver, z.B. in unmittelbarer Nähe des strategisch bedeutsamen Hafens Murmansk, dabei die möglichen Risiken einer harten Reaktion der sowjetischen Seite bewusst einkalkulierend.

Zu den besonders schwerwiegenden Provokationen gehörte der von den USA provozierte Abschuss einer südkoreanischen Passagiermaschine (Flug KAL 007) in der Nacht zum 1. September 1983 im sowjetischen Fernen Osten.

Der Flug dieser Passagiermaschine erfolgte mehrfach im parallelen Kurs mit einem US-amerikanischen Spionageflugzeug vom Typ RC 135 – die Silhouetten und Radarbilder beider Flugzeugtypen sind nachts kaum zu unterscheiden. Der vom vorgeschriebenen Kurs der Zivilmaschine – ein teilweise 500 km weit in das Innere der UdSSR abweichender Kurs – verlief über strategisch besonders sensitive Regionen der sowjetischen strategischen Luftverteidigung.

Die Maschine reagierte auf keine der von der sowjetischen Seite abgegebenen international üblichen Warnungen und Aufforderungen zur Identifizierung. Im sowjetischen Generalstab ging man von einem Eindringen eines US-amerikanischen Spionageflugzeug vom Typ RC 135 aus und befahl als letzte Alternative den Abschuss des Flugzeuges.

Die USA lösten sofort eine internationale Welle von Hass, Hetze und Hysterie aus. Bereits am nächsten Morgen behaupteten westliche Nachrichtenagenturen, die sowjetischen Luftstreitkräfte hätten eine friedliche Zivilmaschine ohne jede Vorwarnung im »Grenzraum« zur UdSSR angegriffen und vernichtet. Schon am 6. September präsentierten die USA den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates ein Video über den Vorfall. Fast alle westlichen Fernsehstationen strahlten danach das Material aus.

Erst 13 Jahre später offenbarte der für die Fernsehprogramme der US-amerikanischen Informationsagentur USIA zuständige Direktor, Alvin A. Snyder, in der »Washington Post«, dass ihm im State Department der USA ein Tonband übergeben wurde – angeblich mit den Originalaufnahmen des Sprechfunkverkehrs des Piloten des sowjetischen Abfangjägers – mit dem dringende Auftrag, daraus ein wirksames Propaganda-Video zu gestalten. Das Video wurde kurzfristig im UN-Sicherheitsrat vorgeführt. Erst später habe Snyder erfahren, dass ihm ein selektives und getürktes Material zur Verfügung gestellt worden war.

Ende 2015 veröffentlichte das japanische Außenministerium ein erst kürzlich freigegebenes Dokument. Danach habe zwei Monate nach dem Vorfall ein hochrangiger US-Beamter die japanische Regierung darüber informiert, dass die Sowjets die Passagiermaschine mit einem Spionageflugzeug verwechselten.

Die westlichen Provokationen und Drohkulissen führten dazu, dass einige führende sowjetische Politiker und Militärs einen unmittelbar bevorstehenden Raketen-Kernwaffen-Krieg befürchteten.

Die sowjetische Seite löste im April 1981 die internationale geheimdienstliche Operation RYAN »Raketno Yadernoye Napadenie« aus. Alle Aufklärungsdienste der Staaten des Warschauer Vertrages wurden verpflichtet, zusätzliche Anstrengungen zur Beschaffung von Informationen über einen möglicherweise bevorstehenden Kernwaffenkrieg zu beschaffen.

Der Höhepunkt der sowjetischen Befürchtungen wurde im Herbst 1983 mit der NATO-Übung »Able Archer« erreicht. Ursprünglich eine routinemäßige NATO-Übung, hatte die Übung von 1983 einige Besonderheiten, die die sowjetischen Befürchtungen noch unterstützten. Im Rahmen der planmäßigen Übung zur Simulation einer Freigabe von Atomwaffen wurde der Einsatz von atomaren Mittelstreckenraketen geübt und zugleich absolute Funkstille befohlen. Erstmalig führte die NATO ein neues Codierungsformat für die Nachrichtenübermittlung ein. Zudem waren die Staatsoberhäupter der NATO-Staaten in das Übungsgeschehen eingebunden – für Moskau ein Signal auf die ungewöhnlich hohe politische Bedeutung der Übung.

Die sowjetische Führung hatte ihre eigenen strategischen Atomstreitkräfte in den Alarmzustand versetzt und ihre Luftstreitkräfte in der DDR und Polen für einen unmittelbaren Einsatz befohlen. Die Piloten saßen in voll aufmunitionierten Flugzeugen einsatzbereit.

Die Leitung der Aufklärung der DDR (HVA) war von dem Ansinnen der sowjetischen Partner völlig überrascht. Keine der gut platzierten Quellen der HVA hatte ernstzunehmende Signale über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff der NATO auf den Warschauer Vertrag übermittelt. Natürlich hatte mit der Amtsübernahme von Ronald Reagan als Präsident der USA der Einfluss der Neokonservativen auf die Politik der USA deutlich zugenommen, hatten sich die aggressive Rhetorik dieser Kreise und ihre militärischen Provokationen an den Grenzen des sozialistischen Lagers massiv verschärft – aber all das reichte nicht aus, einen unmittelbar bevorstehenden Angriff des Westens zu begründen.

Die HVA stellte ausnahmslos und unverzüglich alle Informationen aus den Führungs- und Entscheidungszentren der NATO den sowjetischen Partnern zur Verfügung. Das hat offensichtlich zur Deeskalation der Situation beigetragen.

Mord an einem europäischen Spitzenpolitiker

1982 war der Sozialdemokrat Olof Palme (1927-1986) erneut zum Ministerpräsidenten Schwedens gewählt worden.

Palme hatte sich öffentlich gegen den Vietnamkrieg der USA und gegen die Apartheid in Südafrika gewandt, sprach sich für eine aktive Friedenspolitik und die Annäherung an die Sowjetunion aus.

Für die schwedischen Militärs und Geheimdienstler war er ein Vaterlandsverräter.

In den Abendstunden des 28. Februar 1986 – vier Wochen vor einem geplanten Moskau-Besuch – wurde Olof Palme auf offener Straße erschossen.

Bis heute sind die Täter und die Hintergründe des Mordes nicht aufgeklärt. Alle Nachrichtendienste der NATO-Staaten und ihrer Verbündeten waren in dieser politischen Konstellation nicht in der Lage – bzw. waren nicht daran interessiert – diesen Terrorakt aufzuklären.

Das betraf auch den schwedischen Geheimdienst SÄPO, von dem glaubhaft versichert wird, dass die Rechten dort schon immer stabile Positionen innehaben.

Sehr frühzeitig (er)fanden die Ermittler Spuren, die angeblich in die kurdische Befreiungsbewegung oder nach Südafrika weisen sollten.

Die Tatortaufklärung durch die schwedische Polizei erfolgte äußerst dilettantisch. Erst einen Tag bzw. zwei Tage nach dem Attentat fanden unbeteiligte Bürger in der Nähe des Tatortes die Patronenhülsen der Mordwaffe und übergaben sie der Polizei.

Zwei Jahre nach dem Mord identifizierte die Ehefrau von Olof Palme bei einer Gegenüberstellung einen Kleinkriminellen als Täter. Dann stellte sich heraus, dass sie einen Tipp bekommen hatte, welchen der Männer sie bei der Gegenüberstellung als Täter bezeichnen sollte.

Ende Dezember 2015 übergab ein bekannter schwedischer Kriminologe der Polizei einen total verrosteten Revolver, der jahrelang in einem See gelegen hatte. Er habe diese Waffe von einer anonymen Quelle als Tatwaffe des Palme-Mordes erhalten.

Das Verwirrspiel zur Verhinderung der Aufklärung eines politischen Attentates gegen einen liberalen Politiker geht also weiter – zu wessen Nutzen?

 

Anmerkung:

[1] Noch verfügbar in der ZDF-Mediathek: www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2587988/Reagans-geheime-Krieger#/beitrag/video/2587988/Reagans-geheime-Krieger – zuletzt abgerufen am 17.1.2016.

 

Mehr von Klaus Eichner in den »Mitteilungen«: 

2015-01: Der Mythos vom »Sturm«

2013-12:  Das Teufelszeug muss weg! (Erich Honecker)    

2013-01:  Alter Wein in alten Schläuchen